The Bible and Gun Club
Wahnwitzige White Trash Mixtur aus Spielfilm, Dokumentation und Improvisation um eine in den 60ern stehengebliebene lokale Filiale einer Haustür-Verkaufsagentur, die am Ende des amerikanischen Traumes angekommen ist.
Sie sind weiß, fett, desillusioniert, korrupt, zynisch und in der Midlife Crisis, die fünf Von-Tür-zu-Tür Verkäufer der kalifornischen Anaheim-Filiale des "American Bible and Gun Club". Auch das beste Dale Carnegie Training vergangener Jahrzehnte verhilft dieser Tage nicht mehr zu einem florierenden mobilen Verkaufsgewerbe. Das einzige, was sich noch einigermaßen zufriedenstellend absetzen lässt, sind die beiden Artikel, auf denen Amerika gebaut wurde: Guns und Bibeln.
Bill, der harte Chef der Truppe, bricht mit seinen langjährigen Mitarbeitern Sidney, der seine Berufung als Rabbi an den Nagel gehängt hat, um gute Bücher zu verkaufen und Stan, welchen ein womöglich krebsartiges Geschwür im Nacken schlaflose Nächte bereitet, auf nach Las Vegas zum jährlichen nationalen Verkaufskongress der Firma. Zum ersten Mal dabei ist der vom Golfplatz rekrutierte erfolglose und faule Schwiegersohn Bills, Mike, und der frisch angeheuerte, leicht psychotische Ex-L.A. Cop Phil.
In der Stadt der Sünden angekommen, erwartet die Anaheim-Fraktion eine böses Erwachen. American Bible and Gun Club schließt aufgrund steter Verluste die kalifornische Außenstelle und öffnet sie neu in Vegas. Das sitzt, aber das Geschäft muss weitergehen und Bill verkündet seine geniale Idee: In den verarmten Wohnmobil Parks vom nördlichen Stadtrand gäbe es eine ungeahnte KäuferInnenschicht, denn "dies sind gute amerikanische Bürger, die zu stolz sind, zuzugeben, dass sie arm sind."
Was wie ein Aufbruch in die Rettung der Anaheim-Truppe beginnt, soll sich recht bald zum Desaster wenden: Was auf die Männer wartet sind keine gesteigerten Umsätze, sondern geistige Umnachtung, sexuelle Bessessenheit, Drogenkonsum, Gewaltausbrüche und Tod – solange das Geschäft noch weitergehen kann...
Noch nie hat ein Film über weiße, heterosexuelle, rechtslastige und abstoßende Männer so begeistern können. Kein Wunder, ist er doch ein Abgesang auf eben jene Gattung samt ihres in die Hose gegangenen amerikanischen Traums. Diese Truppe mit dem cleveren Verkaufssortiment, bestehend aus der Sammlerinnen-Bibel-Sonderausgabe und einem Defender 500 pump-action shotgun, hebt sich derart von dem realen Leben ab, dass es kein Wunder ist, das der eine oder andere Verstand über Bord springt.
Die Herren in den steifen Anzügen sind irgendwann in den 60ern stehengeblieben, sowohl in ihren Verkaufsstrategien, als auch in den Lebensphilosophien. Drehbuchautor und Regisseur Daniel J. Harris hat dies nicht nur in den Plot miteinfließen lassen, beispielsweise mit einem so typischen 60er Porno-Dreh in einem Las-Vegas-Hotel, zu dem zwei der Verkäufer als Voyeure eingeladen wurden und nun, völlig zugedröhnt, das Happening ins Chaos stürzen. Harris bediente sich des 60er Jahre Stils des cinema verité, der entsprechenden Kostüme samt Produktionsdesign und rarer 60er Vegas Bar- und Strip-Musik.
Das rasante Tempo erreichte das Filmteam mit einer voyeuristischen Kamera in knallhartem Schwarzweiß, die auschließlich den Bewegungen der dynamischen Schauspieler folgt. Ein perfekter Schnitt ergänzt sich schließlich mit einem ausgeklügelten und präzise erscheinenden Drehbuch. Was die ZuschauerIn allerdings niemals ahnen wird, ist genau umgekehrt der hohe Improvisationsanteil und die täglichen Umschreibungen während des Drehs. In der Tat sind viele Aufnahmen echt, mit anderen Worten dokumentarisch: Das Team gab sich gelegentlich als Dokumentar-Projekt aus und fragte real existierende Mitmenschen, ob sie sie dabei filmen dürften, wenn ihnen die "Vertreter des American Bible and Gun Club" ihre Produkte aufschwatzen wollen. Die Resultate sind schockierender, spontaner und witziger, als es sich eine AutorIn auszudenken wagte.
Die Schauspieler bezeichnet der Regisseur als "unter den besten professionellen Unbekannten des heutigen Amerika", und dieses Urteil hat nichts mit dem sonst üblichen Presse-Geschwätz zu tun. Es stimmt. Zu Ehren gekommen in TV-Shows und angesehenen Theaterstücken waren bisher nur drei von ihnen in ein bis vier Independent-Spielfilmen zu sehen. Für ein größeres Publikum unbekannt, legen sie in The Bible and Gun Club allesamt eine einzigartige Authentizität an den Tag. Natürlich wurden nicht umsonst Schauspieler besetzt, die in der einen oder anderen Form Lebenserfahrungen mit Bibeln, Waffen oder Pornos gesammelt hatten – und Tür-zu-Tür-Verkauf, siehe unten.
Andy Kallok (Stan): Zeitschriftenabo-Vertreter
Don Yanan (Phil): Al Schuermann (Bill): Versicherungs-Vertreter Robert Blumenthal (Sidney): Kitschmöbel-Verkäufer |
ki, Park City – Berlin
fotos ©: nicht angegeben, aber die Produktionsfirmen sind
Big in Vegas Pictures und Umagumma Entertainment.
Gesehen während des:
Slamdance International Film Festival 1997
Ebenfalls gelaufen während des:
The 1997 Slumdance Experience
The Bible and Gun Club hat noch keinen Verleih in Deutschland gefunden.
copyright: Queer View, 19. Mai 1997