Der Gegenschlag II
 
Der Campus
 
D, 1998, 123min
Regie: Sönke Wortmann
Cast: Sandra Speichert, Sibylle Canonica, Barbara Rudnik
 
Chauvinistische Propaganda gegen eine angebliche Verschwörung der MissbrauchsbekämpferInnen
 
Einen Film, dessen Handlung im Uni-Milieu angesiedelt ist, gab es im deutschen Kino schon ewig nicht mehr. Sönke Wortmanns Adaption des Romans Der Campus von Dietrich Schwanitz ist zu einer für den hiesigen Film zudem seltenen Mischung unterschiedlichster Genres geworden. Thrillerelemente sind ebenso vertreten wie Korruption, Intrige, dramatische Situationen, Satire, Farce und Gerichtsszenen.

Erzählt wird die Geschichte eines aufstrebenden und beliebten Soziologieprofessors, dem der Posten des Universitätsleiters angeboten werden soll. In einer solchen Position kann sich Professor Hackmann (Heiner Lauterbach) seine Affäre mit der Studentin Babsi (Sandra Speichert) nicht mehr leisten. Babsi reagiert auf den Bruch wütend und verführt ihren Prof noch ein letztes Mal. Weder Hackmann noch Babsi ahnen, dass sie dabei von einem Trupp Bauarbeiter beobachtet werden. Nach diesem letzten Akt ist für beide die Angelegenheit erst einmal erledigt. So glauben sie jedenfalls. Zur gleichen Zeit erhält Babsi die Hauptrolle in einem Stück des Theaterseminars. Sie soll ein Vergewaltigungsopfer spielen. Nach ihrer beeindruckenden Darstellung lässt sie leichtsinnigerweise die Bemerkung fallen, sie habe eigene Erfahrungen mit einfließen lassen. Während sie auf die ausprobierte Theaterszene anspielt, die sie mit dem Prof lustvoll nachgestellt hat, versteht das die Leiterin des Theaterseminars, Brigitte Schell (Maren Kroymann) vollkommen falsch und nimmt ihr daraufhin die Rolle ab, weil sie glaubt, Babsi würde die Proben aufgrund ihres "traumatischen" Erlebnisses nicht durchstehen können. Die Studentin rastet daraufhin völlig aus und landet in der Nervenheilanstalt. Frau Schell wendet sich an den Disziplinarausschuss und die Frauenbeauftragte Dr. Wagner (Barbara Rudnik), um dem Fall der vermeintlichen Vergewaltigung an ihrer Uni nachzugehen. Damit nimmt das Verhängnis auch schon seinen Lauf. Bald steht Professor Hackmann unter Verdacht die Studentin vergewaltigt zu haben. Eine Anschuldigung, die dem amtierenden Universitätsleiter Schacht (Rudolf Kowalski) und seinem Stab gerade recht kommt.
 

ch, Düsseldorf
Queer Watchlion

Mit dem ersten Tag des Jahres wurde in Deutschlands Kinolandschaft mit Lolita der backlash, der Gegenschlag, zum Kampf gegen den sexuellen Missbrauch eingeläutet. Ein böses Omen, welches prompt weitere Kreise zieht. Am ersten Kino-Starttag des folgenden Monats verpeilt die Chauvi-Propaganda Der Campus bundesdeutsche KinogängerInnen. Zu einem Viertel finanziert durch die Rekordsumme von 2 Millionen Mark der Hamburger Filmförderung. Somit ist die US-amerikanische Welle unvermeidlich über den großen Teich geschwappt. Was passiert als nächstes? Werden auch hierzulande Gerichtsverfahren von Lobbygruppen gegen TherapeutInnen von Überlebenden inszeniert – und gewonnen –, weil sie angeblich Familien zerstört hätten, nicht etwa irgendein "erfundener" Täter, wie es in den Staaten gerade an der Tagesordnung ist? Filmische Anflüge hat Der Campus bereits zu bieten: Nun hat das Berufsfeld der Psychologie ohnehin im Film seit Jahren die undankbare Aufgabe, automatisch als Persiflage herhalten zu müssen, jetzt wird es regelrecht angegriffen.

