Einstürzende Neubauten

Blixa BargeldEs ist 16 Jahre her, dass sich in Berlin, in einem Hohlraum unter der Autobahn, die Gruppe Einstürzende Neubauten zusammengefunden hat. Sie brachen mit den gewohnten Hörgewohnheiten, sie mieden die Nähe der deutschen Rockmusik. Nach den Ton, Steine, Scherben waren sie wohl die erste und einzige ernstzunehmende, deutsch singende Formation. Nachdem die erste Schockwelle sich legte, erhoben die KulturpolitikerInnen die Berliner Band zum Kulturobjekt.

Nach drei einhalb Jahren veröffentlichten die Einstürzenden Neubauten jetzt im Herbst 1996 ihr neues Album: Ende Neu. „Nach Tabula Rasa hatten wir beschlossen, unseren alten Turnus von 3 ½ Jahren zu durchbrechen und schneller fertig zu werden. Das hat ganz offensichtlich nicht funktioniert." Da hat Blixa Bargeld wohl recht, seit dem Album Tabula Rasa und den Maxis Interim bzw. Malediction, die zusammen eine Triologie bilden, brauchten sie doppelt so lange. Ihre letzte Tournee fand 1993 statt. Ihr erstes Konzert damals, sozusagen die Generalprobe, gaben sie in Budapest. Ihr Auftritt im Orczy Park war enttäuschend (wie sich das für Generalproben gehört, nur dankte es ihnen das ungarische Publikum nicht) und ernüchterte viele Fans. Doch bis zum letzten Konzert der Tour, einem Heimspiel in Berlin, verschmolz die Gruppe wieder zu einer harmonisierenden Band.

Auf der PopKomm in Köln im August gab der Frontmann der Neubauten, Blixa Bargeld, anlässlich der Veröffentlichungen von Ende Neu eine Pressekonferenz, und leicht ironisch verkündete er: „All denjenigen, die die Einstürzenden Neubauten noch niemals live gesehen haben, kann ich nur sagen: schade! Ihr könnt euren Enkelkindern davon erzählen, aber in der Form werden wir nicht mehr spielen."

Nach Tabula Rasa wurde es still um die Einstürzende Neubauten. Nun, nicht ganz. F.M. Einheit klotzte nur so mit seinen Arbeiten an Theatermusiken. Jährlich arbeitet er an ca. sechs bis acht Projekten (die zum Teil veröffentlicht werden, z.B. Radio Inferno und Faustmusik, beide Our Choice/Rough Trade). Blixa Bargeld hat bis jetzt Musik zu zwei Theaterstücken geschrieben. Ferner verdingte er sich als Schauspieler, er stand in dem Stück von Bernard-Marie Koltès' Des voix sourdes in der Berliner Akademie der Künste auf der Bühne, und in Potsdam spielte er in Werner Schwabs Faust: Mein Brustkorb, mein Helm. In einer ersten Filmrolle spielt er in dem Film von Christian Frosch, Die totale Therapie, die Rolle eines Psychotherapeuten (Der Film sucht noch einen Verleih!). In Wien lehrte Blixa Bargeld Studenten an der Freien Schule, und an dem Album einer alten Weggefährtin (Gudrun Guts The Ocean Club) nahm er auch teil. Nicht zu vergessen, hat Blixa Bargeld noch einen Nebenjob bei Nick Caves Bad Seeds.

Für die Neubauten blieb immer weniger Zeit. Mark Chung sprang als erster ab, um sich ganz aus dem aktiven Musikerleben zurückzuziehen. (Kann man das überhaupt?) Ein Ersatz war schnell gefunden. Roland Wolff sollte dessen Stelle einnehmen, auch ihn kennen wir aus seiner Mitarbeit mit den Bad Seeds, bzw. als Musiker der fabelhaften Jever Mountain Boys. Bei den ersten Aufnahmen zum neuen Neubauten-Album war Wolff noch anwesend (bei Die Explosion im Festspielhaus und dem kafkaesken Der Schacht von Babel), doch leider verstarb Wolff bei einem Autounfall. Dann verließ F.M. Einheit, also Mufti, die Band, um sich ganz dem Theater zu widmen. „Wir blieben in einer Urformation von drei Personen zurück. Nämlich mir, Andrew Chudy (N.U. Unruh) und Alex Hacke, dieses Triumvirat hat dieses Album fertiggestellt." 1993 beschlossen sie, eine „Nicht-Studio-Platte" einzuspielen. „Wir suchten uns einfach einen Raum, und in diesem Raum bauen wir alles so auf, und nehmen alles so auf, wie wir das haben wollen. Das haben wir dann ein Jahr ungefährt betrieben. Wir haben uns in diverse Institutionen eingeschmuggelt, in die Akademie der Künste in Ostberlin zum Beispiel, mit dem Hinweis, dass wir angeblich Musik für Heiner Müllers Theaterstück schreiben, der war damals noch Akademiepräsident." Damals entstanden die ersten Stücke. Installation No. 1 blieb davon für das Album erhalten.

