4.2. Kultur und Kulturwandel

 

Bevor ich die Theorie zum Kulturwandel beschreibe, möchte ich kurz den Begriff Kultur, wie er in der Ethnologie verstanden wird, definieren. Da es nicht nur eine Definition des Begriffes, sondern hunderte verschiedener gibt (Kroeber und Kluckhohn faßten 1963 164 verschiedene Definitionen zusammen)(1), kann ich hier nur eine kleine Auswahl vorstellen.

 

4.2.1. Der Begriff 'Kultur' in der Ethnologie

'Kultur' ist der zentrale Begriff in der Ethnologie (Hirschberg 1988: 269), trotzdem gibt es keine standartisierte, von Allen anerkannte Definition (Platz 1995: 41).

E. B. Tyler(2) definierte 1871 Kultur folgendermaßen: "Kultur - im weiten ethnographischen Sinne des Wortes - (...) Ist jenes komplexe Ganze, das Wissen, Glauben, Kunst, Moral, Recht, Sitte, Brauch und alle anderen Fähigkeiten und Gewohnheiten umfaßt, die der Mensch als Mitglied einer Gesellschaft erworben hat. Die Art der Kultur verschiedener menschlicher Gesellschaften ist, wenn sie nach allgemeinen Prinzipien untersucht wird, ein Gegenstand, der die Erforschung der Gesetze menschlichen Denkens und Handelns ermöglicht" (Harris 1989: 20). Diese Definition wurde zur Grundlage aller weiteren Begriffsbestimmungen (Hirschberg 1988: 269).

Auch die Kulturdefinition von Harris, die einen gewissen Minimalkonsens erfüllt, begründet sich auf derer Tylors: "Kultur beinhaltet die erlernten, sozial angeeigneten Traditionen und Lebensformen einer Gesellschaft einschließlich ihrer strukturierten, gleichbleibenden Weisen des Denkens, Empfindens und Handelns (d.h. des Verhaltens)" (Harris 1989: 20).

White beschreibt Kultur als Kontinuum: "Culture is a vast stream of tools, utensils, beliefs that are constantly interacting with each other, creating new combinations and syntheses. New elements are added constantly to the stream; obsolete traits drop out. The culture of today is but the cross section of this stream at the present moment, the resultant of the age-old process of interaction, selection, rejection, and accumulation that has preceded us" (Platz 1995: 41).(3)

Als die "Gesamtheit der Ergebnisse von Innovationen" bezeichnete 1983 W. Rudolph(4) Kultur. Gemeint sind damit die Ergebnisse "von Handlungen, durch die der Mensch dem von Natur aus Bestehenden etwas Neues, bis dahin nicht Vorhandenes hinzufügt" (Hirschberg 1988: 269).

Folgende Merkmale sind charakteristisch für Kultur: Sie ist ein universaler Bestandteil menschlicher Gesellschaften, bestehend aus interdependenten Teilbereichen. Kultur ist erlerntes und tradiertes Verhalten, bildet eine Handlungsgrundlage, dient der Bedürfnisbefriedigung und beinhaltet sowohl materielle Güter, als auch ein ideelles Konzept (Platz 1995: 41).

Wie aus den Kulturdefinitionen von White und Rudolph ableitbar, ist Kultur nicht als ein statischisches System zu verstehen, sondern als ein Prozess, der durch Innovationen immer wieder Wandlungen erfährt. Dieser Prozess wird 'Kulturwandel' genannt, mit dem ich mich nun eingehender befassen werde.


4.2.2. Zum Begriff des Kulturwandels

Versteht man Kultur nicht bloß als ein System, sondern als einen Prozeß, so ist Kulturwandel ein kulturimmanentes Phänomen, welches durch Hinzufügen, Ersetzen oder Verlust von Kulturgütern charakterisiert wird. Dabei betrifft der Wandel nicht bloß materielle Kulturbereiche, sondern auch geistige Haltungen (Platz 1995: 46). Die Tourismusforschung offenbart oftmals ein zugrundeliegendes starres Kulturkonzept, was sich zum einen in der Beurteilung touristischer Zielregionen äußert, zum anderen in einer deutlichen Tendenz, den Begriff des Kulturwandels als a priori negativ zu belegen. Die Kulturwissenschaft geht im Gegensatz dazu von einem dynamischen Kulturverständnis aus, dem gemäß der Wandel jeder Kultur inhärent ist. Eine lebendige Kultur ist demnach durch einen ständigen Wanel gekennzeichnet, der aus der Kultur selbst heraus, oder von außen ausgelöst werden kann (Thiem 1994: 244).

