[Welt-Sichten Dossier]

Biologische Vielfalt - Zwischen Schutz, Nutzung und Kommerz
4-2008, S. 3 - 4

Biodiversität – mehr als ein theoretisches Konzept

Vielgestaltige Ökosysteme sind unsere Lebensgrundlage – nicht nur bei den Bribrí

Von Ute Sprenger ©

Während die natürlichen Schätze des Planeten schwinden, setzt sich erst langsam das Bewusstsein durch, dass menschliches Leben ganz wesentlich auf der vielgestaltigen Fülle der Natur beruht. Ein Beispiel aus Costa Rica zeigt, wie Biodiversität mit Wertvorstellungen jenseits bloßer ökonomischer Nützlichkeitserwägungen verwoben ist.

Pflanzsaison im Regenwald der Gebirgskette von Talamanca, im karibischen Süden Costa Ricas. Bewehrt mit Gummistiefeln, Grabstock und Machete ziehen die Bauernfamilien im Dunst des frühen Tages auf den Schotterstraßen zu ihren Fincas. In den indigenen und afro-karibischen Gemeinden wird das Land in Gemeinschaftsarbeit bestellt. Marina López sät an diesem Morgen zusammen mit ihrer Mutter und der Tante auf einem hügeligen Acker Mais ein. Den Sack mit der Saat quer über Schulter und Rücken, treiben die Frauen mit dem Grabstock kraftvoll Saatlöcher in den mulchbedeckten Boden. Wenn die Sonne später über dem Feld höher steigen wird, dann warten im Hausgarten der Familie López im Schatten von Urwaldriesen noch die Kakaobäume darauf, gepflegt zu werden.

Doña Marina muss bei der Frage, was sie unter „biologischer Vielfalt“ versteht, nicht lange überlegen. Als sie den Begriff vor Jahren das erste Mal hörte, da habe sie zwar damit nicht viel anfangen können, räumt sie freimütig ein. Mittlerweile aber weiß die Bäuerin, die dem Volk der Bribrí angehört, was es damit auf sich hat.„Heute erkläre ich das so:Die biologische Vielfalt ist das, was unsere Gemeinden schon immer am Leben hält, mit ihr arbeiten wir täglich, für unsere Ernährung und für unsere Gesundheit. Und auch wir selbst sind ein Teil davon.“

Die kleinbäuerlichen Siedlungen in der Talamanca-Gebirgskette machen greifbar, dass die Vielfalt des Lebens tatsächlich mehr ist als ein theoretisches Konzept, das von Naturschützern und in wissenschaftlichen Abhandlungen gefeiert wird. Auch wenn vielerorts in Mittelamerika inzwischen der Mais und das Hühnchen aus der industriellen Massenproduktion kommen, so betreiben die Familien in der Talamanca immer noch die traditionelle Agroforstwirtschaft.

Kein Plantagenanbau

Von den 6.000 Bribrí und Cabécar leben 80 Prozent in einem von Indigenen verwalteten Territorium nahe der Grenze zwischen Costa Rica und Panama, das teilweise im Biosphärenreservat La Amistad liegt. Ihre Gehöfte und Dörfer liegen meist nahe eines Flusses, auf den Feldern im Regenwald wachsen neben den Grundnahrungsmitteln Mais, Bohnen und Yuca auch Kochbananenstauden und Kakaobäume. Anders als wenige Kilometer weiter westlich an der Küste, wo auf weiten Flächen Bananenpflanzungen für den Export nach Übersee stehen und die Luft geschwängert ist von Pestizidcocktails, wird auf den Einsatz von Insektiziden, Herbiziden und Kunstdünger gänzlich verzichtet. „Auf unseren Fincas gibt es keinen Plantagenanbau“, sagt Doña Marina. „Hier leben und arbeiten wir nach der Tradition unserer Ahnen. Sibú, unser Gott, hat uns die Erde gegeben. Deshalb müssen wir dieses Erbe respektieren, wir müssen es schützen und erhalten.“

Der fruchtbare Boden und die traditionell schonenden Kulturtechniken lassen im Mischanbau der Talamanca einen Großteil dessen gedeihen, was die Familien zum Leben benötigen. Meist werden in den Hausgärten vielerlei Arten, Sorten und landwirtschaftliche Kulturtechniken bewahrt und genutzt. Wildfruchtbäume, Bienenweiden und Gehölze, die als Viehfutter dienen, sind für die Haushalte eine wichtige Versorgungs- und Einkommensquelle. Die López kultivieren überdies Obstbäume und -sträucher wie Papaya, Sauerapfel und Karambola, dazu Gewürze wie Zimt und Ingwer für den Eigenbedarf und zum Verkauf über den regionalen Kleinbauernverband APPTA. Die kleine Finca gibt genügend her, um die Familie gut zu ernähren, und wirft durch den Anbau von Kakao sogar ein bescheidenes Einkommen ab. Zumal APPTA Preise zahlt, die über den marktüblichen liegen. Denn der Kakao wird inzwischen auch bio-zertifiziert für den fairen Handel nach Europa exportiert.

Die artenreiche Waldregion hält für deren Bewohner aber noch weitere Schätze bereit. Zwischen Kalebassenbäumen und Bananenstauden pflegt Don Samuel López einjährige und mehrjährge Medizinalpflanzen. „Mein Vater kennt eine Menge an Heilkräutern“, sagt Doña Marina. „Er ist zwar kein Sukia, also kein traditioneller Heiler, aber er kann verschiedene Krankheiten behandeln.“

Nahrungsproduktion und Naturschutz

In einer mehrere Länder umfassenden Studie unter der Ägide der Welternährungsorganisation FAO wurde untersucht, wie organischer Anbau und ein nachhaltiges Waldmanagement sich auf den Erhalt von Schutzgebieten auswirken. Dabei suchte man nach Antworten darauf, wie Naturschutz und die Produktion von Nahrung in Einklang gebracht werden können. In Costa Rica, so ein Ergebnis der Studie,tragen die agrarökologischen Systeme des Kakaoanbaus unter Schattenbäumen und der Mischkulturen im Regenwald der Talamanca maßgeblich dazu bei, die Biodiversität der Region zu bewahren. Auf den bewirtschafteten Fincas leben sogar mehr Vögel und Kleinsäugetiere als im nahen Wald oder in einstmals aufgegebenen Kakaopflanzungen.

Die Vielfalt der Flora und Fauna und deren nachhaltige Nutzung in der traditionellen Agroforstwirtschaft erleichtern aber auch das Überleben,insbesondere angesichts der Bedrohungen durch den Klimawandel. Für lokale bäuerliche Gemeinschaften weltweit – ganz gleich ob bei den Bribrí und Cabécar Costa Ricas, im äthiopischen Hochland, im Baumwollgürtel Südindiens oder in der brandenburgischen Uckermark – können dynamische und vielgestaltige Ökosysteme eine Lebensgrundlage und Zukunftssicherung sein.Denn die Biodiversität in Verbindung mit den entsprechenden kulturellen Praktiken erhöht das natürliche Anpassungspotenzial gegenüber den Unwägbarkeiten der Klimaänderungen.

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