3. Kultur und Geschichte der Tz´utujil-Maya

3.1. Kulturelle Aspekte der Tz´utujiles vor der Conquista

Um die heutige Kultur und den kulturellen Wandel der Tz´utujiles zu verstehen, ist es wichtig einige Aspekte ihrer prähispanischen Kultur zu kennen. Ich werde daher in diesem Kapitel einige Bereiche der gesellschaftlichen Organisation und der Religion beschreiben.

3.1.1. Gesellschaftliche Schichtung

Die vorspanische Tz´utujil-Gesellschaft bestand grundsätzlich aus zwei Gruppen: Dem Adel, der Tribute erhob und den Untergebenen, die Tribute zahlten. Der Tz´utujil-Titel für einen Fürsten war ajaw (The Annals of the Cakchiquels 1967: 68), der eines Untergebenen ist nicht bekannt, könnte aber dem al c´ajol (Carmack 1981: 149) der Quiché ähnlich gewesen sein (Orellana 1984: 77).

Während der Tz´utujil-Adel die wichtigen politischen Ämter bekleidete, fungierte das übrige Volk als Untergebene, indem sie als Krieger dienten, die Felder der Fürsten bestellten und deren Häuser bauten. Das gemeine Volk bestand aus Händlern, Bauern, Arbeitern, Fischern, kleineren Kunsthandwerkern, Sklaven und eroberten Feinden (ebd.: 77).

Die wichtigsten Tz´utujil-Fürsten bewohnten Chiya´, den tinamit (befestigter Hauptort) der Tz´utujiles. Der größte Teil der übrigen Bevölkerung lebte über die umliegende Landschaft verteilt in kleinen Ortschaften oder Weilern (amak´). Einer dieser Ortschaften war Chi-Tzunún-Choy, das heutige San Pedro La Laguna. Von Zeit zu Zeit befahlen die Herrscher Teilen der Bevölkerung in neu eroberte Besitztümer umzusiedeln (ebd.: 78).

Auch innerhalb der untergebenen Bevölkerung gab es jedoch eine soziale Schichtung aus einer kleinen Mittelschicht, einer unteren Schicht, die die Masse der Bevölkerung bildete und den Dienern und Sklaven.

Die Mittelschicht bestand aus professionellen Händlern, begabten Künstlern und niederen politischen und religösen Offiziellen. Einige von ihnen waren in der Lage, Wohlstand und Macht zu erreichen. Aufgrund des Wertes, den die Produkte des Küstentieflandes auf den Märkten des Hochlandes haben mußten, waren die Händler bei den Fürsten angesehene Leute. Auch die Künstler erreichten Wohlstand und Prestige, entsprechend ihres lineage-Ranges und dem Handwerk, welches sie ausübten. Unter den Quiché wurden die angesehensten Handwerker ajtoltecat(1) genannt, was auf einen mexikanischen Ursprung hindeutet (ebd.: 78).

Die große Mehrheit des Volkes bildete die Unterschicht, die Bauern, Fischer und einfachen Handwerker. In den überlieferten Dokumenten wird jedoch nur wenig über ihr Leben berichtet (ebd.: 79).

Den niedrigsten gesellschaftlichen Rang bei den Tz´utujiles nahmen die Sklaven ein. Ein Hausslkave (muni) arbeitete in erster Linie im Haushalt und auf den Feldern des Adels. Unter den Quiché bildeten gefangene Untergebene, Kriminelle, arme Untergebene, die vom Adel gekauft waren, Untergebene, die Sklaven geheiratet hatten, gekaufte Sklaven und Kinder von Sklaven, die Kategorie der Haussklaven (Carmack 1981: 151). Carmack (ebd.: 151) beschreibt noch drei weitere Kategorien von Sklaven bei den Quiché: cana, oder "'those who are won', just as animals are won in the hunt" (Orellana 1984: 80); teleche, oder "slaves who were 'dragged from one place to another'" (ebd.: 80) und tz´i´, oder "dogs, which probably referred to nobles taken in battle who were destined for sacrifice" (ebd.: 80). Nach Las Casas waren diejenigen Sklaven, die im Kampf gefangen genommen wurden, die bevorzugten. Fürsten, die Sklaven kaufen mußten, gaben dadurch zu, daß sie nicht fähig waren, sie im Kampf zu erweben. Da die Tz´utujiles mit den Quiché das selbe Kriegsführungssystem teilten und eine vergleichbare militärische Ethik vertraten, werden sie die gleichen Sklavenkategorien gehabt haben (ebd.: 80).

