Der junge Priester Lorenzo Borrelli riskiert im von Arbeitslosigkeit regierten Bezirk Sanità von Neapel sein Leben, als er beginnt, die Bevölkerung gegen die Camorra aufzuwiegeln. Da er damit Erfolge verzeichnen kann, will diese ihn zum Schweigen bringen, ohne einen Märtyrer aus ihm zu machen, wenn es auch anders funktioniert. Da muss die lokale Mafia gar nicht lange suchen, einen Skandal hat sie in der "Beziehung" des Pfarrers zu dem 13-jährigen Nunzio aus dessen Konfirmations-Klasse gefunden. Doch es erweist sich als schwierig, an den Jungen heranzukommen, sowohl von der Mafia, als auch von Seiten der Polizei, und dem Priester ist nicht leicht ein Maulkorb zu verpassen...
1994 ersponn die britische Regie-Debütantin Antonia Bird die Geschichte des schwulen Pfarrers Greg Pilkington inmitten einer erstarrten Liverpooler Kirche, der mehr schlecht als recht versucht, den kontinuierlichen Missbrauch an dem Mädchen Lisa durch ihren Vater zu stoppen. Der Priester versagte, wusste sich aber noch bildlich auf das Mädchen zu stützen, weil er nun wegen seiner Homosexualität zur Zielscheibe der Öffentlichkeit geworden war. Einem Fiasko im ZuschauerInnenraum konnte dadurch entronnen werden, dass der Missbrauch durch Zufall ans Tageslichts kam, wodurch die Regisseurin unverdientermaßen standing ovations erntete.
Nun hat zwei Jahre später Namensvetter Antonio Capuano aus Italien dieser Unverschämtheit noch eins draufzusetzen. Diesmal kämpft der Missbrauch mit der Anti-Mafia-Haltung um die Haupthandlung – und der Übeltäter ist der Priester selbst.
Stellenweise scheint der Film von zwei RegisseurInnen gedreht worden zu sein, mit jeweils konträren Ansichten zum Thema Missbrauch/"Pädophilie":
Einerseits haben wir im jungen Priester Borrelli einen Helden gefunden, im Kampf allein gegen die Mafia. Wenn Jungen in Nunzios Alter vom organisierten Verbrechen rekrutiert werden und von konkurrierenden Banden systematisch verfolgt und getötet werden, und ihre Klassenkameradinnen durch umherfliegende Kugeln getroffen zu Boden sinken, dann verweigert der Pfarrer seiner Gemeinde so lange das Abendmahl, bis diese aus ihrer Ohnmacht aufwacht und gegen die Camorra auf die Straße zieht. Dadurch, dass der Pfarrer schwul ist, will der Film insgeheim zusätzliche Sympathien des Publikums für seinen Helden einheimsen: Der Priester hat mit Diskriminierung zu rechnen, so in den Köpfen der ZuschauerInnen, und in den 90ern wollen sich die Intelektuellen mit ihrer Liberalität gegenseitig übertreffen. Wenn etwas dagegen unternommen wird, dass er mit seinen Zöglingen ins Bett geht, dann soll das heimtückisch wirken, weil es als Gegen-Angriff für den Kampf gegen die Mafia betrieben wird.
Auf der anderen Seite wird die Geschichte aus der Sicht des Jungen erzählt. Und das ist eine Leidensgeschichte. Die sexuellen Handlungen, die sein Priester von ihm verlangt, lässt er über sich ergehen, wobei deutlich wird, dass er mehr noch als die anderen Jungen von ihm abhängig ist. In der Schule ist er angespannt, in der Freizeit zunehmend mit den Nerven fertig. Es taucht sogar der etwas ältere Junge Gigi auf, der Vorgänger Nunzios im Leben des geilen Priesters. Zwar unterstützt diesen Borrelli noch oberflächlich, gibt ihm aber zu verstehen, dass dies das höchste der Gefühle sein wird. "Du hattest dir einmal mehr Zeit für mich genommen.", klagt Gigi Borrelli zweideutig an. "Die Dinge verändern sich.", kontert der Priester, Gigi ist eben ein paar Jahre älter geworden. Gigi scheint nicht nur aufgrund der heutigen Abfuhr böse Sentimente gegen seinen ehemaligen Pfarrer zu führen, sondern gerade wegen der alten Zeiten. Schließlich entwickelt sich der introvertierte – oder verstörte? – 13-Jährige zum "fast 14-jährigen" selbstbewussten Teenager, der sich plötzlich verbal gegen den Priester zur Wehr zu setzen weiß.
