5.2. Alternativtourismus in San Pedro La Laguna

 

5.2.1. Die Entwicklung des Tourismus in San Pedro

Zu Beginn der 70er Jahre ging aus der Hippiebewegung in den USA eine besondere Form des Individualtourismus hervor, die zumeist mit dem Wort Alternativtourismus in Verbindung gebracht wird (Spreizhofer 1995: 102ff). Junge Menschen machten sich, auf der Suche nach alternativen Lebensformen und aus "Protest gegen Industriegesellschaft und Establishment" (ebd.: 102) auf den Weg in andere Länder, zumeist in der "Dritten Welt". Die beliebtesten Ziele wie Goa (Indien) und Kuta (Indonesien) lagen in Asien, aber es wurden auch Ziele in Lateinamerika angesteuert, unter anderem Panajachel (Hamer 1978; Scherrer 1986: 285). Von hier aus kamen dann auch bald die ersten "Traveller" über den Atitlán See nach San Pedro. Zwar gab es zu Beginn der 70er Jahre noch keine touristische Infrastruktur in San Pedro, aber einige Pedranos vermieteten Zimmer in ihren Häusern an die ersten Touristen und bald wurden die ersten hospedajes (Herbergen) (siehe Abb. 2) errichtet.

Aufgrund der politischen Lage in Guatemala kam es jedoch gegen Mitte der 70er Jahre zu einem Einbruch des touristischen Interesses. Erst in den Jahren 1983/84 kamen langsam wieder Touristen nach San Pedro. Oft waren dies die selben Personen, die schon in den 70er Jahren im Ort gewesen waren und Bekanntschaften oder auch Freundschaften mit Pedranos geschlossen hatten. Noch heute kommen einige Touristen der "ersten Stunde" alljährlich nach San Pedro zurück um hier einige Wochen im Jahr zu verbringen. Da die Verkehrsverbindungen nach San Pedro zu dieser Zeit jedoch noch schwierig waren (nur an zwei Tagen verkehrten Boote zwischen Panajachel und San Pedro), kamen nur relativ wenige Touristen.

Erst mit dem Ausbau des Fährbetriebes 1987 erhöhte sich die Zahl der Touristen, die San Pedro besuchten. Es folgte zu Beginn der 90er Jahre eine Art "Tourismusboom", der sich auch auf die Bautätigkeit im Ort auswirkte. Immer mehr Pedranos wollten vom Tourismus profitieren und errichteten hospedajes oder comedores (kleine Restaurants) (siehe Abb. 3, 4) im Uferbereich zwischen den beiden Bootsanlegestellen (siehe Karte 4). Einige geschäftstüchtige Pedranos kauften Grundstücke am Seeufer auf, um sie an US-Amerikaner oder Europäer, die sich in San Pedro niederlassen wollten, mit großer Gewinnspanne weiter zu verkaufen.

Seit Mitte der 90er Jahre nimmt jedoch die Zahl der Touristen, die San Pedro besuchen, wieder ab, so daß heute einige hospedajes teilweise leerstehen, oder auch Bauruinen geblieben sind, da den Bauherren das Geld ausging. Warum der Tourismus in San Pedro eher rückläufig ist, könnte verschiedene Ursachen haben. Zum Beispiel ist seit dem Verfall des mexikanischen Peso Ende 1994 das Reisen in Guatemala nicht mehr entschieden billiger als in Mexiko. Da die meisten Alternativtouristen mit relativ wenig Geld sowohl Mexiko als auch Guatemala bereisen, halten sie sich jetzt länger in Mexiko auf als früher, weil es dort preiswerter geworden ist. San Pedro war in Travellerkreisen immer bekannt als der Ort in Guatemala, in dem es sich als Tourist finanziell am Günstigsten leben läßt und trotzdem eine touristische Infrastruktur vorhanden ist. Dies hat sich zwar bis heute nicht geändert, aber im Gegensatz zu früher, gibt es heute auch in Mexiko Orte, in denen es sich fast genauso preiswert leben läßt, wie in San Pedro.

Ein zweiter Grund für rückläufige Touristenzahlen in San Pedro wird wohl der relativ offene Drogenkonsum einiger Touristen sein, auf den ich später noch näher eingehen werde.

