Unfall - frei: Tugenden und Gefahren

In diesem Kapitel beschreibe ich einzelne Situationen, die ich als besonders gefährlich erlebt habe oder die mir besonders gefährlich erscheinen. Ich schildere auch, wie ich sie durch die passende gefahrabwendende Verhaltensweise bisher erfolgreich bewältigen konnte.

Leider muss ich gestehen, dass es einige besonders schlimme Fälle gibt, für die ich keine Abhilfe weiß. Ich habe sie im Kapitel Horror aufgezählt. Ich hoffe, dass ich nie (wieder) in eine solche Situation gerate.

Tugenden und Gefahren - dieses Kapitel wird vermutlich das längste werden. Ich werde es nach und nach ergänzen. Auf Anhieb fallen mir zwei Dutzend Situationen ein, die ich unbedingt für erwähnenswert halte.

Genau wie in den vier Basiskapiteln geht es auch hier zunächst ausschließlich um die Verhütung von Unfällen, selbstverschuldete und fremdverschuldete. Es geht nicht um einen der vielen anderen Aspekte des Fahrens (z.B. Umweltschutz, Rücksichtnahme, Partner im Verkehr, schnelleres Vorankommen, Fahrzeugtechnik). Wie schon erwähnt, konnte ich es mir aber nicht verkneifen, auch zu solchen Themen ein paar Worte zu verlieren. Daraus wird später das Kapitel Schöner fahren entstehen.

Sehr wichtig ist mir das folgende Verständnis: bei unfallträchtigen Situationen spielen ja meist zwei »Gegner« mit. Ich lege großen Wert darauf, mich in beiden Rollen jeweils gefahrabwendend zu verhalten. Weil ich die Situation des anderen auch als gefahrbringend kenne. Ich hoffe, das kommt in den folgenden Szenarien zum Ausdruck.

In diesem Kapitel konnte ich bisher noch keine Bewertung irgendeiner »Wichtigkeit« vornehmen. Auch die Reihenfolge des Erscheinens soll keine Priorisierung darstellen. Vielleicht kommt so etwas mal später dran, aber jetzt will ich ja erstmal alles irgendwie zu Papier bringen.

Auf der Suche nach einem knackigen Wort für das Gegenteil von »Unfallverhütung« fiel mir bisher nur »Autokegeln« ein. Ich werde es im Folgenden in diesem Sinne benutzen.

Glas auf der Kreuzung

Auf der Gegenfahrbahn

Emotionen

Die anderen

Glauben und Wissen

Geschwindigkeit

Abstand

Stehende Schlangen

Ablenkung

Fernhalten

Rechts fahren

Unauffällig

Technischer Schnickschnack am Fahrzeug

Deutlich fahren

Unsichtbare Gefahr

Vorschau auf zukünftige Themen

Ergänzung zum Kapitel BODENHAFTUNG

Jede Menge Glas auf der Kreuzung

Ich lebe in der Großstadt Berlin, und es ist kaum zu fassen, auf wie vielen Kreuzungen große Mengen Glassplitter herumliegen. Kein Zweifel, dass es sich hier um mehr oder minder schwere Verkehrsunfälle handelt, zumal oft auch mehr oder minder zertrümmerte Fahrzeuge in der Nähe herumstehen.

Was ist passiert? Nach meinem Empfinden gibt es auf innerstädtischen Kreuzungen mindestens folgende drei Varianten des Autokegelns:

a) Ein »schneller« Fahrer will noch während der begonnenen Rot-Phase über die Kreuzung huschen, in der Hoffnung dass keiner kommt. Zu diesem Zweck gibt er natürlich auch noch mal richtig Stoff, und je nach Fahrzeugmodell können es dann auch schon mal so um die 100 sein. So weit, so gut. Aber jetzt kommt das entscheidende: jemand aus dem Querverkehr (beginnende Gelb- oder Grünphase) fährt auf die Kreuzung, ohne vorher zu schauen, ob noch einer angeflogen kommt. Und dieses Losfahren ohne Hinsehen löst dann letztendlich die Katastrophe aus.

Ich selber würde nicht im Traum auf die Idee kommen, an einer Kreuzung loszufahren ohne einen kurzen Blick links-rechts (dauert weniger als eine Sekunde). Es gibt ja auch noch andere Gründe, weswegen irgend etwas noch im Weg sein könnte (hat Ampel übersehen, kann wegen Glätte nicht mehr bremsen, Radfahrer oder Fußkranker oder Kinderwagen hat es noch nicht über die ganze Kreuzung geschafft oder, oder ...)

b) Ein Linksabbieger steht auf der Kreuzung und wartet, bis er losfahren kann. Nun hält einer aus dem Gegenverkehr vor der Kreuzung an. Daraufhin vermutet unser Linksabbieger, dass er nun losfahren kann. Weit gefehlt, der Gegenverkehr hatte ganz andere Gründe zum Anhalten, z.B. weil er die Kreuzung nicht verstopfen will, weil er eine Linksabbiegerampel hat oder, oder ... (siehe dazu auch den Fall »Glauben und Wissen«).

Sehr beliebt sind auch in diesem Fall die Tiefflieger aus Variante a).

Durch das stark erhöhte Tempo beim »Hellrot« steigt noch die Gefahr, denn wenn die beiden Kontrahenten sich dann plötzlich gegenseitig sehen können, ist der Bremsweg doch zu lang.

c) Auf der Kreuzung stehen noch einige übriggebliebene Linksabbieger, weil sie ihren eigenen Gegenverkehr vorbeilassen müssen. Manche stehen extrem weit hinten, beinahe noch vor der Kreuzung, das kommt in der Großstadt immer öfter vor. Wenn die nun Rot bekommen, fahren sie eher noch auf die Kreuzung drauf, anstatt sie zu verlassen. Wenn jetzt ein Tiefflieger aus dem Querverkehr kommt, der bei beginnender Gelbphase schon »durchstartet«, dann haben wir wieder »alle Neune!«

Was hat das nun für Konsequenzen? Wegen der Variante a) werden die Rotüberschneidungen an den Ampeln immer länger. In meiner Jugendzeit schalteten noch beide Richtungen gleichzeitig auf Gelb. Heute haben dagegen beide Richtungen lange gleichzeitige Rotphasen, so dass der Verkehr insgesamt immer mehr ausgebremst wird (der prozentuale Anteil von Ampel-Grün wird immer geringer). Manchmal habe ich in Berlin das Gefühl, tatsächlich an jeder Ampel anhalten zu müssen (obwohl oft gar kein Querverkehr existiert).

