|
Erweiteter Auszug aus dem Artikel vom Heft 03/2002 der russischen Zeitschrift "MiA" (Mir Aviazia), aus dem bereits der "Bericht" - in einer etwas anderen Übersetzung - entnommen wurde. Der Artikel ist Teil der Serie „Die strategische Luftaufklärung der NATO gegen die UdSSR in den 50-ger Jahren“ aus MiA Heft 01/2002 und 02/2002. Hier wird neben dem Ablauf des Abschusses, etwas Licht in die Verwirrungen bezüglich der Auszeichnungen und dem Namen des abschießenden Piloten gebracht. Ebenso werden am Schluß weltpolitische Zusammenhänge dargestellt. Die Überschrift des Artikels lautete:
Ein
Jagdfliegergeschwader mit „strategischer Bedeutung“
Übersetzer: "radist", mit freundlicher Genehmigung 1964 .... ich war »am Morgen des 10. März in der Diensthabenden Kette. Der Morgennebel mischte sich mit den Industrieabgasen aus dem Raum Coswig-Halle und bildete einen undurchdringbaren Schleier. Die Sicht war nicht besser als 50 bis 70m, ein Start war praktisch nicht möglich. Mein Gefährte Boris Sizow wurde als erster in die Bereitschaftsstufe 2 befohlen, bis 12 Uhr hetzte man ihn: „Einnahme Bereitschaftsstufe 1, anlassen, rollen, zurück, abstellen.“ Nun, das ist eine übliche Prozedur. Dann kam ein Vertreter der Inspektionsgruppe, der glatzköpfig rasierte General Tschugunow von der Politischen Hauptverwaltung. Er unterhielt sich mit dem Personal, feuerte an, probierte unter anderem das essen der Soldaten und fuhr wieder ab. Dann begann es … Der Mensch denkt, Gott lenkt … Ich schaffte es nicht mal meinen Druckanzug anzuziehen und zu meinem „Mustang“ zu rennen, da kam auch schon das Kommando „Bereitschaftsstufe 1!“ Alle weiteren Handlungen liefen erfolgten reflexartig, unbewusst: Luken, Abdeckungen, Planen (die Soldaten), das Anlassmittel hochfahren (der Fahrer), Kabinendach öffnen, Anschnallen bei gleichzeitigem Anlassen der Triebwerke, Einschalten der Schalter (der Freund-Techniker), Bremsklötze weg und den Rollweg freigeben (der Wachposten). Alle arbeiten für dich – vorwärts! So kam ich noch gar nicht dazu, in die Kabine zu Springen, als das Kommando „Anlassen!“ kam (die Funkstation war noch nicht vorgewärmt, so sprang der erschrockene Soldat aus dem Häuschen und kreiste mit den Armen und signalisierte „Anlassen!“). Kurz darauf auf der Bahn, nach wenigen Sekunden. Die Sicht – die halbe Bahn. Starten war möglich. Es ist trocken, Wind von vorn. Und gleich: „717 Start mit Nachbrenner!“ Und das, wo bei der MiG-19 ein Start mit Nachbrenner selten gemacht wurde. Gewöhnlich wird mit „maximal“ gestartet, da bei man ungleichmäßigem Einschalten der Nachbrenner bei Triebwerken mit einem Schub von 3,2kN und einem Startgewicht des Flugzeuges von 7,5t schnell im Gras landet. Ich erinnere mich, dass die Geschwindigkeit so schnell zunahm, dass sich das Flugzeug in Längsrichtung aufschaukelte, aber das ist nur eine fliegerische Nuance. Ich schaffte es nicht, das Fahrwerk einzufahren, da kam das Kommando: „ Kurs 330°, es ist ein reales Ziel, Waffen bereit machen“. Ich verheimliche das nicht, in de Realität ist das totaler Stress. Vom Mittagessen in den Beginn des Krieges – da hat man Magengrummeln. Obwohl nach mir gestartet wurde Sizow vor mir an das Ziel geleitet, als der Luftraumverletzer mit einer Kurve auf Gegenkurs ging. Dort „arbeitet“ schon unser Genosse Fjodor Sinowjew aus Wittstock. Verbindung zu ihm hatten wir nicht und wir sahen auch keine Spuren seines Feuers. Nun passierte wieder etwas unvorhersehbares, Boris, ein sehr erfahrene Pilot aus der 3. Staffel meldete: „Die Waffen arbeiten nicht!