Eine Kluft tut sich auf im Cyberspace. Es ist eine Informationslücke zwischen arm und reich, zwischen Privilegierten und jenen, die keinen Zugang haben zu den technischen und finanziellen Mitteln, die die Nutzung der neuen Informationstechnologien voraussetzt. Mit der Offensive von Weltbank und den G7 Staaten zu einer privat finanzierten "Informations-Revolution" mit teuren Hochgeschwindigkeitsverbindungen zwischen den drei Wirtschaftsregionen Nordamerika, Japan und Europa wird sich womöglich der Charakter von Informationen und Bildung gewaltig verändern. Die Umwandlung von Informationen von einem Hilfsmittel zum Verstehen der Welt hin zu einem Handelsgut, das sich nur noch jene leisten können, die das Geld und die Macht dazu haben, kann die Gesellschaften tief spalten - in einerseits Besitzende von Wissen und in eine marginalisierte Klasse von Habenichtsen. Das gilt zwar in Nord wie Süd gleichermassen, wird aber in armen Ländern und Regionen ungleich deutlicher sichtbar, als in der hochindustrialisierten Welt.
Als die Vertreter der bedeutendsten Industrienationen Anfang 1995 bei einem Treffen in Brüssel zur Gestaltung der Informationsgesellschaft aufriefen, wurde ihr Enthusiasmus von einer skeptischen Stimme aus dem Süden gedämpft. Thabo Mbeki, Vizepräsident des neuen Südafrika klärte die G7-Konferenz darüber auf, dass mehr als die Hälfte der Menschheit noch nie telefoniert hat. Schlusslicht bei der Anbindung der Weltregionen an die schnell expandierenden elektronischen Medien bildet der afrikanische Kontinent."In Manhattan", sagte Mbeki, "gibt es mehr Telefonleitungen als in Afrika südlich der Sahara". Und auch in Südafrika selbst gibt es deutliche Unterschiede zwischen entwickelten und unterentwickelten Gesellschaftensschichten: Während in Durban beispielsweise weisse Haushalte zu 75 Prozent mit Telefonen versorgt sind, haben nur zwei Prozent der schwarzen Haushalte einen Anschluss. Der Zutritt zur Informationsgesellschaft, so Mbeki, sollte nicht für die Mitglieder der G7 und andere Industrieländer reserviert werden. Der gelernte Ökonom, den Präsident Mandela mittlerweile zu seinem Nachfolger erkoren hat, schlug deshalb vor, "einen breiten Querschnitt von Industrie- und Entwicklungsländern in die Debatte einzubeziehen."
Kaum fünfzehn Monaten später stellte Mbeki nun zufrieden fest: "Manche Wünsche werden wahr!" In Midrand bei Johannesburg konnte er Mitte Mai die Konferenz "Informationsgesellschaft und Entwicklung (ISAD)" eröffnen, ein Treffen das bereits jetzt als historisch gilt. Für drei Tage kamen RepräsentantInnen der G7, der EU und aus 18 multilateralen Organisationen - von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) bis zur Weltkulturorganisation (UNESCO), der Weltbank und der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) - mit Delegationen aus etwa 30 Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas zusammen. Diskutiert wurden Strategien, Finanzierungsmodelle und die mögliche internationale Zusammenarbeit für die Verwirklichung der Globalen
Informationsgesellschaft, abgekürzt GIS.
Hinter dem Schlagwort verbirgt sich ein Gemisch wirtschaftlicher Interessen, Entwicklungsforderungen und technischer Phantasien. Vorrangiges Ziel der Konferenz war die rasche Anbindung vor allem Afrikas an die Datennetzte. Knapp die Hälfte der 54 Länder des Kontinents nämlich zählt nicht zu den Least Developed Countries, was ihnen nach Ansicht vieler Wirtschaftsstrategen eine Chance beim Ausbau der Informationstechnologien verschafft. Die werden, - wie schon andere technologische Neuerungen zuvor - als neue Wunderwaffe im globalen Kampf um soziale und wirtschaftliche Entwicklung besungen.
Neben der Ministerkonferenz debattierten die Teilnehmer der ISAD über Bildungsbedürfnisse, Infrastrukturmassnahmen und Nutzungsmöglichkeiten der Technologien im Süden. Hier nahm neben Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen teil, was in der Kommunikationsindustrie Rang und Namen hat: von Microsoft, Olivetti, AT&T und SEGA bis hin zu Siemens und der Deutschen Telekom, deren Chef Ron Sommer das Entree in Südafrika durch Postminister Bötsch erhielt.