Ich fahre erst dann los, wenn ich sicher sein kann dass keiner mehr kommt. Und wenn ich selber die Rolle des Tieffliegers spiele, bremse ich kurz vor der Kreuzung wieder weit runter und überfahre die Kreuzung mit dem Fuß auf der Bremse.

Auf der Gegenfahrbahn

Wenn ich auf der Landstraße überhole, mich also auf der Gegenfahrbahn befinde, bin ich meist in größter Gefahr und darf mich jetzt auf gar keinen Fall ablenken lassen. Die Gefahr kommt aus folgenden Richtungen:

Erstens muss ich mich natürlich vor dem Ausscheren vergewissern, dass ich nicht gerade selbst überholt werde. Das ist aber noch das kleinste Problem, denn ich kann es ja selbst beeinflussen.

Die zweite Gefahr kommt von dem »normalen« Gegenverkehr. Ich muss sicher sein, dass ich vor eventuell nahendem Gegenverkehr entweder das Überholmanöver noch beenden oder wieder abbrechen kann. Siehe hierzu auch den Fall »Glauben und Wissen«.

Die dritte Gefahr kommt vom Überholten: wenn der allein auf weiter Flur ist, besteht nur geringe Wahrscheinlichkeit, dass er jetzt nach links zieht. Wenn er jedoch selbst einen Vordermann hat, besteht höchste Gefahr. Denn er vermutet möglicherweise niemanden hinter oder neben sich (besonders wenn ich auf einem schnellen Hobel sitze und schnell rangekommen bin). Ganze Schlangen multiplizieren diese Gefährlichkeit, sie zu überholen erfordert äußerste Vorsicht und geringe Geschwindigkeitsdifferenz.

Die vierte Gefahr kommt aus plötzlich neu entstehendem Gegenverkehr. Ich meine damit Fahrzeuge, die mir entgegenkommend ausparken, oder solche, die nach rechts in meine Richtung abbiegen (siehe Grafik).

Warum fährt das gelbe Auto mir vor den Kühler? Weil der Fahrer einfach nicht auf die Idee gekommen ist, dass hier jetzt jemand ankommt. Deshalb schaut er nur nach links! Um dem vorzubeugen, darf ich an dieser Stelle entweder gar nicht überholen oder muss mir immer eine Option zum rechts Einscheren freihalten. In der Stadt ist die Gefahr durch Ausparker sehr groß.

Wenn ich selbst rechts abbiege oder ausparke, schaue ich immer auch nach rechts, um genau das zu verhindern. Meines Wissens hat das blaue Auto sogar Vorfahrt, denn diese bezieht sich wohl auf seine ganze Straßenbreite. Nur wird er nach diesem Crash nicht mehr viel davon haben :-(

Die fünfte Gefahr kommt daher, dass der Überholte womöglich selbst in diese Straße nach links abbiegen will. Natürlich kommt der nicht auf die Idee, dass er gerade überholt wird.

Die sechste Gefahr droht von »Mitziehern«. Der hinter mir Mit-Überholende verhindert durch seinen lächerlichen »Sicherheitsabstand«, dass ich bei drohender Gefahr bremsen kann um wieder rechts einzuscheren. Ich muss hier also auch noch meinen Hintermann in meine Jonglier-Übungen einbeziehen. Ich selbst unterlasse meist das Mitziehen, oder höchstens mit sehr viel Abstand und motorradmäßig seitlich versetzt.

Im Kapitel Schöner fahren gibt's dann noch einen Tipp für mehr Überholchancen auf der Landstraße.

Emotionen

Alle Fahrzeuge werden von Menschen gesteuert. Und diese Menschen bestehen zu 99% aus Gefühlen. Inwieweit diese Gefühle ihr Handeln beeinflussen, ist sicher bei verschiedenen Personen und in verschiedenen Situationen ganz unterschiedlich.

Mir geht es an dieser Stelle um den konkreten Fall, dass die Straße entweder zum Abreagieren oder zum Angeben missbraucht wird. Wie schon erwähnt, habe ich auf diese Weise in den letzten dreißig Jahren drei gute Freunde verloren. Alle waren hervorragende Motorradfahrer und wussten ganz genau, wo die Grenze lag. Trotzdem sind sie zu schnell in die Kurve gegangen, um zu beweisen, dass sie der »bessere« (schnellere) Fahrer sind. In der trügerischen Hoffnung, dass es gut geht. Zwei davon waren ihrer Jugend schon lange entwachsen, das Problem ist also nicht auf Jugendliche beschränkt.

Da gibt's nur eins: Selbstbeherrschung, realistische Einschätzung des Risikos, und den Versuch, die fehlende Bestätigung woanders zu bekommen (vielleicht durch Beschäftigung mit dem eigenen Ich??)

Wenn ich so einen Problemfall in meiner Nähe bemerke, versuche ich ganz schnell ganz viel Abstand zu bekommen.

Die anderen

Mein Vater war der beste Autofahrer der Welt. Als er mir das Fahren beibrachte, lautete einer seiner Sprüche: »Du musst immer mit der Dummheit der anderen rechnen«. Ich würde es bei dem heutigen dichten Verkehr nicht mehr unbedingt als Dummheit, sondern vielleicht als unangemessenes Verhalten bezeichnen. Unabhängig von der Bezeichnung ist es aber nach wie vor geeignet, mich in 2 Sekunden ins Krankenhaus zu befördern :-)

Im Kapitel »Spannung« steht der Kernsatz: ... das einzige was ich beim Fahren mache, ist ein Scannen der Umgebung, Berechnen der nächsten Sekunden und Bewerten des Gefahrenpotentials ...

Ein wesentlicher Teil dieses Scannens beinhaltet eben auch, jedes gefährliche Verhalten der anderen einzuplanen. Das mache ich ständig (kann ich noch bremsen, wenn der jetzt losfährt? Wohin weiche ich aus, wenn der jetzt abbiegt?) Ich glaube, nur so konnte ich fast 40 Jahre Motorradfahren überleben J

Ich beobachte auch den Verkehr hinter mir im Rückspiegel. Wenn ich auf eine Situation zufahre, die möglicherweise einen plötzlichen Spurwechsel verlangt (um einen Unfall zu verhindern), weiß ich meist schon vorher ob hinter mir Platz ist.

