[GID - Gen-ethischer Informationsdienst]

Nr. 176, Juni 2006

EU: Studie zur Koexistenz

Von Ute Sprenger ©

Noch wird in Europa offiziell lediglich transgener Mais, nicht aber gentechnisch veränderte (gv) Baumwolle kommerziell angebaut. Anträge dazu liegen gleichwohl vor. In Fallstudien ließ die EU-Kommission nun untersuchen, wie Landwirte zukünftig in Kultur- und Saatguterzeugung bei konventionellem Mais, Zuckerrüben und Baumwolle eine zufällige oder unbeabsichtigte Kontamination durch genmanipuliertes Material verringern können. Für Baumwolle werden dabei Grenzwerte empfohlen, die dem transgenen Anbau in Europa Tür und Tor öffnen.

Nachdem die EU-Kommissare im Jahr 2003 beschlossen hatten, dass Koexistenz machbar ist, mussten nun noch Grenzwerte für die erlaubte Verunreinigung herkömmlicher Agrarerzeugnisse her. So legte man fest, dass konventionell erzeugte Produkte bis zu 0,9 Prozent gentechnisch verunreinigt sein dürfen und bis zu dieser Schwelle noch kennzeichnungsfrei bleiben. Die Festsetzung einer maximal erlaubten kennzeichnungsfreien Verunreinigung für Saatgut steht noch aus. Was die EU-Kommission derzeit umtreibt, das ist die Suche nach Verfahren zur Eindämmung etwaiger Extra-Kosten der so genannten Koexistenz, also dem Nebeneinander von transgenem, konventionellem oder biologischem Anbau. Denn sollte sich durchsetzen was von vielen gefordert wird, dass nämlich das Kontaminationslimit von Saatgut bei der Nachweisgrenze liegt, wäre dies mit hohen Zusatzkosten verbunden. So würde sich vermutlich der gentechnische Anbau in der Praxis gleich selbst erledigen. Die Industrie will deshalb möglichst hohe Grenzwerte durchsetzen. In der EU kursieren bislang Werte, die je nach Kulturart bei 0,3 bis 0,5 Prozent liegen. Dies lässt befürchten, dass Landwirte zukünftig weder Informationen noch Sicherheit darüber haben werden, ob ihr Saatgut wirklich gentechnikfrei ist.

Im Februar dieses Jahres legte die Kommission einen Bericht vor, dessen Gegenstand jene transgenen Kulturen sind, für die man in nächster Zeit Anträge auf Zulassungen zum Anbau erwartet. In sechs Einzelstudien hatten Arbeitsgruppen in Frankreich, Deutschland und Spanien für die Gemeinsame Forschungsstelle der EU-Kommission (JRC) untersucht, wie im Falle der drei Feldfrüchte Mais, Zuckerrüben und Baumwolle zukünftige agronomische Maßnahmen zur Koexistenz auszusehen haben. Zentrale Punkte sind dabei Empfehlungen für Gentechnik anbauende Landwirte, die möglichst geringe Kosten verursachen, und die Saatgutfrage. Bemerkenswerterweise kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass es bei allen drei Kulturen mit nur geringen Mehrkosten möglich sei, bei Saatgut den gv-Anteil bei maximal 0,5 Prozent zu halten. Auch mit dieser hohen Schwelle sei, so möchte man dort glauben machen, noch der festgelegte Grenzwert von 0,9 Prozent für Agrarprodukte machbar.

Baumwolle in Europa

Weltweit stehen laut offiziellen Daten bislang transgene Sorten auf 26 Prozent der Baumwollanbauflächen. Allein in den USA war die Baumwolle im Vorjahr zu 79 Prozent gentechnisch verändert. Innerhalb der EU ist transgene Baumwolle bis dato noch nicht zum Anbau zugelassen. Doch scharren die Konzerne schon seit ein paar Jahren heftig mit den Hufen. Bereits seit 2005 sind Bayer und Dow AgroSciences im spanischen Katalonien mit Versuchsreihen herbizid- und insektenresistenter gv-Linien im Freiland. Weitere Experimente haben die Unternehmen schon beantragt. Bayer erprobt zudem einige seiner Linien in den USA und auch in Costa Rica, wo es kaum Sachkenntnis und nur rudimentäre Sicherheitsmaßnahmen gibt.

