Unternehmen Zweite Natur

Multis, Macht und moderne Biotechnologien

Hg: Ute Sprenger, Jürgen Knirsch, Kerstin Lanje
Ökozid 12, Focus Verlag 1996, 220 Seiten, DM 29,80
Bestelladresse: Focus Verlag, Postfach 11 03 28, 35348 Gießen
Tel: 0641-76031

Kritiken


Einleitung
Wider die Euphorie im biotechnischen Eldorado

Es herrscht Goldgräberstimmung in der Branche. Ob in Japan, in Europa oder in Nordamerika, die "Biotech-Revolution" verspricht ihren Konzernen Gewinne in Milliardenhöhe. Zwar erwies sich die erste transgene Nutzpflanze, die Anfang 1995 mit großem Tamtam auf den Markt kam - die angebliche Anti-Matsch-Tomate Flavr Savr der US-Firma Calgene - als Fiasko: Kaum ein Jahr später mußte Calgene die Produktion drastisch einschränken, denn die neuartigen Gemüsefrüchte brachten nicht nur eine enttäuschende Ernte, sie waren sogar druckempfindlicher und krankheitsanfälliger als herkömmliche Sorten.

Aber das mindert offensichtlich nicht die Euphorie im biotechnischen Eldorado. Inzwischen ist Calgene den Weg vieler mittlerer Unternehmen dieses Industriezweiges gegangenen und hat sich mit einem großen Agrokonzern, in diesem Fall dem Marktführer Monsanto, zusammengetan. Was zuvor schon der Pharma-Sektor vormachte, das Zusammenwachsen von Biotech-Firmen und Pharmaindustrie, wird mittlerweile von Saatgut- und agrochemischen Unternehmen nachvollzogen: Die Konzentration und damit die marktbeherrschende Rolle einiger weniger Konzerne in diesem Sektor nimmt durch strategische Allianzen und Aufkäufe rasch zu. So versuchen multinationale Konzerne, ganze Zweige der Biowissenschaften unternehmerischem Profitstreben zu Diensten zu machen, aber auch Einfluß auf gesellschaftliche Entwicklungsperspektiven zu nehmen.

Im Zeitalter der modernen Biotechnologien, das etwa 1977 mit der ersten künstlichen Rekombination von Genen heraufdämmerte, sind Patente schließlich die zentralen Instrumente zur Sicherung von Besitz und Kontrolle der einmal eroberten Domänen im globalen Warensortiment. Die biologische Vielfalt wandelte sich im Laufe dieser vergangenen zwei Jahrzehnte zu einem strategischen Rohstoff für das Big Business von Pharmakonzernen, Pestizidfirmen und Saatgutindustrie.
Wie dabei in den Ländern des Südens (1) die Entwertung und Enteignung bäuerlichen Wissens und des Saatgutes als bäuerlichem Produktionsmittel mit dem Einsatz der modernen Biotechnologien und der Interessenpolitik multinationaler Konzerne einhergehen, beschreibt S.M. Mohamed Idris, Koordinator des Third World Network:

"Die Konzerne verändern in ihren Laboren das Saatgut ein wenig mit Hilfe der Biotechnologie. Das Gen, das sie zuvor von einer guten Pflanzensorte genommen haben, die über Generationen von Bauern und Bäuerinnen entwickelt wurde, wird in ein anderes Saatgut übertragen, und wie durch ein Wunder gehört das Saatgut mit dem guten Gen nun dem Konzern. Die Regierungen des Nordens wollen, daß die Länder der Dritten Welt die 'geistigen Eigentumsrechte' der Saatgutfirmen durch die Patentierung oder andere Formen der Schutzrechte anerkennen. Die Sache ist völlig abwegig. Sie ist die Basis für eine neue Art genetischen Kolonialismus, der schlimmer sein wird, als der altbekannte Kolonialismus. Durch einen Doppelstandard in der Sprache wird das weitreichende Wissen der Bauern in der Dritten Welt über Saatgut und nachhaltige Landwirtschaft abgetan als 'Folklore' oder 'natürlich vorkommend', die Manipulation durch die Konzerne dagegen wird gepriesen als 'wissenschaftliche Erfindung' und mit einem Patent belohnt. Der Bauer, der zuvor das Saatgut entwickelt und genutzt hat, ist nun gezwungen, es zurückzukaufen. Es ist an der Zeit, die Sprache zu verändern, mit der sie uns dominieren. Die Grüne Revolution ist nicht grün, sondern umweltzerstörend. Die neuen Biotechnologien sind kein Rettung, sondern das Programm für eine größere ökologische Katastrophe und ökonomisch verheerend für den Lebensunterhalt der Bauern und Bäuerinnen in der Dritten Welt und für unsere Nahrungsversorgung. Die Konzerne 'erfinden' das neue Saatgut nicht etwa. Sie haben es von den Bauern und Bäuerinnen in der Dritten Welt gestohlen. Sie haben keine 'geistigen Eigentumsrechte' geschaffen, sondern begehen 'geistige Piraterie'."