Motto: Alles was sich irgendwie bewegt oder bewegen könnte, ist eine mögliche Gefahrenquelle. Wenn ich das unterwegs ständig berücksichtige, statt mich mit den Knien meiner Beifahrerin oder mit meinem Handy zu beschäftigen, komme ich gesund ans Ziel, brauche dann das Handy nicht mehr und habe nun viel mehr Zeit für die Sozia !

Glauben und Wissen

Im ersten Fall habe ich schon angedeutet, dass jemand manchmal auf die Idee kommen könnte, eine Vermutung als Tatsache zu bewerten: nur weil einer oder zwei Entgegenkommer anhalten, vermutete unser Linksabbieger, dass nun alle anderen Rot haben. Großer Irrtum, in Wirklichkeit hatten die ganz andere Gründe zum Anhalten. Ich kenne eine Kreuzung in Berlin, da kann man sich danebenstellen und warten, dass dies passiert (Steglitzer Damm Ecke Munsterdamm).

Ein besonders krasser Fall scheint mir das Überholen nachts auf der Landstraße zu sein. An jeder Straßenkuppe steht ein kleines Kreuz mit Blumenstrauß. Warum? Offensichtlich hat vor jeder Straßenkuppe irgendwann mal jemand nachts überholen wollen. Zu diesem Zweck hat er an seinem Vordermann vorbeigeschaut und festgestellt, dass er nichts sieht. Und deshalb vermutete unser Überholer nun, dass ihm auch nichts entgegenkommt. Schwerer Irrtum, denn der Gegenverkehr war noch hinter der Straßenkuppe oder in der Kurve. Und wieder ein Totalschaden und vier Tote! Seitdem ist auch hier die gesamte Umgebung mit durchgezogenen weißen Linien und Überholverboten übersät

Wenn ich nachts auf der Landstraße überholen will, muss ich die Straße sehen, und dass auf der Straße nichts ist. Zu diesem Zweck ist es sehr hilfreich, wenn mein Vordermann mit Fernlicht fährt. Wenn nicht, muss ich halt versuchen, so früh wie möglich neben ihm mein eigenes Fernlicht anzumachen.

Auch im kleineren Rahmen kann es unfallverhütend sein, Glauben und Wissen zu unterscheiden. Typisch ist der Missbrauch von Richtungsanzeigern. Ich verlasse mich möglichst wenig auf Blinker und auch nicht auf Nicht-Blinker. Wenn ich sorglos aus einer Ausfahrt herausfahre, weil ein herankommendes Fahrzeug blinkt, und der biegt dann doch nicht ab und es kommt zu einem Unfall, dann bin ich allein schuldig. Wenn ich an einem auf der Kreuzung stehenden Linksabbieger rechts vorbeifahre, habe ich stets einen Fluchtweg bereit falls der sich anders entscheidet. Meine Methode in diesen Fällen orientiert sich daran, dass der andere bewusst einen großen Schritt von seiner angezeigten Absicht weg machen muss (Geschwindigkeit, Spur, Einschlag der Vorderräder). Erst wenn dieser Zustand erreicht ist, »glaube« ich ihm.

Geschwindigkeit

In den vorhergehenden Kapiteln bin ich nirgends explizit auf das Thema »Fahrgeschwindigkeit« eingegangen. Dort ist überall die Rede davon, dass ich ständig meine Umgebung beobachte, und bewusst und aktiv darauf hinarbeite, mich in einem ungefährlichen Zustand zu bewegen, sozusagen »im grünen Bereich«.

Dazu gehört selbstverständlich die ständige Beobachtung und Anpassung meiner Geschwindigkeit. Zur Ermittlung der maximal möglichen Geschwindigkeit muss ich mindestens folgende Faktoren berücksichtigen: Witterung, Sicht, Straßenzustand, Fahrzeugzustand, Beladung, Verkehr, Verhalten der anderen, Abstände von Gefahrenquellen, drohende Gefahren oder Ausweichmöglichkeiten. Dann weiß ich, ob ich zu schnell bin oder nicht. Die Gegebenheiten können sich auch schlagartig ändern. In diesem Fall muss ich zusehen, dass ich sofort vom Tempo runterkomme und nicht erst noch drei Sekunden auf ein Wunder warte.

Die angemessene, sinnvolle, sichere Geschwindigkeit kann wesentlich niedriger sein als die zulässige (das haben wir schon in der Fahrschule gelernt). In vielen Fällen ist sie jedoch wesentlich höher als die zulässige (das haben wir in der Fahrschule nicht gelernt).

Wenn ich mich nun mit sehr viel höherer Geschwindigkeit bewege, muss ich mindestens die folgenden drei Punkte berücksichtigen:

  • Ich selber habe weniger Zeit zur Beobachtung der Situation, bei Annäherung an eine Gefahrenquelle usw. (bei doppelter Geschwindigkeit nur noch die halbe Zeit).
  • Alle anderen haben ebenfalls weniger Zeit, um mich z.B. herankommen zu sehen (Querverkehr, Ausparker, Spurwechsler). Viele rechnen auch nicht damit, dass andere wesentlich schneller sind als sie selbst.
  • Mein Bremsweg wächst mit dem Quadrat des Geschwindigkeitsfaktors (doppeltes Tempo bedeutet z.B. vierfachen Bremsweg, dreifaches Tempo bedeutet neunfachen Bremsweg).

Ich bin höllenmäßig schnell. Deshalb muss ich auch höllenmäßig aufpassen. Der Trick besteht einfach darin, früh genug mit dem Verzögern anzufangen. Dann bin ich mit dem Tempo schon runter, bevor es brenzlig wird. Das ist das ganze Geheimnis.

Abstand

Ein leidiges Thema. Obwohl ständig darüber geredet wird, und jeder eigentlich wissen müsste, was los ist, wird doch in diesem Punkt täglich in haarsträubender Weise gesündigt. Nach meiner jahrzehntelangen Langstreckenerfahrung, immer unter Zeitdruck, muss ich einfach sagen, dass ein ausreichender Abstand (besonders nach vorn) eines der besten Mittel ist, jeder Kollision aus dem Weg zu gehen. Es gibt keinen Grund, bei 140 km/h näher als 40 oder 50 Meter an meinen Vordermann heranzufahren. Es gibt aber sehr gute Gründe, lieber 80 oder 100 Meter Abstand zu halten. Klar scheren dann wieder ein paar vor mir ein, aber dann muss ich halt versuchen, wieder einen Kompromiss-Abstand hinzuzaubern.

