NVwZ 1994, 189

Datum: 21.9.1993
Gericht: VGH Kassel
Az: 2 UE 3583/90 (nicht rechtskräftig)
AK: HessStrG I 16; GG Art. 5 I; StVO §§ 5, 29, 32, 33, 46
Funstelle: NVwZ 1994, 189

Sondernutzungerlaubnis für die Scientology Church

Leitsatz:

  1. Bei einer Ermessensentscheidung über eine Sondernutzungserlaubnis i. S. des § 16 I HessStrG hat sich die Behörde an straßenrechtlichen Gesichtspunkten zu orientieren.
  2. Über straßenrechtliche Belange im engeren Sinne hinaus darf die zuständige Straßenbaubehörde im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 16 I HessStrG vorzunehmenden Interessenabwägung weitere Gesichtspunkte berücksichtigen, die mit dem Widmungszweck der Straße noch in einern sachlichen Zusammenhang stehen.
  3. Für die ausschließliche Berücksichtigung allgemein-ordnungsbehördlicher Gesichtspunkte bietet das hessische Straßenrecht keine Grundlage.

Zum Sachverhalt:

   Der KI., ein als "Scientology Kirche Frankfurt" in das Vereinsregister eingetragener Verein, begehrt die Erlaubnis der Bekl. zum gelegentlichen Aufstellen eines beweglichen Informationsstandes (Klapptisches) im öffentlichen Straßenraum der Frankfurter Innenstadt, möglichst an einer stark frequentierten Stelle der Fußgängerzone Zeil in der Nähe der Hauptwache. Entsprechende Genehmigungen waren einer Vorgängerorganisation seit 1976 wiederholt erteilt, ab 1982 hingegen versagt worden. Unter dem 8.7.1985 suchte die damalige Scientology Mission Frankfurt-Sachsenhausen erneut um die Erlaubnis nach, "im Rahmen einer missionarischen Tätigkeit auf den öffentlichen Straßen der Stadt Frankfurt am Main andere Personen über die religiösen Ziele und Vorstellungen der Scientology Kirche informieren sowie zu religiösen Zwecken und zur Anleitung zu einem ethischen Lebenswandel Literatur ohne gewerblichen Inhalt (Bücher, Schriften, Druckwerke) verschenken oder gegen Selbstkostenpreis abgeben" zu dürfen. Diesen Antrag lehnte der Magistrat der Bekl. - Ordnungsamt - durch Bescheid vom 9.8.1985 mit der Begründung ab, seit Erlaß zweier früherer Verfügungen habe sich die Sach- und Rechtslage nicht geändert. In den damit angesprochenen Ablehnungsbescheiden des Oberbürgermeisters der Bekl. - Straßenverkehrsamt - vom 15.11.1982 und 15.7.1983 war ausgeführt worden, nach den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung sei es untersagt, einen Informationsstand - nämlich einen Gegenstand i. S. des § 32 I 1 StVO - auf einer öffentlichen Verkehrsfläche aufzustellen sowie Waren und Leistungen aller Art auf der Straße anzubieten (§ 33 I 1 Nr. 2 StVO), wenn hierdurch der Verkehr beeinträchtigt werde. Da durch die vom Ast. beabsichtigten Aktivitäten Passanten belästigt würden, sei dies der Fall, so daß es einer Ausnahmegenehmigung der Straßenverkehrsbehörde nach § 46 StVO bedürfe, die jedoch versagt werde. Maßgeblich hierfür sei der Gesichtspunkt, daß der öffentliche Verkehrsraum nicht als Plattform oder Medium für Aktivitäten zur Verfügung stehen sollte, die sich inzwischen für die Behörde als rechts- und gesetzwidrig erwiesen hätten. Den gegen die neuerliche Ablehnung eingelegten Widerspruch wies der Magistrat der Bekl. zurück. Auf die anschließende Klage hat das VG die Bekl. zur Neubescheidung verpflichtet (NVwZ 1991, 195).

   Die Berufung der Bekl. wurde verworfen.