Viele Touristen schließlich beklagen sich über zu viel Müll, besonders in den Kaffeepflanzungen, die auf dem Weg zwischen dem Landungssteg der Boote aus Panajachel und den meisten Herbergen durchquert werden müssen. Zwar hat die Stadt Nürnberg dem Ort im August des Jahres 1996 einen Müllwagen gestiftet, der auch im Ortskern in Benutzung ist, der aber wegen der engen Straßen und Wege nicht überall fahren kann. Ich hatte 1997 in San Pedro die Gelegenheit, einen Videofilm zu sehen, der das Müllproblem zum Thema hatte. In diesem Film wurden mehrere Pedranos zu diesem Thema interviewt, und sie merkten an, daß zu viel Müll die Touristen vertreibe. Ein Bewußtsein für dieses Problem ist also vorhanden, geändert hatte sich in dieser Hinsicht allerdings in dem Zeitraum zwischen 1995, als der Film gedreht wurde, und 1997 nichts Grundlegendes.

 

5.2.2. Die touristische Infrastruktur

San Pedro ist keine Ortschaft, die in irgendeiner Weise für sich selbst Werbung macht, um Touristen anzuziehen. Es gibt also auch keine Touristenagentur oder sonstige offiziellen touristischen Angebote in San Pedro. Die meisten Touristen hören entweder durch Mund zu Mund-Propaganda das erste Mal von San Pedro, oder lesen in Reiseführern von der Existenz des Ortes. In einem deutschsprachigen Reiseführer, den meiner Beobachtung nach viele deutsche Alternativtouristen benutzen, wird San Pedro wiefolgt beschrieben: "(...) Dieses dichtbesiedelte, enge Tzutuhildorf mit seinen verwinkelten Straßen am Westufer des Sees entwickelte sich in den letzten Jahren zu einem zweiten Travellertreff neben Panajachel (...)" (Honner 1995: 256).

Die Ortsstatistik von San Pedro aus dem Jahre 1995 zählt fünf Pensionen bzw. Herbergen und 25 Restaurants "verschiedener Kategorien" (Diagnostico del Municipio de San Pedro La Laguna 1995: 26). Um in der Satistik des Jahres 1996 touristische Einrichtungen zu finden wird auf die gezeichnete Karte verwiesen, auf der sich 10 Hotels aber nur 16 Restaurants finden lassen (Diagnostico Municipal de San Pedro La Laguna 1996: Karte 12; siehe Anhang Karte 4). Wenn man die beiden Ortsstatistiken durchliest, erhält man den Eindruck, als gäbe es in San Pedro gar keinen Tourismus. Immerhin ist an der Häufung der Restaurants und Hotels im Seeufergebiet in Karte 12 (siehe Anhang Karte 4) des Diagnostico von 1996 zu erkennen, daß sich hier das touristische Zentrum San Pedros befindet.

Die tatsächliche Zahl der hospedajes und comedores in San Pedro liegt (und lag auch schon in den erfassten Jahren) höher, als in den Ortsstatistiken angegeben. Genaue Zahlen zu nennen ist allerdings schwierig, da vor allem die comedores und Restaurants des öfteren wieder schließen, einige Zeit leer stehen und zu einem späteren Zeitpunkt eventuell von einem neuen Besitzer wieder eröffnet werden. Ebenso stark schwankt das Angebot an Bars, da auch hier des öfteren die Besitzer bzw. die Betreiber wechseln. In den letzten Jahren waren meist zwischen zwei und fünf Bars in Betrieb, die aber nicht immer auch geöffnet hatten. Natürlich hängt die Zahl der betriebenen comedores und Bars von der Zahl der Touristen ab und schwankt daher auch saisonal.

Zur touristischen Infrastruktur kann man außer den verschiedenen Übernachtungs- und Verköstigungseinrichtungen, noch zwei Geschäfte und einen Verkaufsstand für handgewebte Kleidung und Stoffe rechnen (siehe Karte 4 unter "Venta de ropa típica").

Das Angebot der touristischen Aktivitäten in San Pedro ist begrenzt. Als die besondere Attraktion San Pedros ist der gleichnamige Vulkan zu werten, der sich direkt im Anschluß an den Ort erhebt. Für Vulkanbesteigungen wird empfohlen einen ortskundigen Führer anzuheuern, da es zwar viele Wege an den Hängen des Vulkanes gibt, aber nur einer bis zur Spitze führt. Als Vulkanführer bieten sich sehr viele männliche Pedranos an, da sie alle den richtigen Weg kennen und ihnen dies die Möglichkeit gibt, am Tourismusgeschäft teilzuhaben.

