Blitz Besprechung
Kundun
GB, 1997, 133min
Regie: Martin Scorsese
Cast: Tencho Gyalpo, Tenzin Thuthob Tsarong, Gyurme
Tethong

Wer
hätte das gedacht, dass sich ausgerechnet
Martin Scorsese (
Casino,
Taxi Driver) die Verfilmung von Kindheit und Jugend des
Dalai
Lama vornimmt. Ungewöhnlich deshalb, weil Scorsese in seinen Filmen
in der Regel das moderne Großstadt- und Ghettoleben und die unterschiedlichsten
amerikanischen Karrieren thematisiert. Dabei stellt er nicht selten die
vom Katholizismus beeinflusste Frage nach Schuld und Sühne. 1988 nahm
er sich erstmals eines religiösen Stoffes an, indem er
Nikos Kazantzakis'
Roman
Die letzte Versuchung Christi verfilmte.
In Kundun beschreibt Scorsese in einem ästhetischen
Bilderbogen den Untergang einer alten Kultur, konsequenterweise ausschließlich
aus der Sicht des heranwachsenen Dalai Lama. Dabei geht er sehr behutsam
vor und erhebt nie den Anspruch, diese für ihn so fremde Kultur verstanden
zu haben. Vielmehr lässt er seine ZuschauerInnen an dieser Verwunderung
teilhaben, ohne diese Szenen zu bewerten. Hierzu gehört beispielsweise
die Sitte, die Reinkarnation – also die Wiedergeburt – eines verstorbenen
Dalai Lama in einem kleinen Jungen aus dem Volke zu suchen. Hat dieser
dann den Identifikationstest bestanden, besteigt er im zarten Alter Tibets
Thron als Gottkönig. Der amtierende 14. Dalai Lama wurde als Knirps
in die Obhut der Mönche gegeben und lebte in seinem Palast, in der
damals für Fremde noch verbotenen Hauptstadt Lhasa, wie in einem goldenen
Käfig.
Der Film schildert den Lebensweg des 14. Dalai Lama, den
die TibeterInnen "Kundun" nennen, was die Gegenwart des Buddha bedeutet,
von seiner Kindheit bis zur Flucht 1959 ins politische Exil nach Indien.
Basierend auf Mary Craigs Biografie über die Familie des Dalai
Lama entwarf Melissa Mathison ihr Drehbuch. Durch die Erzählung
ausschließlich aus Sicht des Kundun wird deutlich, warum der Dalai
Lama den Weg des friedlichen Widerstandes dem der kriegerischen Auseinandersetzung
vorzieht, ganz so, wie sein großes Vorbild Mahatma Ghandi.
Der Film setzt allerdings bei der ZuschauerIn schon eine gewisse Vorkenntnis
der politischen Verhältnisse voraus, die in Tibet vorherrschen. Was
die Besetzung und Unterdrückung Mao Tse Thungs China für
Dimensionen, bezogen auf das kulturelle Erbe Tibets hat, wird in Kundun
nicht ausreichend herausgearbeitet.
Trotzdem beeindruckt Kundun, nicht zuletzt auch durch die Besetzung,
die sich vornehmlich aus tibetischen AkteurInnen zusammensetzt. Herausragend
dabei sind die Darstellerin der großen Mutter des Dalai Lama, Tencho
Gyalpo und Tenzin Thutob Tsarong, der den jugendlichen Dalai
Lama spielt.
Kein Hollywood-Kitsch, keine Starbesetzung, dafür aber gut fotografiertes
Erzählkino mit Tiefgang.
ch, Düsseldorf
Foto ©: Kinowelt
US: 25. Dezember '97
GB: 3. April '98
Frankreich: 25. März '98
Mary Craigs Kundun
– Eine Biographie der Familie des Dalai Lama
Soundtrack Sieben Jahre
in Tibet
Filmdaten:
Offizieller Link: Nicht vorhanden oder nicht bekannt.
copyright:
Queer View, 12. März 1998