Mit der Arbeit an vorliegendem Band wollten wir, als HerausgeberInnen-Kollektiv genauer auskundschaften, welche sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Auswirkungen die modernen Biotechnologien für die Menschen in Ländern des Südens haben (werden).

Im Vordergrund der Beiträge steht der Bereich der Landwirtschaft. Hier sind tiefgreifende Veränderungen zu erwarten. Die modernen Biotechnologien - "Lebenstechnologien", wie sie auch in dem einleitenden Beitrag "Zweite Natur und Dritte Welt" genannt werden - definieren Lebewesen, wie Mikroorganismen, Pflanzen und Tiere um zu nachwachsenden Rohstoffen und Biofabriken, die der industriellen Massenproduktion unterworfen keine andere Existenzberechtigung mehr haben sollen, als den Verwertungszweck. Nützlichkeitserwägungen, als Ausgangsspunkte der Biowissenschaften und dazugehöriger Technologien reorganisieren aber auch die Verbindung zwischen Landwirtschaft und Medizin. Das beweisen unter anderem transgene Pflanzen und Tiere, die der Pharmaindustrie billig und massenhaft - kosteneffizient, wie es heißt - menschliche Proteine oder gar Gewebe liefern sollen. Überdies werden biotechnologische Verfahren, die auf den Menschen abzielen vielfach nicht nur in der Humanmedizin, sondern auch in der Veterinärmedizin eingesetzt. Die Impfmethoden gegen Fruchtbarkeit etwa, die derzeit für Frauen und Männer erforscht werden, erproben südafrikanische Veterinäre ebenfalls zur Bevölkerungskontrolle von Elefanten. Und in der Viehhaltung sollen ähnliche Ansätze der Hormonblockade vielleicht einmal die bislang übliche Kastration männlicher und weiblicher Schweine ersetzen. Deshalb - und weil der Blick der KritikerInnen hier gewöhnlich geteilt ist, also jene, die sich mit dem Agrarsektor befassen kaum die Diskussion im Gesundheitssektor kennen und umgekehrt - wird auf Neuentwicklungen in zwei medizinischen Bereichen, der Verhütungsforschung und der Transplantationsmedizin, ausdrücklich eingegangen.

Anhaltspunkte dafür, in welchem politischen und ideologischen Rahmen die makroökonomischen Veränderungen einzuschätzen sind, die dieser neue Bio-Industriezweig für die Länder des Südens aber auch weltweit herbeiführt, sind in Kapitel I. zufinden. Hier wird überdies der Frage nachgegangen, was heute unter dem Etikett "Biotechnologie und Entwicklung" vermarktet wird und inwieweit der Rhetorik der Biotech-Lobby geglaubt werden kann, die beteuert mit Hilfe ihrer "Revolution" den Hunger in der Welt bekämpfen zu wollen.

Um die Akteure der modernen Biotechnologien und den politisch-wirtschaftlichen Komplex, in dem sie eingebunden sind, geht es in Kapitel II. Die Konzernstrategien deutscher Chemiefirmen werden durchleuchtet und dabei der Frage nachgegangen, welche Rolle die Dritte Welt bei deren Gentechnikengagement spielt. Die Aktivitäten außerhalb des privaten Sektors werden am Beispiel einer international tätigen Organisation analysiert, die den Transfer von Biotechnologien zwischen Nord und Süd leisten will. Weitere Beiträge widmen sich der industriellen Suche nach verwertbaren genetischen Ressourcen - einer Suche, die unter dem Titel Bio-Prospektierung läuft, die viele im Süden aber als Ressourcenkonflikt und Bio-Piraterie erfahren. Daß die Interessen jener Konzerne, die die Gentechnik forcieren auch an internationalen Verhandlungstischen bedeutend sind, wo über weltweite Regelungen zur biologischen Sicherheit und zur Ausweitung des Patentrechts entschieden wird, belegen die abschließenden Beiträge dieses Kapitels.