Außer Vulkanbesteigungen werden den Touristen von einigen Pedranos noch Reitausflüge als touristische Aktivität angeboten. Desweiteren gilt natürlich der Atitlán See als touristische Attraktion, einen Liege- und Badestrand gibt es allerdings in unmittelbarer Nähe des Ortes nicht. Es ist jedoch möglich, stundenweise kleine Kanus, wie sie auch die Fischer benutzen, auszuleihen und damit zu nahegelegenen Uferabschnitten mit Sandstrand zu rudern.

Neben dem Vulkan und dem See gilt die cabecera municipal mit der katholischen Kirche als sehenswert (Diagnostico del Municipio de San Pedro La Laguna 1995: 22). Von touristischem Interesse sind weiterhin einige Festtage, wie z.B. Ostern, mit ihren verschiedenen Prozessionen (siehe Abb. 5).

Seit einiger Zeit gibt es noch die Möglichkeit auf dem Grundstück eines nordamerikanischen Einwohners von San Pedro in sogenannten "Thermal pools" zu baden, oder in eine Schwitzhütte zu gehen. Weiterhin ist es möglich in San Pedro, in privaten Unterrichtsstunden Spanisch zu lernen.

 

5.2.3. Die Touristen

Wie erwähnt lassen sich die meisten Touristen, die San Pedro bereisen, der Kategorie "Alternativtouristen" zuordnen. Es handelt sich zumeist um Individualreisende mit einem niedrigen Reisebudget, denen Orte wie Panajachel zu teuer, zu laut oder zu hektisch sind. Wie schon erwähnt ist San Pedro derjenige Ort in Guatemala, in dem es sich für Touristen am preiswertesten leben läßt, ohne daß auf eine touristische Infrastruktur verzichtet werden muß. Die billigsten Doppelzimmer in einer der hospedajes kosteten 1997 umgerechnet ca. 4-5 DM pro Nacht, und ein Abendessen war ab 2 DM zu bekommen, wobei es sich hier um Speisen handelt, die dem Geschmack der Touristen angepasst sind (z.B. Pizza).

Der Terminus "Alternativtourist" allein reicht zur Kategorisierung der Touristen in San Pedro nicht aus, da sich hier verschiedene Personengruppen mit verschiedenen Aufenthaltsmotivationen finden. Am einfachsten lassen sich weitere Unterteilungen anhand der Verweildauer im Ort vornehmen. Ich möchte jedoch darauf hinweisen, daß diese Unterteilung in drei Gruppen keine exakten Grenzziehungen erlaubt. Es gibt natürlich immer Überschneidungen und Einzelne, die sich einer solchen Kategorisierung entziehen. Ich versuche hier nur eine Übersicht des Touristenspektrums in San Pedro darzustellen, wie ich es beobachten konnte, und es liegt mir fern, pauschale Urteile über einzelne Personengruppen abzugeben.

a. Kurze Verweildauer:

Die Mehrheit der Touristen, die San Pedro besuchen, bleiben nicht länger als zwei bis drei Tage. Der Grund hierfür liegt zum Einen an den begrenzten touristischen Attraktionen bzw. Angeboten, die San Pedro zu bieten hat, zum Anderen an dem, teilweise öffentlichen, Drogenkonsum einiger Touristen und dem beschriebenen Müllproblem. Hinzu kommt in der Zeit der Kaffeeernte ein recht unangenehmer Geruch, der von den vergorenen abgeschälten Hüllen der Kaffeebohnen herrührt, die zur späteren Verwendung als Dünger in größeren Haufen gesammelt werden.

