Interview
mit dem Regisseur

Clemens Kuby

Queerview: Wie kamen Sie darauf über dieses Volk einen Film zu machen?

Clemens Kuby: Durch einen befreundeten Produzenten in Bombay, der gerade einen Werbefilm für den indischen Staat gemacht hatte: „Trinkt Milch statt Coca Cola". Zu den Aufnahmen für diesen Spot besuchte er auch eine Milchsammelstelle in den Nilgiri-Bergen. Dort traf er auf die Todas, die ihre Milch dort abgaben. Er sagte mir später, nachdem er sich etwas mit diesen Menschen befaßt hatte, er hätte spontan an mich gedacht. Zu dieser Zeit war ich aber noch mit der Arbeit an Living Buddha beschäftigt. Ein halbes Jahr später allerdings, sprach mich Maria von Welser an, ob ich einen Beitrag über die Todas für das ZDF-Magazin Mona Lisa drehen würde. So bin ich dann nach Bengala/Indien gefahren.

QV: Wie verlief dann der erste Kontakt mit den Todas?

Clemens Kuby: Mein indischer Begleiter und ich hatten einen Termin mit einer Frau, die uns mit den Todas bekannt machen wollte. Der Termin sollte Montag sein. Den Samstag abend davor passierte etwas, das ich Schicksal nenne, andere nennen es Zufall. Ich sah in der Dämmerung ein ganzes Stück vor mir auf der Straße eine Gestalt. Mein Produktionsleiter, der mich begleitete, meinte, es könnte ein Toda sein. Als wir auf einer Höhe mit der Person waren, stellte sich heraus, daß es tatsächlich um einen Angehörigen dieses Volkes handelte. Er lud mich dann in seine Hütte ein und erzählte die ganze Nacht hindurch. Ich hätte großes Glück, sagte er, daß am kommenden Dienstag eine Stammesratsversammlung sei, die nur einmal im Jahr stattfindet und an der alle Clans teilnehmen würden. Er verschaffte mir Zutritt zu dieser Versammlung und ich konnte mein Anliegen vortragen. Da stand ich dann mittendrin in diesem Kreis und sprach in Englisch zu einem Tamil, der das Gehörte dann an einen Bagada weitergab, der seinerseits Tamil verstand. Am Ende dieser Reihe stand dann ein Toda, der den Bagada verstand. Nach einer guten halben Stunde der Übersetzung und Beratung, stimmten die Todas meinem Vorhaben schließlich zu.

QV: Gab es Schwierigkeiten mit der indischen Regierung die Dreharbeiten betreffend, wie es bei Living Buddha der Fall war?

Clemens Kuby: Wir hatten zuerst keine Drehgenehmigung der Regierung und es kam soweit, daß meine Crew verhaftet wurde. Die Todas hatten mich und auch das Material freundlicherweise versteckt, so konnte ich einer Verhaftung entgehen, denn wir hatten schon damit gerechnet, daß derartiges passieren könnte. Da meine Crew aus Indern bestand, mußte die Polizei sie schließlich laufen lassen und auch die beschlagnahmten Geräte wieder herausgeben.

QV: Wie reagierten die Menschen auf die Kamera?

Clemens Kuby: Die Kamera an sich war nie das Problem. Anders verhielt es sich allerdings mit der Tatsache, daß ich in diese kleinen Dörfer, in denen maximal 20 Todas leben, mit einer Crew von 35 Leuten einfiel, wo jeder solche merkwürdigen Dinge wie Alukisten oder riesige Reflektoren und ähnliches herumträgt. Aber sie haben dieses ganze Treiben mit Humor genommen.

QV: Wie klappte es denn mit der Verständigung?

Clemens Kuby: Ich habe die Angewohnheit meine Gesprächspartner anzufassen. Hier in Deutschland wird einem immer gleich auf die Finger gehauen. Aber dadurch kann ich einen direkten Kontrakt zu diesen Menschen herstellen. So kann man vieles verstehen, auch wenn man die Sprache selbst nicht beherrscht. Zum Beispiel habe ich oft die Hand von Pilgichku gehalten, wenn sie erzählt hat. (Anm.: Pilgichku ist eine der Frauen, die erzählend durch den Film führen. Sie gehört zu den weisen Alten des Volkes.) Nicht selten ist es so, daß ich eine Frage stellte, die übersetzt wurde und die Antwort verstand ich intuitiv, schon allein durch die Wärme die ich über die Hand der Person spürte. So konnte ich auch sehr schnell herausfinden, ob ich ihre Hütten betreten durfte oder ob sie damit nicht einverstanden waren.

