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23

RANDONNÉE

(nach Michel Serres)


23 
RANDONNÉE 
(nach Michel Serres) 

23.1 
Northwest Passsage (1995) 
für Klarinette(es), hohe Trompete(f), Violine, Kontrabass 2 Schlagzeuger (1995) 

The Northwest Passage connects the Atlantic and Pacific Oceans, high in the Great Canadian North. It opens, narrows and twists in an endlessly complicated zigzag line of bays, channels and inlets across the great, fractal Arctic archipelago between Baffin Bay and Banks Island; randomness and strict regularity, law and disorder. 

Dem Stück liegt eine Projektion eines Tonhöhennetzes auf die Karte des hohen Norden Kanadas zugrunde, wodurch sich die Northwest-Passage windet, vorbei an den tragischen Orten vieler im Eis gescheitereter Expeditionen. Drei Wege werden zugleich gegangen, ein asymmetrischer Kanon schlängelt sich durch die Passagen zwischen Eisfijorden und such den Durchgang in den Pazifik oder in umgekehrter Richtung den in den Atlantik. Das Stück kommt zur Ruhe an dem Punkt “Okulik”, wo Eskimos einst das zerborstene Schiff einer der Expeditionen fanden. 

"Ich suche die Passage, die von der exakten Wissenschaft zur Wissenschaft vom Menschen führt. Oder von uns zur Welt. Der Weg ist nicht so einfach, wie die Klassifikation des Wissens ihn erscheinen lassen mag. Ich halte ihn für sehr viel schwieriger als die berüchtigte Nordwest-Passage." (Michel Serres) 

23.2
Streifzüge (1996) 
Für Klavier (Vorlage: Karte mit Pilgerwegen) 
Zusammen mit Hannes Böhringers Text: Abgeschiedenheit


Partiturausschnitt groß

23.3 
Parasit/Paraklet
für Klarinette, Streichquartett und Tonband (1995) 

Das 1995/96 geschriebene Stück geht auf das Buch "Der Parasit" des Philosophen Michel Serres zurück, in dem das Rauschen zum Gegenstand der Reflexion wird. 
Im ersten Teil Parasit spielt ein geräuschhafter Bordun eine wichtige Rolle, aber auch die Tatsache daß ein Grund-Rauschen die Musik stören, transformieren kann. 
Im zweiten Teil Paraklet wird diese Störung zu einem Windhauch, zum Rauschen des heiligen Geistes, ja zum Feuerwind. In diesem zweiten Teil spielen Volksliedmelodien aus Bosnien eine wichtige Rolle. "Paraklet" ist der helfende Geist, der eine Art umgekehrte Pilgerreise ins ehemalige Jugoslawien macht. 

"Ich rufe Sie herbei, ich rufe, ich bitte. Wer ist der Geladene, Gebetene, Gerufene? Parakletos, Fürsprecher. Er tritt dazwischen, er unterbricht, durch Mauern hindurch tritt er mitten in die Mahlzeit oder in die Versammlung. Er ist der Wind, er ist das Wesen des Windes, der Hauch, den die Juden ruach nennen. Der Parasit Paraklet, das Rauschen Heiliger Geist wird zum hôte. An der Tür des Saales hörten sie an jenem Tage ein Brausen. Aufgeteilt in Feuerzungen über den Köpfen, ist der eingeschlossene Dritte seither an allen Orten."
(Michel Serres) 

23.4. 
Monade/Nomade 1 
Dit 

Für Violoncello und Tonband (1999) 
Für Werner Heider zum 70sten

Dit wurde geschrieben für das In Nomine-Projekt des ensemble recherche. Hier sieht sich der Interpret mit der Aufgabe konfrontiert, zu der Tonbandaufzeichnung (von Artur Simon) eines Liedes aus Mailal (West-Neuguinea) so exakt wie möglich im Unisono eine tongetreue Transkription dieses Gesangs zu spielen und zu singen, der wie die Antiphon des John Taverner den Tonumfang einer None besitzt. Obwohl die Eipo Papuas missioniert wurden und am Weihnachtsfest 1980 unter dem Einfluss der Unevangelized Fields Mission ihre Heiligtümer verbrannten, ist dieser Gesang nur zufällig in seinem Tonumfang identisch mit dem In Nomine cantus firmus.

Monade/Nomade 2 
Quattro Coronati 

Für Cello Piccolo (auch Violoncello) (1999) 
Für Dieter Schnebel zum 70sten

Dit wurde geschrieben für das In Nomine-Projekt des ensemble recherche. Hier sieht sich der Interpret mit der Aufgabe konfrontiert, zu der Tonbandaufzeichnung (von Artur Simon) eines Liedes aus Mailal (West-Neuguinea) so exakt wie möglich im Unisono eine tongetreue Transkription dieses Gesangs zu spielen und zu singen, der wie die Antiphon des John Taverner den Tonumfang einer None besitzt. Obwohl die Eipo Papuas missioniert wurden und am Weihnachtsfest 1980 unter dem Einfluss der Unevangelized Fields Mission ihre Heiligtümer verbrannten, ist dieser Gesang nur zufällig in seinem Tonumfang identisch mit dem In Nomine cantus firmus.

