Brief von Sven Schütte

Am 12.10.2000 schickte mir Dr. Sven Schütte, Leiter der Abteilung für Archäologie des Mittelalters des Kölner Stadtmuseums und ehemaliger Direktor am Amt für Archäologische Bodendenkmalpflege in Köln, folgenden Brief als Entgegnung auf die Äußerungen Heribert Illigs in den Zeitensprüngen 9/2000 (sie sind hier nachzulesen), den ich mit seinem Einverständnis hier veröffentliche.


Sehr geehrter Herr Chladek!

Vielen Dank für den Hinweis auf die mir gewidmete Illig-Webseite zur Kölner Diskussion. Um es vorauszuschicken: Ich gedenke nicht, mich an der Illig-Debatte grundsätzlich zu beteiligen, denn die Verbreitung dieses Unfugs möchte ich nicht noch fördern, aber das hat mich doch amüsiert. Als Betroffener muß ich aber zu der Illig-Darstellung des Abends im Museum für Angewandte Kunst in Köln am 12. April 2000 Stellung beziehen. Wie soll Herr Illig einem renommierten deutschen Historiker sinngemäß gesagt haben? - "Sie mögen vielleicht sogar Recht haben, aber Sie verdienen damit kein Geld!" - wie wahr, also ist jede Debatte eigentlich nur verschwendete Zeit.

Doch zum Kölner Abend.

Keineswegs wollte ich an dem Abend "anonym" bleiben, die Direktorin, Frau Dr. Anna redete mich auch mit Namen an.

Die Einleitung des Illig-Textes dient also allein dazu, den Leser emotional einzustimmen: also "anonym" - oh - oh!

Ich lobte Herrn Illig eingangs, auf einige tatsächliche Probleme der Forschung und mangelnde Interdisziplinarität hingewiesen zu haben.

Alsdann befragte ich ihn, ob die Abbildung in seinem Buch auf S. 209 unten (Aachener Thron) tatsächlich aus seinem Buch sei, ebenso die Bildunterschrift.

Herr Illig bejahte das.

Ich stellte alsdann fest, daß weder das Werk, noch die Jahresangabe korrekt zitiert seien.

Vornehmlich habe ich dann aber den Inhalt kritisiert:

Zur Erinnerung: Die Zeichnung des Throns stammt aus der Publikation von

  • Josef Buchkremer, Vom Königsstuhl und seiner Umgebung. Dom zu Aachen. Beiträge zur Baugeschichte II, Aachen 1941, 59 S.

Die Federzeichnung zeigt den Thron von Südwesten. Illig zitiert auf S. 414 aber lediglich: Buchkremer, Joseph (1940): Dom zu Aachen. Beiträge zur Baugeschichte. 2 Hefte. Es wäre nun kleinlich, anzumerken, daß sowohl die Jahreszahl falsch ist, als auch nur ein Heft (Band II der Reihe von III) vorliegt. Viel entscheidender ist die Bildunterschrift unter der Buchkremerschen Zeichnung: bei Illig S. 209: "Thronsitz von 1936 als Nachempfindung des Zustandes von 936 (Buchkremer 1940, 19)"

Da stimmt nun überhaupt nichts.

Buchkremer stellte den Thron in einer älteren Entwurfszeichnung 1941 im Restaurierungszustand vor 1908 dar, mit Ergänzungen, die erst 1938 tatsächlich vorgenommen wurden. Hierbei hat man lediglich die oberste Stufe neu zugefügt, sonst nichts. Die Zeichnung entstand vor diesem Eingriff. Buchkremer war überzeugt, der Thron sei karolingisch. Die Information "936" hat Illig aber nicht Buchkremer, sondern dem Aufsatz von Leo Hugot entnommen:

  • Hugot, Leo, Der Königsthron im Aachener Dom. In: Koldewey-Gesellschaft. Beiträge zur 29. Tagung in Köln vom 26.-30.5.1976, Ausgrabungswissenschaft und Bauforschung, S. 36-42.

