Schwimmkontakte

Keineswegs habe ich den Anspruch, einen wissenschaftlichen Bericht zu schreiben. Es ist ein Erlebnisbericht, der kritische Fragen aufwirft und mich auch meiner eigenen Spezies näher bringt. Ich erlebte seit meiner Zeit auf der "Kairos" den Kontakt vor allem zu meinen Freunden, als verbindlicher und anteilnehmender und war auch bereit, mich authentisch zu zeigen. Ich war nicht mehr so leicht zu manipulieren, wenn ich merkte, daß eine Herangehensweise nicht meiner entsprach, auch wenn das Grundmotiv vielleicht berechtigt war. Das betraf die Umsetzung von Projekten oder die Verwirklichung von Ideen. Die "Kairos" war ein gutes Beispiel dafür, wie ein Projekt zwar an den Start ging, aber die Idee noch nicht ganz zu Ende gedacht war. Zuende denken hieß auch, für notwendige Abweichungen von einem Plan den entsprechenden Freiraum mit einzubeziehen. Das traf vor allem dann zu, wenn man noch gar nicht genau wußte, was auf einen zukommt. Ich stellte da auch Parallelen zu meiner Liebesbeziehung fest. Meine Sehnsucht nach Kontakt in totaler Verständigung und Nähe war oft so riesengroß, daß ich nicht in der Lage war, meine liebenden Impulse umzusetzen. Ich geriet immer wieder in das Fahrwasser, Bedingungen zu stellen. Ich wollte, daß mir mein Liebespartner von morgens bis abends die ungeteilte Aufmerksamkeit zuteil werden ließ. Ich akzeptierte oft nicht dabei, daß er auch eigene Interessen hatte, die nicht immer etwas mit mir zu tun hatten. Ihm blieb dann nichts anders übrig, als mir aus dem Weg zu gehen, um sich seinen Freiraum zu schaffen.

Die Pilotwale wurden mir die vertrautesten Delphine. Durch ihre Langsamkeit konnte ich ihnen in meiner Wahrnehmung folgen und meine eigenen Handlungen nachvollziehen. Oft wurde ich von ihnen regelrecht in ihren Daseinsraum entführt. Bei den Pilotwalen habe ich einen Zusammenhalt in ihren Schulen erlebt, den ich mir bei uns Menschen nur wünschen kann. Es gab in jeder Schule ein Leittier. Es war jeweils der größte, älteste und damit erfahrenste Wal in der Gruppe, der manchmal als Kundschafter voraus schwamm oder besonders neugierige junge Wale zurückpfiff, wenn sie mit dem Spielen aufhören sollten. Auffallend war auch, daß sich Gemütszustände von den Walen auf den Menschen übertragen konnten und möglicherweise auch umgekehrt. Einmal lag ich regungslos auf dem Wasser und dachte nichts. Der Wal in meiner Nähe wurde auch völlig regungslos. Immer wenn sie mich mitnahmen, in ihre Gruppe integrierten, standen sie untereinander in ständiger Verbindung. Entweder blieben sie in körperlicher Tuchfühlung, berührten sich mit den Spitzen ihrer Flipper, oder sie unterhielten sich über ihre Pfiffe. Vor allem Kerstin machte im Kontakt große Fortschritte. Sie entwickelte eine sehr sensible Wahrnehmung dafür, wann sie als Gruppenmitglied erwünscht war. Als sie einmal mit drei Walen zusammen war und es gleich klar war, daß sie sie gleich mitnehmen würden, schwammen sie so nah unter ihr, daß die kleinste Bewegung ausgereicht hätte, sie zu berühren. Doch dazu fühlte sie sich nicht eindeutig genug eingeladen. Sie konnte die hauchdünne Wasserschicht zwischen sich und den Walen körperlich spüren. Es gab Momente da war sie so in ihren Bewegungsstrom integriert, daß es nahezu synchrone Bewegungen gab, die der hohe Seegang noch unterstützte. Auch in dieser Situation schwammen die Wale meistens so, daß sie sich an Flippern und Finnen berührten.

Globicephala macrorhynchus, Kurzflossengrindwal

Dann kam es zu einem intensiven Blickkontakt zwischen ihr und dem größten der drei. Gerade als sie spürte, daß eine Veränderung bevorstand, änderte der Wal seine Richtung. Sie haben so gleichzeitig den Kurs geändert, ohne daß der Wal seine Richtungsänderung körperlich angedeutet hätte. Es war ein Zustand der absoluten Schwerelosigkeit, Synchronität und Verständigung. Kerstin konnte an Bord noch innerlich das Auge des Wals sehen. Kurz darauf kamen von allen Seiten Wale an die "Kairos" heran geschwommen. Das Wasser brodelte geradezu. Kerstin nahm sich die Zeit, sich von ihren Freunden zu verabschieden.

Der erste Kontakt mit einem Wal oder Delphin rief in den meisten Menschen ein tiefes Glück hervor, bis hin zur Euphorie. Bei mir hatte sich inzwischen eine Nüchternheit eingestellt, die stark von der Frage geprägt war:Wie kommt der Mensch zu einem tieferen Verständnis dem Leben gegenüber? Wie können wir unsere verborgenen, telepathischen Fähigkeiten wieder aktivieren? Wie können wir uns selbstverständlich mit den Meeresäugern verständigen, bis dahin, daß wir mit ihnen ein Team bilden? Die Wale und Delphine leben uns vor, wie man im Einklang mit der Natur und in Verbindung mit dem Universum steht. Es liegt an uns, uns zu erinnern, woher wir kommen und warum wir hier sind.

   



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