5. Alternativtourismus und kultureller Wandel in San Pedro La Laguna

 

5.1. Die Gemeinde San Pedro La Laguna

San Pedro La Laguna ist der Hauptort des gleichnamigen Municipios, das einen Teil des Departementos Sololá bildet. Das Municipio San Pedro La Laguna erstreckt sich über ca. 24 km² und ist am südwestlichen Ufer des Atitlán Sees gelegen (Diagnostico Municipal de San Pedro La Laguna 1996: 10). Die Bevölkerung des Municipios lebt zu 100% im städtischen Bereich. Der Weiler Chicajay verschwand einige Jahre nachdem seine Bewohner (drei Familien) in den Hauptort gezogen waren (ebd.: 10). Eine exakte Einwohnerzahl läßt sich für San Pedro nicht angeben, da die letzte Volkszählung von 1994 von den Pedranos nicht akzeptiert wurde und daher entweder falsche oder gar keine Angaben gemacht wurden (ebd.: 11). Gemäß des Instituto Nacional de Estadística de Guatemala betrug die geschätzte Einwohnerzahl 1995 9.853 Einwohner, andere Schätzungen für das gleiche Jahr benennen 10.974 Einwohner (ebd.: 11). 98% der Einwohner San Pedros gehören der Sprachgruppe der Tz´utujil-Mayas an, die restlichen 2% sind Nicht-Tz´utujiles oder Ladinos (ebd.: 14). Die Analphabetenrate betrug 1994 im Departemento Sololá 44% bei der männlichen und 60% bei der weiblichen Bevölkerung (ebd.: 11).

 

5.1.1. Landwirtschaft

Das vorherrschende landwirtschaftliche Produkt in San Pedro ist der Kaffee. Die Asociación Nacional del Café betreut einen Teil der Kaffeproduzenten, die Mehrheit jedoch produziert und vermarktet den Kaffe selbstständig. Die Kaffeepflanzungen befinden sich zum Teil im Ort selber, im Uferbereich zwischen den beiden Landungsstegen (siehe Karte 4), zum größten Teil aber außerhalb des Ortes in der Gegend von San Juan La Laguna oder am Fuße des Vulkans San Pedro in Richtung Santiago Atitlán. Der Kaffee ist heute der wichtigste Wirtschaftsfaktor in San Pedro. Er wird ausschließlich für den Export produziert. Laut Paul kultivierte der selbe Pedrano, der den Protestantismus in San Pedro einführte, Anfang der 30er Jahre dieses Jahrhunderts erstmals Kaffee in San Pedro. Als er damit Erfolg hatte, folgte ihm 1935 ein zweiter Pedrano und im Jahre 1962 kultivierte schon fast die Hälfte der Familien in San Pedro Kaffee, zusammen mit Mais und anderen landwirtschaftlichen Produkten (Paul 1968: 100).

Lange Zeit war die Aufzucht und der Vertrieb von Kichererbsen (Garbanzos) eine Spezialität von San Pedro. Heute spielen sie jedoch keine besondere Rolle mehr. Weitere landwirtschaftliche Produkte, die für den Verkauf produziert werden, sind Zwiebeln, Tomaten, Kohl, Rettich und Avocados. Mais wird fast ausschließlich für den Eigenbedarf auf traditionelle Art angebaut (Diagnostico del Municipio de San Pedro La Laguna 1995: 23).

Eine relativ geringe Bedeutung hat heute auch die Fischerei. Es gibt zwar eine Vereinigung der Fischer, aber die Fischbestände im See sind so stark zurückgegangen, daß so gut wie nur noch für den Eigenbedarf gefischt wird.

Viehzucht spielt in San Pedro keine Rolle. Einige Pedranos besitzen Pferde, die heute hauptsächlich für Ausritte mit Touristen benutzt werden. Hühner werden für den Eigenbedarf gehalten.

 