Woher kommen denn die Massen-Karambolagen? Wenn alle einen einigermaßen sinnvollen Abstand eingehalten hätten, hätte es höchstens ein paar wenige erwischt. Siehe auch den Fall »Fernhalten".

Der ADAC hat es vor vielen Jahren mal als »Stau aus dem Nichts« beschrieben: ganz vorne nimmt einer ein bisschen Gas weg. Der zweite ist viel zu dicht dran, und muss schon leicht bremsen (denn er hat ja erst nach seiner Reaktionszeit damit angefangen). Der dritte fängt ja auch erst nach seiner Reaktionszeit an, etwas zu unternehmen, und muss deshalb noch stärker bremsen. Und so pflanzt sich das nach hinten fort, bis einer es nicht mehr schafft. Und da die folgenden ja auch alle viel zu dicht dran sind, krachen sie dann auch noch in den immer stärker verzögernden Kegelhaufen rein. Wenn ich manchmal sehe, dass die Kisten auf der Autobahn im 5 Meter-Abstand hintereinander herfahren, wird mir angst und bange. Wenn sie nun noch aufpassen würden, könnte ja noch alles gut ausgehen. Aber sie quatschen mit den Beifahrern, fummeln mit dem Handy rum oder zünden sich eine Zigarette mit dem Streichholz(!) an. Wenn in diesem Moment der Vordermann bremst, gibts wieder eine Schlagzeile in der Boulevard-Presse.

Übrigens bin ich auch davon überzeugt, dass auch seitlicher Abstand sehr unfallverhütend sein kann. Zum Beispiel finde ich es wenig angebracht, wenn mich auf der Landstraße auf der Gegenfahrbahn ein Motorradfahrer überholt, während ich mit dem Motorrad selbst ein Auto überhole. Wenn ich in diesem Moment einen kleinen Schlenker mache (kommt bei Zweirädern vor), dann haben wir Moppett-Salat.

Stehende Schlangen

Zur Abwechslung mal ein Fall, der normalerweise nur Motorradfahrer betrifft.

Manchmal stehen auf der Landstraße oder auch in der Stadt extrem lange Autoschlangen, z.B. vor einem Bahnübergang, im Berufsverkehr. im Wochenendverkehr oder bei einem Ampelausfall. Die Gegenfahrbahn ist total leer, weil sich das Stauproblem ja nur in meiner Fahrtrichtung auswirkt. Ein Ende der Schlange ist nicht in Sicht.

Als Moppettfahrer habe ich ja nun die seltene Chance, an dem ganzen Schlamassel vorbeizufahren J Denn sobald hinter der nächsten Kurve Gegenverkehr auftaucht, kann ich mich immer nach rechts hinübermogeln, so ein Plätzchen für ein kleines Moppett wird schon frei sein.

Nun habe ich schon mehrmals gesehen, dass Motorradfahrer diese stehende Schlange mit High-Speed überholen. Es kann gar nicht schnell genug sein, hier spielt mit Sicherheit der Gedanke mit »Schaut mal her ihr doofen Dosentreiber, wie frei und wie schnell ich bin auf'm Moppett ! «

Aber jetzt kommt's: in diesen endlosen stehenden Schlangen grübeln etliche Fahrer vor sich hin, wie sie dem Stau entkommen können. Wenden und Zurückfahren wird im Kopf abgewogen. Und die Zeit wird immer knapper. Wenn sich nun einer der Fahrer spontan entschließt zurückzufahren, dann wird er selten auf die Idee kommen, dass er in der stehenden Schlange in diesem Moment überholt wird !!

Ähnlicher Fall: ich habe mal die Reste eines Motorrades gesehen, dessen Fahrer einen links abbiegenden Schlangenkopf überholen wollte. Ähnlicher Fall: wenn in der Schlange eine Lücke ist. Hier kommt vielleicht gleich jemand von rechts, um auf die andere Straßenseite zu fahren (z.B. aus einer Ausfahrt).

Deshalb überhole ich stehende Autoschlangen nur im Tuckertempo. Denn einer wendet garantiert. Wenn es dann kracht, wird's hoffentlich nur Materialschaden. Und mit dem Tuckertempo bin ich noch unendlich schneller als zu stehen.

Sobald die Schlange wieder mit einem gewissen Mindesttempo fährt, ist das Problem vom Tisch. D.h. normales Überholen möglich, siehe aber natürlich auch den Fall »Auf der Gegenfahrbahn«.

Ablenkung

Manchmal kommt eine plötzliche unerwartete Ablenkung. Nach einem schweren Unfall auf der Autobahn (Schleudern mit Überschlag) sagte der verletzte Fahrer: »Die Biene, die Biene«.

Ich selbst habe mal erlebt, dass sich kurz vor einer Vorfahrtstraße von meiner Sonnenblende eine Spinne abseilte. Der Schreck über die Spinne vor meiner Nase hat beinahe dazu geführt, dass ich das Bremsen vergaß und ungebremst auf die Kreuzung fuhr. Zum Glück habe ich mich noch rechtzeitig wieder eingeholt (möglicherweise eine Folge meines antrainierten Gefahrenbewusstseins).

Wenn mich beim Fahren jemand anspricht, wird er sich manchmal wundern, wie lange er keine Antwort erhält. Erst wenn die angespannte Verkehrssituation wieder im Griff ist, kann ich mich um Beifahrer oder andere Sachen kümmern. Meine Gegenleistung ist, dass alle meine Beifahrer noch leben J

Fernhalten

Wie erwähnt, bin ich der festen Überzeugung, dass Abstandhalten eines der wirksamsten Mittel ist, um Verkehrsunfällen gründlich aus dem Weg zu gehen. Einen speziellen Fall möchte ich hier noch kurz schildern:

Ich beobachte ja beim Fahren ständig meine Umgebung und konstruiere pausenlos die zu erwartenden Ereignisse. Wenn ich nun befürchten muss, dass andere da gleich einen Unfall bauen, versuche ich sofort, mich weit genug vom Geschehen fern zu halten, um nicht darin verwickelt zu werden.