In Kapitel III. schließlich kommen wir zur Technik selbst und ihren Einsatzfeldern. Die Region Lateinamerika und Karibik ist das Testgelände des Nordens. Weil hier die multinationalen Konzerne besonders rührig sind, wird ausführlicher auf deren Aktivitäten und bekanntgewordene Freilandexperimente mit genmanipulierten Organismen (GMOs) eingegangen. Eigenständige Regelungen über den Umgang mit GMOs fehlen in vielen jener Staaten, weshalb US-amerikanische Behörden- und WirtschaftsvertreterInnen gerne die eigene Gesetzgebung zum Vorbild empfehlen. Ein Beitrag erhellt, wie tonangebend die Wirtschaftsinteressen des Pionierlandes der modernen Biotechnologien in den weltweiten Bemühungen um die Deregulierung dieses Industriezweiges sind. Anhand zweier Länderbeispiele - Südafrika und Brasilien - endlich wird deutlich, daß im Süden durchaus anders an die Gentechnikdebatte herangegangen wird als hierzulande. Anschließend beleuchten eine Reihe von AutorInnen entlang der Produktlinien Pflanzen und Tiere, wie biotechnologische Veränderungen in verschiedene Produktionsbereiche des Exportanbaus oder der Selbstversorgung eingreifen werden. Zwei weitere Beiträge zeigen, daß die Zugriffspläne und Verwertungsinteressen der modernen Biowissenschaften und -technologien auch vor dem menschlichen Körper nicht halt machen.

Die Diskussion innerhalb der KritikerInnen hat inzwischen eine beachtliche Bandbreite. Sie bewegt sich zwischen dem, was wir als technokratisches Minimalkonzept bezeichnen würden - und wofür auch der Begriff des Risikomanagements steht - und einem Maximalkonzept, das zur vorbehaltlosen Ablehnung der Gentechnologie aus ethischen, religiösen und politischen Gründen führt. Das letzte Kapitel diese Bandes gibt Einblicke in die Kontroverse unter KritikerInnen, die - vor allem hierzulande - in den 90er Jahren aufbrach über die Frage, ob und in welchen Bereichen ein bißchen Gentechnik vielleicht akzeptiert werden könnte. Da diese Kontroverse zum Teil unter dem Banner der Nachhaltigkeit geführt wird, sollen zwei kurze Beiträge, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit dem Begriff der Nachhaltigkeit auseinandersetzen, zur weiteren Diskussion anregen. Vom Widerstand indigener Völker gegen ein Projekt, daß im Rahmen der weltweiten Sequenzierung des menschlichen Genoms besonders auf deren Erbanlagen aus ist, berichten die letzten Beiträge des diesjährigen Jahrbuchs. Hier, wie auch in dem Beitrag über die Transplantationsmedizin, wird das Ungeheuerliche in Teilen der modernen Biotechnologien greifbar, vor dem der Philosoph Günther Anders bereits in den 70er und 80er Jahren und auch in seinem Werk Die Antiquiertheit des Menschen warnte - der "postzivilisatorische Kannibalismus": die Begehrlichkeiten eines wissenschaftlichen Utilitarismus', gepaart mit einem schrankenlosen industriellen Verwertungsdrang degradieren selbst den Menschen zum Rohstoff. Als Grunddefekt unseres Zeitalters analysierte Anders, daß wir mit den von Menschen geschaffenen Techniken mehr herstellen können, als wir uns vorstellen und verantworten können.

Der vorliegende Band kann lediglich einen Einblick darin gegeben, wie umfassend die "Biotech-Revolution" in das Leben und Zusammenleben der Menschen in den Ländern des Südens interveniert. Denn schließlich wirken diese Querschnitt-Technologien in sämtliche Bereiche des Lebens hinein, von der Medizin bis zur Kriminalistik und Umwelttechnik. Die im Laufe der vergangenen Jahre erschienenen kritischen Veröffentlichungen zu anderen Teilbereichen füllen bereits Regale. Dennoch hoffen wir, im Sinne von Günther Anders "etwas sichtbar machen" zu können. Und um nun tatsächlich nicht nur zur Diskussion, sondern auch zur Aktion anzuregen, werden zuguterletzt beispielhaft einige Organisationen und KritikerInnen vorgestellt, die nach wie vor wider den Stachel löcken.

Ute Sprenger, Jürgen Knirsch, Kerstin Lanje

Anmerkung
1 Die Länder des geographischen Südens sind keineswegs eine homogene Gruppe, was deren sozioökonomische Struktur oder Kultur und Politik angeht (vgl. auch M. Flitner in diesem Band). Ebensowenig gibt es nach vier Jahrzehnten "Entwicklungspolitik" heute einen stimmigen Begriff, der auf alle Länder gleichermaßen zutreffend wäre, ob Dritte Welt, Entwicklungsländer, Länder des Südens, Trikont... . Wir haben uns dafür entschieden, in vorliegendem Band jene Vielfalt der politischen Begriffe stehen zu lassen, die von den verschiedenen Autorinnen und Autoren in ihren jeweiligen Beiträgen verwendet werden.

Abdruck (auch auszugsweise), Vervielfältigung, Zitat nur in Absprache mit den AutorInnen.


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