4.1.2. Katholizismus und Protestantismus

Seit der Eroberung und Missionierung der Tz´utujiles im 16. Jahrhundert, hat sich auch in San Pedro eine synkretistische Form des Katholizismus entwickelt und blieb bis zum Anfang dieses Jahrhunderts die einzige Religionsform. Diese war geprägt durch die cofradías, religiöse Bruderschaften zu Ehren jeweils eines Heiligen. Ein doppeltes Stufensystem von zivilen und religiösen Ämtern gipfelte im Amt des alcalde, des Bürgermeisters. Schon unterhalb der höchsten Stufe gab es jedoch viele Berührungspunkte zwischen den zivilen und den religiösen Bereichen des Systems. Jeder Inhaber eines zivilen Amtes mußte auch seinen Beitrag bei der Organisation und Ausführung von religiösen Festen leisten. Die beiden Bereiche bildeten zusammen ein gemeinsames Ämtersystem, und jeder Pedrano war verpflichtet in unterschiedlichen Abständen jeweils ein Jahr lang ein Amt zu übernehmen. Im Durchschnitt übernahm jeder Mann alle vier Jahre ein Amt, so daß im Normalfall bis zum 60. Lebensjahr alle zehn Stufen durchlaufen und die ehrenvolle Position eines principal erreicht worden waren (Paul 1968: 127). Die Ämterausführung wurde nicht bezahlt, im Gegenteil, sie kostete den Amtsinhaber sowohl Geld, als auch Zeit und mit jedem weiteren Amt auf der hierarchischen Ämterleiter vermehrten sich die Kosten. Der religiöse Rahmen der Hierarchie bestand aus Diensten in sechs cofradías. Jede cofradía bestand aus sieben Männern und drei Frauen. Die Ämter innerhalb einer cofradía waren folgende: cofrade, juez; erster, zweiter, dritter, vierter und fünfter mayordomo; die drei Frauen dienten als texeles.(1) Normalerweise diente ein Mann zwei oder drei Perioden als mayordomo, jedesmal eine Stufe höher, um dann als juez und danach als cofrade zu dienen. Bis zur höchsten Stufe ist die cofradía in der das Amt abgeleistet wird, unwichtig. Es kann jedesmal eine andere sein. Erst in der Position des cofrade spielt es eine Rolle innerhalb welcher cofradía das Amt ausgeführt wird (Paul 1968: 127f).

Die sechs cofradías waren ebenfalls nach ihrer Wichtigkeit hierarchisch geordnet: San Antonio, San Nicolás, Rosario, Santa Cruz, Concepción und Corpus. Sie waren in drei Kategorien zusammengefaßt, und von einem Mann wurde erwartet, daß er Ämter in allen drei Kategorien übernahm, um seine Karriere zu durchlaufen. So mußte er zuerst cofrade einer der drei Bruderschaften San Antonio, San Nicolás oder Rosario sein, später mußte er seinen Dienst bei Santa Cruz oder Concepción leisten und zum Schluß in der cofradía Corpus. Während seines Amtsjahres hatte ein cofrade eine große Menge Geld aufzuwenden, da er täglich seinen juez und die mayordomos verpflegte und Schnaps sowie große Mengen Atole(2) an die Teilnehmer und Zuschauer der zahlreichen Feste verteilen musste. Ein cofrade konnte mit Leichtigkeit 200-300 Quetzales im Jahr für die Durchführung seines Amtes ausgeben, was soviel ist, wie ein Mann in zwei bis drei Monaten Arbeit verdienen konnte (Paul 1968: 128).

Paul schreibt, daß dies das zivil-religiöse Ämtersystem war, wie es ihm 1941 in San Pedro beschrieben wurde. Schon 1962 war dieses System jedoch nur noch in Ansätzen erhalten geblieben. Als Gründe dafür wurden in erster Linie die hohen Kosten angeführt, die die Ämter mit sich brachten. Es gab aber auch andere Ursachen, die dazu führten, daß die cofradías ihre zentrale Rolle im sozialen und religiösen Leben der Pedranos einbüßten. Die wichtisgten sind: Der Militärdienst, der Protestantismus, die Katechistenbewegung und die Einführung politischer Parteien (Paul 1968: 133).

Laut Paul war 1941 der Protestantismus noch kein gravierendes Problem. Der erste Pedrano war fast zwanzig Jahre vor diesem Datum konvertiert, hatte 1923 die Capilla Centroamericana geründet und einige Verwandte und Nachbarn überzeugt, sich ihm anzuschließen. 1941 zählte Paul 25 Familien, die zum Protestantismus übergetreten waren. Das entsprach ungefähr 5% der Bevölkerung (ebd.: 134).

1956 gab es schon 500 bis 600 creyentes, also Gläubige, wie die Protestanten in San Pedro genannt werden, in vier verschiedenen Kongregationen, was damals ungefähr 20% der Bevölkerung ausmachte. 1962 war ca. ein Drittel der Bevölkerung zum Protestantismus konvertiert (ebd.: 134).

1996 gab es in San Pedro bereits 16 verschiedene evangelikale Sekten (Diagnostico Munidcipal de San Pedro La Laguna 1996: 28) und nach neuesten Informationen sollen es inzwischen sogar 18 sein, denen ca. 50% der Pedranos angehören.

Die wichtigsten Gründe für den Wechsel einer Person zum Protestantismus sind: Die Hoffnung auf Heilung vom Alkoholismus, der Versuch den finanziellen Bürden eines Amtes in der cofradía zu entgehen und die Hoffnung auf wirtschaftliche Unterstützung durch die Glaubensgenossen in den USA.