Später führten sie die Arbeit in einer alten Reithalle in Potsdam fort, doch der Plan, eine Platte nicht im Studio einzuspielen, wurde mit der Zeit zur untragbar finanziellen Belastung. „Die Neubauten haben niemals eigene Produktionsmittel besessen. Wir mussten einfach alles mieten, was man braucht, von den Mikrofonständern bis zu den Kabeln. Das war im Endeffekt teurer." Sie brachen die Aufnahmen ab.

Doch zwischen 1993 und 1996 passierte noch etwas viel Tragischeres. Die Gruppe, genauer gesagt Blixa Bargeld, verlor die Pespektive. „Irgendwann in diesem Zeitraum ist mir die Perspektive abhanden gekommen. Bis zum Februar 1996 war ich nicht in der Lage, auch nur einen einzigen Text zu schreiben, der für die Neubauten tauglich gewesen wäre. Ein schrecklicher Begriff, aber das nennt man wohl ‘writer´s block’. Ich musste erst einen neuen Ansatzpunkt finden, um zu wissen, was ich überhaupt machen will."

Der Song Stella Maris war dann der erste neue Song, für die Einstürzenden Neubauten ein ziemlich überraschendes Stück Musik. Sie schrieben ein Liebeslied, in dem sich zwei Menschen nie wirklich begegnen, nur im Traum finden sie zueinander, während es der Traum ist, der die beiden von einander fernhält. Ein sehr einfaches Lied, vielleicht spricht es die ZuhörerIn deswegen so direkt an. Blixa Bargeld singt den Song im Duett mit Meret Becker. Die Berliner Schauspielerin und Chansonsängerin ist inzwischen mit Alex Hacke verheiratet (er tritt übrigens ganz kurz auch an der Hotelrezeption im Kondom des Grauens auf), und war oft während der Aufnahmen anwesend. Es lag also auf der Hand, einen Titel mit ihr zusammen aufzunehmen.

Meret war es schließlich auch, die Blixa bei dem Schreiben des Songs half. „Ich hatte schon aufgegeben. Ich war bereit, entweder eine schlechte, unfertige Instrumentalplatte zu veröffentlichen, und unseren Ruf wunderbar im Handstreich zu ruinieren, oder unseren Vorschuß von der Plattenfirma zurückzuzahlen, und zu sagen, das war es dann wohl. Das wäre super gewesen." - „Die Schwierigkeit lag für mich weniger in einer textlichen Perspektive, als in einer musikalischen. Wir haben in der Zeit seit 1993, seitdem wir mit den Aufnahmen für dieses Album angefangen hatten, immer mehr musikalisches Material angehäuft. Ich konnte mich bei den anderen Mitgliedern in der Band auch immer wieder nur entschuldigen, es täte mir leid, aber mir fiele dazu einfach nichts ein." Er durfte aber nicht aufgeben, schon den anderen Bandmitgliedern zuliebe, die damit ihre finanziellen Probleme gehabt hätten. Blixa Bargeld wurde, nach eigenen Angaben, regelrecht ins Studio gezerrt.

Zu dem Text zu Stella Maris zwang man ihn, und damit veränderte sich alles. „3 ½ Jahre hat dieser Zustand gedauert, dann habe ich ab Februar einen Text nach dem anderen geschrieben, und plötzlich ging alles, wie von selbst." Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Das Album Ende Neu ist die erste Platte seit langem, bei dem Blixa Bargeld auch auf die Reaktion der ZuhörerInnen gespannt ist. „Eine Zeit lang hätte man mich damit jagen können. Wenn der Name Einstürzende Neubauten fiel, ging bei mir erstmal alles zu. Ich konnte mich keiner neuen Pespektive öffnen. Etwas Neuem, was in dem Konzept Einstürzende Neubauten immer vorhanden war; etwas Neuem, was mich noch reizt, anstatt die erprobte Technik und dem, was wir schon weg betreiben, noch auszureizen."

Dem Song Stella Maris folgte das Titelstück des Albums. „Der nächste Schritt war, Ende Neu zu schreiben, das eindeutig als Statement der Situation Einstürzende Neubauten überhaupt angelegt war. Geschrieben habe ich es am 1. April 1996, genau 16 Jahre nach unserem ersten Konzert. Als Grundlage suchte ich alle möglichen Worte, die man aus Einstürzende Neubauten bilden kann. Ich hatte das Gefühl, wir sind über dem Berg, es wird eine Platte geben und alles wird gut sein."

