Nutrazeutika: Gesunde Geschäfte

erschienen in: Gen-ethischer Informationsdienst (GID) 130, Dezember 1998
Autorin und © Ute Sprenger

Angesichts des Negativ-Images, unter dem die Gentech-Branche besonders seit der mißglückten Einführung der Sojabohnen durch Monsanto im Winter vor zwei Jahren leidet, poliert man inzwischen am Erscheinungsbild - einerseits sprachlich, indem zum Beispiel die Hoechst AG versichert, in den "Life Sciences" forsche man "zum Wohl des Menschen". Bei Monsanto verheißt der neue Slogan "Nahrung. Gesundheit. Hoffnung." (engl. "Food. Health. Hope."). Andererseits sollen nun mit Hilfe der Gentechnik Produkte hergestellt werden, von denen nicht nur Konzerne, sondern auch Verbraucher einen Nutzen haben - angesiedelt zwischen Medikament und Nahrungsmittel sollen Nutraceuticals gesünder und bekömmlicher sein als alles bisher Dagewesene.

"Für die Verbraucher sind die Vorteile von gentechnisch hergestellten Nahrungsmitteln gegenüber herkömmlichen nicht erkennbar. Die Nahrung wird durch Gentechnik nicht gesünder oder natürlicher." So oder ähnlich argumentieren die KritikerInnen des Essens aus dem Genlabor nun schon seit Jahren.

Und tatsächlich haben die ersten weltmarktfähigen Produkte im Ernährungssektor für die VerbraucherInnen überhaupt keinen Nutzen. Das gilt für Enzyme oder Zusatzstoffe, wie etwa das künstliche Käse-Lab Chymosin oder den Zuckerersatzstoff Aspartame ebenso wie für die genmanipulierten Kulturpflanzen der Agrobiotech-Industrie. Die neuen Nutzpflanzen wie Soja, Mais, Baumwolle, Rüben oder Raps, ausgestattet mit Resistenzen gegen Herbizide oder mit dem Insektengift Bacillus thuringiensis, oder auch Anti-Matsch-Tomaten kurbeln vor allem die Geschäfte der Konzerne an. Auch so manchem Großbauern kommen die Gentech-Pflanzen zupaß, produziert es sich doch mit ihnen in Monokulturen kostengünstiger und somit ökonomischer.

Zwar reagierte die Gentech-Lobby wiederholt recht barsch auf diese Kritik. Doch sie zu entkräften gelang ihr bislang nicht. Und so sinkt europaweit die Lust der Verbraucher auf Novel Food. Während in Deutschland die Ablehnung konstant bei über 70 Prozent liegt, wird auch andernorts das Klima zunehmend unfreundlicher. So stieg in Britannien innerhalb eines Jahres die Zahl jener, die genmanipulierte Nahrung "unakzeptabel" finden, von 35 auf 51 Prozent in diesem Herbst an.

Designer-Nahrung als neue Wohltat

"Nutraceuticals" heißen die Wohltaten, die die Industrie dem fortschreitenden Akzeptanzverlust entgegenhält. Nutraceuticals ist ein englisches Kunstwort aus "nutrition" - Ernährung - und "pharmaceuticals" - Medikamente. Kreiert hat den Begriff vor 20 Jahren Stephen DeFelice, Gründer der US-amerikanischen Stiftung für Innovation in der Medizin (FIM). DeFelice versteht darunter "Nahrung oder Teile von Nahrungsmitteln, die medizinische oder gesundheitliche Vorteile verschaffen, einschließlich der Vorsorge und Behandlung von Krankheiten." (Nature Biotechnology, Vol 16, August 1998). Wen wundert es, daß der Begriff Nutrazeutika inzwischen das (zu technisch klingende) Schlagwort "Designer-Food" zunehmend verdrängt.

Doch wird der mittlerweile karrieremachende Begriff weitgehend undefiniert benutzt. Forschung und Industrie zählen grob die Bereiche Nahrungsergänzung, funktionale Nahrungsmittel und medizinische Nahrungsmittel dazu.

Unter Nutraceuticals wird heute also ein weites Feld von HighTech-Raps, -Reis oder -Rüben über Impfstoffe in Früchten oder von Ziegen erzeugte menschliche Proteine bis hin zu isolierter Sportlernahrung, Chips und Eiskrem mit unverdaulichen Fetten, Knusperriegel mit dem Wachmacher Guarana oder mit Vitaminen angereicherte Frühstücksflocken und Kindernahrung verstanden. Das heißt, daß nicht nur GenTech-Food in die Kategorie Nutrazeutika fällt. Die Definition DeFelices' paßt schließlich auch auf andere hierzulande beliebte Lebens- oder Genußmittel mit veränderten Inhaltstoffen wie entcoffeinierter Kaffee und alkoholfreies Bier.

Nahrungs- oder Arzneimittel?