Die meisten Kurzzeittouristen sind europäische oder nordamerikanische Jugendliche und Studenten, die eine mehrwöchige Reise durch die mittelamerikanischen Staaten unternehmen und dabei hauptsächlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln reisen. Größtenteils haben diese Alternativtouristen ein festes Budget, das zwar begrenzt, aber doch meißt so berechnet ist, daß das Geld bis zum Ende der Reise gut ausreicht. Es handelt sich hierbei zumeist um junge Leute, die auf ihrer Reise viel sehen und erleben wollen und sich deshalb selten länger als eine Woche an einem Ort aufhalten. Will man die Kategorisierungsterminologie von Cohen übernehmen, dann würde die Kategorie des "explorers" für diese Touristen am Ehesten zutreffen (siehe Cohen 1973: 89ff und Kapitel 4.1.2.3. dieser Arbeit).

b. Mittlere Verweildauer:

Eine zweite Kategorie von Alternativtouristen in San Pedro bleibt meist länger vor Ort. Die Aufenthaltsdauer variiert dabei von zwei oder drei Wochen bis zu mehreren Monaten. Oftmals liegen die Gründe für einen längeren Aufenthalt in San Pedro darin, daß die betreffenden Personen entweder sehr wenig Geld zur Verfügung haben und/oder sich aus Gründen des Drogenkonsums hier aufhalten. Um sich ein wenig Geld zu verdienen, oder zumindest kostenfrei zu wohnen, helfen einige dieser Touristen zeitweise in Restaurants oder Bars aus.

Diese zweite Touristenkategorie entstammt häufig dem subkulturellen Milieu der Industriestaaten und tritt damit am Ehesten die Nachfolge der "Hippietouristen" der ersten Jahre an. Sie reisen zumeist mit sehr wenig Geld, geringen Ansprüchen und viel Zeit. Man kann sagen, daß San Pedro einen der Haupttreffpunkte dieser Art von Touristen in Mittelamerika darstellt. Aus dieser Gruppe entstammen auch die meisten Drogenkonsumenten in San Pedro. Nach Cohen sind diese Touristen in die Kategorie der "drifter" einzuordnen (siehe Cohen 1973: 89ff und Kapitel 4.1.2.3. dieser Arbeit).

c. Lange Verweildauer:

Kaum noch als Touristen, sondern eher als "Aussteiger" zu bezeichnen ist die dritte Gruppe von "Gästen" im Ort. Hierbei handelt es sich größtenteils um Europäer oder Nordamerikaner, die ihren Wohnsitz mehr oder weniger nach San Pedro verlegt haben. Zum Teil haben diese, oftmals etwas älteren Personen, Grundstücke erworben oder betreiben Restaurants bzw. Bars. Die Personen dieser Gruppe sind zumeist schon so lange in San Pedro, daß sie sich bis zu einem gewissen Grad in das Alltagsleben von San Pedro integriert haben und im Ort bekannt sind.

Zu dieser Kategorie der Ausländer sind auch einige wenige Personen zu zählen, die vor längerer Zeit einmal nach San Pedro gekommen sind und aus unterschiedlichen Gründen, wie Drogenabhängigkeit, Geldmangel oder Justizflucht nicht mehr abreisen konnten bzw. wollten. Das Leben vor Ort finanzieren sich einige von ihnen durch Drogenverkauf, gelegentlicher Arbeit in Bars bzw. Restaurants oder auch, seltener, durch Anbetteln anderer Touristen.

5.2.4. Die Drogenproblematik in San Pedro

Wie schon des öfteren erwähnt, konsumieren einige Touristen in San Pedro recht öffentlich Drogen. Die Drogen, um die es sich dabei hauptsächlich handelt, sind Marijuana und Kokain. Es gibt aber auch Heroin, und 1995 gab es in San Pedro sogar zwei Herointote zu beklagen.

Bevor ich dieses brisanteste Thema bezüglich des Alternativtourismus in San Pedro beschreibe, möchte ich anmerken, daß die Ursachen für diese Problematik weder in San Pedro, noch allgemein in Guatemala zu suchen sind, sondern in der weltweit repressiven Drogenpolitik, die in erster Linie von den Industrieländern, also den Herkunftsländern der Touristen, forciert wird.(1)