“ Ja und auch die Verzögerung bei der Entschlussfassung war erheblich. Der Grund hier für wurde erst später klar: der Verantwortliche auf dem Kommandopunkt suchte den Divisionskommandeur um sich die Erlaubnis zum Eröffnen des Feuers zu holen. So erhielt Sizow den Befehl zur Vernichtung erst in einer Entfernung von 150m zum Ziel, und das, wo die Zünder der S-5 mindestens 130m brauchen ehe sie scharf sind! Die weiteren Ereignisse – sind im Text des Berichtes wiedergegeben, den ich unmittelbar nach diesem Flug geschrieben habe (Orthographie unverändert):
Was kann man zu diesem Bericht hinzufügen? Wir haben gesehen, dass die RB-66 nicht über einen Heckstand verfügte, anderenfalls währe für uns dort sofort Schluss gewesen. Nach der Attacke von F. Sinowjew verringerte der Luftraumverletzer auf 350 bis 400km/h und sank auf 4.000m Höhe, sehr wahrscheinlich – wegen erhaltener Beschädigungen, blieb aber funktionstüchtig und setzte seinen Flug nach Westen fort. Als ich das Kommando zur Feuereröffnung zur Vernichtung erhielt, waren es bis zur nur noch einige 10-ner Kilometer. Der Umschalter „RS“ (Raketengeschosse) stand auf „Einzelstart“. Es gingen nur 4 S-5 ab, alle trafen das Ziel und beschädigten es am Kiel, am Kabinendach und am Rumpf. Der Selbsterhaltungsinstinkt sagte mir: weiteres Salvenfeuer war für mich als Attackierendem nicht ungefährlich, beim Einschlag von allen 32 Raketengeschossen waren die Folgen nicht vorhersehbar. Das Feuer aus den 23mm Kanonen führte ich von unten bei einer Zielverkürzung von 1/4 so, dass die Wirbelschleppe vom Ziel über mir verlief. Bis zur Grenze waren es ungefähr 10km, als ich, endgültig an Geschwindigkeit verloren, den Angriff abbrach. Ein Wiederholungsangriff war im Prinzip ausgeschlossen, aber bald erfolgte die Explosion des Luftraumverletzers und im Dunst der untergehenden Sonne zeichneten sich deutlich 3 rot-weiße Fallschirme ab. Am Boden war es schon völlig dunkel. Die Sicht im Gebiet Zerbst sank unter das Minimum. Ich erhielt das Kommando, in Altes Lager zu landen wo in der gleichen Zeit mit der UTI MiG-15 bei festgelegtem Wetterminimum geflogen wurde. Beim Ausrollen übermittelte man mir vom KDP: „Vorsicht beim Bremsen, das rechte Rad qualmt“. In Wirklichkeit war der rechte Zusatzbehälter so durchschlagen, dass Kraftstoff herausgesogen wurde und so Effekt von Qualm erzeugte. Ich Rollte in einen Unterstand zum Entladen der Waffen. Der Ingenieur kam heran und rief mich zur rechten Tragfläche, dort zeigte er mir einen 15cm großen Splitter, der im Pylon des rechten Zusatzbehälters steckte. Mit dieser Trophäe und der Filmkassette von der Fotokontrolle kam ich zum KDP und meldete die Resultate über die Standleitung an das Geschwader. Die Anweisung: „Warten sie auf die anfliegende An-2“. Vom Erheben in die Luft bis zur Beendigung des Kampfes waren nicht mehr als 5 bis 7 Minuten vergangen, der ganze Flug dauerte 26 Minuten. Zuhause schaffte ich es gerade, mich umzuziehen, da landete schon ein Hubschrauber und brachte unsere ganze Mannschaft (der Steuermann-Leitoffizier W. Gurinow, der mich an das Ziel geleitet hatte und der Verantwortliche vom Kommandopunkt der Division), mit Tonband und den Drahtspulen, den entwickelten Bildern von der Schießkamera FKP und weiteren