„Quattro Coronati“ für Violoncello Piccolo (oder Cello ordinario) entstand im März 1999 in Rom als kleine Gabe zum 70sten Geburtstag von Dieter Schnebel, in Erinnerung an einen gemeinsamen Besuch des unheimlichen Klosters Quattro Coronati, den Text von Iris Schnebels Mutter Marie Luise Kaschnitz „Die böse Nonne“in der Manteltasche. Das Stück entstand in San Lorenzo fuori le muri, unweit des Friedhofs, auf dem Scelsi begraben wurde.Dieser Stadtteil wurde im zweiten Weltkrieg bombardiert und so war es nicht erstaunlich die empörten Reaktionen angesichts des ausbrechenden Jugoslawienkrieges der Nato zu erfahren.

Der Cellist intoniert den Luthersatz: „Und wenn morgen die Welt unterginge würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen“


23.5 
Baile de la conquista 
für Flöte (Piccoloflöte, Baßflöte), Oboe (Englischhorm, Okarina) und Schlagzeug (1996)

Dieses Trio ist der fünfte und letzte Teil des 1996 abgeschlossenen Zyklus "Randonnée". Voraus gehen Northwest - Passage für Sextett, Streifzüge für Pianist mit Sprechstimme (mit Hannes Böhringers Textsammlung "Abgeschiedenheit" zu spielen), Parasit/Paraklet für Klarinette und Streichquett sowie Monade/Nomade für Cello-Piccolo. 

Die Abschnitte des Trios sind mit Mitla, Atitlan, Tikal und Ixil/Danza del Venado y Danza del Tigre überschrieben. Baile de la Conquista versucht, vier Orte Mittelamerikas (drei in Guatemala, einen in Mexico) zur Vorlage einer Komposition zu nehmen. Das Stück ist der fünfte eines Zyklus RANDONNÉE der über krisenbehaftete Orte reflektiert. Die anderen beiden Stücke sind: Northwest-Passage (über den arktischen Norden Kanadas) und Parasit/Paraklet (über den Balkan). Die vier Orte in diesem Stück sind: 
1) Mitla, ein Tempel der Toten aus der Zeit der Zapoteken. Die Steinfriesornamente rings um den Tempel werden in rhythmische Schichten übersetzt. 
2) Atitlan, ein See in einem Vulkangebiet Guatemalas, dessen Horizontlinien in Klänge übertragen werden. 
3) Tikal, eine Maya Ruinenstadt im tropischen Urwald Guatemalas, dessen Geräuschwelt übertragen wird und 
4) Ixil, ein Gebiet in dem Hochland Guatemalas, in dem vor einigen Jahren Pogrome an den Indianern verübt wurden. Der "Tanz des Tigers und des Hirschen" erinnert an den Konflikt der Großgrundbesitzer und Landarbeiter. Die gerufenen Namen sind Orte, in denen zwischen 1978 und 1983 rund 25.000 Angehörige der Ixil-Mayas vom Militär ermordet wurden, sowie Namen der verhaßten Machthaberin Guatemala. 
So bewegt sich das Stück von einem Ort der vor langer Zeit Gestorbenenen über eine bukolische Schleife zu einem Ort der jüngst Umgekommenen. 

Baile de la Conquista, Tanz des Eroberers, wird von den Eingeborenen getanzt, die sich damit über die Kolonisatoren lustig machen. Auch der Komponist dieses Stücks ist in gewisser Weise einer davon, macht er sich doch zum Nutzniesser vor allem durch den Gebrauch von zahlreichem dort vorgefundenen Schlagzeug: Vaina de Algarroba, Teponatzli, Boule de Agua, Raspador, Matachin Rassel etc.
  

