Wo vergessene Gewächse blühen

In einem Schaugarten in der Uckermark werden alte Kulturpflanzen kultiviert

erschienen in: Berliner Zeitung - Wissenschaftsbeilage, 06. Oktober 1999
Autorin und © Ute Sprenger

In dem großen Garten hinter den geduckten Häusern gleich an der Hauptstraße in Greiffenberg scheint alles wild durcheinander zu wachsen. Duftender Ysop steht da neben der Jungfer im Grünen. Fischig stinkender Gänsefuß und das giftige Bilsenkraut sprießen. Kaum mehr als einen Quadratmeter hat jede der nahezu 1 500 angebauten Sorten an Getreide, Gemüse, Zier- und Giftpflanzen sowie Kräutern, die in dem Schaugarten wachsen. In Greiffenberg bewahrt Ullrich Schulze seit 1993 seltene Kulturpflanzen vor dem Aussterben. Sein Saatgut hat der Agraringenieur aus den Beständen der Genbank in Gatersleben. "Wir wollen rekultivieren und das Verlangen nach Vielfalt wecken", beschreibt Schulze das Ziel des Schaugartens.

U. Schulze mit Black Seaman-Tomate Das Projekt gehört zum Programm des Vereins zur Erhaltung und Rekultivierung von Nutzpflanzen (VERN), einem Netzwerk von Initiativen in Brandenburg. Der Schaugarten finanziert sich durch Mitgliedsbeiträge sowie Spenden und wird durch die Landesanstalt für Großschutzgebiete unterstützt. Dazu kommen Stellen, die durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen finanziert werden, sowie ehrenamtliche Helfer.

Schulzes Schaugarten verdeutlicht, wie viele Arten und Pflanzen in den vergangenen Jahren einer Landwirtschaft zum Opfer fielen, die allein auf hohen Ertrag setzt. Die Vielfalt der vom Menschen genutzten Pflanzen nimmt stetig ab: Waren es früher mehrere tausend Arten weltweit, sind es heute noch rund hundertfünfzig, in manchen Regionen sogar nur zwölf.

Ganz anders in Ullrich Schulzes grüner Arche. Unzählige Töpfe stehen in den beiden Kaltgewächshäusern, darin gelb blühende Baumwolle, blauer Amarant und Paprikapflanzen, vor allem aber Tomaten. 150 Sorten werden angebaut. Ob gefurchte, gelbschalige, haarige oder gestreifte Früchte aus Lateinamerika, Albanien und der ehemaligen UdSSR. In dem Garten gedeihen Sächsischer Weizen und Pfauengerste aus Kleinasien samt deren Ackerbegleitflora, der violett blühenden Kornrade und der Ackerringelblume. Wo immer man geht, man läuft Gefahr, auf einen von Schulzes Schützlingen zu treten.

Mit dem Schaugarten betreibt Schulze eine noch wenig verbreitete Form der dynamischen Nutzung pflanzengenetischer Ressourcen, das so genannte In-situ-on-farm-Management. Genbanken bewahren die Saat allein durch Einlagern in Schubladen oder Kühltruhen: Experten sprechen vom "Ex-situ-Erhalt". Im Gegensatz dazu bietet der Erhalt von Kulturpflanzen in natürlicher Umgebung den Vorteil einer Weiterentwicklung und somit einer evolutionären Anpassung. "In der Praxis gibt es in Deutschland bescheidene Nischen der On-farm-Erhaltung in kleinflächigem Gartenbau und auf wenig intensiv genutzten landwirtschaftlichen Flächen", heißt es dazu in einer Studie des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). Zwar rät die TAB-Studie zu "agrarpolitischen Fördermaßnahmen" für solche kombinierten Nutz- und Schutzkonzepte.

Doch davon ist man noch weit entfernt. Das Bundesministerium für Landwirtschaft konnte sich bislang lediglich zu einer Flächenförderung - Subventionen für Landwirte, die bestimmte alte Sorten nutzen - durchringen. Pilotprojekte wie der Schaugarten erhalten nichts. "Institutionelle Förderung ist Ländersache", heißt es dazu auf Nachfrage im Ministerium. Und die Länder seien in dieser Frage "leider sehr schwer beweglich". Doch Gleiches lässt sich über das Bundesministerium sagen. Seit Jahren nämlich verspricht man im Referat für Genetische Ressourcen in Bonn, einen Sachverständigenrat einzurichten. Dessen Aufgabe wäre es, erstmals ein bundesweites Konzept zu erarbeiten, um den Artenschwund einzudämmern und besser zu nutzen.

"In all den Jahren waren unsere Mittel immer knapp, und wir haben oft am Rande des Möglichen gewirtschaftet", sagt Ullrich Schulze. Aber immerhin hatte der Garten in der Vergangenheit genügend Arbeitskräfte. Zu Jahresbeginn lehnte das zuständige Arbeitsamt in Eberswalde die für den Garten beantragten ABM-Stellen ab. Damit der Betrieb weiter-geht, legt Schulze nun seit Monaten schon ehrenamtlich Hand an, denn auch er ist ohne Arbeitsvertrag.

Jetzt setzt man in Greiffenberg darauf, die private Nachfrage stärker zu entwickeln. "Wir hatten ohnehin vor, für möglichst viele der alten Sorten neue Nutzaspekte zu finden." Und ein erster Auftrag steht auch schon in Aussicht: Das Naturkundemuseum von Paris, auf der Suche nach einer Nelke, mit der der Sonnenkönig vor 300 Jahren seine Gärten schmücken ließ, wurde in der Uckermark fündig. Nun wird die niedrige, blassrosafarbene Federnelke Dianthus plumarius auf Versuchsflächen in Frankreich ausgepflanzt. Und bald schon soll die süß duftende Sorte die Besucher der Gärten von Versailles erfreuen. Auch Hobbygärtner können sich in Greiffenberg, gegen Spende, mit Saatgut alter Kulturpflanzen eindecken.

Gartenmohn Einen ebenso wichtigen Platz wie die Erhaltung der Vielfalt nimmt die Umweltbildung ein. Für Schulgärten etwa wird die Saat für Ahnenreihen, vom Einkorn über den Dinkel bis zum Saatweizen, geboten. "So kann man sehen, wie sich Kulturpflanzen entwickelt haben", erläutert Schulze.

Als Nächstes will Schulze Floristen für die fächerförmige Pfauengerste oder den blau schimmernden Schwarzweizen begeistern. Einige Berliner Blumenbinder haben schon Interesse an exotischen Getreiden für Weihnachtsgestecke bekundet. Und dann sind da noch die Restaurants, in deren Küchen mehr als eine Tiefkühltruhe und eine Mikrowelle stehen. Denen werden Verkostungen von Tomaten oder Kartoffelsorten offeriert, die es bislang nirgends zu essen gab.

Schaugarten des VERN, Burgstraße 20, 16278 Greiffenberg. Geöffnet: Montag bis Freitag von 14 bis 16 Uhr, Samstag von 10 bis 14 Uhr, Tel.: 03 33 34 / 70 232

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