Ein entscheidender Grund dafür, daß in San Pedro relativ öffentlich und sorglos Drogen konsumiert werden können, ist die Tatsache, daß es seit 1983 weder eine staatliche Polizei, noch Militär im Ort gibt. Die Pedranos wehrten sich gegen staatlich organisierte Unterdrückung und Willkür, indem sie sich 1983 zusammenschlossen und mit vereinten Kräften die staatlichen Vertreter aus San Pedro vertrieben. Der Diagnostico Municipal von 1996 beschreibt dies folgendermaßen: "Lamentablamente, en los años ochentas, San Pedro La Laguna, sufrió las consecuencias de la represión de la época, sin embargo, el pueblo cansado de tanta opresión se unió y en el momento oportuno expulso al destacamento militar y la policía nacional, por muchos atropellos y maldades que hicieron a sus pobladores. Actualmente, el sistema de control de seguridad es a través de la Comisaria Municipal y los alguaciles fungen como policías municipales." (Diagnostico Municipal de San Pedro La Laguna 1996: 19) Die Polizeigewalt liegt also seitdem in den Händen der alguaciles, jungen Pedranos, die damit ein Amt innerhalb der Hierarchie des traditionellen zivil-religiösen Ämtersystems innehaben und dadurch auch dazu beitragen, daß dieses System nicht nur als ein Survival existiert, sondern auch im zivilen Bereich weiterhin mit Aufgaben verbunden ist, die andernorts (z. B. Panajachel siehe Hamer 1978) durch staatliche Behörden abgelöst wurden. Nun ist es nicht so, daß die örtlichen Ordnungskräfte untätig wären, aber sie kümmern sich doch wesentlich mehr um die Belange der Pedranos, als um die Drogenprobleme der Touristen. Bis zu einem gewissen Grad wird der Drogenkonsum, um den auch die alguaciles wissen, also toleriert. Nimmt er aber allzu öffentliche und große Ausmaße an, dann werden auch schon einmal Bars aus diesem Grund geschlossen. Als 1995 im Haus eines italienischen Einwohners von San Pedro zwei Touristen an einer Überdosis Heroin starben, war allerdings eine Toleranzgrenze der Pedranos in Bezug auf Drogenkonsum der Touristen erreicht und es wurde eine Ortsversammlung einberufen, bei der diskutiert wurde, ob man nicht alle Ausländer des Ortes verweisen solle. Da der Tourismus aber schon eine wichtige Einnahmequelle für viele Pedranos darstellte, wurde dieser Plan nicht in die Tat umgesetzt.

Wie erwähnt sind jedoch die am Häufigsten konsumierten Drogen in San Pedro Marijuana und Kokain. Marijuana zu rauchen ist unter Alternativtouristen ein sehr verbreitetes Phänomen und wird häufig dem Alkohol gleichgesetzt, als "weiche Droge" betrachtet. Kokainkonsum dagegen wird von vielen Alternativtouristen abgelehnt, auch wenn einige die besondere Urlaubssituation dazu benutzen, um diese Droge einmal zu probieren. Häufig sind diese Personen im eigenen Land keine regelmäßigen Konsumenten sogenannter "harter Drogen" wie Kokain. Es gibt aber auch einige reine Drogentouristen, die hauptsächlich aus Gründen des Drogenkonsumes nach San Pedro reisen, da besagte Drogen hier relativ einfach und, im Vergleich zu den Herkunftsländern der Touristen, billig zu erhalten sind.

Der Konsum der Drogen geschieht in der Touristengegend San Pedros relativ offen. "Relativ" deshalb, weil es auch hier einige ungeschriebene Regeln gibt, die zum größten Teil eingehalten werden. Der Konsum von Marijuana wird zum Beispiel innerhalb des Bereiches einer hospedaje öffentlich praktiziert und zumeist auch geduldet. Es kommt häufig vor, daß kleinere Gruppen von Touristen vor ihren Zimmern zusammensitzen und gemeinsam Marijuana rauchen. Ähnlich verhält sich dies in den touristischen Bars. Außerhalb eines solchen "privaten" Geländes wird auch beim Cannabiskonsum größtenteils darauf geachtet, nicht entdeckt zu werden, ganz besonders nicht von Einheimischen. Im Ortskern selbst, ist öffentlicher Drogenkonsum verpönt.

Bei dem Konsum von Kokain verhält es sich ein wenig anders. Hier wird auch in den hospedajes darauf geachtet, daß die Drogenaufnahme im Verborgenen stattfindet. Das heißt, um Kokain zu konsumieren ziehen sich die Konsumenten auf ihre Zimmer zurück. Öffentlicher Kokainkonsum findet jedoch in einigen Bars statt. Wie schon erwähnt arbeiten manche Touristen, die sich längere Zeit in San Pedro aufhalten des öfteren in Bars, um ein wenig Geld zu verdienen oder zumindest kostenlos leben zu können. Einige dieser Barkeeper konsumieren selber Kokain, um die zu verrichtende Arbeit hinter dem Tresen besser ertragen zu können und um die teilweise langen Nächte zu überstehen. Da sich die meisten der längere Zeit in San Pedro lebenden Drogenkonsumenten untereinander kennen, kommt es häufig vor, daß in einigen Bars gemeinsam Kokain geschnupft wird, wobei dies teilweise an den Tischen oder sogar an der Theke geschieht. Zum Teil wird dabei jedoch darauf geachtet, daß sich keine Einheimischen oder, etwa zur Osterzeit, guatemaltekischen Touristen in der Bar aufhalten.

