Der Tod lauert in der Plantage

Im Bananenland Costa Rica werden Jahr für Jahr zahlreiche Arbeiter durch Agrar-Chemikalien vergiftet

erschienen in: Frankfurter Rundschau, 29.06.1998
Autorin und © Ute Sprenger

Mit schweren Schritten stapft Teodoro Gómez in der drückenden Schwüle des frühen Nachmittags durch das dunkelgrüne Zwielicht der Plantage. Die Gummistiefel fest umwickelt mit Plastikschnur, die Strümpfe fast bis in die Kniekehlen hochgezogen, Arme, Beine, Hemd und Hose verfleckt von einem Gemisch aus Pflanzensaft, Erde und Chemie erntet der Landarbeiter die unreifen Bananenbüschel, die am nächsten Tag mit einem Kühlfrachter von Costa Ricas Atlantikhafen Limón aus auf die zwölftägige Reise nach Europa gehen. Bananenernte ist Knochenarbeit, Akkordarbeit dazu.

"Viele Bananenarbeiter sind nach spätestens 15 Jahren erschöpft", sagt Gewerkschaftssekretär Ramón Barrantes in seinem Büro in San José. Nicht selten hat der Arbeitstag der Männer und Frauen, die in den ausgedehnten Monokulturen schuften, zehn bis zwölf Stunden. "Und ihre Gesundheit ist angegriffen, weil sie andauernd in Kontakt kommen mit giftigen Agrarchemikalien", sagt Barrantes.

Costa Rica zählt zu den Spitzenverbrauchern von Agrochemie. Was nicht zuletzt daran liegt, daß im "Bananengürtel", wo die multinationalen Konzerne das Sagen haben, 286 dieser chemischen Keulen zugelassen sind - hochwirksame Mittel gegen Gräser und Beikräuter, Nagetiere, und Spinnen, Pilze und Würmer.

Im Gesundheitsministerium des mit 3,4 Millionen Einwohnern kleinsten Landes Mittelamerikas registriert man alljährlich die akuten Vergiftungsfälle mit synthetischen Pestiziden. 1997 haben im Chemiedunst der Bananenpflanzungen 194 Menschen Vergiftungen erlitten - gut die Hälfte aller offiziell registrierten Chemieunfälle am Arbeitsplatz. Bananengewerkschaften und Basisgruppen, die in dem Netzwerk Foro Emaús zusammengeschlossen sind, machen sich deshalb für eine drastische Einschränkung des Verbrauchs der gefährlichen Gifte stark.

Durchschnittlich dauert es zehn Tage, um sich von einer schweren Pestizid-Vergiftung einigermaßen zu erholen, weiß Ramón Barrantes. Greddy Mauricio Valerin Bustos, einem Arbeiter auf der "Finca 96", war das im vergangenen Jahr nicht mehr vergönnt. Der 18jährige, der aus der nördlichen Provinz Guanancaste stammte, war gerade erst in die Plantagen im Süden gekommen, um mit dem dort verdienten Geld seine krebskranke Mutter daheim zu unterstützen und seinem jüngeren Bruders den Schulbesuch zu ermöglichen.

Am frühen Morgen des 13. November war Greddy Bustos auf der Pflanzung, die zur Chiriqui Land Company gehört, einer Niederlassung von Chiquita Brands International, in ein entlegenes Gebiet geschickt worden. Leicht bekleidet in Shorts und T-Shirt zog er los, um "piolas", die orangefarbenen Plastikschnüre einzusammeln, mit denen die Stauden in den Monokulturen festgezurrt werden. Als seine Kollegen ihn zwei Stunden später ohnmächtig und mit Schaum vor dem Mund am Boden liegend fanden, war es schon zu spät. Greddy Bustos starb in der Notaufnahme der Klinik des kleinen Städtchens Sixaola an der Grenze zu Panama.

Im Untersuchungsbericht der Polizei wird der Landarbeiter Miguel Herra Miranda zitiert, der den 18jährigen Bustos in die Klinik gebracht hatte: "Der Verstorbene arbeitete in einem Areal, daß wir Las 50s nennen. In dem Gebiet war drei Tage zuvor die Agrochemikalie Counter versprüht worden. Der Junge hatte überhaupt keine Erfahrung mit dieser Arbeit, und außerdem trug er keine Schutzkleidung wie Handschuhe oder eine Maske."

Das Nematizid Counter ist eine organische Phosphatverbindung mit dem Wirkstoff Terbufos. Schon kleinste Mengen des gefährlichen Nervengifts reichen aus, um Fadenwürmern an den Wurzeln der Stauden den Garaus zu machen. Wie Astronauten sehen die Arbeiter aus, die zweimal pro Jahr das violette Granulat am Boden verteilen. Danach darf mindestens zwei Tage lang niemand das Gebiet betreten. Diese Sicherheitsmaßnahmen sind ein Muß, denn von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird der Stoff als "extrem gefährlich" eingestuft.