m Verhältnis zu den großen Anbaunationen China, USA oder Indien hat Europa zwar nur geringe Baumwollflächen. Doch ist Baumwolle in den europäischen Hauptanbauländern Griechenland und Spanien regional durchaus bedeutend. Den griechischen Baumwollsektor kennzeichnet eine große Anzahl von kleinen Erzeugern (mit durchschnittlich 4,9 Hektar) während die Anzahl der spanischen Baumwollerzeuger geringer ist, die Anbauflächen aber größer sind (durchschnittlich 12 Hektar). In beiden Ländern wird dank großzügiger EU-Subventionen nahezu ausschließlich auf bewässertem Land und mit Erntemaschinen gearbeitet.

Schwachbrüstig und spekulativ

Eine Arbeitsgruppe eines landwirtschaftlichen Staatsbetriebes (DAP) aus Córdoba hatte die Aufgabe, anhand des spanischen Baumwollanbaus die Koexistenzfähigkeit dieser Kultur zu untersuchen. Was dabei heraus kam, ist ein inhaltlich schwachbrüstiges dafür aber sehr spekulatives Papier. Es erweckt kaum den Eindruck, dass seine Autoren mit den Bedingungen der landwirtschaftlichen Produktion von Baumwolle annähernd vertraut sind. Andererseits wäre aber auch denkbar, dass man - aus was für Gründen auch immer - bewusst eine Studie produziert hat, die in wesentlichen Punkten zur Frage der Kontamination vage bleibt, und ansonsten Gewissheiten vorgaukelt, die der Überprüfung in der Realität nicht standhalten.

Die Studie

Im Süden Spaniens, in Andalusien, konzentriert sich gut 95 Prozent des Baumwollanbaus. Dieser beläuft sich auf insgesamt etwa 90.000 Hektar. Angesichts des stärker werdenden Wettbewerbsdrucks suchen auch spanische Baumwollbauern mittlerweile nach ökologischen Alternativen. So wurden in diesem Jahr mit Unterstützung der Universitäten von Sevilla und Córdoba eine Reihe von Pilotprojekten gestartet, um das Potenzial biologisch angebauter Baumwolle zu überprüfen. In der Fragestellung der DAP-Arbeitsgruppe sucht man allerdings vergebens nach den Auswirkungen transgener Baumwolle auf den biologischen Anbau von Kulturen. Tatsächlich ist auch, was Herangehensweise und Datenlage angeht, diese Untersuchung unter den EU-Studien die problematischste. Sie basiert nicht auf originären Daten, sondern offenbar allein auf theoretischen Rechenmodellen, ein wenig Lehrbuchwissen und der Befragung von Fachleuten unbekannter Provenienz. Dass auf eine Literaturrecherche offenbar gänzlich verzichtet wurde, legt ein Blick in die Bibliographie der EU-Gesamtstudie nahe, wo lediglich zwei Quellen ­ beide zu Anbaudaten ­ einen Bezug zur Baumwolle erlauben.

Welche Methoden die Autoren für ihre Untersuchung nutzten und wie sie zu ihren Ergebnissen kamen, ist in den meisten der Fälle nicht nachvollziehbar. Ein im Text zwar erwähnter Anhang, der eventuell hierüber Aufschluss geben könnte, wurde der Veröffentlichung nicht beigefügt. Unerklärlich bleibt so auch, wie die Autoren überhaupt zu Erkenntnissen über die Produktion von Saatgut kamen. Denn ebensowenig wie aus der Literatur scheinen sie aus der Praxis geschöpft zu haben. Darauf deuten zumindest die ständigen Verweise auf ominöse Experten hin, die dazu dieser oder jener Meinung seien. An einer Stelle räumt man sogar ein, nur über ungenügende Kenntnisse über die Saatguterzeuger selbst zu verfügen. Dabei ist zu unterstellen, dass Saatgut auch in Spanien hergestellt wird. Denn lediglich 50 Prozent der Saaten werden importiert, was bedeutet, dass die anderen 50 Prozent im Inland erzeugt werden müssen. Weshalb man sich hier also nicht sachkundig gemacht hat, bleibt vollkommen unverständlich.