Aus den Gründen:

   Die zulässige Berufung der Bekl. bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das VG hat zu Recht die Verpflichtung der Bekl. ausgesprochen, den Kl. hinsichtlich seines am 8.7.1985 gestellten Antrags auf Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden (§ 113 V 2 VwG0). Die der angegriffenen Entscheidung insoweit zugrundeliegenden Erwägungen geben zu Beanstandungen durch das Rechtsmittelgericht keinen Anlaß; sie stehen im Einklang sowohl mit den einschlägigen Vorschriften des Landesstraßenrechts und des von der Bekl. erlassenen Satzungsrechts als auch mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats (NVwZ 1987, 902 = D&…uml;V 1987, 876), an der nach erneuter Überprüfung festgehalten wird. Auf die weiteren Erwägungen des VG, insbesondere auf die Beantwortung der Frage, ob es sich bei dem Kl. um eine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft handele oder nicht, kommt es hingegen für die Entscheidung über die Berufung der Bekl. nicht an; denn sie betreffen die - im ersten Rechtszug verneinte, vom Kl. nicht der berufungsgerichtlichen Überprüfung unterworfene - Frage, ob ein Rechtsanspruch auf Erteilung der beantragten Sondernutzungserlaubnis bestehe. An diese Erwägungen ist die Bekl. im übrigen auch nicht im Rahmen der erforderlichen Neubescheidung gebunden (vgl. insoweit BVerwGE 29, 1 [2f.] = RzW 1968, 472).

   Daß die Bekl. (nur) zur Neubescheidung des Kl. verpflichtet ist folgt in Ergänzung der maßgeblichen verwaltungsgerichtlichen Ausführungen, auf die insoweit zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen Bezug genommen wird, im einzelnen aus nachstehenden Überlegungen:

   Der Kl. bedarf für das beabsichtigte Aufstellen eines Klapptisches, an dem in der Fußgängerzone Zeil/Hauptwache Bücher, Schriften und sonstige Druckwerke an Passanten "verschenkt oder gegen Selbstkostenpeis abgegeben" werden sollen, gem. § 16 I 1 HessStrG der (Sondernutzungs-)Erlaubnis der Straßenbaubehörde; denn jedenfalls das Aufstellen eines Gestelles, Tisches oder Standes geht auch über einen weiteren, die Kontaktaufnahme und Kommunikation mit anderen Verkehrsteilneh- mern in innerstädtischen Fußgängerbereichen einschließenden Verkehrsbegriff hinaus und stellt sich deshalb in jedem Falle als Gebrauch der öffentlichen Straßen über den Gemeingebrauch hinaus (Sondernutzung) dar (vgl. BVerwGE 56, 63 [65] = NJW 1978, 1933 sowie VG Berlin, NJW 1989, 2559 zu einem "lnformationsstand der Scientology Kirche").

   Diese Erlaubnis ist nicht deshalb entbehrlich, weil es gem. § 16 VII HessStrG keiner Erlaubnis nach Abs. 1 bedarf, wenn eine Erlaubnis nach § 5 StVO erteilt wird. Zwar ist diese der Verfahrenskonzentration bei der Straßenverkehrsbehörde dienende (an die Neufassung der StVO redaktionell noch nicht angepaßte) Vorschrift nach der Rechtsprechung des Senats, VRS 81, 314 m.w.N.) im Wege einer am Gesetzeszweck orientierten extensiven Interpretation dahingehend auszulegen, daß alle verkehrsbehördlichen Erlaubnisse und Ausnahmegenehmigungen, die eine über den Gemeingebrauch hinausgehende Benutzung der Straße zulassen, die sonst nach dem Straßenrecht erforderliche Sondemutzungserlaubnis ersetzen; mit anderen Worten: Ist für eine bestimmte Art der Straßenbenutzung nach verkehrsrechtlichen Vorschriften eine Erlaubnis (vgl. § 29 StVO) oder eine Ausnahmegenehmigung der Straßenverkehrsbehörde (vgl. § 46 I 1 Nr. 8 und 9 i.V. mit den §§ 32 I und 33 I Nr. 1 und 2 StVO) erforderlich, entfällt damit die Erlaubnispflicht nach § 16 I 1 HessStrG, und zwar unabhängig davon, ob eine verkehrsbehördliche Entscheidung tatsächlich ergangen ist oder nicht. Nicht anders ist übrigens in diesem Zusammenhang § 4 I Nr. 3 der zur Zeit geltenden Satzung der Stadt Frankfurt am Main über Sondernutzungen an öffentlichen Straßen und über Sondernutzungsgebühren vom 5.12.1989 (Mitteilungen 1989, 952) auszulegen. Wonach es keiner Erlaubnis nach dieser Satzung bedarf, wenn für eine Nutzung an einer öffentlichen Straße durch Informationsstände zur Verbreitung von politischem, karitativem und weltanschaulichem Gedankengut und sonstige Meinungsäußerungen dieser Art (Aufstellen von Plakaten, Verteilen von Werbematerial u.ä.) eine Erlaubnis durch die Straßenverkehrsbehörde (Straßenverkehrsamt) nach straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften erteilt worden ist.

