In: Frankfurter Rundschau, 18. April 1994

Die Wünsche der Frauen gelten meist wenig

Nicht nur in der "Dritten Welt" werden Verhütungsmittel unter bevölkerungspolitischen Gesichtspunkten propagiert

© Ute Sprenger

Der Wunsch von Frauen nach Verhütungsmitteln, die für sie sicher und von ihnen kontrollierbar sind, ist bei deren Erforschung und Entwicklung kaum relevant. Hier herrscht politisches Interesse vor, in bestimmten Regionen oder bei bestimmten sozialen Schichten die Geburtenraten zu senken. Seit den frühen sechziger Jahren schon gilt deshalb die Suche jenen lang wirkenden Methoden, die als Alternative für die endgültige Lösung, die Sterilisation geboten werden können: Spiralen, Spritzen, Implantate und Impfungen.

Eine Verhütungstechnik, die in letzten Jahren zunehmend in Familienplanungsprogrammen in den Ländern des Südens eingesetzt wird, ist das Implantat "Norplant": sechs flexible Silikonkapseln, jede von der Größe eines Papierstreichholzes, die im Oberarm einer Frau fächerförmig unter die Haut gepflanzt werden. Bis zu fünf Jahre lang geben diese Kapseln das Hormon Levonorgestrel ab, das eine Schwangerschaft verhindert.

Fast alle Frauen erfahren mit dem Implantat gravierende Veränderungen der Blutungen, von ständigen Zwischenblutungen bis zum gänzlichen Ausbleiben. Weitere Auswirkungen zählt Population Reports, eine US-Zeitschrift zum Thema Bevölkerungswachstum auf: "Mit Norplant verbunden sind auch Kopfschmerzen, Nervosität, Übelkeit, Schwindelgefühl, Dermatitis, Akne, Veränderungen im Appetit, Haarausfall, Haarwuchs im Gesicht und am Körper, Brustveränderungen und Vergrößerungen der Follikel". Deshalb sei für den Einsatz der Methode "eine hohe Qualität der Gesundheitsversorgung" notwendig, heißt es dort.

Schon seit Mitte der 70er Jahre wurde Norplant in Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas erprobt. Regionen also, in denen die Gesundheitssysteme unter dem Eindruck von Strukturanpassungsmaßnahmen ständig abgebaut werden.

Carl-Dieter Spranger (CSU), Vater dreier Kinder und derzeit Entwicklungshilfeminister in Bonn, lobte anläßlich der Vorstellung des Weltbevölkerungsberichtes 1993 besonders Indonesien für seine Erfolge bei der Steigerung der Verhütungsraten. Indonesien ist Hauptabsatzland für "Norplant". Die Regierung des Landes hat ein demographisches Ziel: Bis zum Zeitraum 2035-2050 soll das Bevölkerungswachstum von jetzt 1,8 Prozent auf Null gebracht werden. Etwa die Hälfte der Indonesierinnen im Alter von 15 bis 45 Jahren verwenden moderne Verhütungsmittel. Nach Pillen, Spiralen und Injektionen wird in den Familienplanungszentren immer stärker auch "Norplant" angeboten. Mittlerweile tragen über 1,5 Millionen Frauen des Landes die hormongefüllten Silikonkapseln in der Armbeuge.

Professor Biran Affandi, der Norplant dort in großem Umfang erprobt hat, berichtet allerdings von hohen Abbruchraten, weil die Frauen die starken Blutungen nicht akzeptieren. Dennoch will die Regierung jährlich 300.000 neue Frauen rekrutieren. Zweifel sind angebracht darüber, ob mit solchen Zielvorgaben Frauen, die auf der Suche nach einer Lösung für ihre individuellen Verhütungsprobleme sind, noch ernsthaft beraten werden. Wird ihnen vorrangig Norplant angeboten und erklärt, werden sie sich "freiwillig" für diese lang wirksame Methode entscheiden, ohne die Alternativen zu kennen.

In den USA verhinderten streitbare Gesundheits- und Frauenorganisationen jahrelang die Zulassung von Norplant. Erst Ende 1990 bekam das Pharma- Unternehmen Wyeth die Genehmigung für den heimischen Markt. Da die Arzneimittelgesetzgebung in den USA vorsieht, daß nur solche Produkte exportiert werden dürfen, die auf dem eigenen Markt zugelassen sind, kann das Implantat nun verstärkt in die Länder des Südens geliefert werden.

Aber auch in den USA selber gibt es offenbar Bevölkerungsgruppen, deren Geburtenrate "effektiv" gesenkt werden soll. Mittlerweile nämlich liegen erste Ergebnisse von Studien über die Anwendung von Norplant seit seiner Zulassung vor. Etwa 600.000 Frauen und Mädchen ist das Implantat in den vergangenen drei Jahren unter die Haut gepflanzt worden. In etlichen Bundesstaaten wird Norplant, das privat eingesetzt etwa 600 US-Dollar kostet, für arme Frauen subventioniert. Und tatsächlich sind es in erster Linie sozial benachteiligte Frauen, die das Implantat tragen. Die Daten aus drei Kliniken in Maryland und Texas sprechen eine deutliche Sprache: Zwischen 51 und 90 Prozent der "Norplant"-Frauen haben demnach ein Einkommen, das "sehr niedrig" ist oder "unterhalb der Armutsgrenze" liegt. Die Mehrzahl von ihnen ist schwarz oder hispanisch. Besonders erschreckend: Das Implantat, das tief in den Hormonstoffwechsel eingreift, wurde dort auch 12 und 13jährigen Mädchen eingesetzt.

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