Die Baumwollstudie, wie auch jene zu Mais und Zuckerrübe, sucht anhand von zwei theoretischen Varianten des transgenen Anbaus - eines Vorkommens von 10 Prozent und von 50 Prozent - die Vermischungsraten und Grenzwertempfehlungen für Baumwollsaatgut und Baumwollfasern zu ermitteln. Die verschiedenen Stufen des Verarbeitungsprozesses von der Lieferung und anfänglichen Lagerung des Saatguts über Aussaat und Ernte, den Transport bis hin zur Lagerung des Ernteguts und der Vernichtung von Durchwuchs im Feld werden durchgegangen, um schließlich Schwachstellen an vier Punkten auszumachen: Bei dem geliefertem Saatgut selbst, das Spanien zur Hälfte aus den USA und Australien bezieht, wo der großflächige transgene Anbau bereits Mitte der Neunzigerjahre begann, bei den von Landwirten gemeinsam genutzten Saat- und Erntemaschinen, mit denen das Material aus dem jeweils vorherigen Einsatz verschleppt werden kann, und schließlich bei den Lastwagen, die die Ernte zur Entkörnungsanlage fahren.

Merkwürdigkeiten

Was die Autoren, beziehungsweise die von ihnen konsultierten Experten, für vernachlässigenswert halten, das ist die Möglichkeit der Auskreuzung innerhalb eines Feldes oder in benachbarte Kulturen. Ebenso die Kontamination durch liegengebliebene Samen, die erneut durchwachsen. Hinsichtlich der Auskreuzungswahrscheinlichkeit von Baumwolle stellt die spanische Studie kurzerhand fest, diese Frage sei nicht von Bedeutung. Die Baumwolle sei ein Selbstbefruchter, so die Begründung, und deren Auskreuzung läge bei einem Prozent. Diese Folgerung überrascht, denn es gilt international als erwiesen, dass auch der schwere Baumwollpollen mit dem Wind verwehen und von Bienen oder Hummeln noch über weite Distanzen verteilt werden kann. So wurde in einer kalifornischen Studie eine Pollenübertragung auf Nachbarpflanzen von 7,6 Prozent festgestellt, die bis auf eine Entfernung von 400 Metern auf 0,1 Prozent sank. Und selbst in der gewiss nicht verdächtigen Gentech-Datenbank Agbios ist von einer bis zu 28-prozentigen insektenvermittelten Auskreuzungsrate in benachbarte Baumwollen die Rede. Dort wird deshalb auf die Isolationsabstände von 200 Metern verwiesen, die bei der Erzeugung von zertifiziertem Baumwollsaatgut einzuhalten sind. Weshalb diese biologischen Einsichten nun in den EU-Staaten nicht gelten sollen, bleibt das Geheimnis der spanischen Autorengruppe.

Ebensowenig wird der Durchwuchs von Pflanzen aus der Vorsaison ernsthaft debattiert. Folgt man den Autoren, so ist es im Baumwollanbau allgemein übliche Praxis, sämtliche Durchwuchspflanzen mechanisch oder chemisch abzutöten, weshalb mit einer Vermischung nicht zu rechnen sei. Dies widerspricht allerdings der Realität in Baumwollanbauregionen. Denn da die Pflanze sich über ihre zahllosen Samen rasch vermehrt, sind dort sogenannte Volontäre an Straßenrändern und auf Brachen ein übliches Bild. Vollends absurd ist, dass die Lagerung der Ernte und deren Verarbeitung in der Entkörnungsanlage nicht in die Studie mit einbezogen wurde. Die Autoren erklären zwar, dass sie diesen Verarbeitungsschritt ausklammern, nicht aber weshalb sie es tun. Die Trennung von Fasern und Samen in der Entkörnungsanlage ist tatsächlich eine weitere bedeutende Quelle für eine Kontamination. Nur wenn bei der Entkörnung das Erntegut peinlich genau getrennt wird, kann das Baumwollsaatgut eingermaßen rein gehalten werden. Zu vermuten ist, dass bei Einbeziehung der Entkörnungsanlage ein 0,5-prozentiger Grenzwert nicht mehr vertretbar gewesen wäre.