Kulturwandel ist laut Hirschberg ein qualitativer Wandel der Gesamtkultur oder eines Teilbereiches. Es spielen dabei externe (Akkulturation, Diffusion) und interne Faktoren (Innovationen, Anpassungen an Umwelt) eine Rolle. Andere Faktoren (Gewohnheits- und Traditionsbildung, Sozialisierung und soziale Kontrolle, Abgrenzungsbedürfnis und Ethnozentrismus) sorgen demgegenüber für die Konstanz, die die Vorraussetzung für das Identitätsbewußtsein jeder Kultur ist. Bestimmte Wandlungsprozesse können einen ganzen Kulturbereich transformieren und wieder neu in das Kulturganze integrieren, das heißt es wandelt sich die Struktur der Kultur selbst. Andere Kulturphänomene können dabei auch lange unverändert bestehen bleiben (Survivals). Manche Wandlungsvorgänge sind peripher und haben keine sichtbaren Auswirkungen auf das Kulturganze. "Aufgrund der Vielzahl solcher oft gegenläufigen Prozesse ist keine Kultur oder Gesellschaft jemals ein vollständig integriertes System" (Hirschberg 1988: 276).

Innovationen können als Grundlage des Kulturwandels bezeichnet werden, wobei eine übernommene Innovation mit den bisherigen Erfahrungen in einer Gesellschaft kompatibel sein muß. Die empfangende Gesellschaft und der Innovator müssen sich mit Teilen oder der gesamten Innovation identifizieren, ansonsten wird sie zurückgewiesen. Eine Innovation gilt als Rekombination bestehender Konzepte, bei der zwei oder mehr mentale Konfigurationen in ein neues Muster gebracht werden (Platz 1995: 47).(5)

Die Übertragung von Kulturelementen darf man sich nicht als eine totale vorstellen. Es werden Form, Bedeuteutung, Nutzen und Funktion eines Kulturelementes unterschieden (siehe Lüem 1985: 42f). Die Übertragung oder Übernahme von Kulturelementen einer Kultur in eine andere bezieht sich primär und oft ausschließlich, auf die Form des Elementes. Bedeutung, Nutzen und Funktion können sehr verschieden sein, da das Kulturelement in bereits bestehende und überlieferte Bedeutungszusammenhänge, Hintergründe usw. eingebettet wird (Thiem 1994: 63). Bei der Übernahme eines Kulturelements ändert sich also oftmals seine Bedeutung, die vom normativen System der adaptiven Kultur bestimmt wird, auch wenn die Form gleich bleibt. "Die Motivation für die Übernahme liegt in der Unzufriedenheit von Mitgliedern einer Gesellschaft begründet. Von der Übernahme neuer Elemente versprechen sie sich einen Vorteil wie Prestige oder praktischen Nutzen. Von den Innovatoren verbreitet sich die Neuerung weiter, die jedoch Modifikationen unterworfen ist und nicht von allen Gesellschaftsmitgliedern übernommen wird" (Platz 1995: 47).

Wie bereits erwähnt, kann zwischen endogenen und exogenen Faktoren des Kulturwandels unterschieden werden. Beim endogenen Wandel spielen vor allem Erfindungen, bzw. von bestehenden Elementen abgeleitete Neuerungen und Verbesserungen eine Schlüßelrolle. Weitere Faktoren sind die Anpassung an veränderte Umweltbedingungen oder Konflikte innerhalb einer Gesellschaft. Da jedoch keine Gesellschaft isoliert von anderen existiert, ist endogener Wandel nicht klar abgrenzbar (ebd.: 49).

Eine wichtige Form des exogenen Kulturwandels ist, neben der Diffusion von Neuerungen, der Prozeß der Akkulturation. Da Akkulturation auf einem ungleichen Kulturkontakt aufbaut, so wie er in der Begegnung von Touristen mit der gastgebenden Gesellschaft zustande kommt, wird dieser Prozeß häufig zur Erklärung des tourismusinduzierten Wandels herangezogen. Aus diesem Grund werde ich im Folgenden näher auf diesen Faktor des exogenen Kulturwandels eingehen.

