Einiges über die Geschichte der Frauen in der Rockmusik
 
 

Es war 1988, als die Popmusik die Frauen als Trend entdeckte. 1987 wurde im Radio Suzanne Vegas Song Luka hoch und runter gespielt. Der Ernst des Textes (es ging um die Gewalt gegen Kinder) tat dem Erfolg des Stückes keinen Abbruch. Kurz darauf entdeckten die Medien immer mehr „weibliche Musiker", sprich Musikerinnen. Zu ihnen gehörten unter anderem Sinéad O´Connor, Tracy Chapman, Melissa Etheridge und die Indigo Girls. Die meisten von ihnen waren nicht neu im Geschäft, doch erst als die Medien ihre Namen aufgriffen, wurde auch ihre Musik einem breiteren Publikum zugänglich. Nun, es gab immer ein, zwei Frauen, die das weibliche Geschlecht in der Szene repräsentierten: In den 80er Jahren traten Annie Lennox und Madonna auf den Plan. In den 70ern hörte man die Musik von Debbie Harry und Chrissie Hynde.
 

Ist es also von Bedeutung, wenn man über die Rolle der Frauen in der Rockmusik schreibt? Leider ja, so muss ich die Frage beantworten. Werfen wir doch einen Blick in die Rocklexika und zählen zusammen, was die Herausgeber an wichtigen Frauen zusammengetragen haben. Übrigens orientieren sich die meisten Lexika an dem kommerziellen Erfolg, und der ist nur wenigen Frauen gegeben. Man sollte auch nicht vergessen, dass das Medium Rockjournalismus auch weitgehend in männlichen Händen liegt. Die Rolle der Frauen in der Musikgeschichte entwickelte sich kontinuierlich, das Ziel vor Augen, dass es eines Tages normal sein wird, dass eine Frau zur Gitarre greift oder sich hinter ein Schlagzeug setzt. So dass es gar nicht mehr notwendig sein wird, dies extra zu erwähnen. Doch Frauen werden weiterhin zu allererst als Frauen wahrgenommen, und erst dann als Musikerinnen. Auch im Sprachgebrauch gibt es noch keine Gleichberechtigung. Besonders im Englischen, wo immer noch die „best female guitarists" ausgezeichnet werden, statt nur von „guitarist" zu sprechen.
 

Das Thema „Women in Rock" liegt derzeit in der Luft. Vor ca. drei, vier Monaten hatte ich meiner ungarischen Redaktion (Wanted, dies hier ist die deutsche, weitaus längere Fassung) vorgeschlagen, einen Beitrag über Girlpower zu schreiben. Ich wollte Zusammenhänge aufzeigen, die zurück zu den Wurzeln führen, und einen Überblick über eine Entwicklung geben, in der die Spice Girls eher in einer langen Tradition von starken Frauen stehen, denn als hipper Trend. Dieser Tage sind Frauen im Rock wieder in aller Munde. Natürlich haben wir nicht die Möglichkeit einer dicken Sonderausgabe mit schönen, bunten Photos. Das überlassen wir also dem Rolling Stone. Einen Blick sollte Leserin und Leser in den Anhang werfen, schließlich ist all das, was ich schreibe, nicht neu, und nicht ausschließlich auf meinem Mist gewachsen. Wer sich eingängiger mit diesem Thema beschäftigen möchte, der sollte die entsprechende Literatur lesen.
 