Weshalb auch ausgerechnet ein Grenzwert bei Baumwollsaatgut von 0,5 Prozent akzeptabel sein sollte, das wird übrigens weder problematisiert noch belegt. Da man bei der Untersuchung aber vor allem die wirtschaftliche Seite möglicher Gentech-Landwirte im Blick hat, werden niedrigere Schwellenwerte von 0,3 oder 0,1 Prozent aus Kostengründen verworfen. So überrascht am Ende dann kaum noch, dass die Empfehlungen der Autoren sich darauf beschränken, die Landwirte zu verpflichten, ihre Landmaschinen und Lastwagen nach Aussaat und Ernte zu reinigen (S. 70) und sich ansonsten in der Saatgutvermehrung an die Anforderungen zur Zertifizierung zu halten. Zusätzliche Kosten könnten demnach lediglich jenen Landwirten entstehen, die in der Faserproduktion auf den Einsatz transgener Kulturen verzichten, sich aber die Landmaschinen mit Gentech-Bauern teilen. Ihnen entstünden Reinigungskosten von 40 Euro pro Hektar und Jahr. Vor diesem Hintergrund hinterlässt eine Aussage wie die folgende eine gewisse Ratlosigkeit: "Es ist anzunehmen, dass die Auswirkung der Einführung von gentechnisch veränderter Baumwolle in Spanien auf die Reinheit von Saatgut vernachlässigenswert ist, jedoch nur in den ersten Jahren nach der Freigabe" (S. 68).

Vertane Chance

Bedauerlich ist, dass in der Untersuchung nicht die Chance ergriffen wurde, den vielen offenen Fragen an den transgenen Baumwollanbau nachzugehen. Denn nach wie vor gibt es sehr wenige gesicherte Erkentnisse über das Auskreuzungsverhalten von transgener Baumwolle in der realen Anbausituation, über Durchwuchs, die Wirkung auf die Bodenökologie oder auf benachbarte landwirtschaftliche Flächen. Unterm Strich bleibt die Frage, worüber man sich bei dieser Studie eher wundern sollte: die Nonchalance der Autoren, oder die Tatsache, dass die EU so etwas tatsächlich in ihren Technical Reports veröffentlicht und dem Papier damit die Aura einer wissenschaftlichen Grundlage für zukünftiges politisches Handeln verleiht. Immerhin, eine interessante Erkenntnis bleibt aus diesem Elaborat. So hat man in Spanien offenbar bereits darauf reagiert, dass bei den Saatgutlieferungen aus den USA und Australien die Kontamination nicht mehr aufhaltbar erscheint. Bei Basissaatgut von Baumwolle wird schon heute eine gentechnische Verunreinigung von 0,2 Prozent akzeptiert, womit Spanien der Debatte über Saatgutreinheit einen Bärendienst erweist.

Quellen:
New case studies on the coexistence of GM and non-GM crops in European agriculture. Technical Report Series EUR 22102 EN. Euopean Commission, DG Joint Research Centre, 2006. Abrufbar unter: http://gmoinfo.jrc.it/
EU-Commission. Biotechnology & GMOs Information Website, http://gmoin fo. jrc.it/
Van Deynze, AE.; Sundstrom, FJ.; Bradfrod, KJ. (2004). Pollen-Mediated Gene Flow in California Cotton. University of California, Seed Biotechnology Center
US-Datenbank: www.aphis.usda.gov/brs/confine_workshop/sundstrom_pre sent.pdf
Agbios GM Database: www.agbios.com
Se procede a la siembra la primera experiencia de algodón ecológico en España. Bioagricultura.net, 17.05.06, http://bioagricultura.net.

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