Angry Women, der Titel, mag einen männlichen Leser vielleicht
erst einmal verwirren. Die weibliche Seite der Avantgarde, der Zusatztitel,
schwächt diese Aggression erst einmal ab. Im Original heißt
es einfach Angry Women. „Zorn", darunter versteht Andrea Juno,
die Autorin, eine „gesunde, kreative und reinigende Kraft" (Einleitung).
Ein erster Band kam 1991 auf den Markt. Die Zielsetzung der Autorin war
es Künstlerinnen vorzustellen, „die sich mit ihren eigenen, weiblichen
Ausdrucksformen die Macht über sich und ihren Körper zurückerobert
haben" (Vorwort von Kirsten Borchardt). Zu ihnen gehören Lydia
Lunch, Diamanda Galás, Kathy Acker, Annie Sprinkle
(zumindest sie ist auch den Männern zumeist ein Begriff), Linda
Montano oder Valie Export. Feminismus ist ein zentrales Thema,
auch wenn hier der Begriff nicht durch landläufige Klischees besetzt
sein soll, sondern als immer währender Kampf, ohne den Frauen heute
nicht da wären, wo sie sind (mit Wahlrecht und eigener Kreditkarte).
Andrea Juno, Jahrgang 55, gehört zu der ersten Generation von Frauen,
die mit dem sicheren Gefühl aufwachsen durften, dass sie ihre Vorstellungen
auch verwirklichen können. Juno, heute Mitherausgeberin von „Re/Search
Publications", hatte es sich zur Aufgabe gemacht, starke Frauen zu porträtieren
und gleichzeitig den Leserinnen (und Lesern) Vorbilder zu geben. Das Buch
wurde ein Erfolg. Ein zweiter Band, betitelt Angry Women in Rock
folgte 1996. Hier lag die Auswahl bei starken Rockmusikerinnen: unter anderem
Joan Jett, Chrissie Hynde, Jarboe, Valerie Agnew
aus der Band 7 Year Bitch und die Band Tribe 8. Der vorliegende
deutsche Band enthält nun eine Auswahl aus beiden Erscheinungen, insgesamt
zwölf Beiträge. Die Auslese erfolgte nach dem Gesichtspunkt des
Bekanntheitsgrades im deutschsprachigen Raum, genug Material für einen
Folgeband wäre also gegeben.
Doch auch wenn man die Namen der Künstlerinnen nicht gleich einzuordnen
weiß, sollte man das Buch nicht uninteressiert beiseite legen. Die
Autorin gibt Hilfestellung. Jedes Interview beginnt mit einer kurzen, sachlichen
Vorstellung, eine Werk-Biographie (oder Discographie, Filmographie, Bibliographie)
befindet sich im Anschluss. Seperat im Anhang findet man noch einmal ein
Kurzporträt, das beim Durchblättern immer wieder zum Querlesen
der Interviews einlädt. Es ist übrigens gar nicht so einfach,
gute Interviews zu führen. Andrea Juno geht auf die jeweilige Künstlerin
individuell ein, ohne zu hofieren oder allzu Offensichtliches abzufragen.
Die Interviewfragen und -antworten wurden offensichtlich weder vereinfacht
noch verkürzt, wie man das aus der allgemeinen Journailie kennt. Die
Interviews liest man umso mehr mit Spannung. Ist man auch nicht immer der
gleichen Meinung, so regen die Diskussionsthemen zum Nachdenken und/oder
Weiterdiskutieren im Freundeskreis an.
Angry Women – Die weibliche Seite der Avantgarde, Andrea Juno, Hannibal Verlag St. Andrä-Wördern 1997, ISBN 3-85445-134-2.