23.6
Seidenstraße (2001)

Experimentalfilm und elektronisch transformierte
Musik der Seidenstraße
 

Seidenstraße“ behandelt die verschiedenen Konnotationen des Faltenwurfs, von der poetischen Beschreibung Leonardo da Vincis bis zu einer Anklage einer afghanischen Frau über den Verhüllungszwang. So ist auch der Untertitel zu verstehen: Faltenwurf/Steinwurf. Klänge voller Ornamente, die sich wie weich fallende Stoffbahnen oder knittriges Faltengeschiebe entlang einer geografischen West-Ostlinie bewegen. Sie treffen auf zwei Texte zur Körperverhüllung: Der eine, poetische zur Zeichentechnik des Faltenwurfs stammt von Leonardo da Vinci:


„Come le figure, essedo vestite di matello, no debono tato mostrare lo nudo
che 'l matello paia i sulle carni, se già tu no volessi che 'l matello fusse sulle carni, iperochè tu debi pensare che tra 'l mantello e le carni sono altre vesti che ipediscono lo scoprire e 'l parere la forma delle mebra sopra il matello; e quelle mebra che fai discoprire fa le in modo grosse che li apparisca sotto il matello altre vestimeta, ma solo farai scoprire la quasi uera grossezza delle mebra a una nifa o uno agielo, i quali si figurano vestiti di sottili vestimeti sospiti e ipressi soffiare de' ueti sopra le mebra di dette figure.“

(„Die Gestalten, die mit einem Umhang bekleidet sind, dürfen ihre Körperformen nicht
so sehr zeigen, daß es aussieht, als trügen sie den Umhang unmittelbar auf der Haut,
es sei denn du willst, daß sie den Umhang auf der Haut tragen; daher mußt du bedenken,
daß zwischen dem Umhang und der Haut andere Kleidungsstücke sind, die das Enthüllen
oder Sichtbarwerden der Körperformen unter dem Umhang verhindern. Und diese
Körperteile, die due sichtbar machen möchtest, sollst du in groben Umrissen machen,
damit man unter dem Umhang die anderen Kleider ahnt. Die wirkliche Größe der Glieder
wirst du nur bei einer Nymphe oder einem Engel sichtbar machen, denn diese stellt man
immer mit leichten Kleidern dar, die ihnen der Windhauch um die Glieder schmiegt.“)

Der andere, ein apokalyptischer Text einer Afghanischen Frau, der per e-mail-Rundbrief in mein Haus flatterete, schildert die verheerenden Erniedrigungen, die bis zur Steinigung von Frauen führen, wenn sie das Verhüllungsgebot brechen:

e-mail Rundbrief "For all concerned Women and Men"
One woman was beaten to DEATH by an angry mob of fundamentalists for accidentally exposing her arm while she was driving. The government (of Afghanistan) is waging a war upon women. (The situation is getting so bad that one person in an editorial of the Times compared the treatment of women there to the treatment of Jews in pre-Holocaust Poland.)
(Since the Taliban took power in 1996), women have had to wear burqua and have been beaten and stoned in public for not having the proper attire, even if this means simply not having the mesh covering in front of their eyes. Another was stoned to death for trying to leave the country with a man who was not a relative.
Women are not allowed to work or even go out in public without a male relative; professional women such as professors, translators, doctors, lawyers, artists and writers have been forced from their jobs and stuffed into their homes, so that depression is becoming so widespread that it has reached emergency levels.
There is no way in such an extreme (Islamic) society to know the suicide rate with certainty, but relief workers are estimating that the suicide rate among women, who cannot find proper medication and treatment for severe depression and would rather take their lives than live in such conditions, has increased significantly. Homes where a woman is present
must have their windows painted so that she can never be seen by outsiders. They must wear silent shoes so that they are never heard. Women live in fear of their lives for the slightest misbehavior. Because they cannot work, those without male relatives or husbands are either starving to death or begging on the street even if they hold Ph.D.'s.
There are almost no medical facilities available for women and relief workers, in protest, have mostly left the country, taking medicine and psychology and other things necessary to treat the sky-rocketing level of depression among women. At one of the rare hospitals for women, a reporter found still, nearly lifeless bodies lying motionless on top of beds, wrapped in their burqua, unwilling to speak, eat, or do anything, but slowly wasting away. Others have gone mad and were seen crouched in corners, perpetually rocking or crying, most of them in fear. One doctor is considering, when what little medication that is left finally runs out, leaving these women in front of the president's residence as a form of peaceful protest. It is at the point where the term 'human rights violations' has become an understatement.
Husbands have the power of life and death over their women relatives, especially their wives, but an angry mob has just as much right to stone or beat a woman, often to death, for exposing an inch of flesh or offending them in the slightest way.

Die durch elektronische Prozesse zu Schleier- und Faltenklängen verarbeiteten Musikfetzen stammen aus Ländern entlang der Seidenstraße.
Die Aufnahmen der gotischen Holzmadonnen stammen aus dem Diözesanmusuem Köln und beleuchten in langsamen Schwenks den Faltenwurf der Gewänder. Die Performance Stills von Esther Ferrer „A Day in the Life of a Woman“ and „Cosas“weisen auf das andere Extrem der Verhüllung.



23.7
Sarganserland
für Stimme, Schlagzeug und Schwyzerörgeli (2008)
Text von Michael Donhauser

23.8
Chantbook of Modified Melodies
for double string-duo  (2011)


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