Im Gegensatz zu einigen Tzotzil-Gemeinden in Chiapas(3) führten die Rivalitäten zwischen den protestantischen Sekten und den Katholiken in San Pedro nicht zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. In den 50er Jahren gab es in San Pedro bei Prozessionen zum Patronatsfest (29. Juni) Rivalitäten, die mit Hilfe von Lautsprechern ausgetragen wurden. An allen protestantischen Tempeln waren Lautsprecher installiert, während der katholische Priester einen tragbaren benutzte. Hymnen, Gebete und Beschimpfungen erklangen gleichzeitig aus allen Lautsprechern und schallten in alle Richtungen (Paul 1968: 138).

Heute gibt es in San Pedro zumindest keine auffälligen Anfeindungen mehr zwischen Protestanten und Katholiken.

 

5.1.3. Das Gesundheitssystem

Das staatliche Gesundheitssystem in San Pedro besteht aus einem Centro de Salud, welches in der cabecera municipal (Rathaus) untergebracht ist. Das medizinische Personal umfaßt einen Arzt, eine graduierte Krankenschwester, drei Hilfsschwestern, einen Medizintechniker und einen Inspektor für "Umweltentseuchung" (inspector de saneamiento ambiental) (Diagnostico del Municipio de San Pedro La Laguna 1995: 19), der jedoch im August 1996 San Pedro verließ, ohne seine Aufgaben erledigt zu haben (Diagnostico Municipal de San Pedro La Laguna 1996: 30).

Außerdem bieten sechs medizinische Spezialkliniken, eine Zahnarztpraxis, drei Zahnlabore, eine Apotheke und fünf Geschäft,e in denen Arzneien verkauft werden, ihre Dienste an (Diagnostico del Municipio de San Pedro La Laguna 1995: 19).

Ernste Krankheitsfälle oder Unfallopfer müssen in die clínica nach Sololá oder bis nach Guatemala Stadt gebracht werden.

Unter den traditionellen Heilern sind in San Pedro insbesondere die "Knochenheiler" oder hueseros bekannt. Es sind medizinische Spezialisten, die Knochenbrüche mit Hilfe eines speziellen Knochens heilen, der magische Fähigkeiten hat. Das Wissen eines huesero wird nicht durch Weitergabe erlernt, sondern vom angehenden Heiler erträumt. Der Kandidat findet ein kleines Knochenstück, das sich bewegt und wird im Traum angewiesen es aufzuheben und gut zu behandeln. Solange der Kandidat die Traumbotschaften noch nicht versteht, oder ihnen nicht folgt, was bis zu mehreren Jahren der Fall sein kann, erleidet er häufig Unglücksfälle in seiner Familie oder wird selber krank. Erst wenn er seiner Bestimmung als Heiler folgt, erlangt er selbst eine gewisse Immunität gegen Krankheiten und Unfälle. Zur Heilung der Knochenbrüche massiert der huesero mit Hilfe des magischen Knochens über die Bruchstelle, die er mit heißen Tabakblättern bedeckt und bandagiert. Die Heilung selber übernimmt jedoch nicht der huesero, sondern der magische Knochen, der sich nur des Heilers bedient (Paul 1976: 77-81).

Benjamin Paul schreibt in seinem 1976 erschienenen Artikel von fünf bis sechs praktizierenden hueseros im Gegensatz zu nur einem 1941. Trotz sich verbessernder schulmedizinischer Versorgung scheint die Nachfrage nach traditionellen Heilkünsten zumindest bis 1976 nicht nachgelassen zu haben. Auch in den beiden Diagnosticos zu San Pedro von 1995 und 1996 werden die hueseros nach wie vor erwähnt, wie viele von ihnen heute noch praktizieren, wird jedoch nicht angegeben.

Einen weiteren wichtigen Teil der medizinischen Versorgung stellen die Hebammen dar. Auch sie sind rituelle Spezialistinnen, die zu ihrer speziellen Begabung berufen werden (siehe Paul/Paul 1975: 707ff). 1941 gab es laut Paul zwei Hebammen in San Pedro. 1966 praktizierten drei Hebammen und es gab drei oder vier junge Frauen, die auf dem Weg zu Hebamme waren, denen aber noch die öffentliche Akzeptanz fehlte (Paul 1968: 126). 1995 wurden 13 aktive Hebammen gezählt, die teilweise mit dem Centro de Salud zusammenarbeiteten (Diagnostico del Municipio de San Pedro La Laguna 1995: 20).