Typisches Beispiel: auf der Autobahn bei dichtestem Verkehr sehe ich, wie vor mir auf einer anderen Spur ein Fahrer in Bremsprobleme kommt. Bevor die beiden da zusammenkrachen, bin ich auf einer ganz anderen Spur, und so weit weg vom Geschehen, dass herumfliegende Autoteile oder ähnliches mich nicht treffen können. Keine Lust, wegen dem auch noch was abzukriegen!

Rechts fahren

Oft sehe ich auf einer breiten Landstraße ein Fahrzeug an der Mittellinie »kleben«, d.h. sein linkes Vorderrad ist schon fast im Gegenverkehr und rechts neben ihm ist meterweise Platz. Obwohl vor ihm alles frei ist. Dieses Verhalten hat keinerlei Vorteile, aber drei wesentliche Nachteile:

  • Wenn der Gegenverkehr sich genauso verhält, führt ein winziger Schlenker zum Totalschaden.
  • Dieses Fahrzeug kann nur schwer überholt werden. Zum Überholen muss ich weit auf die Gegenfahrbahn, und vorher kann ich links an ihm nur dann vorbeischauen, wenn ich selber schon auf die Gegenfahrbahn wechsele.
  • Der Gegenverkehr kann genauso schlecht überholen, weil unser Linksfahrer die halbe Straße blockiert.

Wenn er nun stattdessen ziemlich weit rechts fahren würde, hätte das die entsprechenden Vorteile:

  • Er ist weit weg vom Gegenverkehr, die Kollisionsgefahr ist stark verringert.
  • Er selbst kann relativ mühelos überholt werden, da ich leicht an ihm vorbeischauen kann und zum Überholen nur wenig auf die Gegenfahrbahn wechseln muss. Wenn der Gegenverkehr sich genauso verhält, bildet sich auf der breiten Straße zwischen beiden Richtungen eine Art »Überholgasse«.
  • Die gleiche Gasse kann in der Gegenrichtung benutzt werden.

Unauffällig

Welches ist das »optimale« Fahrverhalten? Es hat zur Folge, dass mich niemand bemerkt. Meinetwegen muss keiner bremsen, keiner muss sich ärgern, keiner muss warten, ich stehe nicht im Weg herum, ich drängele mich nicht vor, ich dränge keinen ab, ich hupe nie, ich gefährde keinen, ich bin aufmerksam, rücksichtsvoll und geduldig. Im Grunde ist das die praktische Umsetzung des Paragraphen 1 der Straßenverkehrsordnung.

Technischer Schnickschnack am Fahrzeug

In der Autowerbung und aus ähnlichen Quellen wird mir gelegentlich eingeredet, dass die Fahrzeug-Ausstattung eine wesentliche Rolle bei der Unfallverhütung spielt (Winterreifen, Abstandswarner, Tempopiepser, einstellbare Dämpferhärte, selbsteinschaltende Scheibenwischer und ähnliche Scherze).

Ich verlasse mich auf gar keinen Fall auf solche Dinge, denn ich weiß dass ich als Fahrer selbst die aktivste aller Sicherheitskomponenten bin. Kein Schnickschnack setzt physikalische Gesetze außer Kraft. Unfallverhütung kann ausschließlich durch die von mir beschriebenen Verhaltensweisen in Kapitel 1 bis 4 erreicht werden. Kein Radar der Welt kann Aufmerksamkeit und Vorausschau ersetzen. Nur der Fahrer entscheidet über Sieg oder Niederlage, niemals das Fahrzeug oder die Umstände.

Wenn ich mich an die Empfehlungen halte, kann ich selbst mit der urältesten Schrottkarre die längsten Strecken schnell, sicher und unfallfrei fahren (jahrelang praktiziert J).

Deutlich fahren

Es gibt so manche Situation im Leben, wo die prickelnde Spannung erst richtig aufregend wird, wenn niemand eine Ahnung hat, wie's denn nun weitergeht. Sei es im Krimi, oder in der Liebe. Zeichen setzen könnte den anderen in Sicherheit wiegen, ihn verschrecken, oder ihm eine unerwünschte Klarheit verschaffen.

Im Straßenverkehr ist es umgekehrt: je genauer jeder weiß was der andere vorhat, desto besser das Ergebnis für alle die nicht ins Krankenhaus wollen. Wenn ich nicht überholen will, klebe ich am rechten Straßenrand. Wenn ich überholen will, klebe ich an der Mittellinie. Wenn ich jemandem den Vorrang lasse, halte ich betont weit vorher an. Wenn ich jemanden einscheren lassen will, halte ich soviel Abstand dass kein Zweifel über meine Absicht aufkommen kann.

Übrigens habe ich kürzlich ein kleines Hebelchen links an meiner Lenksäule entdeckt: wenn ich es nach oben oder unten bewege, gehen außen am Auto kleine gelbe Lämpchen an und aus. Seitdem benutze ich diese Lämpchen, um anderen anzuzeigen, dass ich zum Beispiel abbiegen oder anhalten will. Und wenn ich nicht mehr abbiegen will, mache ich die Lämpchen ganz aus. Das hat den unermesslichen Vorteil, dass alle anderen nun immer genau wissen wie's weitergeht und sich darauf einrichten können.

Schade, dass es dieses nützliche Hebelchen nur an wenigen Autos gibt. Oder hat sich seine Nützlichkeit noch nicht herumgesprochen ?

Unsichtbare Gefahr

Die gefährlichsten »Gegner« sind zweifellos die, die ich nicht sehe oder die mich nicht sehen. Genauer gesagt: das gegenseitige Sehen findet erst sehr spät statt, weil Sicht-Hindernisse dazwischenliegen und der andere »plötzlich« neben dem Hindernis auftaucht.

Es ist etwa so, als wenn zwei Menschen einen Einkaufswagen vor sich herschieben und beide ganz dicht an der Wand entlang laufen.

Am Schnittpunkt der beiden Wände kommt es zum Zusammenstoß.

Wenn beide einen Abstand von der Wand hielten, wäre der Einkaufswagen des anderen noch vor dem Zusammenstoß sichtbar geworden.