In den 50er Jahren sang „Big Mama" Willie Mae Thornton den Hound Dog. Das war ein schwerer Blues, in dem die Sängerin wütend einen Ehemann der Untreue bezichtigte. Später coverte Elvis Presley den Song, natürlich mit weitaus größerem Erfolg. Der Rhythm´n´Blues der Schwarzen sprach auch die Weißen an, mit der Zeit wandelte sich diese Musik zum Rock´n´Roll. Gehen wir also zurück zu den Wurzeln der Rock-Musik. In den 50er Jahren traten zum Beispiel Ruth Brown (Teardrop from my Eyes) und Etta James auf. Die damals erfolgreichen Sängerinnen kamen zumeist vom Kirchenchor. So auch Delores LaVern Baker, die I Cried a Tear sang. LaVern Baker nahm eine besondere Stellung ein, weil sie später in Rock´n´Roll-Filmen richtige Rollen übernehmen durfte. Normalerweise spielten Frauen damals nur die Freundinnen der Protagonisten. Und wenn schwarze Darsteller im Film auftauchten, schnitt man sie aus den Kopien für die Südstaaten-Kinos wieder heraus. Politik und Kirche, die Konservativen von Amerika griffen die schwarzen Musiker regelmäßig an. Selbst ein Elvis Presley erregte die Gemüter. Frauen konnten schon gar nicht eine Wildheit zeigen wie ein Jerry Lee Lewis. Doch es gab diese wilden Frauen. Janis Martin nannte man den weiblichen Elvis, und auch Wanda Jackson darf man hier nennen. Mehr als einen regionalen Erfolg konnten sie sich aber nicht erhoffen. Instrumente in Frauenhand konnte man sich überhaupt nicht vorstellen. Die ersten Musikerinnen, die zur Gitarre griffen, waren Peggy Jones, auch genannt Lady Bo (sie trat regelmäßig mit Bo Diddley auf), und Bonnie Buckingham, die sich Bonnie Guitar nannte. Auf beide Künstlerinnen trifft zu, wie auch auf viele andere nach ihnen, dass es ihnen gar nicht in den Sinn kam, sie täten etwas Unnormales, nur weil sie Frauen waren. Auch sollten wir ab und an die Linernotes von damaligen Songs studieren. Da finden wir dann zahlreiche Songschreiberinnen. Mae Boren Axton war zum Beispiel die Co-Autorin des Songs Heartbreak Hotel und Sharon Sheely hatte für Rick Nelson Poor Little Fool geschrieben. Das Fernsehen kam als Massenkommunikationsmittel auf und begann sogleich Vorbilder zu kreieren. So wurde auch Connie Francis (Everybody´s Somebody´s Fool) bekannt. Zu der Zeit entstanden die ersten Girlgroups, die vom Rock´n´Roll beeinflusst worden waren. Zu ihnen gehörten die Chantels (I Love You So) und die The Bobettes (Mr. Lee). Letztere gaben sogar eigene Songs zum besten.
 
 

In den 50er Jahren schafften es ein paar Frauen trotz der rassistischen Stimmung und der Behinderung durch sexistische Anschauungen, sich in der Musikbranche zu behaupten. Mit einer Portion Durchhaltevermögen und ihrer Popularität bewiesen sie ihr kreatives Talent, ihre musikalisches Wissen und ihren Geschäftssinn. Jene, die nach ihnen kamen, profitierten davon.
 
 

In den 60er Jahren waren die Shirells jene reine Frauengruppe, die zuerst als Girl Group bezeichnet wurde. Junge Mädchen konnten auf einmal zu gleichaltrigen Vorbildern aufschauen. Anschließend entstanden immer mehr solche Bands. Leider waren es weiterhin die Manager und Produzenten, die über die Karriere der Sängerinnen bestimmten, sogar über das Repertoire. Normalerweise besaßen die Gruppen nicht einmal die Rechte an ihrem eigenen Bandnamen. Als die beste weibliche Gruppe galten die Supremes, die zu dem Motown-Label in Detroit gehörte. Später traten sie unter dem Namen Diane Ross & The Supremes auf, (z.B. mit dem Song Stop! In the Name of Love). Es war zwar schwarze Musik, doch das Auftreten der Band wurde nicht als beängstigend empfunden und so wurden die Supremes auch von Weißen akzeptiert. Die Gruppe Martha Reeves and the Vandellas, die ebenfalls zu Motown gehörte, brach dann auch endlich die Anonymität der Girl Groups auf. Hier war jedes Mitglied gleich wichtig, und das Publikum kannte die Namen der einzelnen Mitglieder.
 