 

5.1.4. Das Verkehrs- und Transportsystem

In den letzten Jahrzehnten haben sich die Pedranos stark um den Ausbau eines Verkehrs- und Transportsystemes gekümmert, das San Pedro trotz seiner abgeschiedenen Lage, einen relativ guten Anschluß an das Küstengebiet und die Hauptstadt gewährt. So bauten die Pedranos aus eigener Kraft und eigenem Antrieb eine Straße am Fuße des Vulkans San Pedro entlang, die sie mit Santiago Atitlán und darüberhinaus mit dem Küstentiefland verbindet. Laut Paul ist der Transportservice eine der Spezialitäten San Pedros geworden (Paul 1976: 77).

1962 gab es in San Pedro fünf kommerziell genutzte Kraftwagen, 1965 waren es acht: Sechs Lastwagen und zwei Busse, die alle in Privatbesitz waren. An zwei Tagen in der Woche gab es eine Busverbindung nach San Pedro Chicacao, einem Ort im Küstengebiet, der eine Art Kolonie der Pedranos darstellt. Jeden Donnerstag fuhr der Bus weiter bis Guatemala Stadt und wieder zurück (Paul 1968: 97). Das Unternehmen "Veloz Pedrana" bediente 1995 mit drei Bussen täglich die Strecken nach Guatemala Stadt und Quetzaltenango, sowie nach Sololá. Ein weiteres Transportunternehmen "Transportes Méndez" befuhr die gleichen Strecken mit einem Bus (Diagnostico del Municipio de San Pedro la Laguna 1995: 25). 1996 wurden sechs Busse und ca. 60 weitere Transportfahrzeuge zwischen Pick-Up Trucks und Lastwagen gezählt (Diagnostico Municipal de San Pedro La Laguna 1996: 24). Bei meinem Aufenthalt in San Pedro im Jahr 1997 fiel mir im Vergleich zu den Vorjahren auf, daß das innerstädtische Verkehrsaufkommmen stark zugenommen hatte und es wurde mir von ersten Verkehrsproblemen und -unfällen in den engen Straßen des Ortes berichtet.

Nicht nur die Verkehrsanbindung zu Land, sondern auch die Verbindungen über den See nach Panajachel, bzw. Sololá, haben sich in den letzten fünfzig Jahren wesentlich verbessert. Als sich Paul 1941 in San Pedro aufhielt, war die einzige Möglichkeit an das andere Ufer nach Panajachel zu gelangen, ein Kanu. Um Donnerstags zum Markt nach Sololá zu gelangen, mußten die Pedranos schon einige Zeit vor dem Sonnenaufgang aufbrechen, um rechtzeitig zum Sonnenuntergang zurück zu sein. Hierfür hatten sie stundenlang gegen starken Wellengang anzukämpfen, denn am Nachmitag setzt für gewöhnlich der Xocomil, ein kräftiger Wind, am Atitlán See ein. Im Jahr 1953 oder 54 richteten die Pedranos zusammen mit den Bootsbesitzern in Panajachel einen regelmäßigen Bootsverkehr für Passagiere und Frachtgüter ein, der ihnen ermöglichte, jeden Sonntag den Markt von Panajachel und jeden Donnerstag den von Sololá zu besuchen (Paul 1968: 94). Auf diese Art und Weise gab es an zwei Tagen eine Verbindung nach Panajachel und zurück. Um auf den Markt in Santiago Atitlán zu gelangen, gab es bereits vorher ein großes Kanu, welches täglich morgens ablegte und gegen Mittag zurückfuhr (ebd.: 95).

Erst ungefähr im Jahre 1987 wurde die Anbindung zur anderen Seeseite nach Panajachel so ausgebaut, daß täglich mehrere Boote nach einem festen Fahrplan zwischen den beiden Ortschaften verkehren. Es gibt inzwischen zwei verschiedene Bootsgesellschaften, die beide von Pedranos geführt werden und ca. alle zwei Stunden zwischen 5.30 Uhr und 19.00 Uhr abwechselnd zwischen San Pedro und Panajachel Passagiere und Frachten befördern. Auch zwischen San Pedro und Santiago verkehrt inzwischen mehrmals täglich eine Bootslinie. Wie sich noch zeigen wird, war der Ausbau der Bootsverbindung nach Panajachel ein wichtiger Faktor in der Entwicklung des Tourismus in San Pedro.

Eine vom Staat Guatemala geplante Straße, die alle am See gelegenen Ortschaften miteinander verbinden und um den gesamten See herum führen sollte, ist bis heute nicht verwirklicht worden.


 


1. aus: te=Mutter und xel=Bewacher, Wächter; also die Wächterinnen der Cofradía (Batz 1991: 75). (zurück)

2. Maisgetränk (zurück)

3. Ganz besonders in Chamula, wo Protestanten von Katholiken vertrieben wurden (Huse 1994: 23). (zurück)

 

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