
Al
Fountain ist ein langweiliger Mann. Seine dunkelschwarze Hose und sein
grellweißes Hemd bezeugen bereits auf den ersten Blick Phantasielosigkeit
und Angepasstheit. Die Kugelschreiber in der Plastikeinlage in der oberen
Hemdtasche lassen darauf schließen, dass dieser Mensch ordnungsliebend,
pflichtbewusst und leidenschaftslos ist. Er arbeitet als Leiter auf einer
Industriebaustelle, fernab der nächsten Großstadt, fern von
seiner Familie, die seine Telefonanrufe überraschungslos auf die Sekunde
pünktlich annimmt. „Mr. Clockwork" nennt ihn sogar seine Frau,
sehr zur Verwirrung des humorlosen Gatten. Selbst ein „I Love You"
klingt bei ihm eher nach einer Respekterkennung und weniger nach Leidenschaft.
Seine Arbeiter halten sich von ihm fern, reißen hinter seinem Rücken
Witze. Seine Einsamkeit scheint Al gar nicht aufzufallen. Den Lauf der
Dinge hält er für gottgegeben.
Doch dann geschieht mit ihm etwas, was sein Weltbild und das physikalische Universum aus den Fugen hebt. Plötzlich sieht er, wie ein Glas sich rückwärts füllt und ein Knabe auf einem Rad rückwärtsradelt. Bald darauf folgt der nächste Schock: Die Arbeiten werden aufgekündigt, alle entlassen. Al Fountain sieht sich auf einem mal mit freier, ungeplanter Zeit konfrontiert. Aus einem inneren Impuls her begeht er seine erste freie Handlung, er belügt seine Frau über diesen Umstand. Er mietet sich einen Wagen, die Straßenschilder zeigen ihm zur freien Auswahl alle Himmelsrichtungen an, er braust einfach auf und davon.
Fast fährt er auf einen anderen Wagen auf. Am Straßenrand steht Kid, ein junger Bursche in Trapper-Hosen, ein Hippie-Kind, das sich weder von der Zivilisation noch von Vater Staat einengen lässt. Mit pflichtschuldiger Hilfsbereitschaft schleppt Al den Wagen des Jungen ab und bringt diesen nach Hause. Das allerdings befindet sich unter freiem Himmel, und ist etwas chaotisch. Sam scheint zuerst belustigt über seinen Helfer, doch dann lässt er ihn, fast missionarisch, aber auch ganz eigennützig, nicht mehr aus seinem Einflussgebiet. Ja, er versteckt sogar die Autoschlüssel von Al, damit dieser noch einen Tag länger bleibt. Al gibt zuerst den Umständen hin, findet dann jedoch Gefallen daran. Kid und Al verleben die nächsten Tage gemeinsam. Sie baden im See, ärgern die lokale Polizei, lernen zwei Mädchen kennen und feiern den 4. Juli ganz anständig.
Etwas
überdeutlich setzt Tom DiCillo gleich zu Beginn seine Message.
John Turturro beobachtet erst sich im Spiegel, zupft sich ein graues
Haar heraus, und blickt dann aus dem Fenster, wo ein alter Mann ihm spiegelgleich
entgegenblickt. Die Zeit ist ein relativer Begriff. Für Al Fountain
ist die Zeit eine Diensterfüllung, ohne feste Substanz, ohne die Möglichkeit
eines Lächelns. Box of Moonlight ist ein Roadmovie,
ein Film, in dem alles in Bewegung ist, nur Al Fountain bleibt statisch.
Dieser Mensch ist so verkniffen, dass die ZuschauerIn wenig Überraschendes
von ihm erwartet. Es braucht schon ein Wunder, um ihn zum Leben zu erwecken.
Tom DiCillo bedient sich erst eines Wunders, das sich Rückwärtsdrehen
von Ereignissen, dann eines Zufalls, die Bauarbeiten werden gecancelled,
dann das Aufeinanderprallen zweier Charaktere, das Treffen mit Kid, der
auf der Landstraße liegengeblieben ist. Die Zeit dreht sich wie eine
Uhr immer wieder im Kreis. Al Fountain fährt durchs weite Land, aber
am Ende kommt er wieder dort an, von wo er abgefahren ist, bei der Baustelle.
Und
doch beinhaltet die Umdrehung der Zeiger eine Wandlung. Mit viel Freude
zerstören Al und Kid die Anlagen auf der abgebrochenen Baustelle,
und als Al endlich wieder zu Hause bei seiner Familie ist, da ist er ein
anderer Mensch. Die Schatulle mit dem blauen Schein des Mondlichtes ist
das schönste Geschenk an seinen Sohn. Box of Moonlight ist
ein Stück Rhythmn ‘n’ Blues, gleichzeitig ein Märchen. Leider
jedoch zu behäbig inszeniert, als dass sich die ZuschauerIn nicht
bereits dann langweilt, sobald sie für einen Moment die Aufmerksamkeit
schleifen lässt. Dabei weiß der Film durch seine Liebenswürdigkeit
zu betören, wenn man sich auf ihn nur einlässt. Auch wenn die
Charaktere keine Indentifikationsmöglichkeiten aufweisen, man erkennt
sich nur in Teilen wieder, egal ob man selbst zur strebsamen Sorte gehört
oder Hippie ist. Es ist besonders dem Spiel der Schauspieler, allen voran
John Turturro und Sam Rockwell (es ist ihr Film!) wert zu
folgen, dem, wie sie sich fast unmerklich zueinander hinbewegen. Der Charakter
des Al Fountain wandelt sich mit so viel Sensibilität, dass es fast
schmerzt, dass sich der Regisseur damit nicht zufriedengab. Tom DiCillo,
der in Living in Oblivion durch unvorhersehbare Wendungen
und überraschende Gags zu unterhalten wusste, überlässt
zu wenig der Magie der Schauspielkunst. Zu viele Hinweise erschlagen die
ZuschauerIn mit der Deutung, dass man sich gehen lassen können muss,
um das Leben in vollen Zügen genießen zu können.
en, Berlin
Gesehen während der:
63. MIFED 1996
Wir halten auch ein Interview mit Tom DiCillo zu Living In Oblivion bereit, bei Interesse mailt uns an.
copyright: Queer View, April 13, 1997