Der Campus ist ein sehr raffiniert umgesetzter Film. Über die Buchvorlage kann ich nichts sagen, weil ich sie nicht gelesen habe und ich mich auch schlichtweg weigere, dies zu tun. Schlimm genug, dass ich mir solche Filme ansehen muss, mich in meiner Freizeit auch noch mit der Geisteshaltung von (Mit)Tätern zu beschäftigen à la Lolita und Der Campus kommt mir nicht in den Sinn.

Ersteinmal muss leider eingeräumt werden, dass Wortmanns Großproduktion rein filmisch tadellos besticht. Ungewöhnliche wie belebende Genreverquickungen paaren sich mit genial besetzten Rollen guter SchauspielerInnen, wenn frau von der Fehlbesetzung Sibylle Canonica als Gabrielle Hackmann absieht, die bis kurz vor Schluss das Filmstudio mit der Theaterbühne zu verwechseln scheint und dessen Filmgatte Hanno allein vom liebes-chemischen Gesichtspunkt nicht zu ihr passt. Das Klüngeln hinter den städtischen Machtkulissen ist derart faszinierend und vielschichtig geschildert, dass es einem Thriller gleicht, nur ohne Tote. Nicht eine einzige Länge lässt sich in dem mehr als zweistündigen Film auch nur erahnen.

Die vier DrehbuchautorInnen, unter ihnen Dietrich Schwanitz und Sönke Wortmann selbst, haben sich sehr genau mit diesem speziellen Kapitel des Feminismus beschäftigt. Es kann ihnen kein Vorwurf gemacht werden, einfach so, sprich unbeabsichtigt, sexistische, möglicherweise chauvinistische Elemente durchklingen zu lassen. Nein, nein, Der Campus ist akribisch geplant, zwei Jahre ließ sich Wortmann mit der Adaption des Romans Zeit. Die feministischen Anklagen, die im Film erhoben werden, sind wohl verstanden worden – und ausnahmslos für nichtig erklärt worden. Einem Großangriff gleich schwärmen die Attacken auf das feministisch gesinnte Publikum los.
 

Damit diese allesamt bestmöglich funktionieren sind eine Reihe von Fallen aufgestellt worden, in die die ZuschauerIn tappen soll:
 
Falle #1:
Das Publikum soll durch diesen einen speziellen Fall verwirrt werden. Unmissverständlich ist von Anfang an klar, dass der Professor niemanden vergewaltigt hat. Da gibt es also gar kein Debattieren drüber. Außer im Film, und somit ist alles eine einzige Intrige. Natürlich ist die Handlung des Films rein theoretisch möglich. Durch die Art der Umsetzung soll aber zweifelsfrei suggeriert werden, dass es meistens so ist. Der Effekt wird sein, dass sich eine ZuschauerIn bei realen Ereignissen immer an diesen Film erinnert und automatisch denkt, alles sei nur eine Intrige.
Falle #2:
Durch die Unschuld im schweren Vergehen wird die Schuld im Vergehen vergessen. Professor Hackmann ist nicht unschuldig. Auch wenn er seine Studentin nicht vergewaltigt hat, hat er nicht nur strukturell seine Machtposition ausgenutzt wie alle, die ihre Kinder, SchülerInnen, Angestellten oder eben StudentInnen zu sexuellen Handlungen bringen. Sondern ganz konkret hat der erfahrene Mann versucht, Babsi mit seiner Stellung zu manipulieren.

Egal, was Hackmann anstellt, er kommt immer mit einer weißen Weste (für die ZuschauerIn) davon: Er nutzte seine Position aus, aber vergewaltigte nicht. Er belog seine Tochter, aber er wollte später doch ehrlich zu ihr sein, nur ließ sie sich einfach nicht aufwecken. Er ist eigentlich kein Ehefrauen- oder Kinderschläger, aber durch die Umstände kommt es "verständlicherweise" zu einem tragischen Unfall, als die Tochter einschreiten will, als Hanno auf Gabrielle losgeht und die Kleine dabei die Treppe hinuntergeschlagen wird. Sorry, dieser Mann ist ein Chauvinist, auch wenn er (noch) nicht vergewaltigt hat.