Diese Regiekonflikte verblüffen die ZuschauerIn, könnte ein radikaler Umschnitt das problematische Werk tatsächlich zu einem Standpunkt gegen sexuellen Missbrauch machen. Da ist sich jemand der Thematik des Missbrauchs bewusst, aber das Opfer ist letztendlich der Täter selbst. Doch wer genauer hinschaut, erkennt die eigentliche Botschaft: der Junge soll das Opfer sein, wie alle Kinder auf die eine oder andere Weise unter der Herrschaft der Mafia. Das Böse kommt nicht unbedingt vom Missbrauch, denn der wird hier euphemistisch als schwule Liebe gegenüber zu pubertieren beginnenden Knaben hingestellt, gleich zu Beginn des Films soll mit halbnackten Jungs der Appetit des schwulen Publikums geweckt werden. Viel mehr Schaden soll die öffentlichen Reaktion auf die Beziehungsform des Mannes zum Jungen anrichten: von anderen Kindern gehänselt, von der polizeilichen Fürsorge aus dem Unterricht zur Befragung geholt und unter Druck gesetzt. Möglicherweise hätte der Junge – so der Film – gar keine Probleme mit der Sexualität des Pfarrers, würden ihm das die anderen nicht in den Kopf setzen, sondern ihn in Ruhe lassen. Je nach Gusto lässt sich also behaupten, dass der Junge deshalb schweigt und den Pfarrer schützt, weil er die "Gefühle" erwidert, oder weil er einfach nicht in der Lage ist, die Verbundensein-Mechanismen mit seinem Missbraucher zu brechen.
Aber der Pfarrer stellt sich reinen Gewissens einer Untersuchung zur Verfügung, wie auch immer sie ausgehen werde, nicht ohne zuvor noch heroisch eine Demonstration gegen die Camorra durchgeführt zu haben, eine letzte Handlung, die die Essenz des Films widerspiegeln soll.
Die Inszenierung selbst ist – wie bei seinem "Vorgänger" Der Priester – durchweg gelungen. Der Stadtteil mit all seinem Lärm wirkt authentisch, die Charaktere sind einprägsam gestaltet, einschließlich des perrückentragenden Vaters, der sich beim Straßenverkauf größere Umsätze als Trümmertunte verspricht.
Queer View unterstellt dem Drehbuchautor und Regisseur Capuano allerdings, dass er die erschütternste Szene fast 1:1 von Boaz Yakins Fresh geklaut hat, obwohl, bzw. gerade deswegen, der 1994er Film im nicht englischsprachigen Europa leider weitestgehend unbekannt ist. In Yakins Meisterwerk der Filmkunst kämpft ein 12-jähriger Junge gegen die verschiedenen Jugendbanden, die das Leben seiner Freunde und Familie in der "Hood" bedrohen. Eine wirkungsvolle Technik Yakins bestand darin, anstatt sein Publikum mit möglichst viel Ballerei und Action zuzuschütten, scheinbar ruhige Szenen zu gestalten, in denen plötzlich Gewalt ausbricht, während die Kamera eine Fahrt unternimmt, bei deren Ende wir erst das volle Ausmaß des soeben Geschehenen erkennen. Auf diese Weise kommt die erste angehende Liebe des 12-Jährigen ums Leben, als sie sich eine Kugel einfängt, die nicht für sie bestimmt war.
Die Banden-Kriminalität US-amerikanischer Citys wurde nun auf die organisierte Kriminalität italienischer Großstädte übertragen. Der Junge ist nur ein Jahr älter und verliert ebenfalls in einer Schlüsselszene seine erste beginnende Liebe, weil das Mädchen ungewollt von rivalisierenden Banden tötlich getroffen wird. Die ablenkende und spannungsaufbauende Kamerafahrt ist verblüffend ähnlich konstruiert. Aber kopiert ist nur kopiert, die Qualität ist stets nicht ganz dieselbe. Die Szene wird nicht mit all seinen Beteiligten harmlos aber sorgfältig aufgebaut, ist stattdessen wieder etwas action-orientierter, da sich gleich eine Handvoll herumballernder Gangmitglieder eine Verfolgungsjagd über die Gleise einer U-Bahnstation hinweg liefern.