Ich halte diese Situationen für äußerst gefährlich. Auch im langsamen Stadtverkehr können sie einen Fahrrad- oder Motorradfahrer in den Rollstuhl befördern. Außerhalb geschlossener Ortschaften sieht es etwas anders aus: so früh wie möglich in die Kurven hineinlauern. Hier einige Beispiele:

An der roten Ampel stehe ich dicht neben einem LKW. Dadurch kann ich den Fußgängerüberweg nicht sehen. Nun wird die Ampel gelb und grün. Der LKW fährt nicht los. Warum?

Am Fahrbahnrand parken Autos quer zur Fahrbahn. Je weiter ich von dieser Parkspur wegbleibe, desto besser meine Überlebenschancen. Das Problem besteht nicht bei Fahrzeugen, die in Fahrbahnrichtung parken. Denn die können mich im Rückspiegel prima sehen.

Eine Einbahnstraße verläuft in einer langen Linkskurve. Auf der linken Seite parken Autos. Wenn nun eines dieser Autos ausparkt, wird dessen Fahrer ein auf der linken Spur herannahendes Fahrzeug nur sehr spät sehen. Das Problem wird fatal, wenn der Ausparker keinen rechten Rückspiegel hat.

Aus diesen Gründen versuche ich mich beim Fahren immer weit weg von solchen Gefahrenquellen zu halten. Dadurch kann ich auch hohes Tempo gefahrlos einhalten. Wenn der seitliche Abstand nicht reicht, muss ich halt das Tempo reduzieren.


Ein anderer Typ von unsichtbarer Gefahr liegt vor, wenn ich auf kurviger Straße sehr schnell unterwegs bin. In jeder Kurve könnte ein Hindernis im Weg sein (Unfall, liegengebliebenes Fahrzeug, Überholer aus dem Gegenverkehr, Einmünder oder Ausparker, Rentier oder Wildschwein, das Ende einer Autoschlange z.B. vor einem Bahnübergang, Ölfleck, Sand). Diese Hindernisse tauchen in der Kurve erst spät auf. Bei maximaler Kurvengeschwindigkeit ist Bremsen dann nicht möglich (siehe Abschnitt »Bodenhaftung« in diesem Kapitel). Deshalb darf es in diesen Situationen nichts geben, was mich brennender interessiert als lauern und spähen, ob in der Kurve irgendwas auftaucht.



Zukünftige Themen:

Beinahe-Unfälle oder das Zusammentreffen von mehreren kleinen Fehlern
Ermüdung
Viele Gegner
Beladung
Alkohol
Auf den letzten Drücker
Sicht
Licht
Blendung
Blick »von oben«
Schnippler
Schleichende Fahrbahnverengung
Wild

und weitere


BODENHAFTUNG

An dieser Stelle ergänze ich das Kapitel über die Bodenhaftung mit einigen technischen Details zu den Themen »Reibung« und »Bremsen«.

Die Länge eines Bremsweges

Nach der erlernten Formel entspricht der Bremsweg (in Metern) eines intakten, modernen, nicht überladenen PKW auf trockener, ebener Fahrbahn bis zum Stillstand ca. dem Quadrat eines Zehntels seiner Geschwindigkeit (in Kilometern pro Stunde). s=(v/10)*(v/10).

Beispiele: bei 50 km/h wären das theoretisch: 5 mal 5 = 25 Meter
bei 100 km/h sind es dann: 10 mal 10 = 100 Meter
und bei 200 sind es: 20 mal 20 = 400 Meter

Der Bremsweg wächst also bei der doppelten Geschwindigkeit bereits auf das Vierfache an, und beim vierfachen Tempo auf das Sechzehnfache! Das liegt an dem Betrag der kinetischen Energie (Trägheit), die eben mit dem Quadrat der Geschwindigkeit wächst.

Moderne, intakte Fahrzeuge erreichen unter günstigen Umständen nahezu die doppelte Bremsleistung, also etwa halbe Bremswege. Neben diesen theoretischen Zahlen spielen jedoch in der Praxis noch viele andere Dinge eine Rolle, hauptsächlich die Straßenbeschaffenheit. Es nützt auch wenig, trockene Zahlen zu pauken, sondern ich muss es er-leben, er-fahren, er-fühlen und üben!

Die Bremswege verlängern sich bei nasser oder verschmutzter Fahrbahn auf das Mehrfache. Im Extremfall kann ich auf spiegelglatter Straße bei leichtem Gefälle selbst bei Schritttempo überhaupt nicht mehr bremsen und rutsche kilometerweit den Berg 'runter.

Theoretisch wird die Bremsweglänge ausschließlich bestimmt vom Reibungskoeffizienten zwischen Reifen und Fahrbahn. Fahrzeuggewicht oder Größe spielen dabei keine Rolle, ebenso wenig wie die Anzahl der Räder, deren Profil, Druck, Durchmesser oder Breite.

In der Praxis kommen aber einige Störfaktoren dazu, die diesen theoretischen Ansatz mehr oder weniger negativ beeinflussen.

Störende Einflüsse:

  • Ladungsverteilung/Bremskraftverteilung
  • Unebenheiten der Fahrbahn
  • Wirkung der Schwingungsdämpfer (Stoßdämpfer)
  • Stark verringerter Luftdruck

Eine positive Beeinflussung kann z.B. durch weichen Untergrund stattfinden. Auf dem seitlichen Schneestreifen bremst es sich viel besser als auf der spiegelglatten Fahrbahn.

Manche Straßenoberflächen sind in feuchtem Zustand schon extrem glatt. Manche erkennt man an der blauen Farbe oder an Spiegelungseffekten. Die sind übrigens auch nicht besonders griffig, wenn sie noch trocken sind!

Gefälle und Steigungen verändern den Bremsweg drastisch. Deshalb kann ich bergauf wesentlich schneller fahren als bergab.

Fading ist auch heute noch ein Begriff. Man versteht darunter eine starke Erhitzung des Bremssystems mit fatalen Folgen.

Eine PKW-Bremse basiert ja ausschließlich auf Reibung. Bei den alten Trommelbremsen werden zwei Backen (die mit dem Fahrzeug verbunden sind) mit den Bremsbelägen von innen gegen die Bremstrommel gedrückt (die mit dem Rad verbunden ist). Dabei entstehen riesige Mengen an Wärme, da die gesamte Bewegungsenergie des Fahrzeugs in Wärme umgewandelt wird. Die schnelle Ableitung dieser Reibungswärme stellt ein großes Problem dar.