   Das vom Kl. beabsichtigte Aufstellen eines ca. 1, 00 x 1, 20 m großen Klapptisches - an einer für derartige Zwecke ausdrücklich vorgesehenen Stelle der Fußgängerzone Zeil/Hauptwache - erfordert jedoch, wovon auch die Bekl. in Abgrenzung zu ihrer früheren, jedenfalls bis 1983 aufrechterhaltenen Praxis nunmehr ausgeht, eine verkehrsbehördliche Erlaubnis nach § 29 StVO oder eine Ausnahmegenehmigung von den Verboten der §§ 32 I 1 und §§ 33 I 1 Nr. 2 StVO nicht. Insbesondere ist auch ohne weitergehende Feststellung etwa in Form von Verkehrsbeobachtungen in tatsächlicher Hinsicht zugrundezulegen, daß durch die beantragte Sondernutzung, die sich bei sachgerechter Auslegung des kl. Begehrens ausschließlich auf einen von der Bekl. als solchen - beispielsweise mit der Ordnungsnummer 315 - ausgewiesenen Stellplatz bezieht, der (Fußgänger-)Verkehr weder gefährdet noch in nennenswerter Weise erschwert werden kann. Es wäre nämlich sachwidrig anzunehmen, die Bekl. könne zumindest einzelne der zahlreichen Stellplätze für bewegliche Informations-, Werbe- und Verkaufsstände im Bereich Zeil/Hauptwache gerade für solche Stellen der in Betracht kommenden ausgedehnten Verkehrsflächen vorgesehen haben, an denen bei Aufstellung eines Klapptisches mit dem Entstehen eines verkehrswidrigen Zustandes gerechnet werden müßte. Eine derartige Annahme verbietet sich deshalb, zumal die Bekl. auch im Berufsverfahren selbst nicht geltend gemacht hat, das Aufstellen eines Klapptisches durch den Kl. werde in Zukunft zumindest zu einer Erschwerung des Fußgängerverkehrs führen. Ob es im Rahmen der einer Vorgängerorganisation erlaubten Sondernutzung bis in das Jahr 1982 zu Belästigungen von Passanten infolge "aggressiven Vorgehens" kam, wie die Bekl. nunmehr behauptet, bedarf in diesem Zusammenhang keiner Aufklärung.

   Die Erteilung der demzufolge für die beabsichtigte Sondernutzung erforderlichen (wegerechtlichen) Erlaubnis liegt nach § 16 I 1 HessStrG im Ermessen der Straßenbaubehörde. Allerdings wäre eine Auslegung und Anwendung dieser Vorschrift, die die Gewährung von Sondernutzungserlaubnissen in das freie Ermessen der Exekutive stellte, jedenfalls mit zugunsten des jewedigen Antragstellers eingreifenden Grundrechten - etwa dem aus Art. 5 I GG folgenden Recht, Meinungen frei zu äußern und zu verbreiten - nicht vereinbar (vgl. BVerfG, NVwZ 1992, 53 [54] zum ohne Hilfsmittel erfolgenden Verteilen sog. Informationsbriefe in Fußgängerzonen durch Mitglieder der "Scientology Church").