Dokumenten zum Flugplatz Stendal, von dort im Auto, unter Begleitung von MPi-Schützen zum Truppenübungsplatz. Im Licht der Scheinwerfer eröffnete sich uns ein wirkliches Frontbild: Panzer, Schützenpanzer, Kanonenrohre, Funkantennen, Soldaten mit Helmen und das alles unter Tarnnetzen. Wir übernachteten in einem Zelt, am Morgen verstärkten sich die ersten Eindrücke noch mehr, durch die umgepflügte Landschaft des Truppenübungsplatzes, die Schützengräben, die Menge an Soldaten und ein etwas unverständliches Sujet. Die Kunde von den angekommenen Piloten verbreitete sich schnell und die herankommenden Offiziere berichteten, dass die Manöverteilnehmer gestern in Erstaunen versetzt wurden durch ein nie gesehenes Bild: auf dem Höhepunkt des praktischen Schießens und des Panzerangriffes auf die vorbereiteten Stellungen der „Westlichen“ vielen plötzlich brennende Flugzeugtrümmer vom Himmel. Anfangs dachten alle an eine ungewöhnliche Imitation, eingerichtet extra für die Führung, in der Art eines Sprengpaketes. Als sie aber die sinkenden Fallschirmspringer sahen erkannten sie den Ernst der Situation und nahmen die 3 gefangen, einen mussten sie sogar von einem Baum holen. Hier machten wir auch die Bekanntschaft mit der genau gleichen Mannschaft, wie unsere, aus Wittstock. Wir diskutierten ein Wenig die Dynamik des Luftkampfes und wurden alle zusammen in das Zelt des Kommandierenden geladen. General I, Pstygo und der Chef der Hauptstabes der WWS General Brajko studierten aufmerksam die mitgebrachten Dokumente und hörten alle Beteiligten an. Schlussfolgerungen wurden nicht gezogen, aber der hinzu gekommene Stellvertreter des Kommandierenden für Gefechtsausbildung General I. F. Modjajew brachte vom Absturzort der RB-66 einige Trümmerteile des Flugzeuges mit und bemerkte in Anwesenheit aller: für diesen Flugzeugtyp, vor allen Dingen wegen seiner Festigkeitseigenschaften, braucht es nicht weniger als 2 Jagdflugzeuge wir die MiG-19, bewaffnet mit NR-23 und UB-16. Die Frage nach der Rangfolge kam damals nicht auf, allerdings machte ich schon damals Sinowjew auf die Bilder seiner Schusskamera aufmerksam: eine klar eingerahmt das Ziel in einer Entfernung von 300 bis 400m. Ich sagte ihm: „Fjodor, das sind Bilder ohne dass Du schießt. Anderenfalls müsste das Zielgitter verwaschen sein, zittern“. Darauf antwortete Sinowjew mit einem listigen Lächeln: „Die ersten Bilder macht man für den Staatsanwalt, danach – wie Du willst“. Es ergab sich, dass er früher mal im Norden gedient hatte und Zeuge der wechselnden Ereignisse bei der Auswertung von Umständen des Abschusses einer B-47 durch den Piloten Poljakow wurde, die in neutralen Gewässern nieder ging. Nach seinen Worten wollte man Poljakow anfangs vor Gericht stellen, dann wurde er belobigt … Was meine Bilder angeht, so sieht man dort deutlich die linke Tragfläche, ¾ des Rumpfes, ein Triebwerk und sogar Details des Flugzeuges. Die Distanz war so gering, dass der linke Teil der Tragfläche und das Heck nicht mehr ins Bild passten. Leider habe ich heute weder die Bilder noch die Sprachaufzeichnungen. Weiter, bis hin zu der Auszeichnung mit dem Rotbanner Orden von F. M. Sinowjew und mir im Haus der Offiziere in Jüterbog am 4. April 1964, entwickelten sich die Ereignisse schon ohne unsere Beteiligung in den höchsten Sphären der östlichen und westlichen Hauptstädte. Viele Einzelheiten wurden erst viel später bekannt.
