Die HAUT

(Subkutan Forte / Our Choice / Rough Trade)

Ein aussergewöhnliches Quartett: Vier Musiker bearbeiten ihre Instrumente, ein Sänger befindet sich nicht unter ihnen. Auch gibt es keinen Frontmann, Die Haut funktioniert als Block. Dreher an der Bassgitarre, Arbeit und Lingk an den Gitarren, Moser (bzw. Wydler) am Schlagzeug. Neuerdings räumen sie nicht einmal ihren Vornamen Raum ein. Gemeinsam schlüpfen sie in eine neue Haut. Ihren Namen hat die Gruppe aus einem Buch von Curzio Malaparte: „Die Haut ist das größte Organ des menschlichen Körpers. Von Innen her Abgrenzung, von Außen her der erste Kontaktpunkt".

Nach vier Jahren erschien jetzt im Frühjahr 1997 das neue Album von Die Haut. Bereits Ende Januar traf ich mich in Berlin - Kreuzberg mit Christoph Dreher. Dreher ist nicht nur Musiker, er ist auch Filmemacher (Studium in Berlin an der dffb, er drehte auch einige von Nick Caves Video, z.B. The Mercy Seat), er und sein Stab ist für die zur Zeit interessanteste Musiksendung des Deutschen Fernsehens verantwortlich: Lost in Music. Wir unterhielten uns über Tom DiCillo (ein alter Freund von Christoph Dreher, noch aus alten Tagen, siehe PPL Nr. 6, Sept. 1995. Wenn du unser Interview mit Tom DiCillo lesen willst, mail uns an) und dessen neuen Film (Box of Moonlight, in dessen Abspann Die Haut zwar aufgeführt wird, deren Musik aber letztendlich nicht in die Endfassung mitaufgenommen worden ist). Wir behandelten das literarische Werk von Michael Ondaatje (The English Patient) und fragten uns, ob denn Jean-Luc Godards neuerster Film je bei uns im Kino zu sehen sein wird. Dann erst widmeten wir uns der Haut.

„ Wir hatten unser zehnjähriges Jubiläum ausgefeiert mit einer Platten- und einer Video-Veröffentlichung, mit einer Tournee, wo Freunde und Bekannte mitgemacht haben. Danach haben wir eine offizielle Pause gemacht, mit dem Ziel, uns darüber klar zu werden, uns zu überlegen: Was ist passiert in den vergangenen zwölf Jahren? Inzwischen hat sich alles verändert. Wie stehen wir zu den Sachen? Braucht man Die Haut noch? Brauchen wir Die Haut noch? Wer braucht sie, Die Haut? Wir haben uns entschieden, dass wir Lust hatten, weiterzumachen." Doch in zwei Punkten wollten Die Haut etwas verändern: Sie suchten sich eine neue Plattenfirma und fanden sie auch. Und sie taten ein eigenes Studio auf, eines, das ihren Zwecken entspricht. „Wir waren nie ganz zufriedengestellt mit dem Sound, der uns geboten werden konnte, oder wir haben die Aufnahmen abgebrochen. Wir sind dann nach Amerika gefahren, um speziell dort etwas aufzunehmen, wo etwas anderes auch schon aufgenommen worden war, wo man dachte, die könnten es bringen. Es hat nie wirklich geklappt. Das hat jetzt ein Ende. Wir sind also auch in dem Sinne nicht ins Studio gegangen, sondern wir haben jetzt unser Studio, wo wir über eine gewisse Zeit hinweg gearbeitet haben, mehr so, wie man in einen Proberaum geht. Wir konnten mit der entsprechenden Präzision in aller Ruhe arbeiten. Jetzt waren wir zum ersten mal wirklich zufrieden." Zu recht, denn die aktuelle Platte besticht durch ihren frischen Klang. Schließlich haben sie sich in den letzten vier Jahren musikalisch nicht unbedingt verändert, doch sie haben ihren Standpunkt sicherlich überdacht und ihre musikalische Verwirklichung neu ausgerichtet.