   Dementsprechend hat der Senat in dem bereits zitierten Beschluß vom 3.4.1987 unter ausdrücklicher Aufgabe seines früheren, von der Bekl. zur Stützung ihrer Rechtsauffassung weiterhin herangezogenen Standpunkts (ESVGH 33, 223) ausgeführt, eine normativ nicht näher vorbestimmte Ermessensbetätigung müsse ihre Rechtfertigung in dem Zweck des der Entscheidung zugrundeliegenden Gesetzes und der vom Gesetzgeber gewollten Ordnung der jeweiligen Rechtsmaterie finden, weshalb sich die Ermessensbetätigung nach § 16 I (HessStrG) an straßenrechtlichen Gesichtspunkten zu orientieren habe. Hieran wird nach erneuter Oberprüfung festgehalten (vgl. neuerdings hierzu: Sauthoff, NVwZ 1990, 223 [227]; Krüger, NWVBI 1993, 161 [168]; Scholz, NVwZ 1993, 629 [631], jeweils mit Rechtsprechungsnachweisen). Über straßenrechtliche Belange i. eng. S. hinaus darf die zuständige Straßenbaubehörde (§ 36 HessStrG) bei der im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 16 I HessStrG vorzunehmenden Interessenabwägung zwar weitere Gesichtspunkte berücksichtigen, die mit dem Widmungszweck der Straße noch in einem sachlichen Zusammenhang stehen; denn Schutzgut der straßengesetzlichen Erlaubnispflicht für Sondernutzungen ist die Straße schlechthin - nicht nur in ihrer verkehrlichen Funktion -, so daß in den erforderlichen Interessenausgleich auch der Schutz des Umfeldes der Straße einbezogen werden kann, in das die Straße eingebunden ist und auf das sie unmittelbar oder mittelbar - zum Beispiel optisch oder durch das Verhalten der Straßenbenutzer - einwirkt, insbesondere der Schutz des Stadtbildes vor Verschandelung und Verschmutzungen oder der Schutz der Straßenanlieger vor unzumutbaren Störungen (vgl. hierzu auch das - nicht rechtskräftige - Urteil des 0VG Lüneburg, NVwZ-RR 1993, 393 [394]).

   Für die ausschließliche Berücksichtigung allgemein-ordnungsbehördlicher Gesichtspunkte, auf die der Magistrat der Bekl. in dem angegriffenen Ablehnungsbescheid sowie dem für die gerichtliche Überprüfung letztlich maßgeblichen Widerspruchsbescheid (vgl. § 79 I Nr. 1 VwG0) für seine Entscheidung allein abgestellt hat, bietet jedenfalls das hessische Straßenrecht keine Grundlage (vgl. zur insoweit abw. Rechtslage in Berlin das Urt. des VG Berlin, NJW 1989, 2559). Ein Bescheid, der eine Sondernutzungserlaubnis versagt und sich dabei ausschließlich auf Belange außerhalb des Straßen- und Wegerechts stützt, ist in aller Regel ermessensfehlerhaft (vgl. OVG Münster, D&…uml;V 1986, 575 [576], unter Hinweis auf VGH München, NVwZ 1985, 207). Dies gilt, wie das VG zutreffend erkannt hat, auch hier; denn die Versagung der begehrten Sondernutzungserlaubnis wird von der Bekl. ausschließlich auf die Erwägung gestützt, der öffentliche Verkehrsraum solle nicht als Plattform für Aktivitäten zur Verfügung stehen, die sich inzwischen für die (Ordnungs-)Behörde als rechts- und gesetzwidrig erwiesen hätten. Auch im Widerspruchsbescheid vom 27.8.1986 wird - freilich ohne die erforderliche Konkretisierung - lediglich ausgeführt, mit Hilfe der begehrten Sondernutzungserlaubnis solle für eine Vereinigung geworben werden, deren Ziele und Aktivitäten mit dem geltenden deutschen Recht, insbesondere mit straf- und wettbewerbsrechtlichen Vorschriften, kollidierten oder zumindest die Möglichkeit eines Rechtsbruchs hinreichend wahrscheinlich erscheinen ließen. Bereits der hierin zu Tage tretende Ermessensfehler (§ 114 VwG0) fährt zu der Verpflichtung der Bekl., den Kl. unter Beachtung der - vorstehend dargelegten - Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.