In welchem Maße die Jagdfliegergeschwader „strategischer Bedeutung“ Einfluss auf diese Prozesse hatten – darüber schweigt die Geschichte. Aber wie man so sagt, in einem Lied kannst Du den Text nicht weglassen – was passiert ist passiert. Was nun die Rangfolge bei der Zerstörung der RB-66 angeht, so ist das von Interesse nicht aus meinem persönlichen Interesse, aber als Resultat kollektiver Handlungen auf den ebenen Geschwader-Division-Korps. In seinem Buch „Arbeiter am Himmel“ schreibt I. Pstygo, dass die RB-66 von F. Sinowlew abgeschossen wurde und auch sein Geführter ausgezeichnet worden war (!?). Von der Autorenschaft Sinowjews spricht man auch in einigen westlichen Quellen, und dafür gibt es auch Gründe. Die Sache sieht so aus: Anderthalb Monate gab es an der Aussage von General Modjajew keinen Zweifel: zum Anschuss eines Luftzieles vom Typ RB-66 braucht man mindestens 2 Jagdflugzeuge, was auch in dem Vorschlag zur Auszeichnung festgehalten war. Aber am 29. April 1964 wurde der Personalbestand des 35. IAP unerwartet im Klub, zum Treffen mit einer „lebenden Legende“ – dem Hauptmarschall der Flieger K. A. Werschinin, zusammengerufen. Ich erinnere mich, der altersschwache Oberkommandierende saß in der ersten Reihe und gab den Sinn seines Besuches bekannt – bekannt machen mit dem Personal und Details zu den Ereignissen vom 10. März konkretisieren. Ich wurde auf die Bühne gerufen um noch mal die Ereignisse jenes Tages darzustellen. Nach meinem Bericht stand Werschinin auf und verkündete etwa folgendes: „Nach zusätzlicher Auswertung aller Umstände ist die Führung der WWS zu der Schlussfolgerung gekommen, dass der Aufklärer von Sinowjew abgeschossen wurde. Basta. Keine Kommentare“. Erhob sich und verschwand. Die Umstände, die zu dieser Umbewertung geführt hatten wurden mir gleich bekannt. Es fanden erhebliche Kaderveränderungen in den in den höchsten Kommandoebenen der WWS statt. Dafür brauchte man Entscheidungen über das Kompetenzniveau des Personals in den Führungsstrukturen auf der Ebene Division-Korps. Während Sinowjew am 10. März direkt vom Korpskommandeur, dem zweifachen Helden der Sowjetunion General N. M. Skomorochow geführt wurde, so war es bei mir nur der Diensthabende im Kommandopunkt der 126. IAD. Unser Divisionskommandeur A. A. Mikojan kam erst auf den Kommandopunkt, als das Abfangen bereits erfolgt war, sofort nahm er den Telefonhörer und meldete direkt an Pstygo: „Genosse Kommandierender, wir haben das amerikanische Aufklärungsflugzeug abgeschossen“. Diese Unbescheidenheit hatte dem Kommandierendem, einem ordnungsliebenden und gerechten Menschen sehr missfallen. Die Person von Alexej Mikojan, einem Angehörigen der höchsten politischen Elite, mit allen daraus resultierenden Besonderheiten seines Benehmens und seiner Einstellung zu Fliegerei, passte der Führung der WWS an vielen Stellen nicht. Ihn in seiner Rolle bei der Unterbindung des Fluges eines amerikanischen Aufklärers als gleichwertig anzuerkennen neben Skomrochow konnte Perspektiven für seinen Aufstieg in die höchsten Führungsebenen der WWS eröffnen. Das durfte nicht zugelassen werden. Das war der ganze Hintergrund, die Essenz erklärte man mir etwa so: „Was willst du Alter, auch im Krieg wurde manch gemeinsamer Abschuss einem Einzelnen zugesprochen. Einer hatte 15 Abschüsse, für den Helden brauchte man 16. Im Gruppenluftkampf wird ein Gegner abgeschossen, die Truppen am Boden bestätigen den Abschuss und alle Teilnehmer zeigen auf den, der den Abschuss braucht. In einem anderen Fall gibt er seinen persönlichen Abschuss ab … so ist das Leben, da kannst du nichts machen.“« |
|
|