Als Texterinnen oder Komponistinnen hatten Frauen am ehesten die Möglichkeit, die Karriere in die eigenen Hände zu nehmen. Eine der bekanntesten unter ihnen war Carol King, (sie schrieb zusammen mit ihrem Mann Gerry Goffin in den sechziger Jahren z.B. The Loco Motion oder One Fine Day). Sie arbeiteten im sogenannten Brill Building, eine Art Schlagerfabrik, das etliche Plattenfirmen und Büros beherbergte. Dort arbeitete auch Elly Greenwich (mit ihrem Mann Jeff Barry), die für die Shangri Las den Song Leader of the Pack oder für die Ronettes den Song Be my Baby schrieb. Sehr empfehlenswert ist Alison Anders Film Grace of My Heart (1996), der diese Ära nachempfindet. (Leider wurde der Film in Deutschland aus dem Kinoeinsatz gestrichen und ist so nur in Videotheken erhältlich.) Die Situation änderte sich grundlegend mit dem Erfolg der Beatles. Die vier Pilzköpfe arbeiteten künstlerisch autonom. Sie schrieben nicht nur ihre Musik selbst, sondern spielten auch ihre eigenen Instrumente. Fließbandproduktionen wie die des Brill Buildings kamen aus der Mode.
 

Dem britischen Impuls folgend betraten immer mehr Solosängerinnen die Szene. Petula Clark, Dusty Springfield oder Marianne Faithful erweckten nicht nur den Anschein, unabhängiger und reifer zu sein. Eine der ersten wichtigen Solosängerinnen in Amerika war Aretha Franklin, die 1967 mit Respect ihren Anspruch manifestierte. Auch Tina Turners Karriere begann in dieser Zeit. (Sie sang dann ab 1976 allein, ohne ihren Mann, von dem sie sich scheiden ließ, und sie ist eine der wenigen, die überlebten und heute noch erfolgreich sind. Tina Turner ist heute eigentlich das typische Vorbild einer Rocklady.) Hierher zähle ich auch die Sängerin Cher, ihr großer Schlager  war I Got You Babe. Auch sie war am Anfang ihrer Karriere mit ihrem Mann, Sunny, zusammen erfolgreich. In der Volksmusik muss Joan Baez erwähnt werden. Sie trat in einer einfachen aber seriösen Kleidung auf, und siehe da, sie kann es nur den männlichen Vorstellungen verdanken, dass sie gerade wegen ihrer Kleidung ernst genommen wurde. Auf jeden Fall machte Joan Baez ihre politischen Ansichten zu einem wichtigen Teil ihrer Karriere.
 

In den 60er Jahren verblieben die Frauen hauptsächlich in traditionellen Rollen, stellten diese nur selten in Frage. Unter dem Druck der Öffentlichkeit musste ihre Erscheinung sehr weiblich sein, und es gab kaum Musikerinnen, die ein Instrument spielten. Bis zum Ende des Jahrzehnts hatte sich jedoch ihre Rolle in der Musikwelt verbessert. Die Anonymität in den Vokalensemblen konnten sie endlich abschütteln. Das Publikum begann sich ihre Gesichter und Namen zu merken. Sie konnten ihre Persönlichkeit entfalten. Doch auch die Welt änderte sich in diesem Jahrzehnt. Man kämpfte gegen den Rassismus, feierte die sexuelle Befreiung und empörte sich weltweit gegen den Vietnamkrieg. Dies alles ließ auch in der Rockmusik ihre Spuren zurück, und die Musikwelt entdeckte den progressiven Rock. Aber jene Musikerinnen, die sich gegen die gesellschaftlichen Konventionen empörten, mussten weiterhin für ihr Wagnis bitter bezahlen. Grace Slick gehörte zu Jefferson Airplane (White Rabbit), mancher ihrer Auftritte war geradezu beängstigend, und ihr Benehmen war oft sarkastisch. Sie galt trotzdem als die stärkste Rockpersönlichkeit, die diese Ära auch überlebte. Janis Joplin erging es anders. Sie sang mit einer Hingabe, wie nie zuvor eine weiße Frau. Trotzdem bekam sie keine Chance. Nicht so sehr ihre Musik wie ihr Lebensstil wurde thematisiert und verurteilt. Nicht nur Janis Joplin wurde Opfer dieser Beschränkung der weiblichen Rolle. Zur gleichen Zeit hatte Karen Carpenter ansehnlichen Erfolg. Während Joplin in die Rolle des „schlechten Mädchens" gedrängt wurde, galt Carpenter als „good girl", eine ebensolche Beschränkung. Carpenter litt in dieser Rolle. Sie starb an Bulemie.
 