Moderne Scheibenbremsen arbeiten ähnlich, nur dass hier die Bremsbeläge von außen an eine rotierende Scheibe gepresst werden (wie eine Felgenbremse beim Fahrrad). Der Vorteil ist, dass die Wärme wesentlich besser an die Außenluft abgegeben werden kann, insbesondere wenn die Scheibe auch noch hohl ist und sich selber »innenbelüftet«.

Was passiert beim Fading? Durch die irrsinnige Hitzeentwicklung werden erst der Bremsbelag, dann dessen Träger und schließlich die Scheibe (Trommel) so heiß, dass die Bremswirkung drastisch reduziert wird. Als nächstes erhitzt sich dann auch noch die Bremsflüssigkeit so sehr, dass die Bremswirkung völlig aussetzt (Hab' ich auch schon erlebt, man kann das Bremspedal dann ohne Widerstand bis zum Boden durchtreten).

Wann besteht Fading - Gefahr?

Immer dann, wenn die Bremse ungewöhnlich hoher oder ungewöhnlich langer Belastung ausgesetzt wird, nämlich in folgenden Fällen:

Hohe Beladung

Hohe Geschwindigkeit. Eine einzige Bremsung aus 200 km/h bis zum Stillstand erzeugt 16 Mal so viel Wärme wie aus 50 km/h. Es ist auch bei modernen Fahrzeugen durchaus möglich, dass die Bremse danach »groggy« ist und erst mal 20 Minuten Abkühlung braucht, bevor sie wieder verwendbar ist.

Lange Bergabfahrten. Ich bremse beim Bergabfahren nie mit der Fußbremse, sondern immer nur mit dem Motor.

Zu alte Bremsflüssigkeit. Ihr Siedepunkt sinkt mit dem Alter, spätestens nach ein paar Jahren muss sie vollständig gewechselt werden (die meisten Fahrzeughersteller schreiben Wechselintervalle in der Größenordnung von zwei Jahren vor)


Noch ein paar technische Bemerkungen zum Thema Reibung:

Die Reibung der Räder auf der Straße ist das lebenswichtigste Thema beim Fahren überhaupt.

Die Reibung soll mir zwei Wirkungen bringen: erstens die Seitenführungskraft (damit das Fahrzeug geradeaus bleibt oder in der Kurve bleibt), zweitens die Beschleunigungs- und Bremskräfte. Fatalerweise kann ein Reifen jedoch nur eine einzige Gesamtkraft auf die Straße bringen, und die beiden erwünschten Wirkungen müssen sich gewissermaßen den Reifen »teilen«.

Das führt z.B. dazu, dass ein Reifen in einer schnell gefahrenen Kurve keine Bremskraft mehr aufbringen kann. Aus diesem Grunde muss ich auch immer vor der Kurve bremsen, und nicht erst in der Kurve. Ich muss am Kurveneingang bereits auf die mögliche Kurvengeschwindigkeit heruntergegangen sein. Denn wenn ich in der Kurve trotz Maximaltempo noch bremsen müsste, könnte der Reifen eben diese Bremskraft nicht mehr aufbringen!

Oder anders herum: in der Kurve sind auch meine Bremswege viel länger, weil der Reifen ja neben der Bremskraft auch noch die Seitenführungskraft aufbringen muss.


Ein sehr wichtiger Aspekt der Reibung: wir müssen unterscheiden zwischen »Haftreibung« und »Gleitreibung«. Haftreibung liegt dann vor, wenn die beiden Oberflächen sich nicht gegeneinander bewegen. Also wenn z.B. ein Würfel auf dem Tisch liegt. Auch ein rollender Autoreifen ist durch Haftreibung mit der Straße verbunden, denn der gerade unten liegende Punkt des Reifens rutscht nicht auf der Straßenoberfläche. Gleitreibung liegt vor, wenn die Oberflächen sich gegeneinander verschieben (wenn z.B. der Tisch so weit gekippt wird, dass der Würfel anfängt zu rutschen).

Das Fatale an der Sache ist nun: die Gleitreibung ist viel geringer als die Haftreibung. Mit anderen Worten: sobald die Sache »ins Rutschen kommt«, nimmt die Haftung und damit die verfügbaren Führungskräfte stark ab. Das kann man probieren, indem man unter den oben geschilderten Vorsichtsmaßnahmen einen Reifen gezielt zum Blockieren bringt. In diesem Moment nimmt die Bremskraft und auch die Seitenführungskraft schlagartig deutlich ab. Erst wenn das Rad wieder rollt, besteht wieder Haftreibung und damit brauchbare Reibungskräfte.

Mit anderen Worten: so lange ich mich noch knapp unterhalb der kritischen Haft-Grenze befinde, ist noch alles in Ordnung. Aber wenn ich diese Grenze überschreite, werden durch den Totalverlust der Haftreibung die erhofften Möglichkeiten der Fahrzeugsteuerung extrem eingeschränkt.

Bei Fahrzeugen mit ABS kann man den Versuch in dieser Form nicht durchführen. Denn das ABS gibt das blockierte Rad sofort wieder frei, um es dann langsam wieder zu bremsen. Aber das ist ja eben gerade das Prinzip des ABS: nämlich verlorene Haftreibung wiederherzustellen.


Kontrolle des Bremsvorganges

Nach diesen eher technischen Einzelheiten möchte ich noch ein paar Worte zum Thema »Bremsvorgang« loslassen. Wenn ich wirklich mal in die Lage komme, eine Notbremsung machen zu müssen, spielt mein Verhalten während des Bremsvorganges u.U. eine entscheidende Rolle.

Was soll das heißen? Ich habe schon mehrfach beobachtet, dass Fahrer beim Bremsen einfach nur »voll drauftreten« und alles andere dann dem Schicksal überlassen. Das führt beim PKW ohne ABS dazu, dass der Wagen sich mehr oder weniger schnell um seine Hochachse dreht. Wenn ich da nicht sofort was gegen tue (nämlich die Bremse loslasse), habe ich nach kürzester Zeit keinerlei Einfluss mehr auf die Rutschrichtung des Autos. Nämlich nach 10 oder 20 Grad erfolgter Drehung.

Beim Motorrad führt ein blockierendes Rad meist nach wenigen Sekunden zum Sturz. Also muss ich auch hier höchst sensibel sein und ständig »mitarbeiten«.