 

4.2.2.1. Akkulturationsprozesse

Die erste systematische Definition des Begriffes der 'Akkulturation' stammt aus dem Jahre 1936 von Redfield, Linton und Herskovits: "Akkulturation umfasst jene Phänomene, die sich ergeben, wenn Gruppen von Individuen mit unterschiedlichen Kulturen in andauernden, unmittelbaren Kontakt gelangen, mit darauffolgenden Veränderungen in den ursprünglichen Kulturmustern der einen oder beider Gruppen. Unter dieser Definition ist Akkulturation vom Kulturwandel zu unterscheiden, von dem sie nur ein Aspekt ist, und von Assimilation, die manchmal eine Phase der Akkulturation ist. Sie ist auch zu unterscheiden von Diffusion, die - während sie in allen Beispielen der Akkulturation stattfindet, - nicht nur ein Phänomen ist, das häufig vorkommt ohne daß solche Formen des Kontakts zwischen den Völkern auftreten, wie sie in der obigen Definition erläutert wurden, sondern auch nur einen Aspekt des Akkulturationsprozesses ausmacht" (Lüem 1985. 49).(6)

Hirschberg definiert Akkulturation folgendermaßen: "Akkulturation (ist) eine Form des Kulturwandels, bei der eine Kultur sich der Dominanz einer als überlegen angesehenen unterwirft und sich ihr anzugleichen versucht" (Hirschberg 1988: 17).

Wie in der Definition von Hirschberg deutlich wird, ist ein entscheidendes Kriterium, welches Akkulturation von anderen Prozessen des Kulturwandels unterscheidet, der Umstand, daß eine der beteiligten Kulturen dominant ist. Die Anpassung erfolgt dabei an die als stärker empfundene Kultur. Akkulturation ist in jedem Falle eine Form des exogenen Kulturwandels, die sich sowohl auf individueller, als auch auf gesamtkultureller Ebene abspielen kann (Platz 1995: 51).

Entscheidende Kriterien für die Akkulturation stellen auch die äußeren Umstände dar. Dabei spielen ökologische Umwelt, demographische Bedingungen, wirtschaftliche Faktoren, Kontaktort, sowie Größe und Zusammensetzung der Kontaktbevölkerungen eine Rolle. "Diese Faktoren beeinflussen in direkter Weise Kontaktmöglichkeiten, Kontakthäufigkeit und Kontaktintensität, und damit den Akkulturationsgrad insgesamt" (Lüem 1985: 55). Auch die Kontaktart, wie z.B. Handel, Missionierung, kriegerische Auseinandersetzungen oder Tourismus, hat eine entscheidende Bedeutung. Dabei ist es wichtig, daß beide Kulturen als Rollenträger einander gegenübertreten und diese Rollen aufgrund unterschiedlicher Kulturmuster nicht schon von vornherein auf gleiche Weise wahrnehmen und interpretieren (ebd.: 55).

Die ausgetauschten Kommunikationsinhalte oder Kulturelemente unterliegen einem Selektionsprozeß, der über zwei Stufen verläuft: Zum einen wählen und beurteilen sowohl Sender als auch Empfänger die Kommunikationsinhalte, es erfolgt also eine gruppenspezifisch begrenzte Übermittlung. Zum Anderen werden Kulturelemente zwar formal übernommen, aber bedeutungsmäßig uminterpretiert und anders eingeordnet, als dies in der Ausgangskultur der Fall war. Der Diffusionsprozess und die Integration von Kulturelementen erfolgt also gemäß der unterschiedlichen Kulturmuster (ebd.: 55).

Die Auswirkungen des Akkulturationsprozesses werden weitgehend durch die Rigidität und Flexibilität der betroffenen Kulturen bestimmt. "So setzen sich mehr in ihren Trditionen verhaftete Kulturgesellschaften dem Risiko einer allgemeinen Zersetzung eher aus, als Kulturen, die durch frühere Kontakte mit der übrigen Welt herausgefordert worden sind" (ebd.: 56). Durch Akkulturation werden nicht nur bestimmte Wertvorstellungen, Techniken und Verhaltensweisen übertragen und modifizieren dadurch die Strukturen eines bestimmten Gesellschaftssystems, sondern es kann auch das Wahrnehmungs- und Empfindungsvermögen der betroffenen Individuen tiefgreifenden Veränderungen ausgesetzt sein (ebd.: 56).