Falle #3:
Durch die verrante Frauenbeauftragte Dr. Wagner werden sofort alle anti-sexistischen Forderungen ad acta gelegt. Eine Frauenbeauftragte an sich wird als unverhältnismäßige Einengung gegenüber früheren Zeiten dargestellt, aus männlicher Sicht, versteht sich, die Einengung der Frau durch das auch in der Uni manifestierte Patriarchat ist gerade mal nicht erwähnenswert. Das Abziehbild einer Horrorbild-Emanze, die Frauenbeauftragte Dr. Ursula Wagner ist so ziemlich der unsympathischste Charakter des Films. Vollkommen verblendet sei die Gute, zickig, politisch korrekter als die taz erlaubt und vor allem weniger an den Einzelschicksalen betroffener Frauen interessiert, als vielmehr an der Durchsetzung ihrer Ziele und dem Aufstieg ihrer Karriere. So regt sie sich über die Wortwahl einer Männerrunde auf, verlässt empört den Raum (so abwegig dies auch gar nicht mal ist), überhört dann aber absichtlich den Nachruf, dass es einen Vergewaltigungsfall gäbe, um später behaupten zu können, niemand hätte sie, mit Vertuschungsabsichten, informiert. So, wie die Dame auftritt, muss einfach alles, was sie sagt, fundamentalistisch klingen und direkt in den Papierkorb des Bewusstseins wandern. Als ob das nicht genug wäre, ziehen die anderen Charaktere sie weiter ins Lächerliche, um dem Publikum geschickt ein paar Lacher zu entlocken.

Falle #4:
Die in den 90er Jahren am weitesten verbreitete Falle ist die pc-Falle. Einfach alles, was mit einem auch nur annähernd (politischen) Bewusstsein zu tun hat, wird als mafia-ähnliches Gedankengut der Politisch Korrekten verhohnepipelt. Sexisten, RassistInnen, Homophobe, usw., also so gut wie einjeder spielt sich als Märtyrer auf, dass er angeblich nichts mehr sagen darf, was soviel heißen soll, dass die Vorwürfe allesamt ungerechtfertigt, viel zu radikal und unverhältnismäßig seien. Das ist natürlich falsch. Zum einen wird der Begriff derart inflationär, d.h. in den allermeisten Fällen fälschlich benutzt, dass kaum jemand wirklich weiß, was er grundlegend eigentlich bedeutet. Darüberhinaus gibt es im Speziellen zu viele Einzelansichten, die der Politischen Korrektheit nur schwerlich der ihr zugesprochenen Allgemeingültigkeit zustehen lassen. Zum anderen sagen die lieben Leute die Dinge ja doch (sonst müssten sie sich nicht ständig verteidigen) und es sieht mittlerweile eher umgekehrt so aus, dass auf nichts aber auch gar nichts Bedenkliches mehr hingewiesen werden darf, um nicht als pc-FanatikerIn abgestempelt zu werden.

Falle #5:
Die zerstörerische Dynamik des Missbrauchs wird augenzwinkernd als halb so schlimm oder schlichtweg unwahr bagatellisiert. Es werden nicht einfach die üblichen haltlosen Behauptungen zum Thema Missbrauch aufgestellt. Viel geschickter werden diese als typische chauvinistische Rechtfertigungen angeprangert, um im selben Atemzug, oder ein wenig später, dennoch mit Nachdruck zu bestätigen. >>Seht her, im Zeitalter der Politischen Korrektheit darf dies und jenes nicht gesagt werden, aber wie ihr an diesem tragischen Beispiel seht, ist es dennoch wahr.<<, frei dem wohlbekannten Motto nach, keine Lüge ist groß genug, mann muss sie nur oft genug wiederholen:

Da sich Sönke Wortmann offensichtlich ausgesprochen ausgiebig mit dem Thema befasst hat und für sich dennoch den Schluss gezogen hat, sich in die Kampagne gegen die MissbrauchsbekämpferInnen einzureihen und weil er ein äußerst talentierter Regisseur ist, muss ihm leider bescheinigt werden, einer der gefährlichsten Filmemacher Europas zu sein.
 
ki, Berlin
Fotos ©: Constantin Film
 
Deutschland: 5. Februar '98 im Verleih von Constantin.
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English version

Der Gegenschlag I: Lolita
Der Gegenschlag III: Artemisia

Filmdaten:

Offizieller Link: Nicht vorhanden oder nicht bekannt.
 

copyright: Queer View, 1998