Warum also wird auf den Plantagen keine Vorsorge getroffen, damit die Arbeiter nicht mit Abbauprodukten und Überresten der Pestizide in Kontakt kommen? Wenngleich Branchenführer Chiquita sich seit einigen Jahren mit einem Umwelt-Siegel schmückt - dem "ECO-OK/ Better Banana Programm" das allerdings in der EU nicht anerkannt wird - mit Fragen nach der Arbeitssicherheit hält man sich in der Konzernzentrale ganz offensichtlich nicht lange auf. "Die Arbeiter sammeln doch nur die Plastikschnüre ein", erklärte noch im März ein leicht gereizter Umweltbeauftragter des US-Fruchtmultis. David McLaughlin, der in dieser Funktion auch die Plantagen in Costa Rica betreut, weiter: "Da sollten nach der Quarantäne überhaupt keine Pestizide mehr vorhanden sein." Deshalb könne man sich auch nicht erklären, wie es zu dem Unfall auf der Finca 96 kam. "Wie der 18jährige sich vergiftet hat, oder ob er sich vergiftet hat, das wissen wir nicht. Wir warten auf den Autopsiebericht."

Mittlerweile steht zweifelsfrei fest, woran Greddy Bustos im vergangenen November gestorben ist: "Vergiftung mit Organophosphaten", heißt es im jüngst vorgelegten Bericht der forensischen Medizin. Und dann braucht es noch einiges an Hartnäckigkeit, um schließlich vom Chiquita Management im US-Bundesstaat Ohio eine Stellungnahme zu bekommen. "Unsere Farm 96 hat alle erforderlichen Quarantäne- und Sicherheitsmaßnahmen für die Anwendung von Nematiziden strikt eingehalten", wird versichert. Kein Wort des Bedauerns, keine Geste der Anteilnahme für die Familie des Opfers. Stattdessen wird der Eindruck erweckt, trotz "umfassender Schulung" hätte der Junge selbst seinen Tod verschuldet. Mit auffällig ähnlichem Wortlaut beeilt man sich auch bei der Rainforest Alliance den Chiquita Plantagen zu bescheingen, daß sie trotz des Unglücks weiterhin "ECO-OK" sind. "Nach unseren Erkenntnissen wurden unsere Standards auf der Finca eingehalten", sagt Chris Willie in der Niederlassung der Organisation in Costa Rica.

Doch wenn das Nematizid sogar, wie vom Konzern behauptet, "unterhalb der empfohlenenen Dosis" eingesetzt wurde, woher stammten dann die "kleinen lila Kügelchen", die der Untersuchungsbeamte am Fuß einer Staude nahe der Unglücksstelle als Beweisstücke sicherstellte? Deuten sie nicht auf eine Überdosierung hin? Und wieso bezeugen Kollegen im Gespräch, daß der Junge nie eine Ausbildung bekommen hat, daß tatsächlich nur die Arbeiter an den Trainingsprogrammen teilnehmen, die direkt mit den Chemikalien umgehen? Hierzu ist von dem Konzern, der seine Marken als "beste Qualität" verkauft, nichts zu erfahren.

Daniel Gutiérrez, Bananenarbeiter und Sekretär der Gewerkschaft "Sitrachiri" auf der Finca 96, vermutet, daß eine Verkettung von Umständen zum Tod des Jungen führte. Aus Wettbewerbsgründen steigern die Multis ständig das Arbeitstempo. "Für uns heißt das, immer mehr Arbeit für den gleichen Lohn." Deshalb werde heute weniger in Gruppen gearbeitet. Wo früher ein erfahrener Bananero die Jüngeren anleitete, seien die sich heute oft selbst überlassen. Und dann gibt da noch diese Anweisung, daß die Giftkanister bei den Einsätzen vollständig zu leeren sind. "Es soll nichts ins Lager zurückgebracht werden." Und bei Las 50s, wo Gredy Bustos bewußtlos gefunden wurde, berichtet Gutiérrez, hatten die Arbeiter die Reste aus den Kanistern ausgestreut.

Während die Mühlen der Justizbehörden nun schon monatelang ergebnislos mahlen, um die Schuldigen zu ermitteln, versuchen die Angehörigen von Greddy Bustos inzwischen mit Unterstützung des Foro Emaús herauszufinden, welcher Anspruch auf Schadenersatz ihnen zusteht. "Das eigentliche Problem ist, daß unsere Regierung sich nicht dafür interessiert die Arbeitsbedingungen in den Plantagen zu verbessern", sagt Gewerkschaftsführer Ramón Barrantes. Denn viele Politiker sind mit Unterstützung der Konzerne in den letzten Jahrzehnten selbst ins Bananengeschäft eingestiegen. Als nationale Produzenten verkaufen sie ihre Früchte an Chiquita, Dole oder Del Monte.

Abdruck (auch auszugsweise), Vervielfältigung, Zitat nur in Absprache mit der Autorin.

Homepage