Artemisia
Frankreich, 1997, 98min
Regie: Agnès Merlet
Cast: Valentina Cervi, Emmanuelle Devos, Sami Bouajila
Lebensabschnitt der ersten historisch belegten Malerin
Rom 1610: Artemisia Gentileschi, Tochter des berühmten Malers Orazio, hat nicht die Absicht aus der Familientradition zu fallen, lediglich weil sie eine Frau ist. Mit heimlich angefertigten Selbstporträts überzeugt sie ihren Vater, sie wieder aus dem Kloster zu lassen und ihr stattdessen das Malen zu lehren. Als der noch berühmtere Agostino Tassi aus Florenz sich vor Ort niederlässt, um zusammen mit Orazio an einem Großauftrag der Kirche zu arbeiten, kämpft Artemisia darum, nun von ihm als Schülerin aufgenommen zu werden – an den öffentlichen Schulen hat sie keine Chance. Malende Frauen gelten als abszön, wenn sich die Männer so etwas überhaupt vorstellen können. Der Akt eines Mannes durch Frauenhand wird gar mit Gefängnis bestraft. Wenn sich einer der Herren herablässt, Artemisias "Hobby" anzuschauen, dann deshalb, weil er ein wahrer Kavalier ist.
Doch Artemisia erkämpft sich Stück um Stück der künstlerischen Freiheit, bis sie sich aus damaliger Sicht ein weiteres Mal versündigt und eine Affäre mit Tassi eingeht. Der erzürnte Vater will den Namen seiner Tochter retten und stiftet dabei erst richtiges Unheil an, indem er Tassie der Vergewaltigung beschuldigt. Dieser wäre dann gezwungen, Artemisia zu heiraten und das schlimmste Unheil, Sex ohne Ehe, wäre halbwegs abgewendet. Tragischerweise verselbständigt sich die Situation außer Reichweite Orazio Gentileschis Kontrolle...
Aber auch der sich wandelnde Fokus während des Prozesses der
angeblichen Vergewaltigung von der Frau weg auf das Leiden der Männer
spricht Bände. Eigentlich droht sich die künstlerische Laufbahn
der drangsalierten Frau nun endgültig zu besiegeln, sollte frau meinen.
Doch im Gegenteil, der Film mit dem titelgebenden Frauennamen empfindet
es nun als wichtiger, das Leiden des Vaters unter dem Joch moralischer
Verzweiflung hervorzukehren. Schließlich wird dieser von einem Star
des französischen Kinos,
Michel Serrault, verkörpert,
der mehr zu tun haben musste, als die Stichworte für eine Newcomerin
zu liefern. Keineswegs steht Artemisia dafür an zweiter Stelle der
Aufmerksamkeit. Zunächst wird ein intensiver Blick auf einen weiteren
Mann geworfen, dem zu unrecht angeklagten Liebhaber der jungen Künstlerin.
Seine Karriere ist nun zerstört, und zwei Jahre Gefängnis warten
obendrein auf ihn.
Spulen wir noch einmal zurück: Zu unrecht angeklagt? Es mag ja sein, dass die historischen Persönlichkeiten in einem heuchlerisch lustfeindlichen und gleichzeitig lüsternden Zeitalter lebten, welches hier zurecht angegriffen und durch den Kakao gezogen wird. Ein kritischer Blick auf das Treiben eines betagten Mannes, der seine beträchtliche Machtposition für die Verführung einer 15-Jährigen ausnutzt (unseren Informationen nach gar 13-Jährigen), wäre dennoch alles andere als fehl am Platze gewesen, auch wenn die zum Zeitpunkt der Dreharbeiten tatsächlichen 23 Jahre der Schauspielerin Valentina Cervi, die kein Jahr jünger wirkt, wieder einmal elegant darüber hinwegzutäuschen versucht. Wie bereits in den dieses Jahr zuvor gestarteten chauvinistischen Machwerken Lolita und Der Campus wird die tatsächliche Schuldigkeit durch die grobe Übertreibung einer falschen Anklage negiert. Dabei hält sich der Film ursprünglich nicht einmal damit zurück, die wahren Motive für die Aufnahme Artemisias in die Schülerschaft Tassis offen anzugehen. Die sexuelle Belästigung Tassis beginnt mit der ersten Minute dieser Verbindung, lange bevor Artemisia einen Gedanken an eine romantische Beziehung verschwendet. Wenn Tassi Artemisia höchst unsanft entjungfert, verkehrt er ihre anklagenden Blicke gar ins Gegenteil, indem er ihr in altbekannter Missbrauchmanier unterstellt, sie habe ihn um den Verstand gebracht, ergo dazu provoziert.
Die Teenager-Neugierde Artemisias bezüglich Sexualität und des männlichen Körpers wird nicht nur zum mündigen Konsens verdreht, sondern als willkommene Rechtfertigung für eine plumpe Schlüpfrigkeit nach der anderen benutzt. Selbst die Inszenierung einer Folterszene entzückt die sadistischen Herzen heterosexueller Männer des Publikums.
Die Ironie des ganzen wird sein, dass nicht wenige ZuschauerInnen das Kino mit vor Stolz angeschwollener Brust verlassen werden, dass sie auch einmal einen feministischen Film gesehen hätten.
English version
Der Gegenschlag I: Lolita
Der Gegenschlag II: Der
Campus
Filmdaten:
Offizieller Link: Nicht vorhanden oder nicht bekannt.
copyright: Queer View, 17. April 1998