Doch es gibt auch einschneidende Veränderungen bei Der Haut. Der Schlagzeuger Thomas Wydler hat die Band verlassen. „Es war schon länger klar, dass Thomas sein Schlagzeugspiel reduzieren will. Dann hat er noch seinen Brotjob bei Nick Cave, wo eben auch das Geld herkommt. Aus bestimmten Gründen wollte er nicht mehr so exklusiv und exzessiv Schlagzeug spielen. Er hat mit anderen Sachen angefangen, dann war er für eine gewisse Zeit von Nick Cave in Beschlag belegt. Ich fand das sehr nachvollziehbar, obwohl uns dadurch etwas fehlte, und ihm natürlich auch. Es ist etwas anderes mit Der Haut zu arbeiten als mit Nick Cave. Aber dann haben wir Rudi Moser gefunden." Thomas Wydler war bei der Aufnahme zum ersten Stück des Albums (At first... but then) noch dabei. Der Wechsel verlief reibungslos, fortan ist Rudi Moser der Schlagzeuger von Die Haut. Moser lebt bereits seit einiger Zeit in Berlin, musizierte mit Bob Rutmans experimentellem Steel Cello Ensemble und arbeitete an Theaterprojekten. „Es würde ihm nicht gerecht werden, wenn man ihn nur als Schlagzeuger einstufen würde. Er hat ein paar hübsche Sounds beigesteuert, interessante Sachen. Da bieten sich auch Möglichkeiten für die Zukunft."

Das neue Album, betitelt Spring, steht für einen Neuanfang, für den Frühling, Beginn eines Jahres, für eine Quelle. Das Cover (Artwork von Johannes Beck) lässt auf letzteres schließen, doch für Die Haut spielt eine genaue Definition keine Rolle. Sie freuen sich, dass der Titel in Deutsch ebenso wie in Englisch funktioniert. Auch die Titel der Songs spiegeln eine Internationalität wider. Da gibt es das englische Sleepwalker, oder den Blood Meridian, dann folgt das deutsche Der stille Don. Sie kramten sogar ihre Lateinkenntnisse hervor: Morituri te salutant (die Totgeweihten grüßen dich). „Ich denke, den Lesern von Asterix und Obelix wird das bekannt sein." Der Titel des letzten Stückes, das, was wie eine Hieroglyphe aussieht, ist in Wahrheit ein thailändischer Ausdruck. Spricht sich „see pourk" und bedeutet so viel wie: „sehr gute Freunde". Dann gibt es da noch eine Abkürzung. „P/J, das kannst du deuten, wie du willst. Wir hatten da einen lustigen Nachmittag, wo uns zu P/J unheimlich viel einfiel, und wir dachten, das wird anderen auch so gehen. Vielleicht findest du ein Bindeglied zwischen den anderen Titeln, das dann auf P/J herausläuft." Die Haut wählt ihre Songtitel mit Sorgfalt. Da ihnen keine Texte zur Verfügung stehen, kann ein Titel eine bestimmte Stimmung angeben, die Möglichkeit eines Bildes, das dann gar einen Film im Kopf der ZuhörerIn in Gang setzen kann.

Mit dem Song Happy Trails jedoch bezeugen Die Haut einem musikalischen Vorbild Respekt. „Speziell ich habe eine Lieblingsplatte, wenn es etwas gibt, von dem man sagen kann, das war von Einfluss auf mich, wo ich merkte, ich komme immer wieder auf Sachen, die ich da gehört habe, dann war das eine Platte von Quicksilver Messengerservice: Happy Trails. Dieser Platte hat die ZuhörerIn auch das mit allen Erwartungen brechende Thai-Stück zu verdanken. Dreher nennt es mit einem Lächeln eine historische Musikanekdote. Quicksilver Messengerservice haben nämlich ihre Platte voller psychedelischer Gitarrenmusik mit einem konventionellen Countrystück ausklingen lassen. Auch Die Haut spielt hier einen klassischen Western, auf den ersten Klang jedenfalls. „Eben, das ist der Witz, ich würde sagen, es klingt wie ein orientalischer Western, man merkt da, wie stark die amerikanische Musik von der asiatischen beeinflusst worden ist. Dabei ist es eine Verarbeitung von Thai-Musik. Rainer Lingk war letztes Jahr in Thailand und hat sich mit der Musik dort sehr viel beschäftigt."