Der Feminismus entwickelte sich in den 70er Jahren zu einer einflussreichen gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Kraft. 1975 war das Internationale Jahr der Frauen. Als Hymne dieser Ära wurde der Song I Am Woman von Helen Reddy gefeiert, in dessen Refrain sie bekanntgab: „Ich bin zu allem fähig, wenn es nötig ist, ich bin stark und unbesiegbar!" Jetzt wurde Musik ausgesprochen für Frauen von Frauen geschrieben und gemacht, und auch die Texte griffen weibliche Themen auf. Die Frauen bildeten Kollektive und halfen einander. So wurde in Washington die Firma Olivia Records gegründet, die später nach Kalifornien umzog. Eine erfolgreiche und einflussreiche Gruppe war z.B. Fanny und auch die Deadly Nightshade. Trotzdem musste immer wieder erst bewiesen werden, dass die Frauen mindestens so gut auf ihren Instrumenten sind wie die Männer. Die Girl Groups verpassten sich jetzt ein neues Outfit. Während die Supremes sich noch uni in Kleid, Schuhe und Perücken zeigten, wollte die Gruppe Labelle mit ihren Klamotten Aufsehen erregen. Bis dahin war „Glitter" die Domäne der Männer gewesen. Labelle (z.B. mit Lady Marmelade) war mit ihrer futuristischen Aufmachung ebenso extravagant, wie David Bowie oder Elton John. Trotzdem bekamen sie unerwartete Schwierigkeiten: Die weißen Radiosender spielten ihre Songs nicht, weil sie schwarz waren, und die schwarzen Sender deshalb nicht, weil Rockmusik als weiße Musik galt. Ähnlich erfolgreich waren noch die Pointer Sisters, die ein unverwechselbares Image (Klamotten aus den 40ern) zur Schau trugen.
 

Ende der 70er wurde ein neuer Musikstil geboren. Durch den Einfluss der schwarzen und der schwulen Szenen wurde Disco geboren. Wieder bildeten sich eine Anzahl von Gruppen, die auf den Markt drängten, doch die einzelnen Gesichter versanken in der Anonymität. Die Sängerinnen und die Tänzerinnen dieser Zeit blieben Puppen der Produzenten und Manager. Eine Ausnahme waren vielleicht die Sister Sledge (We are Family). Zum großen Star der Disco-Ära wurde Donna Summer. Die Nummer Love to Love You Baby war ein großes Wagnis, wegen des orgastischen Stöhnens wurde der Song mancher Orts sogar verboten. Summer kommt ursprünglich von der Gospel-Musik und dem Musical, und sie musste schwer kämpfen, um das Image der Disco-Queen wieder abstreifen zu können. Es ist vorbildlich, wie es ihr gelang, ihre Karriere die ganze Zeit in den eigenen Händen zu halten.
 