 

4.2.3. Tourismus und Kulturwandel

Welchen Einfluß der Tourismus auf den kulturellen Wandel der bereisten Kulturen ausübt, ist in der wissenschaftlichen Diskussion ein kontroverses Thema. In den 70er und 80er Jahren wurden die sozio-kulturellen Folgen des 3. Welt-Tourismus äußerst kritisch beurteilt (siehe Scherrer 1986, Krippendorf 1984, Armanski 1986) während heute, besonders unter englischsprachigen Sozialwissenschaftlern, tendenziell eine ausgewogenere Stellungnahme zu verzeichnen ist. Tourismus wird hier als ein Faktor unter vielen betrachtet, die kulturellen Wandel bewirken (Platz 1995: 25).

Lüem erarbeitete 1985 eine umfassende Terminologie und Systematisierung der sozio-kulturellen Effekte des Tourismus, die einen Versuch darstellen, für alle Kulturen gültige, übergeordnete Wirkungsmechanismen herauszuarbeiten. Sie weisen jedoch einen ausgeprägten Schlagwortcharakter und einen so hohen Abstraktionsgrad auf, daß sie zur Erfassung der tatsächlichen Wirkungsweisen kaum geeignet sind (Thiem 1994: 66). Trotzdem möchte ich Lüems Konzept in verkürzter Fassung wiedergeben, da sich in der Tourismusforschung viele Autoren auf diesen Ansatz beziehen. Danach möchte ich die Kritik von Kahrmann an jenen Autoren wiedergeben, die Tourismus als Hauptfaktor für negative Formen kulturellen Wandels der bereisten Gesellschaften verantwortlich machen. Sie selbst erarbeitet ein Konzept, in dem Tourismus als ein Faktor von vielen dargestellt wird, die kulturellen Wandel bewirken. Schließlich werde ich noch die positiven und negativen Beiträge, die Tourismus im Prozeß kulturellen Wandels bewirken kann, darlegen und beziehe mich dabei auf Platz, der diese Zusammenstellung vorgenommen hat.

Für Lüem ist der Einfluß des Tourismus ein typisches Beispiel der Akkulturation. Je stärker die ausgebildeten Kommunikationskanäle sind, desto größer ist der Einfluß der Touristen als Vertreter der industriellen Welt (Lüem 1985: 58). Besonders in Gebieten, bei denen es sich um neu und intensiv erschlossene Touristenregionen handelt, sind besonders intensive sozio-kulturelle Auswirkungen des Tourismus zu erwarten, da dieser dort in kurzer Zeit mit großer Bandbreite auf ein gesamtes Kulturgefüge einzuwirken beginnt (ebd.: 61).

Lüem stellt vier Phasen auf, die im Laufe des Kulturkontaktes auftreten: Der Demonstrations-, der Imitations-, der Identifikations- und der Akkulturationseffekt. Der Demonstrationseffekt stellt die Ursache für das Auftreten der Folgeeffekte dar und beruht auf der Demonstration von touristischen Verhaltensweisen. Die Touristen werden demnach von der einheimischen Bevölkerung als reiche Müßiggänger wahrgenommen und mit der eigenen Situation verglichen, die oftmals von relativer Armut, trotz harter Arbeit geprägt ist. Dieser Vergleich kann zu einem Inferioritätsgefühl führen (ebd.: 68).

Als nächste Stufe beschreibt Lüem die Imitation von äußerlichen Merkmalen, wie z.B. Kleidung, was im weiteren Verlauf zur Ausbildung des Imitationseffektes führt und Veränderungen im sozio-kulturellen Bereich hervorruft. Die willkürliche Übernahme fremder Kulturgüter, besonders durch Jugendliche, führt oft zu Spannungen und Frustrationen. "Für die gesamte einheimische Kultur bedeutet dies, daß Imitation und Imitationseffekte in den meisten Fällen als Faktor zur Förderung der Inhomogenität einer Kultur zu betrachten sind, und daß sie damit als Bestandteile einer passiv-imitativen Akkulturation zu einem als negativ zu bewertetenden Kulturwandel beitragen" (ebd.: 75).