Die ungenaue Definition von Nutrazeutika sorgt unter anderem dafür, daß die Grenze zwischen Nahrungs- und Arzneimitteln verschwimmt (siehe Tabelle [nur in der Printversion]). Was Konsequenzen für deren Zulassung und Vermarktung hat. Denn für Nahrungsmittel gelten andere Verfahren als für Medikamente. Und schließlich sind erstere frei verkäuflich, während man für letztere ein Rezept (oder zumindest eine Apotheke) braucht. Daß auch die Behörden in den USA, wo das Designer Food bzw. die Nutrazeutika bereits boomen, Schwierigkeiten haben, die neuen Produkte einzuordnen, zeigt eine jüngste Entscheidung der dortigen Zulassungsbehörde FDA:

Im November 1996 brachte die Firma Pharmanex die Nahrungsergänzung Cholestin auf den Markt. Das Produkt, ein Cholesterinspiegel-Senker, basiert auf einer alten chinesischen Heilmethode und wird aus fermentiertem, rotem Reis hergestellt. Wie sich später herausstellte, hat das Pharmaunternehmen Merck in den USA die Zulassung für ein Medikament unter dem Namen Mevacor. Indikationsgebiet: Senkung des Cholesterinspiegels. Der darin enthaltene Wirkstoff Lovastin ist identisch mit dem aktiven Stoff in der Nahrungsergänzung von Pharmanex. Merck zog gegen Pharmanex vor Gericht. Die FDA verbot schließlich im Mai 1998 den Verkauf von Cholestin als Nahrungsergänzung. (Nature Biotechnology, Vol. 16, August 1998, S. 728)

Große Marktchancen

Abgesehen von diesem Einzelfall ist jedoch die mangelnde Klarheit bei der Zulassung bisher kein Hindernis für die Vermarktung von Nutrazeutika. Im Gegenteil: Gerade die fehlenden Erfahrungen der Behörden mit Nutrazeutika, lassen die Herzen in der Gentech-Branche höher schlagen. "Kurative Nahrung hat das Potential, ebenso hohe Gewinne wie Medikamente zu erbringen", sagt die nordamerikanische Marketing-Beraterin Melissa Ghazal. (Nature Biotechnology, Vol. 16, August 1998, S. 730)

Pharmaunternehmen, die bis vor kurzem wenig Interesse an Nutrazeutika zeigten, seien inzwischen in den Bereich eingestiegen. Denn anders als bei Arzneimitteln ist für Nahrungsmittel kein Wirksamkeitsnachweis vorgesehen. Womit die Ausgaben für langwierige klinische Testreihen eingespart werden können. Immerhin kostet es mittlerweile rund eine Viertel Milliarde US-Dollar, ein neues Medikament zu entwickeln. Wohingegen Nutrazeutika in wesentlich kürzerer Zeit und mit wenigen Millionen Dollar Aufwand auf den Markt gebracht werden können, bestätigt die US-Firma GalaGen. Das Unternehmen verkauft seit Dezember 1997 ein Kefir-Getränk mit Antikörpern gegen Infektionen. Die Entwicklungszeit dafür betrug knapp 10 Monate.

Gegenüber Nahrungsmittelkonzernen hat die Pharmabranche zudem den deutlichen Vorteil, die beanspruchte Wirkung ihrer jeweiligen Nutrazeutika - falls notwendig - mit Hilfe von klinischen Testreihen zu untermauern, um in der Werbung seriöser dazustehen. So gilt der Sektor als ein Geschäft mit geringem Risiko und - auch wenn derzeit die Markt-Prognosen noch voneinander abweichen - mit enormen Profitmargen: Das Nutrition Business Journal spricht von 86 Millarden US-Dollar für den US-Markt, FIM schätzt den Markt in den USA und Europa gar auf 500 Milliarden US-Dollar ein.

Auch in Deutschland Wachstumsbranche

In Deutschland steigen neben multinationalen Konzernen wie Novartis oder Monsanto vermehrt kleine Unternehmen aus der BioTech-Branche in den Markt der frei verkäuflichen Nutrazeutika ein. Unter den 17 "BioRegionen" besonders günstige Bedingungen bietet laut VDI-Nachrichten das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern: "Große Akzeptanz in der Bevölkerung und entgegenkommende Behörden machen den Standort am Rande Deutschlands für innovative Biotechniker interessant." Hier werden mittlerweile schon mikroverkapselte Zusatzstoffe und transgener laurinsäurereicher Raps getestet.

Mit der Fitnesswelle kann tatsächlich inzwischen auch hierzulande eine zahlungskräftige Kundschaft dem aus Sportlerkreisen stammenden Trend zur Designer-Nahrung zunehmend etwas abgewinnen. Die zahlreichen Geschäfte für isolierte Stoffe für spezielle Bedürfnisse oder die Regale in den Supermärkten, in denen mit angeblich gesundheitsfördernden Substanzen angereicherte Nahrungs- und Genußmittel angeboten werden, beweisen, daß nicht mehr Essen und Trinken allein der Deutschen Leib und Seele zusammenhält.

Die Nutrazeutika treffen aber auch auf einen Markt, in dem infolge von Kostensenkungen im Rahmen der Gesundheitsreform die Bevölkerung unreflektierter als zuvor zur Selbstmedikation greift. Und so mancher Discounter trägt dem gesteigerten Bedürfnis, vorbeugend zu heilen, seit diesem Jahr mit einem Angebot an pflanzlichen Mitteln und Stimulanzien Rechnung. Schon jetzt erweist sich die Debatte über gentechnisch aufgerüstete Nutrazeutika als akzeptanzanregend für die GenTech-Branche.

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