3.1.2. Das Lineage(2)-System

Die wichtigsten Verwandschaftseinheiten der Quiché-Gesellschaft waren die unilinearen Abstammungsgruppen, oder patrilineages, die ihre Abstammung bis zu den ersten Kriegsherren zurückverfolgten (Orellana 1984: 80).(3)

Bei den Tz´utujiles gab es in der Mitte des 16. Jahrhunderts, einschließlich des Ajtz´iquinajay, sechzehn wichtige Fürsten. Es waren dies die Fürsten der wichtigsten lineages. Die Tz´utujiles waren den Tamub darin ähnlich, daß beide Gruppen eine Unterteilung in moieties(4) aufwiesen. Die moieties der Tz´utujiles bildeten die dominanten Ajtz´iquinajay und die Tz´utujil, die, obwohl untergeordent, der gesamten Ethnie den Namen gab (ebd.: 81). Eventuell waren die Ajtz´iquinajay verwandt mit der wichtigen Tz´iquinajay-lineage der Cawek in K´umarcaaj. Möglicherweise enstand ihre Dominanz, als die Quiché im frühen 15. Jahrhundert die Kontrolle über einen großen Teil des Hochlandes erlangten. Nach der Conquista teilten sich die Ajtz´iquinajay- und die Tz´utujil-moieties die Herrschaft, wobei letztere scheinbar schon kurz vor der spanischen Eroberung die Macht an sich zu ziehen versuchte (ebd.: 81).

Die sechzehn wichtigsten lineages der Tz´utujiles sind in Tabelle1dargestellt. Unter den Quiché hatten die wichtigsten lineages eigene Gebäude, nim ja ("große Häuser") genannt, in denen sie ihre Zeremonien abhielten. Solche Strukturen könnte es auch in Chiya´ gegeben haben. Möglicherweise hatten die wichtigsten lineages ihre eigenen Tempel, Götter und Priester (ebd.: 83).

In den überlieferten Dokumenten gibt es keine Information über die Organisation der Untertanen. Es ist jedoch möglich, daß auch sie in lineages organisiert waren, die niedrigeren Ranges waren, als die der Fürsten (ebd.: 84).

Die Regulierung der Partnerwahl bei Heiraten war die wichtigste Funktion des lineage-Systems (Carmack 1981: 157). Es mußte außerhalb der eigenen lineage geheiratet werden, wobei die Frau nach der Hochzeit zu einem Teil der lineage ihres Mannes wurde. Noch heute zieht bei den Tz´utujiles für gewöhnlich die Frau nach der Hochzeit in das Haus der Eltern ihres Gatten. Die Ehepartner können allerdings nach der Geburt eines Kindes auch ihr eigenes Heim aufbauen (Paul/Paul 1963: 132f). Das lineage-System regelte also, wen eine Person heiraten konnte und welchen sozialen Status bzw. welchen Rang innerhalb der gesellschaftlichen Hierarchie eine Person einnehmen konnte. Nur die höchsten Personen der wichstigsten lineages konnten politische und militärische Ämter bekleiden, als Fürsten regieren, Länder besitzen und Tribute fordern (Orellana 1984: 86).

3.1.3. Territorialorganisation

Im Quiché-Gebiet des Hochlandes (und wahrscheinlich auch im Tz´utujil-Territorium) gab es eine Territorialorganisation bzw. -unterteilung, die chinamit genannt wurde. Chinamit ist ein Nahua-Wort und bedeutet soviel wie "eingezäunter Platz" (Orellana 1984: 84). Nicht Alle, die innerhalb eines chinamit lebten, waren notwendigerweise miteinander verwandt, aber sie bewohnten ein gemeinsames Gebiet und hatten ein gemeinsames Oberhaupt (Carmack 1981: 164)(siehe Tabelle 2). Bei den Quiché war der chinamit eine Territorialeinheit für Tribute und persönliche Dienstverpflichtungen, sowie rechtliche und rituelle Vorgänge. Auch die Krieger kämpften in chinamit-Einheiten (ebd.: 165).