Während AL Gore via Satellitenbildschirm das US- und Weltbank-Mantra "Liberalisierung und Deregulierung" verkündete, drängte Jaques Santer, Präsident der EU-Kommission, etwas weniger aggressiv auf eine "öffentlich-private Partnerschaft für das nächste Jahrtausend." Santer kündigte zudem eine 11 Millionen ECU-Initiative zur Sammlung und Verbreitung elektronischer Daten über den Handel in Afrika an.
In Brüssel und Bonn ist man zufrieden mit dem Ergebnis der ISAD-Konferenz. Die Prinzipien der G7 - ein freier Weltmarkt und der Abbau von Regulierungen für Unternehmen - wurden in Midrand im wesentlichen akzeptiert, heisst es im Bonner Wirtschaftsministerium. Ob die Länder des Südens jedoch tatsächlich der Forderung des deutschen Wirtschaftministers Rexrodt folgen sollten, ist eher zweifelhaft. Nelson Mandela hatte in Anlehnung an das derzeitige südafrikanische Aufbau- und Entwicklungsprogramm RDP erklärt, dass der Zugang zu Information und Kommunikaton Aufgabe des Staates und ein Menschenrecht sei. Für Rexrodt ist das vor allem eines: "Anspruchsdenken". "Ich bin ganz offen", so der Deutsche, "die enormen Investitionen, die für die Informations Infrastruktur benötigt werden, können nicht von Regierungen finanziert werden. Andernfalls müssten die Steuern steigen oder Regierungen sich weiter verschulden. Der Schlüssel ist privates Investment."
Sehr zum Ärger der Gewerkschaften denkt auch Südafrikas Regierung zunehmend über die Teilprivatisierung nach, um die Wirtschaft des Landes aufzumöbeln. Betroffen sind staatliche Fluglinien und die Telefongesellschaft. Kommunikationsminister Jay Naidoo sucht nach potenten Käufern für einen Anteil von etwa 25 Prozent an der Telkom - weshalb die gesamte Telekom-Branche Nordamerikas und Europas Schlange beim ihm steht. Schliesslich gilt Südafrika mit seiner relativ entwickelten Infrastruktur - eigener Anbindung ans Internet, zahlreichen Servern, die vor allem private Unternehmen, die stä;dtische Mittelklasse und NGOs versorgen und einem beachtlichen Markt für digitale Mobiltelefone - nicht nur als attraktiver Markt, sondern auch als Brückenkopf bei der Erschliessung des Kontinents.
Doch nicht alle in Afrika mögen in das Hohelied vom Markt, der alles regeln wird, einstimmen. "Wem dient es, wenn wir uns für dieses Marktexperiment öffnen, ohne eigene Software und Anwendungen zu entwickeln?", fragt etwa Edwin Blake vom Nationalen
Informationstechnologie Forum Südafrikas. Der Gewerkschaftsdachverband COSATU klagt soziale und Entwicklungsbedürfnisse des Landes gegen einen drohenden "Techno-Imperialismus" ein. Und die senegalesische Computerwissenschaftlerin Edem Fianyo warnt:
"Die Anbindung an das Netz ist nicht so sehr ein technisches Problem. Eine der Gefahren im Internet ist, dass die Informationen aus dem Norden kommen. Wenn der Highway Wirklichkeit wird, ohne dass Afrika darauf vorbereitet ist, wird der Verkehr aus einer Einbahnstrasse auf uns zukommen."
Nach dem Ende des kalten Krieges und mit dem Beginn der "Informationsgesellschaft" stehen Südafrika und der gesamte Kontinent mittlerweile unter dem Druck, in den Wettbewerb mit dem Rest der Welt einzusteigen. Vor allem von den Ländern südlich der Sahara erwarten Weltbank und G7 inzwischen, dass sie per "leapfrog" - mit einem Bocksprung - über die Industriegesellschaft hinweg im Informationszeitalter landen. Der Run auf den Kontinent hat begonnen. Die EU - und hier neben Deutschland vor allem die alten Kolonialmächte Frankreich und Grossbritannien - will Länder, die das entsprechende Wirtschaftspotential aufweisen in den Weltmarkt integrieren. Zu den ersten Kandidaten zählt Südafrika. Auch in den USA gilt Südafrika als einer der zehn "grossen aufstrebenden Märkte". Daneben werden in Ländern wie etwa Ghana, das mit der Privatisierung seiner Energie-, Kommunikations- und Minensektoren begonnen hat, zukünftige Massenmärkte für US-Produkte und Dienstleistungen erwartet.
