Rezensionen
Jugendbuch: „Elefanten sieht man nicht“ von Susan Keller
Slow Food Magazin: Schwerpunkt Saatgut
"Handbuch Samengärtnerei" von Andrea Heistinger
Jugendbuch: „Elefanten sieht man nicht“ von Susan Keller
Was tun, wenn man etwas Schlimmes bemerkt, das alle anderen ringsum zu ignorieren scheinen? Mascha verbringt wie gewöhnlich die Sommerferien
bei den Großeltern in einer kleinen Stadt. Früher hat ihr das immer Spaß gemacht. In diesem Jahr aber langweilt sich die 13-Jährige. Am liebsten
sitzt sie nun hoch oben in der kleinen Holzburg am Spielplatz, im Kopfhörer Leonhard Cohen, die Musik ihres geliebten Vaters, der – alleinerziehend – wenig
Zeit für seine Tochter hat. Ganz altersgemäß beobachtet sie kritisch die Erwachsenen, ihre belanglosen Gespräche über den Gartenzaun, ehrpusselige Mütter am
Spielplatz, das Gardinengewackel in der Siedlung. Alles scheint Ruhe und Sauberkeit zu atmen. Ereignislose Julitage, irgendwo in der deutschen Provinz.
Mascha fühlt sich fremd und nutzlos.
Bis am Spielplatz zwei neue Kinder auftauchen: Die neunjährige Julia, still, schmal und hübsch und ihr kleiner, verfressener Bruder Max, brachial-wild
bis zur Selbstverletzung, mit gewaltigen Rettungsringen über der Hose. Erst im Vorjahr sind sie mit ihren Eltern, den Besitzern des örtlichen
Autohauses, in eines der umliegenden Häuser gezogen. Mascha freundet sich mit dem Mädchen an. Irritiert entdeckt sie bald die blauen und lilabraunen
Flecken am Körper der Kinder. Als die dazu schweigen, beschließt sie der Sache selbst auf den Grund zu gehen. Und nach und nach findet Mascha dann
heraus, dass der Vater in der Familie ein rabiates Regiment führt. Doch in der Vorstadt-Idylle will sich niemand einmischen. Man will keinen Ärger mit
den „netten Leuten“ und hört auch weg, als Mascha um Hilfe bittet. Selbst die Großeltern schweigen.
Entrüstet beschließt Mascha deshalb, den Kindern selbst zu helfen. So wird aus dem Rollenspiel „Weglaufen“, in das die Spielplatzfreunde sich hineinphantasieren,
plötzlich ernst. Fast ungewollt entführt Mascha Julia und Max. Die sitzen nun inmitten von Getreidefeldern vor der Stadt in einem blauen Holzschuppen
fest. Doch die ungebetene Retterin ist rasch überfordert. Und anders als erwartet sind die Kinder ihr nicht etwa dankbar, sondern wollen nichts als
raus aus der heißen Hütte und wieder heim. Als schließlich die Polizei sie nach zwei Tagen findet, wird damit bald auch offenkundig, was in ihrer Familie
eigentlich los ist. Doch was folgt ist kein Happy-End. Denn die Menschen im Ort und in den betroffenen Familien reagieren so widersprüchlich wie im richtigen Leben.
Mit ihrem Roman-Debüt wagt Susan Keller sich an ein hierzulande literarisch nur wenig beachtetes und auch schwieriges Thema – die Gewalt gegenüber
Kindern. Dafür versetzt sie ihre Protagonistin in die problembeladene Zeit an der Schwelle zum Erwachsenwerden. Wie die meisten in dem Alter ist Mascha
auf der Suche nach Identität und Sinn. Die Erwachsenen bieten ihr dabei nur wenig Orientierung. Die Protagonistin gleitet in diesem Sommer in die Pubertät
und gewinnt die Einsicht, dass es auch von ihr abhängt, ob sich etwas verändert. Am Ende ist es den Leser/innen selbst überlassen zu beurteilen, ob Mascha
aus Verantwortung für die Freunde dabei das Richtige getan hat. Ein Jugendbuch mit einem Plot, der Stoff fürs Nachdenken über das eigene Wollen und Werden bietet.
Was allerdings ein wenig irritiert, das ist der Buchtitel „Elefanten sieht man nicht“, der sich bei einem englischen Sprichwort mit kolonialem Kontext
bedient. „There is an elephant in the room“ wird gesagt, wenn eine unangenehme Tatsache offensichtlich ist aber allseits ignoriert wird. Ein Bezug,
der in der deutschen Sprache nicht herstellbar ist.
„Elefanten sieht man nicht“ von Susan Keller, Carlsen Verlag, 2013, 204 Seiten
Ute Sprenger, Berlin, für die Rezensionsseiten von Pinselfisch
Slow Food Magazin: Schwerpunkt Saatgut
Die diesjährige Frühjahrsausgabe des im oekom Verlag erscheinenden Slow Food Magazins widmete ihren Themenschwerpunkt dem Saatgut. Hintergrund
ist die Wahrnehmung, dass bei Tomaten zunehmend F1-Hybride den Markt erobern. In kurzen Beiträgen kommen vor allem AutorInnen aus der
Erhaltungspraxis zu Wort. Das Themenspektrum umfasst den Saatguttausch, die Gefährdung durch gentechnischen Anbau, rechtliche Aspekte der EUPolitik
und auch ganz praktische Fragen dazu, wer eigentlich wo alte Tomaten- und Spitzkohlsorten oder Pastinaken und Kartoffeln anbaut und wo
die geneigte Hausgärtnerin solch vermehrbares Saatgut beziehen kann. Die gut lesbaren Beiträge und Interviews machen das Heft zu einem geeigneten
Geschenk für all jene, denen wir schon immer gern nahebringen möchten, weshalb der Saatgut-Erhalt zu unseren Passionen zählt.