Aber auch im Hardrock erkämpften sich die Frauen ihren Platz. Suzi Quatro (Stumblin' in) gehörte mit ihrem körperengen Lederoutfit in die Welt der Rocker. Das Business betrachtete sie als Außenstehende. Über die Gruppe The Runaways machten sich die Medien wegen ihres Namens, was für ein Klischée, lächerlich. Dabei waren sie die erste Girl Group, die in die Szene des harten Heavyrock eindrang und dort auch erfolgreich wurde. Selbst ihr Label präsentierte die Mädels als dumm und sexy, und in den Interviews wurden sie meist nicht zu ihrer Musik befragt. Das Publikum der Runaways bestand zu 95 % aus Männern. Joan Jett war schließlich der Meinung, dass Frauen kaum Kenntnis von der Existenz der Band hatten, und wenn Frauen zu einem ihrer Konzerte kamen, betrachteten sie die Musikerinnen auf der Bühne als Konkurrentinnen und bewachten eifersüchtig ihre Freunde. Joan Jett schaffte sich auch eine Karriere jenseits der Runaways, doch als Solosängerin hatte sie nur mit dem Song I Love Rock'n´Roll richtig Erfolg. Später machte sie sich gänzlich unabhängig, gründete ein eigenes Label, auch um der nächsten Generation Hilfestellung zu geben. (Sie produzierte zum Beispiel Platten von L7 und von Bikini Kill). Erfolg hatte auch die Gruppe mit dem Namen Heart, bei der zwei Sängerinnen an der Front zum Publikum standen. Folglich behandelten die Medien die Bandmitglieder unterschiedlich, die Männer gerieten in den Hintergrund, was schließlich zu Eifersüchteleien führte.
 

Endlich war auch eine typisch weibliche Weltanschauung in den Hitlisten vertreten, und mit dem Aufkommen des Punk wurde die Lage sogar noch besser. Der Punk kümmerte sich um keine Regeln und stellte alles, ob es sich dabei um soziale oder politische Aspekte handelte, in Frage. Nicht einmal eine musikalische Vorbildung brauchte man. Frauen konnten hier in größerem Umfang, neben größerer Gleichberechtigung, am Geschehen teilhaben. Die Do-it-youself Bewegung gab jedem eine Chance. Die erste dieser Frauen-Punkbands war die Formation X-Ray Spex. Marion Elliot, mit anderem Namen Poly Styrene, leitete die Gruppe. Bereits ihr Äußeres provozierte, sie war weder weiß noch ausgesprochen feminin. Hier muss auch Yoko Ono erwähnt werden, obwohl sie sich zuerst auf einem anderen künstlerischen Gebiet betätigte. Auch Yoko Ono ignorierte die Regeln. Unter den Ehefrauen der Beatles war sie die Einzige, die sich nicht im Schatten ihres Ehemannes hielt und die stets ihre eigene Meinung kund tat. Dafür hasste man sie um so ausgiebiger. Künstlerisch war sie ihrer Zeit um 20 Jahre voraus, und genau so lange musste sie auch warten, bis sie endlich die verdiente Anerkennung erhielt.
 

Auch Patti Smith betrat in den 70er Jahren die Musikbühnen dieser Welt. Ihre Popularität verdankt sie der geschickten Verbindung von Rockmusik und der Gedichtkunst. Dabei interessierten sie weder der herkömmliche Versaufbau, noch eine weibliche Bühnenerscheinung. Zu den bekannteren Gruppen dieser Zeit gehören noch Siouxsie and the Banshees, ursprünglich waren sie Fans der Sex Pistols, die diese von Konzert zu Konzert begleiteten, bis sie sich selbständig machten. Auch Marianne Faithful begann ähnlich. Eine Weile war sie die Freundin von Mick Jagger und dieser Umstand war bezeichnenderweise für die Medien wichtiger, als ihre musikalische Begabung. Doch Ende der 70er Jahre schaffte sie eigenständig mit Broken English sogar ein Comeback. Aus der DDR kam Nina Hagen, zuerst in die Bundesrepublik, dann in die Staaten, wo sie unter anderen mit Lene Lovich sang. Über Lene Lovich wurde sogar ein Film gedreht, sie lieferte das Vorbild für die Titelrolle Kate in Breaking Glass. Das endgültige Drehbuch machte aus dieser Figur allerdings einen leicht manipulierbaren Charakter, schadete der Sache der Frauen eher, und sie weigerte sich, die Rolle selbst zu spielen. Der britische Regisseur Derek Jarman drehte den weitaus interessanteren Film, Jubilee, in dem er eine weibliche Rockgruppe auftreten ließ.
 