QV: Wie lange waren Sie denn vor Ort?

Clemens Kuby: Ich habe die Todas viermal besucht. Insgesamt habe ich mit dem Stamm knapp zwei Monate gedreht.

QV: Gab es Tabuthemen?

Clemens Kuby: Bei der Frage nach der Aufhebung des Verbotes für die Frauen den Tempelbezirk zu betreten, reagierte die von mir angesprochene Frau sehr schüchtern. Aber man darf nicht vergessen, daß um sie herum meine indischen Mitarbeiter standen, die Kameras und Reflektoren hochhielten. Da ist die Situation für solch eine Frage schon etwas unangenehm; daß sie da nicht offen Rede würde, war mir eigentlich schon klar. Sehr heikel wurde es, als ich die Herstellung des Verhütungsmittels filmen wollte. Da waren die Frauen nicht bereit weitere Erklärungen dazu abzugeben. Das war ihnen eigentlich nicht recht, denn dies ist etwas, daß die Frauen unter sich ausmachen. Da sind noch nicht einmal die Toda Männer eingeweiht.

QV: Die Todas haben ein enormes Wissen wenn es um Heilungsverfahren geht. Was aber passiert, wenn ein Stammesmitglied so krank wird, daß es im Krankenhaus behandelt werden muß? Aufgrund der fortschreitenden Umweltverschmutzung sicher auch keine Seltenheit mehr.

Clemens Kuby: Sie heilen immer auf ihre spezielle Art. Ich wollte ihren Sitten gerecht werden und habe meine Schuhe ausgezogen, um wie die Todas barfuß zu gehen. Das ging gerade einmal 150 m gut und ich hatte mir einen Riesendorn in den Fuß getreten. Ich konnte nicht mehr weiter. Obendrein war das auch noch ein Giftdorn. Wir überlegten schon, ob ich ins nächste Krankenhaus gefahren werden müßte, als ich gefragt wurde, ob ich denn auch mit der Toda Medizin einverstanden wäre. Als ich zustimmte, sagten sie mir, ich solle mich auf den Bauch legen. Ein Mann setzte sich auf meine Schulterblätter, der andere auf meinen Po und ein dritter dann auf meine Oberschenkel, der Dorn wurde entfernt, das Bein abgebunden und dann wurde ein kochender Sud in die Wunde gekippt. Das Ergebnis war, daß ich sechs Wochen nur noch humpeln konnte, weil sich eine riesige Brandblase gebildet hatte. Die Todas waren bester Dinge, für sie war die Operation insoweit erfolgreich, als sie das Gift neutralisiert hatten, das so stark sein soll wie ein Schlangenbiß. Im Grunde war ich selbst schuld. Die Todas haben einen schlurfenden Gang. Dadurch werden kleine Äste, Wurzeln etc. flachgelegt oder geschoben, bevor sie ihr volles Gewicht drauf legen. Durch diesen Gang sieht es aus, als würden sie schweben.

QV: Die Todas leben vegetarisch?

Clemens Kuby: Ja, sie finden alles im Wald, Aminoräuren, Vitamine, alles lebensnotwendige nehmen sie aus der Natur. Man muß sich mal vorstellen, daß es auf der Erde rund 250 000 verschiedene Pflanzen gibt, davon sind ca. 75 000 essbar. In unserem Kulturkreis hantieren wir gerade einmal mit 150 Pflanzenarten. Was mir auffiel war, daß sie sehr wenig essen auf den Tag verteilt. Sie sind zwar nicht unterernährt, aber in der Regel sehr dünn. Dafür sind sie unglaublich zäh. sie können am Tag gut 30 Kilometer laufen.

QV: Einige Frauen tragen einen Punkt auf der Stirn, der in Indien traditionell für das Kastenzeichen steht.

Clemens Kuby: Das ist eine Modeerscheinung. Es ist eigentlich ja ein Hinduschmuck, um das dritte Auge zu betonen.

QV: Wie erklären Sie sich, daß dieses Volk und seine Lebensweise so lange schützt waren?