Neben den chinamit gab es noch andere territoriale Unterteilungen. Eine war der calpul (ein Nahua-Wort, calpulli bedeutet "ein Gruppe von Häusern") (ebd.: 165). Während die chinamit Territorialeinheiten innerhalb einer größeren Siedlung, oder tinamit, sowie in Sekundärzentren wie Chi-Tzunún-Choy waren, unterteilten die calpules größere und entferntere Gebiete. Die calpules repräsentierten vermutlich eroberte Ländereien, die zu weit von den tinamit entfernt waren, um sie einfach zu integrieren. Es waren Kolonien, die nach territorialen Unterteilungen organisiert wurden, die bereits die eroberten Gruppen geschaffen hatten (Orellana 1984: 84).



3.1.4. Religion

Vor der spanischen Eroberung verehrten die Mayas des guatemaltekischen Hochlandes verschiedene Götter mit unterschiedlichen Aspekten. Oftmals wurden sie durch Figuren repräsentiert (Orellana 1984: 96). Die wichstigsten Götter waren die Patronen der führenden lineages, die in Tempel- und Höhlenkulten verehrt wurden. Sie hatten Naturaspekte, waren möglicherweise totemistisch,(5) dienten den lineage-Mitgliedern als Identifikationssymbole und halfen die lineages zu unterscheiden (ebd.: 96). Es wurde geglaubt, daß die Götter in schwierigen Zeiten ihre Hilfe anbieten und sie gaben den Gläubigen psychologische Sicherheit. Die Götterfiguren wurden in Kämpfen mitgetragen, konnten gefangengenommen und von den Siegern als Geiseln gehalten werden (ebd.: 96). Neben den Göttern verehrten die präkolumbischen Quichévölker verschiedene Geistwesen und glaubten an verborgene, unpersönliche Kräfte, wie Schicksal, Magie, Hexerei und Weissagungen (ebd.: 96).(6)

3.1.4.1. Götterfiguren

Die meisten prähispanischen Götterfiguren waren groß und aus Holz, Stein oder Ton gefertigt. Sie wurden in Tempeln oder Höhlen aufbewahrt. In Santiago Atitlán existiert eine rezente Götterfigur, Maximón genannt, die aus dem Holz des pito-Baumes (Erythrina corallodentron) gefertigt ist und eine Weiterführung der vorspanischen Figurentradition zu sein scheint. Nach einer Tz´utujil-Legende hat der pito-Baum die Fähigkeit zu sprechen (Orellana 1975: 862f) und möglicherweise wurde er auch in früheren Zeiten benutzt, um Figuren herszustellen (Orellana 1984: 98).

Zu Zeiten der Postklassik war die wichtigste Gottheit in Chiya´ Sakibuk.(7) Weiterere wichtige Götter hießen Cakix Can(8) und Jun Tijax.(9) Die Figur Sakibuks war aus Stein gearbeitet, ca. 75 cm hoch(10) und befand sich auf einem Altar hoch oben im Haupttempel der befestigten Anlage, der über Stufen zu erreichen war (ebd.: 98).

Neben den Tempeln waren auch Höhlen, Plätze mit ritueller Bedeutung in denen Zeremonien abgehalten wurden (ebd.: 98). Lothrop fand auch in Chuitinamit eine Höhle, die für rituelle Zwecke benutzt wurde. In der Höhle befanden sich Überreste von Gürteltieren und Schaf- oder Ziegenschädeln über den Boden verstreut, die auf eine zeremonielle Nutzung hindeuteten. Die Überreste stammten aus der Zeit nach der spanischen Eroberung, hatten aber schon länger in der Höhle gelegen (Lothrop 1933: 81ff).

Die Verehrung von Höhlen könnte in engem Zusammenhang mit dem Glauben stehen, daß die Erdgötter in Bergen leben und Höhlen die Eingänge zu ihren Wohnorten sind.(11) Höhlen waren vermutlich auch deshalb wichtig, da sie meißt weit von den großen bewohnten Zentren entfernt lagen und daher in Kriegszeiten einen Schutz für die Götterfiguren darstellten. Die meisten Figuren der Tz´utujiles scheinen jedoch in Tempeln und nicht in Höhlen aufbewahrt worden zu sein. Neben den Tempeln und Höhlen waren auch, allerdings seltener, Schreine an Ortseingängen und in Häusern Aufbewahrungsorte für Götterfiguren (ebd.: 99).