Da es ja nun knapp wird, muss ich die Sekunden nutzen, um das Geschehen positiv zu beeinflussen. Das heißt ganz konkret: erstens die Bremsung optimieren durch aufmerksames Arbeiten an den Bedienungselementen, zweitens ggf. eine Stelle mit besserer Bodenhaftung suchen (typisches Beispiel im Winter: auf den spiegelglatten Spurrillen habe ich keine Chance, aber die Schneeberge dazwischen bieten mir wahrhaft luxuriöse Haftung), drittens nach anderen Alternativen suchen, also nach Ausweichmöglichkeiten am Hindernis vorbei, festklemmen an Leitplanke oder Hauswand oder was sich sonst so anbietet.

Wie viele wertvolle Sekunden sind hier schon verschenkt worden!


Sofort bremsen ist die Devise! Wenn eine Gefahr besteht, fange ich nicht langsam damit an, ein bisschen abzubremsen. Um dann später festzustellen, dass es nicht reicht. Sondern ich fange sofort mit voller Verzögerung an. Wenn es dann nachher nicht nötig war, um so besser!

(Ich habe es selbst mal erlebt, dass ein Motorradfahrer unter einer Brücke anhalten wollte, aber erst 150 Meter dahinter zum Stehen kam! Und das, obwohl gar keine Gefahrensituation vorlag. Er hatte einfach keine Vorstellung von Bremswegen.)

Bremsen in der Kurve kann dazu führen, dass die Seitenführungskraft der Reifen nicht mehr ausreicht, und die Haftung schlagartig in Gleitreibung wechselt. Ergebnis: Freiflug geradeaus in die Wüste.

ABS kann hier das Problem mildern. Ansonsten kann ich versuchen, für eine kurze Strecke in Geradeausfahrt zu wechseln, dann eine kurze Vollbremsung vorzunehmen, und schließlich wieder in den Kurvenverlauf einzulenken. Kann wiederholt werden.


Ein Beispiel zur Ermittlung von Bremswegen

Nasse, verschneite oder glatte ebene Landstraße, mal testen wie das neue Auto bremst. Ich fahre mit geringem Tempo (50 oder 80) und vergewissere mich, dass vorn und hinten bis zum Horizont niemand zu sehen ist, und dass auch keine Kreuzung, Einmündung oder Kurve in der Nähe ist. Dann schätze ich auch noch die seitliche Straßenneigung ab, die kann mich nämlich beim Totalverlust der Bodenhaftung ganz schnell in Richtung Graben befördern. Notfalls fahre ich in der Straßenmitte.

Jetzt nehme ich den Gang raus, damit der Motor keinen Einfluss auf die Räder hat. Nun trete ich erst mal mit mittlerer Kraft auf die Bremse, und schaue was passiert. Wichtig ist, dass ich bei den ersten Versuchen sofort den Fuß von der Bremse nehme, ohne erst auf die Fahrzeugreaktion zu warten (das Warten könnte nämlich bereits zu lange dauern). Auf diese Weise taste ich mich ran. Denn sobald die Räder stehen, rutscht das Auto in Richtung der Trägheit vorwärts und ggf. in Richtung der Erdanziehung zum tiefergelegenen Straßenrand. (siehe oben »Haftreibung« und »Gleitreibung«).

Nach jedem Versuch muss ich natürlich wieder auf meine Testgeschwindigkeit beschleunigen und unbedingt die Umgebung checken. Das Ziel ist, aus jeder Geschwindigkeit bei jedem Wetter mit jedem Fahrzeug den Bremsweg vorhersagen und einhalten zu können.

(Bei Fahrzeugen mit automatischer Bremskraft-Regelung ABS werden blockierende Räder sofort wieder freigegeben. Wegen der dann wieder einsetzenden Haftreibung wird dem Fahrzeug unter günstigen Umständen die Möglichkeit gegeben, wieder in seine Spur zu finden. Siehe weiter unten.)

Auf dem Motorrad mache ich solche Übungen mit stark erhöhter Vorsicht, denn ein blockierendes Vorderrad führt bei 60 km/h u.U. bereits nach einer einzigen Sekunde zum Sturz. Vorsicht!


Genau so: Ermitteln von Kurvengeschwindigkeiten

Mögliche Kurvengeschwindigkeiten zu ermitteln, erfordert auf jeden Fall ein großes, freies und sicheres Gelände! Die Vorgehensweise ist ähnlich wie beim Ermitteln von Bremswegen: ich fahre mit mittlerem Tempo, drehe das Lenkrad zur Seite, und schaue was passiert. Auf Glätte passiert gar nichts, sondern ich fahre weiter geradeaus. Es spielt beinahe keine Rolle, was ich mit dem Lenkrad mache. Warum? Weil die Räderreibung beim Aufsummieren der Kräfte keinen wesentlichen Anteil hat, sondern die Trägheit ist die größte und damit die entscheidende Kraft.

Hinweis: bei diesen Experimenten besteht auch auf trockenen und griffigen Flächen im Normalfall keine Gefahr, dass ein PKW umkippt. Selbst mein letzter großer Geländewagen rutschte mit allen vier Rädern immer brav und gutmütig nach außen. Kritisch wird es erst bei welliger Straßenoberfläche!

Und natürlich auch dann, wenn die Straße nach außen geneigt ist. Das kann dann in einer alpinen Linkskurve (rechts unter mir das Mittelmeer) schon mal zum unfreiwilligen Bad führen, weil die Zentrifugalkraft die letzten Reste der Reibung überwindet.

Die mögliche Kurvengeschwindigkeit im konkreten Fall wird allerdings nur zu einem Teil von der Reibung bestimmt. Äußerst wichtige Faktoren sind

wellige Straßenoberflächen

Straßenneigung

Fahrzeugbreite und -höhe

Beladung

Gewichtsverteilung

Fahrzeugneigung

Dämpfungsverhalten

Reifenverformung

sehr falscher Reifendruck

Lenkungsflattern u.a.


Abschließend möchte ich noch mal auf mein Kernprinzip hinweisen: wer meinen Empfehlungen in den Kapiteln 1 bis 4 folgt, wird wahrscheinlich nie in die Situation kommen, eine Notbremsung machen zu müssen. Ich selbst habe seit 30 Jahren keine mehr gemacht, trotz 20.000 Kilometern pro Jahr, die ich meist betont zügig zurücklege.