Clemens Kuby: Das haben sie vor allem dem Klima zu verdanken. In der englischen Kolonialzeit retteten sich die englischen Besatzer immer in die Nilgiri-Berge, um der unerträglichen Sommerhitze zu entkommen. Als sie sich dort näher umsahen, stellten die Engländer fest, daß die Todas weder Felder noch Umzäunungen hatten. So konnten sie ihrer Lieblingsbeschäftigung dort ungehindert frönen, die aus Reiterspielen und Fuchsjagden bestanden. Um diesen Freizeitspaß nicht zu verlieren, haben die Engländer es zweihundert Jahre lang unterbunden, daß die Todas irgendwie verändert werden oder in ihr Land eingedrungen wird.

QV: War den nie der Reiz der unbekannten (westlichen) Zivilisation so stark, daß sich der ein oder andere Toda von seinem Stamm getrennt hat oder zumindest daran teilhaben wollte für einige Zeit?

Clemens Kuby: Das kam nachdem die Engländer das Land verließen und die Inder anfingen mit dem Stamm zu handeln. Man zeigte langsam immer mehr Interesse am Land dieses Volkes. Die Todas kamen mehr und mehr auch in Berührung mit dem, was die Zivilisation bietet. Erstaunlich ist allerdings, daß all dies nur auf die Männer attraktiv wirkt. Männer sind z. B. versessen auf Mopeds. Die kosten aber Geld und um dieses Geld zu verdienen müssen sie sich zwangsläufig in die Zivilisation integrieren. Sie sind es auch, die sich Videos ansehen oder sich ganze Nächte um die Ohren schlagen. Frauen kämen gar nicht erst auf die Idee. Ihr Interesse liegt mehr an der Bildung. Das einzige, womit sie sich verführen lassen sind Seidenstoffe. Sie stellen sich gern vor, wie sich ein Seidensari auf der Haut anfühlt. Aber das Verlangen danach ist nicht so stark, daß sie bereit wären, dafür ihre Lebensweise aufzugeben.

QV: Im Film kommen überwiegend Frauen zu Wort, war das mehr Zufall oder wollten Sie damit bewußt machen, daß die Rolle des Mannes durchaus nicht immer dominierend sein muß, wie es ja in unserem Kulturkreis meist der Fall ist?

Clemens Kuby: Das war Zufall. Ich habe nie geplant einen Frauenfilm zu machen. Es kam vielleicht dadurch, daß ich mit meiner Hauptübersetzerin Vasamalli Pothily viel besprochen habe, was ich vorhabe und wissen möchte. Sie sprach sehr viel mit ihren Freundinnen bei den Todas und so ergab es sich ganz von selbst. Nebenbei bemerkt, die Männer sind nicht aus sich heraus gekommen. Sie wollten zwar immer daneben stehen und zuhören und alles sehen, aber sobald die Kamera auf sie gerichtet wurde, sind sie oft weggelaufen, ganz im Gegensatz zu den Frauen.

QV: Wird es zum Film auch wieder ein Buch geben, so wie zu Living Buddha?

Clemens Kuby: Ich hatte extra eine Ghostwriterin bei den Dreharbeiten gehabt, die alles aufzeichnete, auch was ich ihr unterwegs noch erzählte. Mehr als hundert Seiten sind abgetipppt worden, basierend auf Tonbändern in Basmati-Sprache. Wir haben auch eine Unmenge Fotomaterial. Von unserer Seite war dann auch alles soweit fertig, daß das Buch erscheinen konnte. Aber leider sagte uns der Verlag, daß sie den Druck nicht bis zum Kinostart schaffen könnten, nach dem Kinostart sei es für sie kein kommerzieller Erfolg mehr und haben das Projekt fallen gelassen. Ich hoffe aber, daß wir das Buch trotzdem noch veröffentlichen können, wenn der Film für den Weltmarkt auf Englisch erscheint. Schade ist es in jedem Fall, da das Buch praktisch schon fertig ist und der Erfolg bei Living Buddha gezeigt hat, daß die Zuschauer, gerne auch noch mehr in Form eines Buches erfahren möchten.

QV: Es gibt in der Anschauung der Natur und auch im Aussehen der Todas Parallelen zu den nordamerikanischen Indianern.

Clemens Kuby: Ja - allerdings gibt es den großen Unterschied, da´die Todas Vegetarier sind. Die Büffel kommen zu ihnen und leben mit den Todas, während die Indianer die Büffel jagten, um von ihnen zu leben. Die unglaubliche Weiterentwicklung besteht darin, daß die Tiere bei den Todas instinktiv wissen, daß sie in keine Falle gehen. Aber manchmal sehen die Todas zumindest so aus wie Indianer, zum Beispiel die Art, wie sie ihr Haar tragen.

QV: Was hat sie an diesem Stamm besonders fasziniert?

