[Märkische Allgemeine]
08.03.2010Gleichberechtigung in Brandenburg: „Die Hälfte des Himmels“ ist noch zu erobern
Von Ute Sprenger © Die Stolpersteine auf dem Weg zu mehr Geschlechtergerechtigkeit sind bekannt / Junge, gebildete Frauen wandern aus der Prignitz ab PERLEBERG/POTSDAM - Als die frühere Potsdamer Sozialministerin Dagmar Ziegler (SPD), die bekanntlich aus Lenzen kommt, vor gut anderthalb Jahren eine Studie zur Lebenswirklichkeit von Frauen in Brandenburg vorlegte, da wurde das von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. „Es gab nur wenige Medienberichte und Veranstaltungen dazu“, sagt rückblickend Ulrike Häfner, Sprecherin des Frauenpolitischen Rates Brandenburg. Dabei gilt die Untersuchung in Frauen-Fachkreisen ebenso wie in den Gewerkschaften als gute Grundlage, die weiblichen Chancen im Lande stärker zu fördern. Wie Häfner betont, zeige sie nämlich nicht nur das bisher Erreichte, sondern auch die „Stolpersteine“ auf dem Weg zu größerer Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern. In der Tat werden noch einige Brocken aus dem Weg zu räumen sein, um „die Hälfte des Himmels“, die den Frauen ja sprichwörtlich zusteht, zu erobern. Zwar steht Brandenburg, wenn es um Gleichstellung von Frauen und Männern geht, im Ländervergleich relativ gut da – was unter anderem auf die eher hohe Erwerbsorientierung von Frauen und die Angebote der Kinderbetreuung zurückzuführen ist. Auch die Studie bescheinigt dem Land, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf besonders zu fördern. Bei genauerer Betrachtung zeigt das Bild jedoch Risse: Der Anteil der Frauen mit auskömmlichem Arbeitseinkommen ist wie im Bundesgebiet geringer als der von Männern. In Brandenburg jedoch sind alleinerziehende und ältere Frauen überproportional von Armut bedroht. Parallel zur Abwanderung vor allem junger Frauen verläuft die Zunahme Alleinerziehender und allein Lebender. Vor allem ältere Frauen und jüngere Männer leben allein – ihnen droht die soziale Ausgrenzung. Zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt verfügt Brandenburg zwar über einen Landesaktionsplan und über Schutzräume für betroffene Frauen. Doch mangelt es an Fachkräften und Unterstützungsangeboten für Kinder und Jugendliche sowie an Angeboten für die Arbeit mit den Tätern. Demokratische Mitwirkungsmöglichkeiten werden von Brandenburgerinnen zu wenig genutzt. An politischen Entscheidungen sind sie deutlich geringer beteiligt als Männer, in den Parteien stark unterrepräsentiert. Auch Angelika Hahn, die Gleichstellungsbeauftragte in der Prignitz, stellt die zunehmende Zahl Alleinerziehender im Landkreis fest. Was ihr viel mehr auf den Nägeln brennt, ist jedoch die Abwanderung junger, gebildeter Frauen und die wachsende Einkommensungleichheit, was Hahn auch auf die Zunahme von Ein-Euro-Jobs zurückführt. Bundesweit werden die Unterschiede zwischen den Geschlechtern in einem Gender-Index nach Ländern und Kreisen bewertet. Unter den 413 Kreisen in Deutschland lag die Prignitz 2007 auf Platz 185. Zugleich ist sie unter den 18 Brandenburger Kreisen, gemeinsam mit Ostprignitz-Ruppin und Spree-Neiße, Schlusslicht in dieser Liste. Was bedeutet, dass die Unterschiede zwischen Frauen und Männern hier landesweit mit am größten sind. An der Spitze liegen die Stadt Brandenburg sowie die Kreise Teltow-Fläming und Potsdam-Mittelmark. Besonders auffällig sind die Geschlechterdifferenzen in der Prignitz beim durchschnittlichen Stundenlohn, bei der Langzeitarbeitslosigkeit, beim Zugang zu Eingliederungsmaßnahmen sowie bei der politischen Beteiligung. Im gegenwärtigen Kreistag etwa bringen Frauen es mit sieben von 47 Abgeordneten gerade einmal auf 15 Prozent (Brandenburg: 22 Prozent). Bei politischen Führungspositionen in den Gemeinden wird die Luft noch dünner: Nur zwei Gemeinden, das Amt Meyenburg und die Gemeinde Plattenburg, werden von weiblicher Hand geführt. Die Landesregierung hat jetzt angekündigt, bis Anfang 2011 ein frauen- und gleichstellungspolitisches Maßnahmenprogramm vorzulegen. Laut Sozial- und Frauenminister Günter Baaske (SPD) soll dies unter Beteiligung aus Verbänden, Wirtschaft und Kommunen entwickelt werden. Damit am Ende nicht nur ein einfaches „Weiter so“ steht, wünscht sich Brandenburgs Frauenrat, dass „Lieschen Müller“ dabei auch ein Wort mitzureden hat. Der Bedarf an Mitsprache sei unter den Frauen jedenfalls groß, so Frauenrätin Häfner. „Und zwar quer durch alle Schichten in Stadt und Land.“ Frauen sollten deshalb an dem Prozess aktiv beteiligt werden. Es gehe schließlich alle an, wie die Stadt- und Verkehrsplanung oder das Kultur- und Bildungsangebot, die Beschäftigungspolitik oder auch die Sicherheit im Land finanziert und gestaltet werden. „Studie zur Lebenssituation von Frauen in Brandenburg, Aktuelle Chancen und Stolpersteine auf dem Weg zur Geschlechtergerechtigkeit“, 129 Seiten, www.masf.brandenburg.de/media/1336/frauen_bb0508.pdfInfokasten: Von den Vereinten Nationen eingeführt
Der Begriff Gender kommt aus dem Englischen und bezeichnet das sozial oder kulturell definierte Geschlecht einer Person im Unterschied zum biologischen Geschlecht (engl. sex). Gender richtet den Blick auf die gesellschaftlich geprägten Rollen.
Der Gender-Index misst die Chancengleichheit oder -ungleichheit von Frauen und Männern in einer Region. Zum weltweiten Staatenvergleich wurde er vor Jahren von den Vereinten Nationen eingeführt. Als bundesweites Messinstrument zum regionalen Vergleich dienen seit 2007 19 Indikatoren aus den Bereichen Ausbildung, Erwerbsleben und Partizipation. Der Gender-Index wurde unter Leitung der Hans-Böckler-Stiftung und mit Beteiligung des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung, der Wert.Arbeit GmbH Berlin sowie des DGB entwickelt.
Als Geschlechtergerechtigkeit wird das Ziel der Gleichstellung von Frauen und Männern in der Gesellschaft bezeichnet. In Brandenburg soll ab 2011 ein frauen- und gleichstellungspolitisches Rahmenprogramm dazu beitragen, die strukturelle Benachteiligungen von Mädchen und Frauen abzubauen.
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