Eine Ära der Neubauten war beendet. Mit dem neuen Material beginnt ein Neuanfang, bzw. eine Rückbesinnung auf die Wurzeln der Band. Sie begonnen mit ihrer Arbeit dort, wo sie bereits 1980 waren, mit dem gleichen Geist, der sie damals gedrängt hatte, eine Platte aufzunehmen. Kollaps wurde damals unter ähnlichen technischen Voraussetzungen aufgenommen (und angeblich werden auch heute noch monatlich 300 Stück von der Platte verkauft). Z.B. die Maschinen: über zehn Minuten dauert das Stück NNNAAAMMM (New No New Age Advanced Ambient Motor Music Machine), das ausschließlich auf Motoren und Chorstimmen geschrieben wurde. Die Maschinen arbeiten im 9/4 Takt, doch sind dabei nie ganz genau, somit ähneln sie den Menschen. Der Gesang wirkt wie ein Mantra, nimmt von der ZuhörerIn Besitz und versetzt in ihn Trance. In Planung ist übrigens eine halbstündige Version , welche jedoch nicht von den Einstürzenden Neubauten sondern als Remix anderer aufgenommen werden soll.

Ende Neu ist anders. Die Zuhörerin braucht nicht mehr „Schmerzen hören". Dieses Album ist eine lyrische Platte. Die populäre Musik hat sich seit Beginn der 80er Jahre verändert. Der Umgang, das Musizieren mit Lärm hat sich geändert. „Die Akzeptanz, inzwischen auch mit Krach zu arbeiten, hat uns gewissermaßen die Basis entzogen. Also die Art von Opportunenz, die wir hatten, als wir Kollaps gemacht hatten, die ist völlig haltlos geworden. Ich kann mich jetzt nicht hinstellen und sagen, wir machen eine unhörbare Platte. Kollaps war zur Zeit seiner Veröffentlichung eine unhörbare Platte. Heute könnte ich das gleiche machen und es wäre keine unhörbre Platte. Es wäre nicht mehr dasselbe, weil sich das ganze Umfeld geändert hat."

Ende Neu ist also anders. Blixa Bargeld favorisiert zwar nicht den Ausdruck „positiv", doch das aktuelle Material vermittelt einem genau dieses erhebende Gefühl. Es steht zwar außer Frage, dass die neue Platte ein Werk der Einstürzenden Neubauten ist. Früher jedoch gab es nur ein lyrisches Stück auf einem Album, heute besteht der Großteil aus ihnen. Den neuen technischen Möglichkeiten verfielen sie jedoch nicht. Blixa Bargeld erklärte sogar, dass er noch nie auf einer Techno-Party gewesen wäre. Er hätte übrigens auch nur zwei Techno-Alben in seinem Besitz, auf einer davon ist er vertreten (The Ocean Club). Für ihn ist Ende Neu den Beatles und Arvo Pärt näher als Tricky oder Portishead.

CD-CoverIn limitierter Auflage erschien Ende Neu als enhanced CD, also mit integriertem CD-Rom-Teil. Damit kann man nicht nur die vollständige Discographie der Gruppe abrufen, sondern auch per Mouse im belgischen La Chapelle-Studio wandern, wo sie mit Jon Caffery als Produzenten gearbeitet hatten. Die CD-Rom enthält auch den Videoclip zu Stella Maris. Doch Blixa Bargeld hat auch die Internet-Seiten der Band noch nicht gesehen. „Das macht man heute so. Man schickt mir regelmäßig Ausdrucke." (Wen´s interessiert, die Adresse lautet: http://www.icf.de/EN/. Wer weder ein CD-Rom-Laufwerk, noch einen Internet-Zugang besitzt, dem lege ich das Buch Hören mit Schmerzen - Listen with pain von Klaus Maeck ans Herz, das gerade im Die Gestalten Verlag aktualisiert wiederveröffentlicht wurde.)
Andererseits ist Ende Neu auch eine Fortsetzung von Tabula Rasa. Das Album von 1993 hob sich deutlich von dem ab, was früher war. „Unser Katalog war voll mit selbstbezogenen Texten („Ich bins", „Ich steh auf Krach", „Fütter mein Ego"), ganz eindeutig dominierte die erste Person. Tabula Rasa war dagegen geschrieben für ein unsichtbares Gegenüber, bzw. als Duett, bzw. in der weiblichen Form. Als logische Konsequenz folgte nun das ‘wir’." Blixa Bargeld veränderte auch sein Äußeres. Er trägt zwar immer noch schwarz, aber mit einem verschleierten Strohhut wirkt er weitaus femininer als bisher.

Vorläufig ist keine Tournee geplant. Das, was bei ihren Auftritten auf der Bühne passierte, hing bei den Neubauten immer auch von der persönlichen Chemie der einzelnen Mitglieder ab. Diese Chemie hat sich nun geändert, gibt Blixa Bargeld den Journalisten zu verstehen, ihre Konzerte könnten also nur anders aussehen. Vielleicht wird es 1997 Konzerte der Einstürzenden Neubauten geben, doch, was auch immer, für Blixa Bargeld gilt: „Die Neubauten sind für mich immer noch das Wichtigste, was mir am meisten Schmerzen bereitet, was mir aber auch am meisten Befriedigung verschafft."

en, Berlin
Foto ©: Fritz Brinckmann
English version
copyright: Queer View 1996
Link mal zum Soundtrack von To Have and to Hold, The Island of Dr. Moreau und zum filmischen Ereignis Das Auge des Taifun.