The Hanging Garden
Kanada, 1997, 91min
Regie: Thom Fitzgerald
Cast: Kerry Fox, Seana McKenna, Christine Dunsworth
Gehänselter, geschlagener und zum heterosexuellen
Sex gezwungener, übergewichtiger Junge kehrt nach 10 Jahren als glücklicherer,
schlanker schwuler Mann in seine Familie zurück
Nach
10 Jahren Abwesenheit kehrt der 25-jährige Sweet William zur Hochzeit
seiner Schwester Rosemary in seine Familie zurück. Schwer übergewichtig,
unglücklich und von Vater Whiskey Mac physisch missbraucht hatte er
die Familie einst verlassen. Nun heiratet Rosemary ausgerechnet Sweet Williams
Jugendfreund Fletcher. Einst erwischte die inzwischen an Alzheimer erkrankte
Großmutter Grace die beiden Teenager während eines nächtlichen
Intimitätenaustauschs und veranlasste damit Iris, ihren Sohn zur lokalen
Gelegenheits-Prostituierten Dusty Miller zu schleifen, die gegen Bares
gerne verzweifelten Müttern nicht ganz den Wünschen entsprechender
Söhne aushilft.
Inzwischen führt Sweet William jenseits seiner Familie und Gewichtsproblemen
ein zufriedenes, offen schwules Leben mit seinem Lover Dick. Trotz taufrischer
Ehelichung kann sich Fletcher nur schwerlich zurückhalten, den attraktiven
Heimgekehrten öffentlich anzuhimmeln. Rosemary sieht dies entgegen
aller Erwartungen überhaupt nicht eng und ermutigt sogar ihren Gatten,
doch einmal mit dem fortzufahren, wobei die beiden Jugendlichen einst unsanft
gestört wurden.
Aber auch Sweet William ist nicht gegen Überraschungen gefeit,
hat er plötzlich einen kleinen Bruder bekommen, bzw. ist Violet, wie
sich herausstellt, wider äußeren Erscheinungsbildes ein Mädchen.
Aber es soll noch dicker kommen...
Ansonsten ist die Familie so dysfunktional wie eh und je, Whiskey Mac
ist in seinem Alkholismus ein beträchtliches Stück vorangeschritten,
Oma Grace um so mehr in ihrer Senilität, Tante Laura fährt immer
noch allen und jeder über den Mund und Rosemary gibt sich als genervteste
Braut der Filmgeschichte alle Ehre. Mutter Iris hat endgültig genug
von alledem und spielt mit dem Gedanken, sich unauffällig abzusetzen.
In all diesem Trubel müssen noch ein paar alte Leichen aus dem
Keller geholt, oder, um wörtlich zu schreiben, vom Baum gepflückt
werden, damit der bisher größte Schicksalsschlag der Familie
endlich behandelt und begraben werden kann...
Achtung: In der Besprechung
wird ein später Handlungsverlauf bereits erwähnt.
-
Drehbuchautor und Debüt-Spielfilmregisseur Thom Fitzgerald sprengt
die bisher brav eingehaltenen Grenzen cineastischer Möglichkeiten.
Während die Literatur sich im vergangenen Jahrhundert aufmachte, temporal
verzwickte und nicht vollständig natürliche Ebenen zu beschreiten,
erzählt das Kino im Großen und Ganzen jahraus jahrein in denselben
konservativen Strukturen, entweder bruchlos realistisch linear oder vollkommen
abgehoben in den Gefilden menschlicher Phantasie. In den letzten Jahren
ist der magische Realismus erfreulicherweise beliebt geworden. Während
dieser, immer noch recht nachvollziehbar logisch, mit ausgesuchten Momenten,
meistens nur einem gegen Ende des Films, eine ansonsten bieder naturalistische
Story ein wenig würzt, ist The Hanging Garden zentral
mit der Surrealität verbunden.
Mit 15 hielt der gehänselte, geschlagene und sexuell genötigte,
160kg-schwere schwule Junge die Welt nicht mehr aus und erhängte sich
am Apfelbaum im Garten. Obwohl er zweifelsohne verstarb, baute er sich
gleichzeitig sehr lebendig in der Großstadt ein neues Leben auf.
Der Tod wird von allen Beteiligten seiner Endgültigkeit beraubt und
niemand wundert sich sonderlich über die Möglichkeit Sweet Williams
Rückkehr. Noch immer hängt all morgendlich sein eigener jugendlicher
Leichnam im Garten, den sein Vater dann unter Tränen vom Baume schneidet.
Alles nur ein Traum, eine Geistergeschichte? Keineswegs, und das wäre
auch unwichtig.
Es geht um das Durchhalten auch in den härtesten Zeiten, es wird
später immer die Möglichkeit geben, ein zufriedenstellenderes
Leben zu führen. So wird der erwachsen, inzwischen glücklicher
gewordene Protagonist als Alternative zu dem Nichts behandelt, das nach
dem Selbstmord für gewöhnlich folgt.
Eine weitere Aussage des Filmes lautet, dass du immer deine Familie
brauchst, auch wenn sie dir ständig auf den Wecker fällt. Nun,
das stets auf die biologische in allen Fällen zurückgegriffen
werden muss, möchte ich hiermit entschieden anfechten, frau merkt
die nordamerikanische Familien-Sentimentalität eben gerade Filmen
schwuler Regisseure deutlich an. Aber, was beschwere ich mich, innerhalb
des boomenden Homecoming-Genre (Familienfest und andere Schwierigkeiten,
Taylor's Return, The Myth of Fingerprints,
um die gelungeneren zu nennen), in dem die Kids meist zu Thanksgiving im
elterlichen Hause wieder zusammentreffen, leuchtet The Hanging Garden
als Supernova über dem sich ständig selbst rezitierenden Einheitsbrei;
ganz kaltschnäuzig, rebellierend und unverschämt magisch. Jawoll.
ki, Mailand – Berlin
Foto © Goldwyn Films / MGM Distribution
Co. / by C. Reardon
US: 7. November '97
GB: ?
Frankreich: ?
gesehen während des:
gelaufen während des:
1998 Sundance Film Festival
27th International Film Festival Rotterdam 1998
English version
Filmdaten:
Offizieller Link: Nicht vorhanden oder nicht bekannt.
copyright:
Queer View, 18. November 1997