Den nächsten Schritt stellt die Identifikation, die vollkommene Aneignung des fremden Wertesystems dar, was jedoch im Zusammenhang mit Tourismus selten geschieht, am ehesten aber in touristisch stark frequentierten Gebieten. Letztendlich treten mit zeitlicher Verzögerung die Akkulturationseffekte auf, die auf einer Dominanz westlich geprägter Ökonomie beruhen und sich z.B. in Kommerzialisierung von Kunst oder Gastfreundschaft äußern. Geprägt ist die Akkulturation von einer passiven, disharmonischen Form. Das übernommene Kulturgut soll die vom Tourismus erzeugte gesellschaftliche Anomie überwinden, aber letztlich trägt es zu einer weiteren Schwächung der autochtonen Kultur bei (ebd.: 78-93).



Laut Kahrmann bereitet der Versuch tourismusinduzierten Wandel von anderen Faktoren des kulturellen Wandels (z.B. Urbanisierung, Medien, Kolonialisierung, Missionierung etc.) zu isolieren, oftmals Schwierigkeiten (Kahrmann 1995: 17). Kahrmann kritisiert jene Autoren, die Tourismus als Hauptfaktor für negative Formen kulturellen Wandels verantwortlich machen: "Obwohl Tourismus in den meisten Gesellschaften nicht der Hauptfaktor des kulturellen Wandels ist, begeben sich viele Sozialwissenschaftler auf eine normative Ebene und machen Tourismus für die gesamten negativen Auswirkungen verantwortlich: Tourismus führt zum Kulturverlust, zum Ausverkauf der Kultur, zur Kulturverzerrung, zur Degenerierung, zum Verderben, zur Ausbeutung und zum Zusammenbruch der Gastgeberkulturen. Der Wunsch dieser Autoren, Kulturen vor den Negativfolgen des Tourismus zu beschützen, ist voll von westlichem Ethnozentrismus, Romantizismus und Paternalismus. Gelten doch die bereisten Völker in den Augen der Wissenschaftler immer noch als arm und kindlich naiv, die sich gegen die starken Fremdeinflüsse nicht zu wehren wissen und die es zu beschützen gilt - eine Position, die bereits während der Kolonialzeit nahmhafte Ethnologen bezogen" (ebd: 18).

Ein weiterer Kritikpunkt Kahrmanns ist der, daß viele Autoren Kultur als etwas Statisches begreifen. Insbesondere Konzepte wie die des "cultural brokers" und des "marginal man", der sich gegen die Tradition stellt, die Gesellschaftsnormen bricht und einen Kulturwandel einleitet,(7) offenbaren diese statische Betrachtungsweise. Kultur muß, so Kahrmann, als etwas Dynamisches verstanden werden, das aktiv von seinen Trägern verändert wird und durch endogene sowie exogene Einflüsse permanent im Wandel begriffen ist (ebd.: 19).

Desweiteren weist Kahrmann darauf hin, daß im Zeitalter weltweiter intensiver Kommunikation die Hypothese autonomer kultureller Systeme, von der die Akkulturationstheorie ausgeht, ungültig wird. Akkulturation ist demnach kein linearer Vorgang, sondern ein multidimensionaler, der von der Größe der im Kulturkontakt befindlichen Gruppen (hier: Besucherzahl im Vergleich zu Zahl der autochtonen Bevölkerung), Sozialstruktur und politischer Kultur, Kompatibilität/Kongruenz von Werten, technologischem Niveau und demographischen Eigentümlichkeiten abhängig ist. Die Akkulturationsgrade reichen von zufälligen Kontakten bis zur vollständigen Absorption, wobei kulturspezifische Selektionswirkungen berücksichtigt werden müssen. "Die stattfindenden Akkulturationsvorgänge laufen parallel ab und sind sowohl als Imitation von fremden Vorbildern, "free borrowing" bestimmter ausgewählter Innovationen, als auch als Synkretismus, Bikulturismus und Widerstand in Form von nativistischen Bewegungen zu beschreiben" (ebd.: 20). Wenn man Tourismus nun als einen Vorgang des multidimensionalen, dynamischen kulturellen Wandels betrachtet, der in ein globales, internationales System eingebunden ist, dann reicht es, so Kahrmann, nicht aus, lediglich das Verhältnis von Touristen zu Einheimischen zu untersuchen. Es müssen weiterhin die Rolle der Elite, des Staates, multinationaler Unternehmen, der Ausländer, verschiedener Interessengruppen und ihre Interaktionen im Tourismus berücksichtigt werden. "Vor allem das Ausmaß, in dem die Elite die Muster aus der Gesellschaft der Touristen übernimmt, und der Demonstrationseffekt, den Elite und Staat auf die einheimische Gesellschaft ausüben, müssen untersucht werden" (ebd.: 21).

