Willkommen, Freunde !
	Willkommen Kunstfreund, willkommen in meiner Galerie zur soundsovielten Vernissage! 
	Heute eröffne ich eine Ausstellung ohne Bilder an den Wänden, ohne Objekte 
	auf dem Boden. Das wird Ihnen jedoch nicht auffallen, weil Sie nicht hinsehen werden, 
	wie Sie nie hingesehen haben in all den Jahren. Denn es ist Ihnen völlig 
	gleichgültig, was an den Wänden hängt und was auf dem Boden steht. 
	Sie kommen ja nicht wegen der Kunst.
	Sie kommen aus Eitelkeit - um gesehen zu werden! Sie kommen aus Neugier - um andere 
	zu sehen! Wie genießen Sie das Privileg, an der Eingangstür den 
	Professor X zu erkennen, über den schon dreimal im "Spiegel" zu lesen war! 
	Wie sonnen Sie sich in der Nachbarschaft des Baron v.Y, dessen Frau, wie man munkelt, 
	mit einem SPD-Funktionär durchgebrannt ist!
	Sie kommen zu meinen Vernissagen nur, weil Sie hier Leute treffen, die zu treffen 
	für Sie und Ihresgleichen ein gesellschaftliches Ereignis ist; banale Prominenz, 
	obskure Honoratioren, Provinz-Intellektuelle, Show-Stars. Ihre Anwesenheit soll 
	beweisen: Sie gehören dazu. Ein- oder zweimal fragten Sie mich, ob auch 
	der "Künstler" anwesend sei (dessen Namen Sie nicht wußten, 
	weil Sie auf meinen Einladungen außer Tag und Stunde der Vernissage nichts lesen), 
	und ich habe Ihnen den Künstler gezeigt. Aber dann entdeckten Sie irgendwelche 
	Kulturidioten aus Ihrem Bekanntenkreis, und so ging Ihr Beinahe-Zusammenstoß 
	mit der Kunst noch einmal glücklich aus.
	In den letzten Jahren haben Sie bei mir, knapp gerechnet, sieben Flaschen Sekt und drei 
	Liter Orangensaft getrunken. Sie haben Löcher in meinen Teppich gebrannt. 
	Sie haben sich vor Ihren Bekannten mit meiner Einladung wichtig gemacht. Sie haben 
	mich beleidigt, indem Sie mir einen Maler empfahlen, den Sie im Urlaub auf Ibiza 
	kennenlernten und der, da er Ihnen gefiel, ein arger Kitschier sein muß. 
	Sie haben meine Zeit gestohlen und sich auf meine Kosten amüsiert. 
	Gekauft haben Sie bei mir nie etwas.
	In diesen Jahren sind Sie jedoch mit vier verschiedenen Pelzmänteln bei mir 
	aufgekreuzt; in dieser Zeit nahm ich an Ihren Sorgen teil, die Ihr Ferienhaus in 
	Dänemark und Ihre Skihütte in den Bergen betrafen. Ich mußte mir 
	anhören, wie schwierig es ist, ein Ersatzteil für Ihren Jaguar zu beschaffen; 
	ich habe von den Vorzügen der Umwälzanlage in Ihrer Schwimmhalle erfahren. 
	Ich kenne die Probleme, die Sie mit Ihren mißratenen Kindern haben.
	Meine Galerie ist für Sie Wärmehalle, Imbißstube und Klatschzentrale, 
	wo Sie austauschen können, was Sie für austauschwürdig halten: 
	Urlaubserinnerungen, Premierenberichte, Erfahrungen mit Babysittern, Kochrezepte, 
	Einkaufstips. 
	Einmal kamen Sie zu mir und berichteten von einem ganz tollen Maler, den Sie auf 
	der Biennale in Venedig entdeckt haben wollten. Als ich Sie darauf aufmerksam machte, 
	daß ich diesen tollen Maler bereits vor drei Jahren bei mir ausgestellt hatte, 
	als er noch unbekannt war und seine Bilder noch billig waren, erlosch Ihr Interesse 
	an der Kunst so jäh, daß ich hoffte, Sie zum letztenmal gesehen zu haben.
	Aber Sie kamen wieder, und Sie werden weiter zu meinen Vernissagen kommen, wo man 
	gewesen sein muß, wenn man dazugehört. Sie werden wie immer ungeniert 
	zu erkennen geben, daß Sie eine Radierung nicht von einer Lithographie 
	unterscheiden können und Aquatinta für einen italienischen Rotwein halten.
	Sie werden sich damit brüsten, in der Schule in Zeichnen eine Eins gehabt zu haben. 
	Sie werden mich auch in Zukunft durch Ihr Geschwätz daran hindern, mich um drei, 
	vier wirklich interessante Besucher zu kümmern, die dann und wann etwas kaufen, 
	bei der Gelegenheit zwar handeln, als seien sie auf einem orientalischen 
	Trödelmarkt, aber immerhin kaufen, wodurch es mir ermöglicht wird, bei der 
	nächsten Vernissage wieder dreihundert Kulturidioten wie Sie in meine Galerie 
	einzuladen und zu bewirten. Also kommen Sie, obwohl Sie hier nichts zu suchen haben, 
	kommen Sie und seien Sie mir willkommen!