Als ich 1994 das erste Mal San Pedro besuchte, war die am Besten besuchte Bar das "Johanna´s". In dieser Bar trafen sich allabendlich viele Touristen und es wurden im beschriebenen Maße Cannabis und Kokain konsumiert. Aufgrund der Lage der Bar, unmittelbar am Landungssteg der Boote aus Panajachel, kamen auch ab und zu Pedranos in das "Johanna´s". Es tauchte auch fast allabendlich eine Gruppe alguaciles auf, um das Geschehen zu beobachten und beim Eintreffen der Ordnungshüter wiesen die Betreiber der Bar ihre Kunden vorsichtig darauf hin, den Drogenkonsum vorrübergehend einzustellen. Einige Tage später, noch während meines damaligen Aufenthaltes, wurden in der Bar Schilder mit dem Hinweis, daß das Konsumieren von Drogen nicht gestattet sei, angebracht. Am Konsumverhalten der Touristen und Barbetreiber änderte dies jedoch nicht viel, es wurde lediglich stärker darauf geachtet, daß keine Pedranos anwesend waren, während Drogen eingenommen wurden. Bei meinem zweiten Aufenthalt in San Pedro 1996, also zwei Jahre später, war das "Johanna´s" bereits geschlossen, aber in zwei anderen, neuen, aber kleineren Bars herrschte ein ähnliches Ambiente. Zu dieser Zeit war allerdings die Zahl der Touristen in San Pedro schon spürbar zurückgegangen, sodaß auch die Frequentierung der Bars stark abgenommen hatte. 1997 hatte sich auf diesem Gebiet im Vergleich zum Vorjahr, bis auf eine erneute Verlagerung der Beliebtheit bezüglich der Bars, kaum etwas verändert.

Der Konsum von Heroin findet gänzlich im Verborgenen statt, sodaß das Vorhandensein dieser Droge in San Pedro den meisten Touristen nicht bewußt wird und auch ich überrascht war, als ich das erste Mal davon erfuhr.

 

5.2.5. Kontakte zwischen Einheimischen und Touristen

San Pedro ist unterteilt in vier Ortsteile (cantones): Chuacante, Pacucha, Tzanjay und Chuasanahi (Diagnostico Municipal de San Pedro La Laguna 1996: Karte 7; siehe Anhang Karte 5). Die meisten Touristen halten sich fast ausschließlich in den an das Seeufer grenzenden Teilen Chuacante und Chuasanahi auf. Die anderen beiden Ortsteile werden meißt nur kurz, auf dem Weg zu einer Vulkanbesteigung von Touristen gestreift. Es ergibt sich also in Bezug auf den Kontakt zwischen Pedranos und Touristen eine Zweiteilung zwischen seenahen und seefernen Ortsteilen und deren Bewohnern. Interessanterweise existiert diese Zweiteilung auch außerhalb touristischer Gesichtspunkte. Wie es auch in Deutschland in vielen Städten üblich ist, so gibt es in San Pedro eine Art Rivalität zwischen den Bewohnern verschiedener cantones, wobei die Bewohner der seenahen Ortsteile auf der einen und die der seefernen auf der anderen Seite stehen. Die Bewohner von Chuacante und Chuasanahi gelten als toleranter, wohlhabender und Neuerungen gegenüber aufgeschlossener als die, mir als etwas konservativer beschriebenen, Bewohner von Pacucha und Tzanjay. Es muß aber erwähnt werden, daß diese Informationen von Chuacante-Einwohnern stammen. Bei einer Begehung der verschiedenen Ortsteile fallen aber zum Beispiel die Wohlstandsunterschiede schnell auf. Nicht nachprüfen konnte ich dagegen die Behauptung, daß auch leichte sprachliche Unterschiede zwischen den beiden Gruppen existieren. Bei Ortsversammlungen, in denen gemeinsame Entscheidungen gefällt werden, wie zum Beispiel bei erwähntem Zwischenfall mit den Herointoten, scheinen die Differenzen zwischen den Bewohnern der unterschiedlichen cantones besonders ins Gewicht zu fallen. So stimmten etwa die meisten Bewohner der seefernen Ortsteile für eine Vertreibung der Touristen aus San Pedro und die der ufernahen cantones dagegen. Hieraus wird ersichtlich, daß die Pedranos unterschiedlich stark in das Tourismusgeschehen involviert sind und auch unterschiedlich enge Kontakte zu den Touristen haben.