Kahrmann schlägt vor, für die Beurteilung tourismusinduzierten Kulturwandels das Akkulturationskonzept Padillas, eines Vertreters der amerikanischen Psychologischen Anthropologie, aufzugreifen. Er postuliert in seinem Modell fünf Dimensionen, die für den Akkulturationsprozeß von Bedeutung sind:

1. Language, familiarity, usage

2. Cultural heritage

3. Ethnicity factor

4. Maintenance of ethnic pride and identity

5. Dergee of interethnic interaction and interethnic distance and perceived discrimination (ebd.: 21).(8)

Kahrmann modifiziert dieses Akkulturationskonzept, welches gleichzeitig ein Konzept der ethnischen Identität darstellt, und überträgt es auf die Tourismusforschung. Ihrer Meinung nach ist dabei auf folgende Bereiche ein besonderes Augenmerk zu richten:

1. Sprache/Bilingualität

2. Kulturelles Erbe (vor allem Zeremonien, Tänze, Kunsthandwerk)

3. Ethnizität, ethnisches Selbstbewußtsein und ethnische Identität

4. Art der Interaktion mit Fremden (historische Analyse der Kulturkontakte)

5. Art der Interaktion mit Touristen ("Gast-Gastgeber-Verhältnis"), interethnische Diskrepanz

6. Art der Interaktion verschiedener Interessengruppen in der Gastgebergesellschaft (Elite, Regierung, Dorfbevölkerung, Hotelarbeiter etc.)

In diesen Bereichen findet laut Kahrmann ein Wandel statt, bei dem Tourismus jedoch nicht der Hauptfaktor ist, sonder eher eine Akzeleratorfunktion innehat (ebd. 22).

 

Platz stellt in seiner Arbeit über "Tourismus als Faktor des Kulturwandels bei den Lisu in Nordthailand" (1995) die möglichen positiven und negativen Beiträge des Tourismus im Prozeß des kulturellen Wandels zusammen, die ich hier verkürzt wiedergeben möchte.

A: Positive Beiträge:

- Erstarrte Sozialstrukturen und Hierarchien können aufgelöst werden: Frauen erfahren in streng patriarchalischen Gesellschaften mehr Gleichberechtigung, zwischen den Generationen entsteht eventuell ein weniger autoritäres Verhalten.

- Zuvor verachtete Minderheiten können durch touristisches Interesse eine Aufwertung durch die Bevölkerungsmehrheit erfahren. Die Präsenz von Touristen kann etwaige Ausschreitungen gegen Minderheiten einschränken.

- Traditionen können durch Tourismus wiederbelebt werden. In der Kunst kann eine erhöhte Nachfrage stimulierend wirken und einen ökonomischen Beitrag leisten.

- Zwar kann Tourimus nicht per se Völkerverständigung zugeschrieben werden, aber es kann durch Freundschaften geistiger Austausch zwischen Mitgliedern unterschiedlicher Kulturen entstehen und existierende Vorurteile können abgebaut werden.

- Technische Entwicklungen, die mit dem Tourismus Einzug halten, können auch positive Auswirkungen haben, z.B. ein ökologisches Bewußtsein stärken (Platz nennt als Beispiel die Solartechnik in nepalesischen Lodges) (Platz 1995: 34f).

B: Negative Auswirkungen:

- Kulturelle und linguistische Barrieren können eine Asymmetrie in der Interaktion zwischen Gast und Gastgeber erzeugen (besonders beim ethnischen Tourismus).

- Das Herr-Diener Verhältniss kann das Selbstwertgefühl der Einheimischen untergraben (besonders beim organisierten Massentourismus).

- Die lokale Bevölkerung hat u.U. nur wenig materiellen Profit, da die Touristen ihr Budget anderweitig ausgeben. Aufgrund mangelnder Kommunikation entstehen Stereotypen und Mißtrauen. Ethnische Gruppen werden zu Museumsstücken.

- Der Werte- und Normenwandel der gastgebenden Gesellschaft kann sich destruktiv auswirken.

- Durch die Übernahme von Moralvorstellungen, Kleidung, Drogen etc., besonders durch Jugendliche in traditionellen Gesellschaften, können Konflikte mit traditionellen familiären Werten entstehen, die zu Bettelei und Kriminalität führen können.