Die Punkbewegung eröffnete den Frauen in der Musik zwar verschiedene Möglichkeiten, doch die auch finanziell erfolgreichen Frauen bewegten sich eher im Mainstream. Diese Ära steht besonders für zwei Frauen. Die Gruppe Blondie erschuf aus Punk und New Wawe einer Art neue, agressive Popmusik. Sie hatte das Girl-Group-Image der sechziger Jahre wiederaufgenommen und gleichzeitig parodiert. Doch die Medien stilisierten Debbie Harry, die Sängerin der Gruppe, zum Sexsymbol hoch, und besonders zu Beginn ihrer Karriere erschien über die Musik von Blondie kaum ein ernster Artikel. Auch Sheena Easton (Modern Girl) musste darum kämpfen, dass die Öffentlichkeit in ihr nicht nur jenes musikindustrielle Produkt sehen sollte, als das ihr Label sie anbot. So ähnlich begann auch Kate Bush. Auf Plakaten wurde besonders ihr Körper hervorgehoben. Ihre Musik war zweitrangig. Doch nach dem Motto Do-It-Yourself nahm sie ihre Interessen zunehmend selbst wahr und ihre Karriere in die eigenen Hände. Sie gründete ihr eigenes Plattenlabel und fortan bestimmte sie alle ihre Schritte selbst. Etwas anders lag die Situation bei Exene Cervenka, die ähnlich wie Patti Smith die Literatur hatte mit der Musik kreuzen wollen. In ihrer Gruppe X hatte zuerst jeder nur die Ehefrau von John Doe, ebenfalls Bandmitglied, in ihr gesehen. Aber Exene sorgte dafür, dass sich das ganz schnell änderte. Auch arbeitete sie eng mit Lydia Lunch zusammen, die bereits militant feministisch war. Lunch war damals der Meinung, dass die Frauen sich nur mit Gewalt von der Unterdrückung befreien könnten, und am liebsten hätte sie eine ganze Armada von Frauen mit Waffengewalt gegen das Weiße Haus geführt.
 

Die Musikindustrie hatte inzwischen neue Klischées über die Frauen in der Rockmusik geschaffen. Die Frauengruppe The Go-Go's stappte unwillkürlich in diese Falle. Sie kamen nachmittags nach der Schule zusammen, um Musik zu machen, und bei der ersten Probe wussten sie nicht einmal, wie die Instrumente anzuschließen waren. Soweit der Einfluss vom Punk. Mit ihrer Popmusik (We got the Beat) bewegten sie sich auf der Linie vom Mainstream, und ihre saubere Erscheinung bescherte ihnen Erfolg. Das bedeutete allerdings für alle anderen Frauengruppen einen Rückschlag, weil sie jetzt am Image der Go-Go's gemessen wurden. Als die Band sich auflöste, füllte die Industrie die Lücke mit den Bangles.
 

Nicht entsprechen konnte dieser Vorstellung Chrissie Hynde (Brass in Pocket), die Vorsängerin der Pretenders, die sich ähnlich Patti Smith unter dem Einfluss der Beatgeneration entdeckt und entwickelt hatte. Auf den ersten Blick erweckte sie das Bild einer Rockerlady, aber sie hielt die Fäden ihrer Karriere fest in der Hand. Im Gegenteil, sie war die erste Frau, die der Branche bewies, dass Karriere und Mutterschaft einander nicht ausschließen. Sie nahm ihre Kinder mit auf Tournee, als wäre das die natürlichste Sache der Welt.
 

Auch aus anderen künstlerischen Bereichen betraten Frauen die Musikmanege. Yoko Ono hatte ich bereits erwähnt. Von der bildenden Kunst kam Laurie Anderson. In ihren Liedern, die ähnlich entstanden wie Filmmusik, erzählte sie mit variationsreicher Stimme kleine, surreale Geschichten. Eine Platte wollte sie zuerst gar nicht aufnehmen. Der Erfolg kam ganz plötzlich mit dem Song O Supermann. Warner nahm sie unter Vertrag, und Anderson hatte dabei das Glück, dass ihre Methode so besonders war, dass in der Plattenfirma niemand etwas davon verstand, folglich redete man ihr nicht rein. Außerdem schaffte sie es, ihre Weiblichkeit durch einen extrem kurzen Haarschnitt und einer betont einfachen Kleidung zweitrangig werden zu lassen.
 