Auch diesmal splittet sich das Album in zwei Blöcke. Die erste Hälfte besteht aus instrumentalen Stücken. Die Herangehensweise Der Haut ist, dass sie ohne die Grundeigenschaften einer Songstruktur ganz andere Ergebnisse erzielen, ganz neue Wege beschreiten können. Das Ergebnis sind intensive, in Improvisationen herausgearbeitete, genau konstruierte Stücke, die einen sehr filmischen Charakter besitzen. Die zweite Hälfte des Werkes entstand ein weiteres mal unter der Mitwirkung von Gastsängern. „Das war natürlich umstritten, man hätte auch sagen können, es wäre catchiger, wenn man die Stücke abwechselt. Wir haben uns am Ende wieder für die Trennung entschieden, für das klare Statement. Möglicherweise kennen uns manche Leute nicht, es könnte der Eindruck entstehen, dass wir uns von einer Instrumentalband weg zu einer Begleitband für wechselnde Sänger hinentwickelt hätten. Das ist natürlich nicht der Fall." In den vorangegangenen Alben versammelten sie so namhafte Mitstreiter wie Nick Cave, Lydia Lunch, Jeffrey Lee Pierce (übrigens ist Spring Jeffrey - und Roland Wolff, einst Bad Seeds und Jever Mountain Boys - gewidmet), Kid Congo Powers, Anita Lane und Alan Vega. Die Haut empfand diese Art von Arbeitsteilung, bei der ihr instrumentales Material mit den Individualitäten Außenstehender verschmilzt, immer schon als spannend und anregend. „Das ist immer eine frische Art der Arbeitsbeziehung. Man hängt nicht täglich zusammen. Auch für uns ist das sehr anregend, man kocht nicht so sehr nur im eigenen Saft. Wir schreiben unsere Stücke nicht, wir arbeiten, indem wir im Proberaum improvisieren. Gelungene Stellen greifen wir heraus, jeder von uns ist maximal in einem Stück enthalten. Dann kommt der Moment, wo man sich denkt, das und das könnte von der Anlage her etwas für den oder die sein." (Dreher, 1994)

Bis auf wenige Ausnahmen rekrutieren sie die Schar der GästInnen aus ihrem näheren Freundeskreis. Nick Cave lernte Christoph Dreher auf einer Tour mit The Birthday Party kennen, bei der Die Haut als Vorband gespielt hatten. Man freundete sich an, und als Nick Cave und seine Mitmusiker London damals den Rücken kehrten, um nach Berlin überzusiedeln (immerhin gab es im Gegensatz zu London, wo jeder nur mit seiner eigenen Band beschäftigt war, in Berlin ein einzigartiges Klima, eine Szene, wo über die Bands hinaus jeder mit jedem kommunizierte, wo es einen regen Austausch zwischen MalerInnen, FilmemacherInnen und MusikerInnen gab), da kamen die Australier erst einmal alle in dem riesigen Kreuzberger Loft von Christoph Dreher unter. Lydia Lunch wiederum lernten sie bei den Aufnahmen zu Der Karibische Western kennen, die in London stattfanden. Lydia wohnte zu der Zeit in London, schrieb damals noch zusammen mit Nick Cave kurze Theaterstücke. Da Die Haut noch eine Sängerin für einen Part brauchte, dachten sie an Lydia. Diese gemeinsamen Aufnahmen seien in der Regel unkompliziert, erzählte mir Christoph Dreher 1994, schließlich verbände sie etwas mit den Leuten, man interessiere sich für ähnliche Dinge, auch außermusikalisch habe man die gleichen Hobbies, „es besteht eine Art Grundvertrauen in einer Kooperationsfähigkeit und Kompatibilität".

