In: Junge Welt, 31. Mai 1994

Bombenidee

"Die Bevölkerungsexplosion": Wie eine Kalte-Kriegs-Ideologie weltweit und erfolgreich vermarktet wurde

© Ute Sprenger
"Wir sind nicht vorrangig an den soziologischen oder humanitären Aspekten der Geburtenkontrolle interessiert", schrieb vor vierzig Jahren der US-Millionär Hugh Moore an seinen Kollegen, den Öl- Multi John D. Rockefeller, III. "Wir sind interessiert daran, wie die Kommunisten hungrige Menschen benutzen für ihr Vorhaben, die Welt zu erobern." Das Schreiben, das Moore an 10.000 führende Persönlichkeiten in den USA verschickte, begleitete damals eine Broschüre mit dem Titel "The Population Bomb", ein Kalte-Kriegs-Traktätchen, das vor Chaos und Kommunismus warnte und für die zwingende Notwenigkeit warb, das Bevölkerungswachstum zu kontrollieren.

Moore, Rockefeller und etliche andere superreiche US-Bürger bildeten in der ersten Hälfte der 50er Jahre quasi die Avantguarde der neuen Bevölkerungskontrollbewegung nach dem zweiten Weltkrieg. Wie sie es geschafft haben, daß "Verhütung und die Entscheidung, wieviele Kinder eine Frau bekommt, zum Gegenstand von Politik, oder genauer gesagt: zum außenpolitischen Interventionsfeld der USA" wurde, kann nun in einer kürzlich erschienen Materialsammlung nachvollzogen werden.

"Bevölkerungsexplosion - Marketing einer Ideologie", so der Titel der Dokumentation, für die sich Susanne Heim und Ulrike Schaz im Herbst letzten Jahres durch die Archive verschiedener Institutionen aus dem bevölkerungspolitischen Establishment in den USA gewühlt haben. Aufschlußreich sind nicht nur die hier dokumentierten Briefe - so auch der eingangs zitierte -, die Diskussionspapiere und das Propagandamaterial aus den 50er und 60er Jahren, jener Zeit, in der die Idee lanciert wurde, daß ein "Zuviel" an Menschen der Grund für Probleme wie Armut, Hunger und Elend sei. Ebenso erhellend ist der komprimierte Ritt durch die US-amerikanischer Bevölkerungspolitik, mit dem Heim und Schaz ihre Sammlung einleiten.

Hier wird deutlich, wie erfolgreich die Lobby-Arbeit war, die heute selbst bis in feministische Kreise hinein wirkt. Fazit der Autorinnen: "Die bevölkerungspolitische Lobby hat es geschafft, innerhalb von nicht einmal drei Jahrzehnten die Idee der Überbevölkerung zur Grundlage der Politik fast aller nationalen Regierungen sowie der einschlägigen globalen Institutionen zu machen, und sie schickt sich an, ihren Einfluß auch auf die Institutionen der Frauenbewegung auszuweiten."

"Bevölkerungsexplosion - Marketing einer Ideologie"
Dokumentation zusammengestellt von Susanne Heim und Ulrike Schaz, Hrsg. FINRRAGE in Zusammenarbeit mit der Frauenanstiftung. Bezug (gegen Spende DM 10,-): FINRRAGE, PF 201 903, 20209 Hamburg.

Abdruck (auch auszugsweise), Vervielfältigung, Zitat nur in Absprache mit der Autorin.

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