   Die Bekl. hat ferner überhaupt nicht erwogen, ob die vom Kl. beabsichtigten Aktivitäten, sollten sie entsprechend ihrer erst im vorliegenden Prozeß geäußerten Ansicht als "reine Wirtschaftswerbung unter religiösem Deckmantel" anzusehen seien, gleichwohl als solche den Grundrechtsschutz aus Art. 5 I GG genießen, was jedenfalls nicht von vornherein - ohne nähere tatsächliche Feststellungen der Behörde - ausgeschlossen werden kann (vgl. hierzu BVerfGE 30, 336 [352f.] = NJW 1971, 1555; Degenhart, in: BK, Art. 5 Rdnrn. 150-154 sowie 190 und 191; Wendt, in: v. Münch/König, GG I, 4. Aufl. [1992], Art. 5 Rdnrn. 8, 10 u. 11; VGH München, NVwZ 1987, 435ff. zum Anspruch auf Zulassung zum Werbemarkt des öffentlichrechtlichen Rundfunks im Rahmen des Vertriebes des Buches "Dianetik" von L. Ron Hubbard). Hierin liegt ein weiterer Ermessensfehler, der ebenfalls die Verpflichtung der Bekl. nach sich zieht, den unstreitig bis heute im Vereinsregister beim AG Frankfurt a. M. eingetragenen Kl. hinsichtlich der Erteilung der begehrten Sondernutzungserlaubnis neu zu bescheiden. Denn im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens hat die Straßenbaubehörde zuvörderst das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit zu berücksichtigen und nach den konkreten Umständen insbesondere mit dem öffentlichen Interesse an einer möglichst ungestörten Inanspruchnnahme des Gemeingebrauchs durch andere unter dem Aspekt der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs abzuwägen (vgl. BVerwGE 56, 56 [59] = NJW 1978, 1937; BVerfG, NVwZ 1992, 53).