Clemens Kuby: Was mich besonders fasziniert hat, die Todas sind noch eingebettet in den Kosmos. Sie sind völlig eins mit den Bäumen, mit denen sie reden, denn für sie sind die Bäume Wesen wie sie selbst. Sie haben auch vor dem Tod keine Angst. Ihre Toten - so glauben sie - gehen nach Abunur, ein wunderschönes unberührtes Tal. Dieses Tal existiert. Für den Stamm leben dort ihre verstorbenen Verwandten, die sie besuchen können und mit denen sie reden, auch wenn diese Verwandten keine körperliche Hülle mehr haben. Da die Kommunikation eine geistige Angelegenheit ist, spielt dies aber keine große Rolle. So ist für dieses Volk der Umgang mit dem Tod stimmig und mindert ihre Angst davor, denn es geht ja weiter, nur auf einer anderen Ebene. Sie sind von ihrem Charakter her sehr sanfte Menschen, die noch nie Krieg geführt haben.

QV: Büdi Siebert hat die Musik zu Ihrem Film komponiert. Wie kamen Sie auf ihn?

Clemens Kuby: Nachdem ich den Film Das alte Ladakh gemacht hatte, schickte mir Büdi einige CDs von sich zu. Als ich dann an meinem nächsten Film arbeitete, Der Dreh zu Living Buddha, habe ich zum ersten Mal seine Musik verwendet. Büdi rief mich in der Zeit an, als ich gerade an den Todas arbeitete. Ich schickte ihm eine 2 ½ stündige Fassung meines Dokumentarfilms und er war begeistert. Er ist ja noch viel stärker an den spirituellen Dingen interessiert, als ich es bin. Es gibt etwas, daß und indirekt verband und das war Sun Bear. Sun Bear hatte mich kontaktiert und fragte, ob ich nicht einen Film über ihn machen könnte. Es gab einen regen Briefwechsel zwischen uns, Konzepte für den Film waren ausgearbeitet und es gab eine ganze Reihe Fotomaterial. Leider starb Sun Bear bevor wir das Projekt realisieren konnten. Dann traf ich Büdi und erfuhr, daß Sun Bear sein Lehrmeister gewesen ist. Er hatte sehr schnell auch eine starke Beziehung zu den Todas. Ich fuhr dann für rund 10 Tage mit den Tonbändern, die ich von den Gesängen der Todas angefertigt hatte, zu ihm. Wir arbeiteten Tag und Nacht daran. Nachdem die Musik für den Film aufgenommen war, kam die Idee auf noch eine CD daraus zu machen. Was für den Film schon aufgenommen war, reichte für eine ganze CD aber noch nicht aus. Daher überlies ich ihm dann die Bänder und er komponierte noch eine Reihe weiterer Stücke, die es im Film nicht gibt.

QV: Der Erlös aus Film und CD soll den Todas zugute kommen. Was werden Sie mit dem Geld machen?

Clemens Kuby: Ich habe lange überlegt, wie ihnen das Geld am ehesten helfen kann. Ich kam dann zu dem Schluß, eine Stiftung zu gründen. Zum einen entsteht dadurch die Möglichkeit, diesem Volk auch durch weitere Spenden helfen zu können, zum anderen können sie damit einen Rechtsbeistand bezahlen. Die Todas haben das gleiche Problem wie die Indianer in Amerika. Die kapitalistische Verfassung Indiens erkennt keinen Stammesbesitz bzw. kollegtiven Besitz an. Für die Todas ist es schwer sich zu verteidigen, denn ihnen ist das Recht eines einzelnen auf Boden völlig fremd. Daher brauchen sie Anwälte, die bis zum obersten Gericht in Deli gehen, um dort den Besitz der Todas einzuklagen und dafür zu sorgen, daß er geschützt wird, auch wenn es so nicht in der Verfassung steht.

QV: Was wird Ihr nächstes Projekt sein?

Clemens Kuby: Ich plane seit einem Jahr einen neuen Film, der sich mit „Mind Control" beschäftigen wird. Das soll der erste virtuelle Dokumentarfilm werden. Mit Living Buddha hatte ich ja den ersten Film, der sich um einen Menschen mit zwei Leben drehte und nun möchte ich zeigen, wie es funktioniert, daß der Mensch Erfahrungen außerhalb von Raum und Zeit machen kann.

Claudia Hötzendorfer - Düsseldorf

Filmkritik

Soundtrack

Interview mit Büdi Siebert