Der Eingriff in die hormonelle Kaskade bei Frauen und Männern

Aus: Unternehmen Zweite Natur - Multis, Macht und moderne Biotechnologien, Focus Verlag 1996. Hg. Sprenger, Knirsch, Lanje
© Ute Sprenger

Gegenwärtig wird an sechs Varianten von Anti-Fruchtbarkeits Vakzinen geforscht, die sich in verschiedenen Stadien der Entwicklung befinden. Als besonders geeignete Kandidaten für eine Impfstoffentwicklung werden bestimmte Moleküle auf der Oberfläche von Spermien oder Eizellen angesehen, sowie Moleküle, die sich auf der Oberfläche von befruchteten Eizellen oder des frühen Embryos befinden.

Eine weitere Zielsubstanz ist das Geschlechtshormon hCG, das ab der zweiten Schwangerschaftswoche in der Gebärmutter freigesetzt wird und der Einnistung des Vorembryos in die Plazenta dient. Wird hCG blockiert, sinkt der Progesteronspiegel und die Blastozyste (die befruchtete Eizelle etwa ab dem 5. Tag) wird ausgeschieden, die Schwangerschaft also beendet. Anti-hCG Impfungen bestehen aus einem Teil des Hormons (der hCG-Beta-Untereinheit), das verbunden wird mit einem bakteriellen oder viralen Trägermolekül, der die Antikörperbildung hervorrufen soll. Doch auf welche Weise diese Immunisierung die Fruchtbarkeit hemmt, ist nach wie vor unbekannt, wie an der Forschung beteiligte Wissenschaftler einräumen - dennoch werden Prototypen der Impfungen bereits in klinischen Tests an Menschen eingesetzt.

Weitere, in klinischen Tests befindliche Vakzine greifen in die Feinsteuerung der Hormone im Sexualzentrum der Hirnanhangdrüse ein. Dort, im Hypophysenvorderlappen, werden die Gonadotropine genannten Hormone (wie LH, FSH oder hCG) ausgeschüttet, die bei beiden Geschlechtern auf die Funktion anderer Drüsen und Organe einwirken und in Wechselwirkung etwa mit den Östrogenen oder Androgenen stehen. Induziert wird das Zusammenspiel der hormonellen Kaskade durch ein Hormon aus dem Zwischenhirn, dem Gonadotropin-releasing-Hormon (GnRH).

Mit einer solchen Impfung wird an Frauen und Männern experimentiert. Bei Frauen wirkt der Eingriff wie eine künstlich eingeleitete Menopause, sämtliche Zyklusfunktionen werden damit lahmgelegt. Eine vom Population Council entwickelte GnRH-Immunisierung wird dort als mögliches männliches Verhütungsmittel gehandelt. Mit ihm werden zwei Hormone (LH, FSH), die für die Spermien und Testosteronproduktion zuständig sind, unterdrückt. Weil damit aber die hormonelle Kaskade auch bei Männern weitgehend zum Stillstand gebracht wird, müssen die nun fehlenden Hormone künstlich zugeführt werden, um so ein Schwinden von Muskelmasse, Potenz und Libido zu abzumildern. Der Population Council empfiehlt hier den Einsatz von "Ment", einem synthetischen Implantat, das Androgene enthält. Geplant ist, noch 1996 mit klinischen Tests der Methodenkombination zu beginnen.

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