   Unter welchen Voraussetzungen die Erlaubnisbehörde hiervon - ausnahmsweise - von vornherein absehen darf, braucht hier letztlich nicht abschließend geklärt zu werden. Zwar mag es Fälle geben, in denen für die Sondernutzungserlaubnis schon ein Bescheidungsinteresse nicht besteht, weil der Ast. aus anderen Gründen mit Sicherheit von der Erlaubnis keinen Gebrauch wird machen können (v 1. Sauthoff, NVwZ 1990, 227 unter Hinweis auf OLG Münster, DÖV 1986, 575 und NVwZ 1988, 269 [270]). Dies wird aber allenfalls dann angenommen werden können, wenn offensichtlich - mithin auch für die zuständige Straßenbaubehörde ohne weiteres erkennbar - ist, daß von einer erteilten Sondernutzungserlaubnis ein rechtmäßiger Gebrauch nicht gemacht werden kann, beispielsweise wenn die beabsichtigte Sondernutzung unmittelbar einen Straftatbestand verwirklicht. Der gezielte Rechtsbruch ist nicht durch Art. 5 I 1 GG geschützt. Allerdings wird die Befugnis der Behörde zur Ablehnung der Sondernutzungserlaubnis auf Fälle evidenter Gesetzeswidrigkeit der beabsichtigten Meinungskundgabe beschränkt werden müssen (so Degenhardt, Art. 5 Rdnr. 191). Hiervon kann bei dem werbenden Anbieten von Druckschriften in einer großstädtischen Fußgängerzone jedenfalls dann nicht ausgegangen werden, wenn der Inhalt der Druckschriften nicht seinerseits evident gegen Strafgesetze verstößt. Daß dies der Fall sei, behauptet die Bekl. selbst nicht. Die - dem Gericht bekannte - Auseinandersetzung zwischen Anhängern und Gegnern der Scientology-Bewegung betrifft vielmehr die zumindest nicht eindeutig im einen oder anderen Sinne zu beantwortende Frage, ob Personen, die sich für das von L. Ron Hubbard entwickelte Gedankengut erst einmal interessiert haben, in der Folgezeit mit bestimmten Methoden in ein Abhängigkeitsverhältnis gebracht werden mit dem eigentlichen Ziel, sie finanziell auszubeuten, oder ob sich diese Personen kraft freien Willensentschlusses einer Vereinigung anschließen, die ihnen unter anderem - vor allem durch zu vergütenden Dienstleistungen - den Zugang zu einer "Erlösungsreligion" verschaffen will; dabei ist die von der Berufung in den Vordergrund gerückte Frage, ob es sich bei der "Scientology Kirche" um eine Religions- bzw. Weltanschauungsgemeinschaft handele, weder in der Rechtsprechung bereits geklärt (vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 21.1.1993 - 1 S 2616/92) noch im vorliegenden Verfahren klärungsbedürftig. Denn diese öffentliche Auseinandersetzung ergibt keine ausreichenden Hinweise auf offensichtliche Gesetzesverstöße des Kl. oder seiner Mitglieder im Rahmen der beabsichtigten Straßenbenutzung, welche ein Sachbescheidungsinteresse von vornherein entfallen lassen und die zuständige Straßenbaubehörde der Notwendigkeit entheben könnten, eine die Meinungsäußerungsfreiheit einbeziehende abwägende Ermessensentscheidung nach den vorstehend dargelegten Grundsätzen zu treffen.

   Dieser Notwegdigkeit ist die Bekl. auch nicht im Hinblick darauf enthoben, daß es sich nach ihrer nunmehr vertretenen Auffassung bei dem Klapptisch, den der Kl. gelegentlich aufstellen möchte, nicht um einen "lnformationsstand" im Sinne des maßgeblichen Satzungsrechts handele, sondern um einen Verkaufs- bzw. kommerziellen Werbestand, für den aber ein entsprechender Antrag nicht gestellt worden sei. Mit dieser Überlegung läßt sich das kl. Bescheidungsinteresse nicht in Frage stellen. Weder hat nämlich der Kl. den Begriff des "Informationsstandes" seinem ursprünglichen "Antrag auf Sondernutzungserlaubnis" mit einschränkender Zielrichtung zugrundegelegt noch verzichtet er jetzt auf die begehrte Sondernutzung, falls sie ihm nach dem Satzungsrecht der Bekl. oder aus sonstigen Rechtsgründen nur - gebührenpflichtig - für einen "Verkaufsstand" bzw. einen "Werbeverkaufsstand" im Sinne des maßgeblichen Gebührenverzeichnisses erteilt werden könnte. Dies hat er auf Befragen in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat - unter Bekräftigung seiner Auffassung, einen "Informationsstand" beanspruchen zu können - ausdrücklich klargestellt.