Auf dem Album Spring bestreiten Blixa Bargeld und Alex Hacke (von den Einstürzenden Neubauten) je einen Song, und drehen somit eine weitere Runde bei Der Haut. Blixa Bargeld singt über Franz von Assisi (The Assisi Machine), während Alex Hacke dem Stück Cinema Excessiva seine knorrige Stimme verleiht. Doch auch zwei unbekannte Namen tauchen auf Spring auf. Laurie Tomin (Okinai) ist eine Bekannte von Jochen Arbeit aus Kanada. „Eigentlich ist sie keine Sängerin. Sie ist Filmemacherin, singt aber gerne mal. Sie hat mit Jochen diesen Song entwickelt." Danielle de Picciotto kennt man aus der Formation Space Cowboys, aber auch sie singt heute nicht mehr. „Ich habe die Space Cowboys selber nie gehört, ich kenne Danielle nur als eine gute Freundin aus unserem Umfeld. Sie macht Sachen wie den Ocean Club, veranstaltet im Tresor Performances. Auch bei ihr ist es eher eine Ausnahmebetätigung als Sängerin. Sie hatte allerdings schon immer Lust, etwas mit uns zu machen." Eigentlich sollte auch Meret Becker mit einem Song vertreten sein, doch aus irgendeinem Grund kam das dann doch nicht zustande. Auch Henry Rollins Gastauftritt klappte ein weiteres mal nicht (Henry Rollins wollte damals zu Head On gleich drei Songs aufnehmen, doch als dann sein bester Freund ermordet wurde, wurde die Zusammenarbeit zurückgestellt). „Das hat sich erst einmal verflüchtigt, Rollins ist so busy, da kann man kaum kommunizieren, geschweige denn... In den letzten Jahren hat sich das zugespitzt, weil er auch kommerziell so erfolgreich wurde. Der Song Liar war eine starke Nummer, mit einem starken Video. Aber man kommt an ihn nicht heran. Doch sein eigenes Label wird jetzt Burnin´ The Ice endlich herausgeben, davon war schon so lange die Rede, das klappt jetzt doch."

Nachdem Die Haut das letzte Mal 1993 (zum Beispiel auf dem Bizarre-Festival auf der PopKomm) mit großer Besetzung auf Tour war, folgt jetzt eine kleine Tournee durch deutsche Städte. Tourdaten im Anhang.

en, Berlin

Tourdaten

Discographie:

1982: Schnelles Leben (Mini LP) - Gastsänger: Rainer Berson
1982: Der Karibische Western (12") - Gastsängerin: Stella Rico (Lydia Lunch)
1983: Burnin´ The Ice (LP) - Gastsänger: Nick Cave
1986: Fandango (12") - Gastsänger: John Paul Brasuell
1988: Headless Body in Topless Bar (LP/CD) - Gastsänger: Nick Cave, Anita Lane, Mick Harvey, Kid Congo Powers
1990: Die Hard (LP/CD) - Gastsänger: Arto Lindsay
1992: Head On (LP/CD) - Gastsänger: Blixa Bargeld, Jeffrey Lee Pierce, Lydia Lunch, Kim Gordon, Debbie Harry, Alan Vega, Anita Lane, Christina, Kid Kingo Powers
1993: Sweat (LP/CD) - Gastsänger: Blixa Bargeld, Nick Cave, Alexander Hacke, Anita Lane, Lydia Lunch, Kid Kongo Powers
1997: Spring (LP/CD) - Gastsänger: Blixa Bargeld, Alexander Hacke, Danielle Picciotto, Laurie Tomin, Luisa Bradshaw

copyright: Queer View, 10. April 1997