Der Priester
(Priest)

GB, 1994, 103min
Regie: Antonia Bird
Cast: Linus Roache, Cathy Tyson, Robert Carlyle, Tom Wilkinson
WELTVERTRIEB: The Sales Company
DEUTSCHER VERLEIH: Concorde – Castle Rock / Turner

Im vierten Film, der im Mai 1995 in den deutschen Kinos startete, in dem es um sexuellen Missbrauch ging, handelt es sich um den Priester Greg Pilkington, der sein erstes Amt in einer Liverpooler Gemeinde antritt. Jung, smart, ambitioniert und nicht zuletzt attraktiv wird er von Kinofilm-Regie-Debütantin Antonia Bird als strahlender Held mit heftigen Problemen aufgebaut, die es zu lösen gilt.

Doch gib Acht, trotz hervorragender Inszenierung gehört dieser Priester einfach nicht in die HeldInnen-Ecke: Auch wenn der Film mit seiner ersten Szene vielversprechend in die Kirchen-Kritik einsteigt, in der Gregs Amstvorgänger in einer anscheinend sehr tiefgehenden Glaubenskrise "sein" Kreuz als Rammbock gegen die bischöfliche Residenz einsetzt, nachdem er damit durch die halbe Stadt gelaufen ist, so kommen substanziellere Ansätze nur noch selten vor – anders als etwa in seinem lesbischen Gegenstück der Berlinale '95, When Night Is Falling.

Greg Pilkington lebt sich so langsam in die Probleme seiner Gemeinde ein, verurteilt dabei mal eben Pfarrer Matthew Thomas, bei dem er wohnt, dass er doch bitteschön nicht sein Bett mit der Haushälterin Maria Kerrigan zu teilen hätte und nimmt dann ganz unverhofft seine Leder-Kluft aus dem Schrank und geht in die nächste Schwulenkneipe, um sich dort abschleppen zu lassen.

Ein heldenhafter Film-Charakter muss nun nicht ausschließlich positive Eigenschaften pflegen, aber was Greg im Verlaufe des Films alles anstellt, bzw. nicht anstellt, birgt einige Problematiken.

Als nächstes verheimlicht er seine Sexualität, was noch nachvollziehbar ist. Dann verweigert er aber seinem Lover Graham die heilige Kommunion beim Gottesdienst. Schließlich erfährt er bei der Beichte von dem ständigen Missbrauch des Schulmädchens Lisa Unsworth durch deren Vater. Sicher, Greg ist schockiert und versucht, diese Greueltaten zu beenden. Als er jedoch damit keinen Erfolg hat, und ihn der unverschämte Vater des Mädchens mit dem Beichtgeheimnis kommt, unternimmt Greg nichts Pragmatisches – sondern zerfließt in Selbstmitleid.

Klar, es gibt Regeln, die vor Urzeiten von anderen Leuten einmal aufgestellt wurden, wie das Beichtgeheimnis, aber manchmal muss mann – und auch priester – diese Regeln eben umgehen, wenn es notwendig wird. Und wenn er schon nicht anonym bei einer offiziellen Stelle den Missbrauch meldet, dann könnte er, sagen wir, die Kollekte dazu benutzen, den Vater aus der Stadt jagen zu lassen. Nun denn, der Fall komm durch einen dramarturgisch feigen Zufall schließlich doch noch ans Licht: Wäre der Zufall ausgeblieben, und der Vater würde heute noch seine Tochter missbrauchen, das Publikum hätte sicherlich keine standing ovations der anwesenden Jungregisseurin im Panorama der Berlinale gezollt.

Aber als Sympathieträger für seine Probleme, die er mit der Kirche seiner Homosexualität wegen bekommt, darf er dann als Abschluss-Sequenz in der Kirche noch schluchzend über dem Mädchen zusammenbrechen, trage sie auch noch diese Last!

Wenigstens Lisas Mutter gibt ihm eine schallende Ohrfeige – bevor sie ihren Mann vor die Tür setzt. Gebt uns einen Film über diesen Charakter!

ki, Berlin
foto ©: Concorde – Castle Rock / Turner

English Version

Gesehen während der:
45. Internationalen Filmfestspiele Berlin

Kino-Start in Deutschland war der 25. Mai 1995

Anderer schwuler Priester mit einem Missbrauchs-Problem: Pianese Nunzio Fouteen in May

copyright: Queer View, 10. Mai 1997
© PPL Nr.2 / Mai '95