   Im übrigen handelt es sich bei dem Klapptisch, der auf einem der hierfür im Bereich Zeil/Hauptwache besonders ausgewiesenen Stellplätze (beispielsweise Nr. 315) aufgestellt werden soll, um einen "Informationsstand" im Sinne des Satzungsrechts der Bekl. Wenn § 4 der Satzung der Stadt Frankfurt a. M. über Sondernutzung an öffentlichen Straßen und über Sondernutzungsgebühren unmittelbar auch nur die "Erlaubnisfreiheit" u.a. von Informationsständen im Hinblick auf die oben erörterten Verfahrenskonzentration bei der Straßenverkehrsbehörde vorsieht, kann dieser Vorschrift doch zugleich eine Definition des Begriffes "Informationsstand" - insbesondere in Abgrenzung zu einem gebührenpflichtigen "Verkaufsstand" bzw. "Werbeverkaufsstand" - entnommen werden. Die Vorschrift stellt dabei aber nicht, wie die Bekl. darzulegen versucht, darauf ab, ob es sich bei dem antragstellenden Betreiber des Standes um eine politische Partei, eine karitative Organisation, eine Religions- bzw. Weltanschauungsgemeinschaft oder etwa um ein Gewerbeunternehmen handelt, sondern ausschließlich darauf, ob "politisches, karitatives oder weltanschauliches Gedankengut und sonstige Meinungsäußerungen dieser Art (Aufstellen von Plakaten, Verteilen von Werbematerial u. a.) verbreitet" werden sollen. Dies kann hier nicht ernsthaft in Frage gestellt werden; denn das vom Kl. zur Verteilung vorgesehene Material stellt sich jedenfalls als "sonstige Meinungsäußerung" i.S. der Satzungsbestimmung dar, ohne daß es darauf ankäme, ob es sich bei dem Kl. (oder einer anderen Organisationsform der Scientology-Bewegung) um eine Religionsgesellschaft bzw. eine gleichgestellte Weltanschauungsgemeinschaft handelt oder nicht. Dies gilt übrigens auch für das Buch "Dianetik", das der KI., ohne allerdings hierauf zu bestehen, möglichst ebenfalls, wenn auch nicht gratis, an Interessenten abgeben möchte. Der Verkauf dieses Buches zum "Selbstkostenpreis" von 14,5O DM dient erkennbar nicht der Gewinnerzielung, sondern der (vertiefenden) Information derjenigen Personen, die sich mit dem Gedankengut L. Ron Hubbards auseinandersetzen möchten. Jedenfalls aber gibt der beabsichtigte Buchverkauf, so wie er Gegenstand des in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat präzisierten kl. Antrags ist, der streitgegenständlichen Straßenbenutzung des Kl. kein überwiegend erwerbswirtschaftliches Gepräge. Vielmehr liegt auf der Hand, daß Aktivitäten mit dem Ziel der Gewinnerwirtschaftung und -optimierung nur außerhalb des öffentlichen Straßenraums und im Anschluß an bereits vermittelte Erstinformation mit hinreichender Erfolgsaussicht entfaltet werden können, mithin in einem Bereich, der von der für die Erteilung von Sondemutzungserlaubnissen zuständigen Straßenbaubehörde nicht zu beeinflussen ist.

   Für die von der Bekl. in Fällen der vorliegenden Art aus Praktikabilitätsgründen geforderte Verfahrenskonzentration bei der Ordnungsbehörde fehlt es an der erforderlichen Rechtsgrundlage. Die Vorschrift des § 16 VII HessStrG ordnet, wie bereits ausgeführt, eine derartige Konzentrationswirkung nur zugunsten der Straßenverkehrsbehörde an, die im Innenverhältnis die Straßenbaubehörde einzuschalten hat. Im übrigen wäre diese Vorschrift falsch verstanden, wenn aus ihr gefolgert würde, bei einer Entscheidungszuständigkeit der Ordnungsbehörde für Sondernutzungserlaubnisse könnten die anzustellen den Ermessenserwägungen ausschließlich auf allgemein-ordnungsbehördliche Belange (hier etwa auf den von der Bekl. für erforderlich gehaltenen Schutz der Bevölkerung vor Werbeaktivitäten der Scientology-Bewegung) beschränkt werden.

   Wenn die Ordnungsbehörde der Bekl. Anlaß zum Einschreiten gegen den Kl. oder seine Mitglieder sieht, mag sie von den ihr zur Gebote stehenden gesetzlichen Möglichkeiten Gebrauch machen; das Sondernutzungserlaubnisrecht bietet ihr hierfür nach dem vorliegenden Sachverhalt keine geeignete Grundlage.

(Mitgeteilt von der Veröffentlichungskommission des VGH Kassel)