3.1.4.2. Rituale und Zeremonien

Präkolumbische Zeremonien beinhalteten Fasten, rituelle Reinigungen, Abstinenz von sexuellen Aktivitäten, Opfer, Beichten, Trinken und Tänze. Zu öffentlichen Feiern, Festen und Opferungen wurden die Götterfiguren in reich geschmückte Gewänder gekleidet. Heutzutage sind die Heiligenfiguren in den Kirchen und Gebäuden der cofradías der Tz´utujiles in einheimische Trachten gekleidet. In den Bruderschaften San Antonio, Concepción und Santiago in Santiago Atitlán gibt es Offizielle, jaloneles genannt, die für die Einkleidung der Figuren verantwortlich sind. Diese Praxis scheint die Fortführung eines prä-hispanischen Rituals zu sein, bei dem spezielle Priester diese Rolle übernahmen (Orellana 1984: 99).

Die Mayas glaubten, daß die Götter für ihre Hilfe belohnt werden müssen. Dies geschah in Form von rituellen Opferungen. Hierbei spielte die Opferung von Blut und Menschen eine besondere Rolle. Für gewöhnlich wurden die Gesichter und Münder der Götterfiguren mit dem geopferten Blut beschmiert, vermutlich aus der Idee heraus, daß sie sich von diesem ernährten.(12) Als Gegenleistung für die Opfer baten die Menschen um Belohnungen, wie langes Leben, Gesundheit, Kinder und Nahrung (ebd.: 100).

Las Casas(13) beschreibt zwei Arten von Opferungen bei den Mayas: öffentliche und private; beide scheinen im Hochland üblich gewesen zu sein. Öffentliche Opferungen wurden mehrmals im Jahr während wichtiger Zeremonien und zu Zeiten von Krieg, Krankheiten oder Unglücken dargebracht. Bei den Quiché kamen zu solchen Gelegenheiten Menschen aus allen lineages der Ortschaften zusammen und nahmen an den Zeremonien teil, sodaß diese auch eine soziale Funktion des Zusammentreffens der verschiedenen Gesellschaftgruppen aus dem gesamten Machtgebiet hatten (ebd.: 100). Private Opferungen wurden zu verschiedenen Anlässen während des gesamten Jahres dargebracht. Die Tz´utujiles machten persönliche Opferungen in Form von Blut, das sie gewannen, indem sie sich in Ohr, Penis und Armmuskeln schnitten (ebd.: 101).

Andere Rituale, die im Gebiet der Tz´utujiles abgehalten wurden, waren die Verehrung von Vulkanen und verschiedene Tänze. Junge Mädchen wurden anscheinend in vorspanischen Zeiten dem Vulkan Atitlán geopfert: "When the volcano thundered and cast forth fire and smoke, (the Indians) were persuaded that it was hungry and asking for food and that its favourite food was Indian girls whom they had also sacrificed in their gentility. They threw them into the burning mouth of that pyre" (Orallana 1984: 102).(14)



3.1.4.3. Die Priester

Der höchste Priester von Chiya´, eines der wichtigsten Ämter, war der ajc´abawil. Andere wichtige Priester waren die der Götter Cakix Can und Jun Tijax. Der ajc´abawil mußte weitere Assistenten im Hauptort der Tz´utujiles gehabt haben, während andere, niedriger gestellte, in anderen Ortschaften ihre Ämter ausgeführt haben.(15) Die wichtigsten Priester führten die großen Zeremonien durch, befragten die Götterfiguren und verbrachten viel Zeit mit Fasten und der Darbringung von Opfern. Außerdem interpretierten sie heilige Schriften, die den Kalender und Wahrsageanleitungen beinhalteten (Orellana 1984: 103).(16)

Noch heute gibt es verschiedene religiöse Spezialisten in Santiago Atitlán und es ist nicht immer einfach ihre unterschiedlichen Aufgaben voneinander abzugrenzen. Der ajkun (abgeleitet von kun, 'Medizin') diagnostiziert und heilt Krankheiten mit Hilfe von Gebeten. Es wird zwischen zwei Arten von ajkun unterschieden: 1. Diejenigen, die primär als Priester arbeiten und für Sachen wie z.B. eine gute Ernte beten und 2. Heiler, die Krankheiten diagnostizieren und heilen. In vorspanischen Zeiten waren dies wahrscheinlich zwei unterschiedliche Spezialisten (ebd.: 104).(17)