Erst Mitte der 80er Jahre erschienen die ersten Bücher, die die Geschichte der Frauen in der Musik beschrieben. Zu diesen Büchern gehören Girl-Groups: The Story of a Sound und das New Women in Rock. In der Fachpresse schrieb man kaum über die Frauen. Die Zeitung Bitch - The Women's Rock Newsletter war ursprünglich ein Fanzine, doch die Leserinnen verschlangen das Magazin von der ersten Nummer an.
 

1981 war das Geburtsjahr von Music Television (MTV). Videoclips, wenn auch unter einer anderen Bezeichnung, gab es schon vorher, doch das ganztägige Angebot in den Massenkommunikationsmedien beeinflusste ein weiteres Mal das Erscheinungsbild der Frauen. Das bedeutete zuerst einen Rückschritt, denn wieder einmal wurde das Aussehen einer Frau in den Vordergrund gestellt. All jene, für die der Inhalt ihrer Musik wichtiger war als ihr Äußeres, mussten hart kämpfen. Doch das neue Medium eröffnete auch neue Möglichkeiten. So konnte man über das Äußere auch die Geschlechterrollen neu definieren. Annie Lennox spielte mit ihrer Androgynität. Sie war der erste weibliche TV-Star, die die eigene optische Erscheinung dazu benutzte, um die Rolle der Frauen in der Rockmusik in Frage zu stellen. Cyndie Lauper (Girls Just Want to Have Fun) benutzte das Fernsehen ebenfalls als Vermittler, wenn sie in ihren Songs zur Solidarität unter Frauen aufrief. MTV machte auch Whitney Houston zu einer Fernseherscheinung. Zum einen konnte die Sängerin einen soliden musikalischen Background vorweisen, zum anderen erschien sie den Verantwortlichen damals als gänzlich harmlos. Absolut nicht harmlos war dagegen Madonna. Sie nutzte ihre sexuelle Ausstrahlung in vollem Maße aus. In erster Linie war sie eine Geschäftsfrau, mit tödlicher Selbstbeherrschung kämpfte sie um die absolute Kontrolle über ihre Karriere. So ist sie auch heute noch Marktkraft in der Musikindustrie, mit der man rechnen muss.
 

In den achtziger Jahren wurden die Frauen selbständig. Sie hatten eigene Unternehmungen, gründeten eigene Labels (z.B. Crisalis und Olivia), und boten damit Alternativen zur kommerziellen Unterhaltungsindustrie. Das Label Iris tat noch mehr als das. Iris war ein Unternehmen von Frauen, die sich zusammengetan und eine Firma gegründet hatten, nur mit dem Ziel, dadurch anderen Frauen Entwicklungsmöglichkeit zu bieten. Die Firma bot die Möglichkeit zur musikalischen Ausbildung an, sowohl  für Musikerinnen, als auch, wie im Falle von Woman Sound Inc. für angehende Produzentinnen oder Tontechnikerinnen. Frauen organisierten die ersten ausschließlich weiblichen Musikfestivals (z.B. das „National Women's Music Festival" und das „Michigan Women's Musicfestival"). Doch nun kam ein anderes Klischee an die Oberfläche, das bis dahin in der Musikgeschichte eher tabuisiert worden war. Man setzte weibliche Musik geich mit lesbischer Musik. So konnten die Medien und die Gesellschaft die weibliche Musik und die Künstlerinnen innerhalb der konservativen Musikindustrie für eine marginale Erscheinung halten. Ich will mich hier jetzt nicht darüber auslassen, wer von den Musikerinnen der Musikgeschichte lesbisch ist bzw. war und wer nicht, denn das hat nun wirklich nichts mit ihrer künstlerischen Begabung zu tun.
 