Den engsten und häufigsten Kontakt zu Touristen haben alle jene Pedranos, die hospedajes oder comedores betreiben, oder im ufernahen Touristengebiet tiendas, also kleine Geschäfte, unterhalten. In diesem Umfeld entstehen auch ab und zu nähere Bekanntschaften oder Freundschaften zwischen Pedranos und Touristen, hauptsächlich solchen, die längere Zeit vor Ort bleiben, oder sich ganz in San Pedro niedergelassen haben.

Ansonsten entsteht direkter Kontakt zu Touristen noch bei Pedranos, die sich als Führer für Vulkanbesteigungen anbieten und jenen, die Reitausflüge mit Touristen unternehmen. Da hier Tourist und Einheimischer für einen längeren Zeitraum zusammen unterwegs sind, entstehen bei diesen Gelegenheiten, je nachdem wie gut die Verständigung über das Spanische funktioniert, am ehesten einmal längere Gespräche zwischen den Vertretern der verschiedenen Kulturen.

Im Allgemeinen sind die Berührungspunkte zwischen Pedranos und Touristen eher gering. Nur wenige Besucher halten sich öfter oder länger im Ortskern auf, wo sich das eigentliche Leben San Pedros abspielt. Selbst bei festlichen Veranstaltungen, wie den Osterprozessionen, sieht man nur wenige Touristen als Zuschauer im Ort (siehe Abb. 5). Der Aufenthaltsbereich der Touristen ist somit recht stark auf das Ufergebiet und der dort vorhandenen touristischen Infrastruktur beschränkt. Weitere Begegnungsorte stellen die Boote von und nach Panajachel dar, wo Touristen und Pedranos für ca. eineinhalb Stunden auf relativ engem Raum zusammenkommen. Aber auch hier bleiben die beiden Gruppen unter sich und die Kontakte gehen selten über das interessierte Mustern des jeweils anderen hinaus.

 

5.2.6. Die einheimische Sichtweise

Auf die Frage nach der Beurteilung des Tourismus in San Pedro erhielt ich von den Pedranos immer wieder die gleiche Antwort: Der Tourismus sei gut für San Pedro, denn er bringe Geld. Bei näherem Nachfragen, bezüglich des Verhaltens der Touristen, kristallisierten sich jedoch Unterschiede in der Beurteilung verschiedener Verhaltensweisen heraus.

Drogenkonsum und verwarlostes Auftreten einiger Touristen wurde von fast allen befragten Pedranos verurteilt. Viele betonten aber, daß dies nicht auf alle Touristen zutreffe, sondern die meisten eher freundlich und interessiert seien. Auch jene Touristen, die sich in San Pedro Land kaufen und hier niederlassen, werden, nach Auskunft der Befragten, gerne gesehen, solange sie sich im Umgang mit den Pedranos freundlich und kooperativ verhalten.

Auf den Tourismus in Panajachel angesprochen, reagierten viele Pedranos bestürzt über die Verhältnisse in jenem Ort und waren sich darüber im Klaren, daß die Entwicklung in San Pedro niemals einen solchen Lauf nehmen dürfe. Aus verschiedenen Gründen bestehe diese Gefahr für San Pedro aber nicht. Zum Einen ist San Pedro nicht so leicht erreichbar wie Panajachel, zum Anderen würden es die Pedranos nicht zulassen, daß Fremde in San Pedro große Hotels und ähnliche Einrichtungen eröffnen, aus denen große Geldmengen außer Ortes fließen.