Tatsächlich kommt die plötzliche Eile bei der Erschliessung afrikanischer Telekommunikationsmärkte nicht von ungefähr: Ihr derzeitiges Volumen wird auf 1,5 Milliarden US-Dollar jährlich geschätzt. In den kommenden Jahren sollen sie auf 10 bis 12
Milliarden wachsen. Die Weltbank stellt die Technologien sogar in den Dienst für "Gleichheit und Armutsreduzierung". In einem unlängst verfassten Strategiepapier heisst es: "Die Informations Revolution bietet Afrika dramatische Möglichkeiten für einen Sprung in die Zukunft und für den Ausbruch aus Jahrzehnten der Stagnation und des Abstiegs. Afrika muss diese Gelegenheit rasch ergreifen. Wenn afrikanische Länder nicht in der Lage sind, die Vorteile der Informationsrevolution und des Surfens auf dieser grossen Welle technologischen Wandels zu nutzen, können sie von ihr zerschmettert werden."
Bis zum Jahr 2000, so die derzeitige Planung, soll Afrika am Internet sein. Zwei Grossprojekte lassen diese Perpektive durchaus realistisch erscheinen: Einen Satelliten zur Versorgung des gesamten Kontinents mit Sprache, Bild und Text will RASCOM, die 1993 gegründete Regionale Afrikanische Satelliten Kommunikationsorganisation über dem Himmel Afrikas stationieren. Im vergangenen Jahr wurde mit Intelsat, dem grössten kommerziellen Anbieter von Satellitendiensten, ein Vertrag über den Kauf von Kapazitäten abgeschlossen. Im März 1998 soll Intelsat 805 im Orbit auf dem 33. Längengrad, etwa über dem Viktoriasee, in Betrieb gehen. Die Station kann die gesamte afrikanische Landmasse und den indischen Subkontinent versorgen.
Ein weiteres Projekt wollen PATU, der panafrikanischen Organisation für Telekommunikation, RASCOM und das US-Unternehmen AT&T schon im kommenden Jahr in Angriff nehmen: "Africa ONE", ein rund um den Kontinent unter Wasser verlegtes Glasfaserkabel, soll 32 Küstenländern ab 1999 Zugang zum Superhighway erschliessen. Die 39.000 Kilometer Kabel wird AT&T in Kooperation mit der französischen Alcatel verlegen. Afrikanische Binnenländer sollen dann später über Satelliten, Mikrowellen und landverlegte Glasfaserkabel versorgt werden. Bezahlen sollen das bisher auf 2 Milliarden US-Dollar geschätzten Projekt afrikanische Staaten, unterstützt von multilateralen Institutionen, privaten Investoren und internationalen Anbietern von Telekommunikationsdiensten. Africa ONE wird auch Italien, Spanien, Portugal und Saudi Arabien ans Netz bringen.
Doch wie hart oder weich die Länder, die nun zum grossen Sprung ansetzten am Ende landen werden, ist ungewiss. Ebenso ungewiss ist, wer bei der Auffahrt auf den Superhighway dabeisein wird. Skeptisch bleibt David Lush vom Medieninstitut für das
südliche Afrika (MISA) in Namibia. Zwar nutzt MISA den Cyberspace gegen die "Informationsleere" im südlichen Afrika, wie Lush sagt. Aber er weiss: "Hier gibt es immer noch haufenweise Medien ohne Computer, Journalisten setzen eher auf ihre Füsse, als auf das Telefon - noch weniger auf das Internet - um ihre Geschichten zu finden. Eher als kleinen Medienagenturen mehr Macht und Möglichkeiten zu verschaffen, könnte das Internet deshalb eine Medienelite schaffen, die ihre weniger vernetzten KollegInnen und Konkurrenten überschwemmt. Zu einer Medienvielfalt führt das gewiss nicht."
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