Hexer, ajits, haben aufgrund bestimmter Umstände ihrer Geburt, die Macht Leuten zu schaden. Obwohl mächtig, können sie ihre Macht in Form von schädlichen Gebeten nur für Hexerei und schwarze Magie einsetzen.(18) Hexerei war sowohl in vorspanischen, als auch in heutigen Zeiten gefürchtet (ebd.: 104).

Ein anderer zeitgenössischer Spezialist ist der ajkomanel ("Meisterheiler"), der ohne Gebet heilen kann. Die ajkomanel kennen Arzneien und Techniken, mit deren Hilfe sie Krankheiten physiologisch heilen können. Außerdem gibt es noch Spezialisten für Schlangen- und Spinnenbisse (ruki kamats und ruki´om), Knochenheiler (rukoy bak) (siehe Paul 1976: 77-81) und Hebammen (iyom).(19) All diese und viele andere Spezialisten gab es vermutlich auch in vorspanischen Zeiten (Orellana 1984: 104).



3.1.4.4. Glaubensvorstellungen

Eine Glaubensvorstellung, die in vielen Gebieten Mittelamerikas bekannt ist, ist die des nagual (Hirschberg 1988: 334). Unter den Quichévölkern hatte 'nagual' verschiedene Bedeutungen. Eine Vorstellung war die, daß naguales Tiere sind, in die sich verschiedene Personen verwandeln können, um Böses zu tun. Mit dem Glauben an Verwandlungen wird auch der Glaube an den tonal (ajelbal im Tz´utujil), ein tierischer Doppelgänger bzw. Alter-Ego-Tier, assoziiert. Obwohl alle Personen einen tonal haben, wird im Hochland üblicherweise geglaubt, daß sich nur böse Menschen in ihr tonal verwandeln, um anderen Schaden zuzufügen (ebd.: 105). Eine weitere Bedeutung von 'nagual' bezieht sich auf die Ahnen, denen außerordentliche Kraft zugesprochen wurde (ebd.: 105).

Eine andere Glaubensvorstellung bezieht sich auf das Wahrsagen oder Vorhersagen von zukünftigen Ereignissen. Edmundson(20) erwähnte einige Propheten, die unter den Quiché lebten. Hiq´vachinel ("Weitseher") waren prophetische Wahrsager, die "in die Ferne sehen" oder "prüfen" (niq´oh) und in Dinge "hineinsehen" (vachih) konnten. Labahinel (von labah, 'Traum') waren Wahrsager von Omen. Auch gab es Traumdeuter (ichiq´anel); ilol, oder Seher, die Omen interpretierten; ah xulu waren Hellseher, die ihren Körper Fragen stellten und anhand von Reaktionen verschiedener Körperstellen Antworten bekamen. Obwohl keiner dieser Spezialisten für die präkolumbischen Tz´utujiles erwähnt wird, lebten solche Propheten möglicherweise auch im Gebiet des Atitlán Sees (ebd.: 106).

Während die prähispanischen Adligen ihre rituellen Aktivitäten auf die lineage-Götter konzentrierten, muß sich das gewöhnliche Volk den Geistwesen der Natur näher gefühlt haben. Die Tz´utujiles glauben heute, daß jeder Naturaspekt einen übernatürlichen Meister (dueño) hat, der dessen Lauf und Rolle im landwirtschaftlichen Zyklus bestimmt. Der oberste übernatürliche Meister, der über die Geister herrscht, ist San Martín, ein Bündel mit heiligen Objekten.(21) Heilige Bündel (pizom) sind präkolumbischen Ursprunges und ihnen wurde große Macht zugesprochen (ebd.: 106).(22)

Nach der Conquista scheinen die christlichen Heiligen viele Funktionen, die den alten Naturgottheiten zugesprochen wurden, absorbiert zu haben. Andere Geistwesen existieren jedoch für die Tz´utujiles weiter, wovon einige vermutlich präkolumbischen Ursprunges sind (ebd.: 106)