Bedauerlicherweise findet sich dieser Titel in seinem Literaturverzeichnis nach S. 415 nicht. Der Thron ist keine Rekonstruktion der 30er Jahre, das belegt nicht nur der Restaurierungsbericht:

  • Josef Buchkremer, Der Königsstuhl der Aachener Pfalzkapelle und seine Umgebung. Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins Band XXI, 1899, S. 135 bis 194

und auch

  • Josef Buchkremer, Wiederherstellung des Königsstuhl zu Aachen. Bonner Jahrbücher CVI, 1901, S. 123 bis 128.

Ich hatte an dem Abend die Originalfotodokumentation von 1899 und 1938 und alle Veröffentlichungen dabei, für jeden einsichtig. Der unwissende Leser glaubt also, der Thron sei erst 1936 errichtet worden nach einem rekonstruierten Zustand von 936. Für den Außenstehenden nicht einsehbar hat Illig also geschickt dem armen Dombaumeister Buchkremer unterschoben, er habe den Thron 1938 in der Form des 10. (!) Jahrhunderts komplett rekonstruiert, obwohl davon überhaupt nichts stimmt. Die Mischung scheinwissenschaftlicher und ungenauer Zitate erweckt nur den Eindruck von Seriosität:

  • das Zitat ist unkorrekt wiedergegeben (Jahreszahl falsch, Bandzahl unkorrekt)
  • Der Sitz ist nicht von 1936, sondern mittelalterlich, lediglich eine Stufe ist 1938 restauriert worden
  • der Zustand "936" ist erst 1976 durch Hugot in die Welt gekommen, also 35 Jahre nach Buchkremers Veröffentlichung
  • Buchkremer war (zu recht) überzeugt, der Thron sei karolingisch, nicht ottonisch ( Illigs lustiger "Ottothron")
  • Die Zeichnung war zur Zeit ihrer Entstehung eine Rekonstruktionszeichnung und nicht real existent
  • Die Bildunterschrift manipuliert so den tatsächlichen Sachverhalt entscheidend (Geschichtsfälschung)

Das ist bedauerlicherweise ein leicht überprüfbares Einzelbeispiel aus Illigs Werk.

Herr Illig mußte daraufhin öffentlich einräumen, da wäre wohl ein Fehler passiert, den man ja bei einer späteren Auflage korrigieren könne. Man darf gespannt sein.

Ich kann Herrn Illig nicht zustimmen, wenn er sagt, "Argumente interessierten Schütte an diesem Abend nicht", die hätten mich schon interessiert, aber es gab keine Gegenargumente seinerseits gegen meine Äußerungen zu seinem Throntext. Die Fehler waren zu offenbar und zu nachvollziehbar. Herr Illig war auf dem Rückzug, denn im Gegensatz zu sonstigen Veranstaltungen, waren alle Dokumente, Fotos etc. den Teilnehmern zur Verfügung und sichtbar, so daß Behauptungen nicht unüberprüft in den Raum gestellt werden konnten.

Der weitere Verlauf des Abends scheint Herrn Illig irgendwie beim weiteren Schreiben seines Textes entglitten zu sein. Ich war entweder auf einer anderen Veranstaltung als er, oder es stimmt wieder mal etwas nicht, was natürlich nur die damals Anwesenden wissen können und nicht die Internetnutzer ohne diese Kontrollmöglichkeit:

Herr Illig behauptete in seinem Vortrag, die Kuppel sei "massiv" gebaut, nicht, wie er schreibt, aus "Stein" (woraus sonst? Knetgummi?). Er erwähnte auf meine Entgegnung, man könne z.Z. nichts über den inneren Aufbau der Kuppel sagen, an dem Abend nach allen Ohrenzeugen weder die Untersuchung Haupts 1913 noch den Oolith - da muß ihm wohl eine nachträgliche Lesefrucht in den Ablauf gerutscht sein. Hier hat er eine Frage beantwortet, die gar nicht gestellt war. Die Kuppel sei hingegen, so führte er aus, "ohne Vorbild" - nun ja - ist sie nicht, wie die neueste Radar-Untersuchung (nach Illigs Vortrag) gezeigt hat, sondern sie besitzt aufzeigbare antike Vorbilder. Aber warum wollen wir das alles so genau wissen?

Ich habe mit keinem Wort gesagt, Bretter und Steinteile seien "erwiesenermaßen karlszeitlich", das entspringt seiner Phantasie. Sie sind allerdings aller Wahrscheinlichkeit nach tatsächlich karolingisch.