In den 90er Jahren taten sich wieder einmal die Mädchen hervor, die aus der Punk-Mentalität schöpften und politisch aktiv waren. Sie forderten ihren Platz ein in der von Männern dominierten Szene. Sie nannten sich die Riot Grrrls. Die Medien allerdings hätten sie am liebsten als eine Armee aus jungen Mädchen abgestempelt. Zu den ersten ihres Schlages gehörten 7 Year Bitch, Bikini Kill, die Babes In Toyland, L 7 und die Lunachicks. Sie paarten ihre feminine Sensibilität mit einer gehörigen Portion Aggressivität. Ihre Sexualität strichen sie mit ihren Namen sogar noch hervor. Zu nennen wären da Hole oder die The Breeders. Besonders im alternativen Musikbereich finden wir Musikerinnen, die auch über eine längere Zeit hinweg sich Aufmerksamkeit verdient hatten. Die Frauenbands des Mainstream brachten es oft nicht mehr als zu einem großen Hit, zum Beispiel die 4 Non Blondes verschwanden sehr schnell wieder von der Bildfläche. Auch das Big Business erkannte, dass der Trend der toughen Frauen ein ordentliches Marktpotential bot. Es sind Solo-Sängerinnen wie Björk, Liz Phair, Tori Amos und PJ Harvey, die zu überzeugen wussten. Alanis Morrisette startete ihre Karriere mit elf Jahren, und nach dem Prinzip des do-it-yourself behielt sie stets die Kontrolle. Unter den Fittichen des von Madonna gegründeten Labels Maverick konnte sie sowohl ihre Vorstellungen realisieren als auch kommerziell erfolgreich werden.
 

Zur Zeit sind die Spice Girls in den Medien präsent. Mit pfiffiger Taktik machten sie die Welt in Cannes auf sich aufmerksam, in dem sie bekannt gaben, dass sie in Kürze einen Film mit dem Arbeitstitel Spiceworld zu drehen gedenken. Die Presse lag ihnen prompt zu Füßen. Auch alte Schlager kommen zu neuen Ehren und übertreffen ihren einstigen Erfolg. Roberta Flacks Killing Me Softly katapultierte die The Fugees in die Hitlisten. Auch gestandene Männer-Gruppen nehmen Songs von Frauen in ihr Repertoire auf: Auf dem neuen Album der Rolling Stones findet sich so ein Song von k.d. Lang.
 

Die neuen Technologien, sprich das Internet, öffnet den Frauen noch mehr Möglichkeiten. Wer wirklich wissen will, was bei den „Girls" so abgeht, der sollte folglich im Internet surfen gehen. Auf eigenen Webseiten könnten die Frauen aus aller Welt miteinander Kontakt aufnehmen. Musikerinnern schaffen sich einen Raum ausgesprochen für Musikerinnen. „She´s got the Beat" oder „Cybergrrl" heißen ihre Foren. „The Grrl Zone", „Girls Interwire" oder „Womyn´s Press" heißen die E-Zines. Die Bibliothek der amerikanischen Duke Universität listet auf einer eigenen Adresse eine detailierte Bibliographie auf, die an dieser Stelle wärmsten empfohlen wird.
 

en, Berlin
 

Interview Patti Smith (demnächst) & Besprechung Peace and Noise 
 

k.d. Lang (demnächst)
 

Verwendete Literatur und weitere Literaturhinweise:
 

Gillian G. Gaar: She´s a Rebel - The History of Women in Rock & Roll (Das Standardwerk schlechthin), The Seal Press, Seattle, 1992.
 

Andrea Juno: Angry Women / Angry Women in Rock, © 1991, 1996 by Juno Books, publ. Research Publications. Deutsch: Angry Women - Die weibliche Seite der Avantgarde, Hannibal Verlag 1997.
 

Sue Steward: Signed, Sealed, and Delivered : True Life Stories of Women in Pop, South End Press, Boston 1984.
 

Gayle Kimball (Hrgb.): Women's Culture : The Women's Renaissance of the Seventies, Scarecrow Press, Metuchen 1981.
 

Carol  Hanisch: Fight on sisters : and other songs for liberation, Franklin Printing, New Paltz 1978. 

copyright: Queer View Dezember 1997