 


1. Popol Vuh: The Book of Consel: The Book of the Quiché Maya of Guatemala. Translated by Munro S. Edmondson. Middle American Research Institute, Tulane University, Publication no. 35. New Orleans 1971, p. 22. (zurück)

2. Eine lineage ist definiert durch"eine Verwandschaftsgruppe, deren Mitglieder von einem Ahn (einer Ahnin) in direkter und bekannter männlicher (weiblicher) Linie abstammen. (...) Lineages müssen alle Kriterien des Gruppenbegriffs erfüllen. (...)" (Hirschberg 1988: 285). (zurück)

3. Nach: Wallace, D. T.; Carmack, R. M. (Hg.): Archaeology and ethnohistory of the central Quiché. Institute for Mesoamerican Studies, State University of New York, Publication no. 1, p. 10, Albany 1977. (zurück)

4. Eine moiety ist "die Hälfte einer sozialen oder ethnischen Gruppe in einem Dualsystem" (Hirschberg 1988: 316). (zurück)

5. Carmack, R. M.; Fox, J.; Stewart, R.: La formacion del reino Quiche. Instituto de Antropología e Historia, Publication no. 7, Guatemala City 1975. (zurück)

6. Siehe: Popol Vuh: The Book of Counsel: The Popol Vuh of the Quiche Maya of Guatemala. Translated by Munro S. Edmonson. Middle American Research Institute, Tulane University, Publication no. 35. New Orleans 1971. (zurück)

7. Relación geográfica Atitlán (RGA): Relación de Santiago Atitlán (1585), por Alonso Páez Betancor y fray Pedro de Arboleda. Anales de la Sociedad de Geográfica e Historia de Guatemala 37: 98. Guatemala City 1964. (zurück)

8. Título Xpantzay 3: Testamento de los Xpantzay (ca. 1550). In: Recinos, A. (Hg.): Crónicas indígenas de Guatemala, S.159. Guatemala City 1957. (zurück)

9. Vásquez, f.: Crónica de la provincia del Santísimo Nombre de Jesús de Guatemala de la orden de nuestra seráfico padre San Francisco (1714-17). Biblioteca Goathemala, vols. 14-17. Guatemala City 1938, 2: 29. (zurück)

10. RGA: s.o. 1964: 99. (zurück)

11. Die Tzotziles von Pantelhó in Chiapas/Mexiko (aber auch in anderen Tzotzil-Ortschaften der Umgebung) bezeichnen noch heute die Berge als Wohnorte von Göttern. Siehe: Köhler 1997: 93. (zurück)

12. Thompson, Sir J. E. S.: Maya history and religion. Norman: University of Oklahoma Press 1970, S. 181. (zurück)

13. Las Casas, B. de: Apologética historia sumaria. Edited by Juan O´Gorman. 2 vols. Mexiko City 1967, S. 214. (zurück)

14. Zitiert nach: Vásquez, F.: s.o. 1938, 2: 26, 28. (zurück)

15. Título C´oyoi: A case study: Título C´oyoi (ca. 1550-70). In: Carmack, R. M.: Quichean civilization: The ethnohistoric, ethnographic, and archaeological sources, p. 311, 1973. (zurück)

16. Nach: Wallace, D. T.; Carmack R. M.: (s.o.) 1977, S. 16. (zurück)

17. Nach: Douglas, W. G.: Illness and curing in Santiago Atitlán: A Tzutujil Maya community in the southwestern highlands of Guatemala. Ph.D. dissertation, Stanford University 1969, S. 146f. (zurück)

18. Douglas, W. G.: (s.o.) 1969, S. 160f. (zurück)

19. Douglas, W. G.: s.o. 1969, S. 134, 173, 141. (zurück)

20. Popol Vuh. The Book of Counsel: The Popol Vuh of the Quiché Maya of Guatemala. Translated by Munro S. Edmunson. Middle American Institute, Tulane University, Publication no. 35. New Orleans 1971, S. 17. (zurück)

21. Mendelson, E. M.: The king, the traitor, and the cross. Diogenes 21: 4f, Chicago 1958. (zurück)

22. Carmack, R. M.; Fox, J.; Stewart, R.: (s.o.) 1975, S. 81. (zurück)

 

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