An manchen Tagen wird San Pedro auch von Pauschalreisenden besucht, die mit einem Ausflugsschiff eine organisierte Seerundfahrt unternehmen, die sie entweder schon von ihrem Heimatland oder zum Beispiel von Antigua aus gebucht haben. Das Auftreten und Verhalten dieser Touristen wird von einigen Pedranos ebenfalls anders beurteilt, als das des durchnittlichen Alternativtouristen, der San Pedro besucht. Es ist auch für die Pedranos offensichtlich, daß die pauschalreisenden Touristen über mehr Geld verfügen, als die üblichen Gäste, da sie sich aber zumeist nur für wenige Stunden in San Pedro aufhalten, kaum welches im Ort ausgeben. Während ihres Aufenthaltes in San Pedro sind diese Touristen oftmals sehr damit beschäftigt alles Interessante, fotographisch und filmisch festzuhalten, wobei selten um die Erlaubnis der Abgebildeten gefragt wird. Im Allgemeinen ist das Verhalten dieser Reisegruppen stärker von einer gewissen Arroganz gegenüber den Pedranos und den Verhältnissen im Ort geprägt, als das bei den Alternativtouristen der Fall ist. Auffällig ist dies beispielsweise in den Restaurants, in denen sich die Kurzzeitbesucher oft nach einem Rundgang durch den Ort aufhalten und erfrischen wollen. Hier beschweren sie sich nicht selten über eine zu langsame Bedienung, zu lange Zubereitungszeiten bei den Speisen oder mangelhafte hygienische Zustände. Die häufigste Reaktion der Pedranos auf solche Verhaltensweisen, ist eine radikale Preiserhöhung der angebotenen Waren. Zwar bezahlen auch die Alternativtouristen fast immer mehr für die verschiedensten Waren oder Dienstleistungen als die Einheimischen, sind aber oftmals besser über die gängigen Preise informiert und versuchen dann eher auch einmal zu handeln. Ein gutes Beispiel für diese Praxis sind die Beförderungspreise auf den Booten zwischen Panajachel und San Pedro. Lange Zeit galt hier der Festpreis von 3 Quetzales, den die Einheimischen kannten und bezahlten. Touristen, die den Normalpreis nicht kannten, bezahlten üblicherweise 15 Quetzales, also das fünffache. Nachdem sich ein Tourist jedoch eine Weile in San Pedro aufgehalten hatte und über den eigentlichen Beförderungspreis informiert war, wurde er in den Kreis der "Einheimischen" aufgenommen und bezahlte ebenfalls nur 3 Q. Dem ging jedoch meist eine heftig geführte Verhandlung vorraus, wobei es auch schon einmal vorkommen konnte, daß der zahlungsunwillige Tourist nicht die gesamte Strecke bis Panajachel befördert wurde, sondern schon in San Pablo das Boot verlassen mußte. 1997 wurden jedoch während meines Aufenthaltes in San Pedro Festpreise eingeführt, die nun für jeden einsehbar waren, aber noch immer zwischen Einheimischen und Touristen unterschieden. Damit einher ging allerdings auch eine Preiserhöhung für Einheimische, die jetzt 5 Q zahlen sollten, der Touristenpreis dagegen blieb bei 15 Q. Eine Ausnahme bildeten an den Tagen, an denen der Markt in Sololá stattfand, die Marktbesucher, die nach wie vor nur 3 Q bezahlen mußten.(2)

Die Beurteilung des Tourismus und der Touristen ist bei vielen Pedranos also größtenteils von finanziellen Interessen geprägt. Diese Sichtweise hilft in vielen Fällen über einige Probleme, die der Tourismus aufwirft, hinweg zu sehen, ist jedoch auch ein Grund dafür, weswegen Investoren von außerhalb keine Chance haben, in San Pedro Hotels oder ähnliches zu errichten und dadurch dem Ort finanzielle Einnahmen zu entziehen.

 


1. Da es zu weit führen würde, dieses Thema hier näher zu besprechen, möchte ich statt dessen einen Literaturvorschlag bezüglich Drogen und Drogenpolitik anbringen. Der Autor stellt in seiner Arbeit die Zusammenhänge dieser Problematik hervorragend dar:

Schmidt-Semisch, H.: Die prekäre Grenze der Legalität. München 1994. (zurück)

2. Dies hängt vermutlich damit zusammen, daß die Bootsverbindung zwischen San Pedro und Panajachel ursprünglich eingerichtet wurde, um den Pedranos, die keinen eigenen großen Markt haben, den Besuch des Marktes in Sololá zu erleichtern (siehe Kapitel 5.1.4.). (zurück)

 

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