Bedauerlich nur, dass neben Initiativen aus der Schweiz und Österreich allein solche aus dem Süden und dem Westen Deutschlands vorgestellt werden.
Der VERN und sein weites Netzwerk im Nordosten des Landes sowie andere befreundete Initiativen waren offenbar nicht auf dem Schirm der Redaktion. Das
mag ein Wink sein, dass hier über Berlin und Brandenburg hinaus noch ein wenig mehr in die Sichtbarkeit des Netzwerks zu investieren ist.
Slow Food Magazin 2 – 2013: Schwerpunktthema Saatgut
Ute Sprenger, Berlin, für den VERN-Newsletter 06/2013
Subversion im Samenbau
Das "Handbuch Samengärtnerei" von Andrea Heistinger im Löwenzahn Verlag
Gute Gartenhandbücher finden sich zahlreich. Wo aber winkt Abhilfe, wenn ich wissen will, ob Zucchini und Ölkürbis sich einkreuzen oder wie Saatgut
von Nachtschattengewächsen, etwa der Aubergine, der Andenbeere oder der Tomate, gewonnen wird? Seit gut 10.000 Jahren legt der Mensch nun schon
Felder an und widmet sich dem, was gemeinhin als Gartenbau und Landwirtschaft bezeichnet wird. In vielen Ländern des Südens zählen dabei detaillierte
Kenntnisse über die Saaten und ihre Eigenschaften zum kulturellen Erbe - wenn nicht gar zu den Fragen des Überlebens. In hiesigen Breitengraden hingegen
ist das Wissen über den Samenbau eher rar gesät.
In jedem Frühjahr liegen im Handel die bunten Kataloge und Tütchen bereit, die dicke Kürbisse,
aromatische Tomaten oder knallige Balkonpflanzen versprechen, dazu Jungpflanzen mit Erntegarantie. Wer weiß schon, dass viele davon Hybride sind, die
zwar im ersten Jahr gute Resultate bringen, deren Samen diese Eigenschaften aber nicht weiterträgt? Das Angebot täuscht eine Vielfalt vor, die real
nicht mehr vorhanden ist. Denn Samenbau und Sortenzucht wurden im Zuge der Industrialisierung der Landwirtschaft zum geschützten Spezialwissen von
Unternehmen in der Züchtung, darunter zunehmend multinationale Konzerne aus der Agrochemie. Deren in Laboren entwickeltes Saat- und Pflanzgut wird
zumeist in klimatisch günstigen Billiglohnländern für den Weltmarkt vermehrt. Regional oder gar lokal angepasste Sortenvielfalt aber ist unter Gesichtspunkten
größtmöglicher Wertschöpfung kaum lukrativ.
Vor diesem Hintergrund haftet dem Handbuch der Gemüse-Samengärtnerei durchaus ein Hauch Umstürzlerisches an.
Dessen Mottos nämlich lauten „freier Austausch von Saatgut” und „Züchtung zurück in die Gärten und auf die Felder”. Auf einen kurzen Hintergrund zur
Bedeutung der Kulturpflanzenvielfalt und ein kleines „Einmaleins des Gemüse-Samenbaus” mit wertvollen Tipps aus der Praxis folgen umfassende Portraits
von wichtigen Kulturarten - von Baldrian- bis Zwiebelgewächsen - samt deren botanischer Zuordnung und Bestäubungsbiologie, Methoden des Anbaus, der Ernte,
Trocknung, Aufbereitung, Reinigung von Saatgut und der Saatgutlagerung. Ein eigenes Kapitel widmet sich den Süßgräsern und Getreiden. Mit einer Fülle
praktischer Informationen, mit schönen Fotos und gelungenen Grafiken, bekommen EinsteigerInnen wie Profis hier also das Handwerkszeug für die Saatgutgewinnung
und Vermehrung ihrer Lieblingssorten. Wem F1-Hybride und Gemüsesaaten aus dem Baumarkt genügen, wird mit diesem Handbuch wohl kaum etwas anfangen können.
Wer jedoch die Leidenschaft für die Anzucht von eigenen Saaten entdeckt hat, wird die knapp 30 Euro für das umfangreiche Kompendium gut angelegt wissen.
"Handbuch Samengärtnerei - Sorten erhalten. Vielfalt vermehren. Gemüse genießen" von Andrea Heistinger, Arche Noah, Pro Specie Rara (Hrsg.),
Löwenzahn Verlag (4. überarbeitete Auflage 2010), 432 Seiten
Ute Sprenger, Berlin, für Gen-ethischer Informationsdienst (GID), Nr. 210, Februar 2012
Kontakt: Ute Sprenger
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