Zweiter Schritt: Umgang mit Bodenhaftung

Dieser zweite Schritt legt die Basis dafür, dass ich mir überhaupt ein Urteil über eine Verkehrssituation bilden kann.

Es geht um die zu erwartenden Fahrzeugreaktionen, hauptsächlich um die richtige Einschätzung der auftretenden Kräfte und der Bodenhaftung.

Dies ist der zentrale und allerwichtigste Punkt beim Fahren. Warum? Dazu muss ich einen kurzen Ausflug in die Physik machen.

Beim Fahren geht es immer um Bewegung. Diese Bewegung ist hauptsächlich von zwei Faktoren charakterisiert, nämlich der Richtung und der Geschwindigkeit. Es gibt ein physikalisches Gesetz, das besagt: alle an einem Körper angreifenden Kräfte werden gewissermaßen aufsummiert, so dass zum Schluss nur eine »Gesamtkraft« übrigbleibt (die sogenannte Resultierende). Der Körper bewegt sich dann in Richtung dieser Resultierenden, und zwar mit der resultierenden Beschleunigung. Man nennt dies Vektoraddition der Kräfte.

Beispiel Tauziehen: an jedem Ende des Seils zieht eine Gruppe. Das Seil bewegt sich langsam in die Richtung der Gruppe, die stärker zieht.

Beispiel Katze springt vom Dach: während ihres Falles wird sie durch die Massenanziehungskräfte nach unten gezogen, die Luftreibung bremst jedoch ihren Fall (indem sie quasi »nach oben« wirkt). Die Katze fällt schließlich mit einer gleichbleibenden Geschwindigkeit, bei der beide Kräfte gleich groß sind und sich dadurch genau ausgleichen.

Ein weiteres physikalisches Gesetz besagt: jeder Körper behält seine augenblickliche Richtung und Geschwindigkeit bei, solange keine Kräfte ihn dabei stören. Dies nennt man Massenträgkeit oder Beharrungsvermögen.

Dafür ein Beispiel zu finden, ist nahezu unmöglich, weil in unserem Umfeld immer sehr viele Kräfte wirken, insbesondere Gravitation und Reibung.

Beispiel Gewehrkugel: sie verlässt den Lauf genau in dessen Richtung. Während ihres Fluges ist sie drei Kräften unterworfen:

1. Ihrem Beharrungsvermögen (Trägheit), das sie mit konstanter Geschwindigkeit in Richtung auf das Ziel fliegen lässt

2. Der Erdanziehungskraft, die mit konstanter Kraft »nach unten« wirkt

3. Dem Luftwiderstand, der mit sinkender Geschwindigkeit abnimmt, und der »nach hinten« wirkt

Das Zusammenspiel dieser drei Kräfte bewirkt, dass die Kugel immer langsamer wird und immer mehr nach unten fällt. Wenn die Kräfte 2 und 3 nicht wären, würde die Kugel für immer und ewig geradeaus fliegen (wie z.B. Himmelskörper)

Warum erzähle ich das alles? Weil es die Basis für jede Bewegung darstellt. Auch jedes Fahrzeug auf der Erde ist genau den gleichen Kräften unterworfen, nämlich Trägkeit, Reibung und Erdanziehung. Die Luftreibung ist in diesem Fall vernachlässigbar, dafür ist die Reibung der Reifen auf der Straße lebensentscheidend.

(Ausnahmen stellen z.B. Schienenfahrzeuge dar, bei der die Seitenführung »formschlüssig« statt »reibungsschlüssig« erfolgt. Bei einer Zahnradbahn erfolgt sogar die Vorwärtsbewegung und Bremsung formschlüssig.)

Um es jetzt ganz konkret zu formulieren: die Bewegung meines Fahrzeuges ist immer von diesen drei Kräften abhängig. Und mein Fahrzeug wird sich immer in Richtung der Resultierenden bewegen. Wenn ich zu wenig Reibung am Vorderreifen habe, fahre ich eben geradeaus weiter, egal ob ich am Lenkrad drehe oder nicht!

Und jetzt kommt die Kernaussage: beim Fahren muss ich immer wissen, ob ich mich noch im »grünen Bereich« befinde, oder ob ich schon nahe an eine gefährliche Grenze komme (Reibungsmangel im Verhältnis zur Geschwindigkeit, also zur Trägheit).

Wie schnell kann ich im Regen diese Kurve durchfahren? Die Pauschalaussage »na dann fahren Sie doch einfach langsamer« hilft mir nicht weiter. Denn wenn die Kurve nur 40 km/h verträgt, bin ich mit langsamen 50 bereits zu schnell.

Da vorne kommt eine Rechts-vor-Links-Kreuzung. Wie lang ist mein Bremsweg, damit ich im Schnee noch sicher davor anhalten kann? Auch hier hilft keine pauschale »Langsam-Mahnung«, denn was ist in diesem Falle »langsam«, siehe oben.

Mit anderen Worten: Nur wenn ich die Grenze kenne, kann ich beurteilen, wie weit ich von ihr noch entfernt bin.

Deshalb meine Empfehlung: jeder sollte mindestens einmal, besser öfter die Fahrzeugreaktionen geübt haben. Solange ich mit 30 km/h auf ebener, knochentrockener Straße fahre, kann wahrlich nichts passieren. Aber mit Gefälle und Straßenneigung fängt es an, und mit Glätte, Bodenwellen und überhöhter Dachlast geht's weiter.

Wie macht man das? Ich selbst hatte in meiner Jugend zum Glück die Möglichkeit, zusammen mit meinen Freunden das alles auf zwei und vier Rädern ausgiebig zu üben. Wir haben uns damals einfach große freie Plätze gesucht, und die Straßen waren sowieso »leer« im Verhältnis zu heute.

Heutzutage werden sogenannte »Schleuderkurse« angeboten. Ich vermute, dass sie genau dies zum Inhalt haben.


Das ganze Thema »Bodenhaftung« ist von großer Wichtigkeit, deshalb habe ich ihm im Kapitel »Tugenden und Gefahren« noch einen eigenen Abschnitt gewidmet. Dort gehe ich auf einige Details ein, hier würde das jedoch den Fluss der Dinge stören.