- Die Gastegeber passen sich in Sprache und Benehmen den Gästen an und nicht umgekehrt.

- Vorgefasste Bilder werden in der Regel bestätigt, da Kontakte auf der Basis des eigenen Normensystems vollzogen werden.

- Der interkulturelle Kontakt ist bei jeder Form des Reisens nur oberflächlich, tiefere Beziehungen entstehen nur zu Mitreisenden.

- Traditionelle Gastfreundschaft wird von einer kommerziellen Beziehung abgelöst.

- Auch bei den Gastgebern kann ein Kulturschock(9) ausgelöst werden. Eine große Anzahl von Touristen kann zur Ressourcenverknappung und in der Folge zu Ressentiment und Feindseeligkeiten führen.

- Der Ausverkauf von Kulturgütern und die Profanisierung von Kunst gelten als weitere negative Folgen von Tourismus.

- In erster Linie findet die jüngere Generation Beschäftigungsmöglichkeiten im Tourismussektor und leistet u.U. einen höheren Beitrag zum Familieneinkommen. Dadurch kann es zu Störungen der traditionellen Hierarchie kommen.

- Durch Fehlverhalten von Touristen kann es zur Verletzung traditioneller Moralvorstellungen kommen (z.B. beim Badetourismus durch legere Badekleidung oder Nacktbaden). Kleider- und Moralvorstellungen werden am ehesten von Jugendlichen übernommen, woraus ein Generationenkonflikt resultieren kann (Platz 1995: 35ff).

Soweit die von Platz zusammengestellte Auswahl von positiven und negativen Auswirkungen des Tourismus auf den kulturellen Wandel in den bereisten Gesellschaften. Interessanterweise können manche der beschriebenen Auswirkungen sowohl positiv als auch negativ bewertet werden. Diese Tatsache legt die Vermutung nahe, daß die Bewertung von Auswirkungen stark von den kulturellen Normen des Betrachters abhängt. Die Foderung Thiems nach einer emphatischen Betrachtungsweise ist daher richtig und wichtig: "Eine Kultur und ihre Veränderungen sind nicht mit den Wertmaßstäben eines Betrachters von Außen und schon gar nicht mit denjenigen eines fiktiven Ideals zu beurteilen, sondern ausschießlich mit den ihr eigenen Maßstäben. Ein außenstehender Beobachter muß also versuchen, die betreffende Kultur von innen heraus zu sehen um ihre Veränderungen beurteilen zu können" (Thiem 1994: 245).

 


1. Kroeber, A.; Kluckhohn, C.: Culture. A Critical Review of Concepts and Definitions. New York 1963. (zurück)

2. Tylor, E. B.: Primitive Culture. London 1871. (2 Bde.) (zurück)

3. Zitiert aus: White, L. A.: Man´s Control over Civilization. An Anthropocentric Illusion. In: Brady, I. und Isaac, B. (Hg.): A Reader in Culture Change Vol I, Theories, Cambridge Mass. 1975, S. 30f. (zurück)

4. Rudolph, W.: Ethnos und Kultur. In: Fischer, H. (Hg.): Ethnologie. Eine Einführung. 1983. (zurück)

5. Nach: Röpke, J.: Primitive Wirtschaft. Kulturwandel und die Diffusion von Neuerungen. Tübingen 1970. (zurück)

6. Zitiert nach: Redfield, R.; Linton, R.; Herskovits, M. J.: Memorandum for the study of acculturation. In: American Anthropologist Bd. 38, S. 149. (zurück)

7. Siehe: Nuñez, Th.: Touristic Studies in Anthropological Perspectives. In: Smith, V. L. (Hg.): Hosts and Guests: The Anthropology of Tourism. Philadelphia 1977. (zurück)

8. Nach: Padilla, A. M. (Hg.): Acculturation. Theory, Models and Some New Findings. Washington D.C. 1980, S. 48ff. (zurück)

9. Kulturschock ist die häufig gebrauchte Bezeichnung für eine individuelle Reaktion auf engen Kontakt mit einer fremden Kultur. "Die Situation des Nichtverstehens, des Nichtgeltens internalisierter Verhaltensmuster, der Desorientierung kann zu Verhaltensunsicherheit, Angst, schließlich Ablehnung und Aggression und eventuell Rückzug und Isolation führen" (Hirschberg 1988: 274). (zurück)

 

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