Vollends gerät nun die Schilderung des Abends durcheinander mit meinen Aufsätzen im Aachener Krönungs-Katalog (das belegt die Seitenangabe und das Zitat am Ende):

  • Sven Schütte, Der Aachener Thron. Katalog: Krönungen - Könige in Aachen.- Geschichte und Mythos, Aachen 2000 S. 213-222, und ders., Überlegungen zu den architektonischen Vorbildern der Pfalzen Ingelheim und Aachen. Katalog: Krönungen - Könige in Aachen.- Geschichte und Mythos, Aachen 2000 S. 203-211.

Über den Bodenbelag des Durchgangs für Pilger habe ich mich überhaupt nicht in dem Aufsatz geäußert, denn die Stelle war im Befund nicht erhalten. Sie ist heute mit sekundär verlegten Originalplatten gepflastert und war sehr wahrscheinlich durch die Pilger abgenutzt. Darum geht es nicht, es geht um den Boden unter der Treppe und den Plinthen und dieser ist unbenutzt und karolingisch, was schon Buchkremer 1899 feststellte (sic!).

Was die Datierung anbetrifft, nun ja, Herr Illig wird sich etwas gedulden müssen, den ich brauche hierfür eben Zeit für mein Buch, wenn es nicht so unexakt werden soll wie Herrn Illigs Zitate (vorauss. Ende 2000 / Anfang 2001).

Es ist zwecklos, hier die große Dendrodebatte zu führen, denn das ist dort sinnlos, wo nur noch der Glaube und nicht Wissen der Gegner der Methode dominieren. Gegen überzeugten Glauben gibt es keine Argumente des Verstandes, also lassen wir die Zeitsprüngler in ihrem Glauben, die Epoche scheint solche Mythen zu brauchen.

Doch noch etwas zum Kölner Abend:

Herr Illig verstieg sich dann noch zu der Äußerung, im Paderborner Katalog wäre aus der dortigen Pfalz "keine einzige" karolingische Scherbe publiziert. Dann kann er wohl den Katalog nicht gelesen haben, denn dort ist sehr wohl karolingische Keramik vorgelegt:

  • Stiegemann, Christoph, und Wemhoff, Matthias, 799 - Kunst und Kultur der Karolingerzeit. Karl der Große und Papst Leo III. in Paderborn. Ausstellungskatalog 23.Juli-1. Nov. 1999. 3 Bde. Dort genau: Bd. III, Beitrag von Anja Grothe, Zur karolingischen Keramik der Pfalz Paderborn, S. 207-211 (mit Abb.) und Katalog Bd. I, Katalognrn. III, 34-III, 60 (pro Katalogeintrag stets mehrere Stücke der Pfalz Paderborn mit auswärtigen Parallelen).

Die Äußerung ist aber charakteristisch; eine Behauptung wird einfach aufgestellt, und es bereitet Arbeit, das Zitat aufzusuchen und zu falsifizieren. Das gläubige Volk staunt und interessiert sich gar nicht dafür, daß die Äußerung schlicht falsch ist.

Was die Landesausstellung in Köln betrifft, bei der "ein Ausstellungsmacher" (Wer bitte?) befunden habe, daß "fränkisch-merowingische Siedlungsfunde und -befunde des 5. bis 8. Jhs. äußerst selten" seien, so ist dieser (fiktive?) "Ausstellungsmacher" offenbar mit der Archäologie Kölns nicht vertraut und von profunder Unkenntnis geschlagen. Die Aussage stimmt für Köln schlichtweg nicht (das sage ich als Ausgräber diverser Fundstellen in Köln). Schon Walter Lung hat 1956 Kartierungen karolingischer Keramik in Köln (damals schon 57 Fundstellen allein im Kernbereich der Stadt Köln!) im Kölner Jahrbuch für Ur- und Frühgeschichte, Bd.2, S. 54-70, vorgelegt. Weitere Vorlagen von Material und Literaturhinweise finden sich u.a. in:

  • Maureen Carroll Spillecke, Das römische Militärlager Divitia in Köln-Deutz, Kölner Jahrbuch für Ur- und Frühgeschichte Bd.26,1993 S. 321-444, bes. S. 364 ff.
  • Mar. Gechter, J. Giesler, S. Schütte, V. Zedelius, Beiträge zur mittelalterlichen Baugeschichte des Kölner Albansviertels. Berichte zur Haus- und Bauforschung Bd. 5, 1998,), dann in Mar. Gechter, S. Schütte, Zwischen St.Alban und Judenviertel in Köln. Rheinische Heimatpflege Bd. 35,1998 und in Mar. Gechter, S. Schütte, Ursprung und Voraussetzung des Mittelalterlichen Rathauses und seiner Umgebung. Stadtspuren Bd. 22, 1999, S. 69-195 mit weiterer Literatur im Keramikteil.
  • N. Aten et.al., Ausgrabungen auf dem Heumarkt in Köln. Kölner Jahrbuch, Bd. 31, S. 481-596.

Wie peinlich.

Man kann sicher ein Publikum ohne tiefere Fachkenntnis mit Mengen von Zitaten überkübeln, die dann meist doch nicht überprüft werden. Was dann die "Scheingenauigkeit", die Herr Illig geißelt, betrifft, so sollte er besser schweigen. Das Goethe-Zitat spricht für sich selbst. Es ist schon unverfroren, einen Diskussionsabend, der damit endete, daß die Museumsdirektorin Frau Dr. Anna am Ende öffentlich bedauerte, daß man Herrn Illig überhaupt eingeladen habe, weil er derart unseriös arbeite, so umfrisieren kann, daß aus jeder Niederlage noch ein Sieg wird. Damit erübrigen sich alle Diskussionsforen und Gegenargumente vollkommen.

Wie sagte sinngemäß Herr Illig an dem denkwürdigen Abend: Ein Massenmörder ("Sachsenschlächter") kann nicht das Vorbild Europas sein, schon deswegen kann er nicht existiert haben. Das muß dann ja wohl richtig sein, oder? Illig ist ein klassisches Beispiel, wie man griffige Superthesen geradezu perfekt vermarktet. Vorneweg wird locker erst einmal alles mögliche behauptet, was sowieso keiner der Käufer überprüft. Das ganze wird mit Zitaten und langen Literaturlisten angestrichen und verbrämt. Die Wissenschaftler, die dagegen sind, werden pauschal als unfähig diskreditiert mit neuen, für den Außenstehenden nicht oder schwer überprüfbaren Behauptungen. Die mühsame Arbeit, den Krempel Punkt für Punkt zu widerlegen, ist für die Wissenschaft verschwendete Zeit und damit meist keine Gefahr für Illig. Allein das Beispiel Thron zeigt aber die schlampige und verfälschende Arbeitsweise genug auf. Entweder ist der Mann von seiner These wirklich überzeugt, dann muß man ihm attestieren, nicht sauber zu arbeiten. Oder er weiß selbst, daß das alles Unfug ist, und er ist ein cleverer Vermarkter. Ich will das dahingestellt sein lassen. Inzwischen liegt publiziert und im Internet soviel seriöses Material zur Entkräftung von Illigs Thesen vor, daß man m.E. die Diskussion abbrechen und das Ganze mit Ignoranz strafen sollte.

SVEN SCHÜTTE, Köln

zu Chladek im Netzzur EinleitungDer reale KarlDie WissenschaftEditorial BoockmannRezension SchiefferIlligs ZitierweiseIllig-Vortrag in KölnBrief von Sven SchütteKarolingische Fundezu Seibers Tischler (Einhard)Sehnsucht nach KarlHerzinger über IlligZurueck zu Chladek

Karlsthron (klein)

Der Karlsthron in Aachen
(Tulane University, New Orleans).


Zum Bericht Heinen über die Veranstaltung am 12.4.2000 in Köln


Hier folgen noch zwei Verweise zu Sven Schütte:

(auf den einzelnen Seiten muss unter Umständen nach "Schütte" gesucht werden)


Zum Anfang der Karolinger-Seiten

Zu "Chladek im Netz"


 

Erstellt am 12.10.2000.

Geändert am 20.2.2010.

Copyright © 2000–2010, Sven Schütte

Kontakt zu Tilmann Chladek

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