Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan
In der Zukunft ist alles besser. Von wegen. Die Männer sind unsterblich
und die Frauen ausgestorben. Zumindest in Rudolf Thomes neuem
Film. Einer dieser unsterblichen Männer, der Archäologe Frank
(Herbert Fritsch), kommt zurück in unsere Zeit, da er sich "unsterblich"
in die Autorin des Buches "Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan"
verliebt hat, auf das er bei seiner Arbeit stieß. Bei seiner Ankunft
in Berlin lernt er die lebenslustige Luise kennen, die sich sofort
in den naiven Fremden verliebt. Dieser macht sich jedoch wieder
auf die Suche nach "seiner" Laura Luna. Bei ihr angekommen, gewinnt
er auch ihr Herz, und zusammen mit Luise beginnen die beiden,
das Leben in einem kleinen Haus im Wald in vollen Zügen zu genießen.
Doch natürlich kommt auch Luise auf ihre Kosten . . .
Thome gelingt es, nicht zuletzt durch seine äußerst charismatischen
Schauspieler, aus einer hanebüchenen Story ein wahres Schmankerl
zu machen, bei dem man keinen Moment über so banale Dinge wie
Realismus nachdenkt. Die schönste Botschaft zeigt sich allerdings
am Ende des Filmes: Am schönsten ist es doch in der Gegenwart;
man muß nur wissen zu leben.
Augsburger Allgemeine, 22. 01. 99
Außerirdische küßt man gern
Liebe mit einem Unsterblichen: Rudolf Thomes Film "Tigerstreifenbaby
sucht Tarzan"
Gleichmütig setzt der Mann auf der nächtlichen Landstraße einen
Schritt vor den anderen. Seine Haare sind ein wenig zu hell, sein
Gesichtsausdruck ein wenig zu milde, seine Bewegungen ein wenig
zu mechanisch, seine Aussprache ein wenig zu prononciert, und
das rhythmisch aufflackernde Scheinwerferlicht tut das seine,
um die alltägliche Szene fremd und merkwürdig erscheinen zu lassen.
Daß Frank Mackay ein 1214 Jahre alter Außerirdischer ist, von
einem fernen Planeten, auf dem die Männer unsterblich und die
Frauen ausgestorben sind, drängt sich dem Zuschauer nicht auf.
Science Fiction ist für Rudolf Thome keine Frage schriller Kostüme
und aufwendiger Effekte. Nichts liegt ihm ferner als die schnellen,
glitzernden, bunten Sensationen des Hollywood-Kinos. Stattdessen
addieren sich bei ihm ganz beiläufig die Anzeichen, daß etwas
nicht stimmt mit diesem Mann. Ähnlich wie Jeff Bridges als "Starman",
läßt auch Herbert Fritsch nur langsam durchsickern, daß er sich
nicht in seiner eigenen Haut und seinem vertrauten Leben bewegt.
"Bist Du echt? wird zwei Tage später eine junge Frau fragen,
und ihre Stimme verrät, daß sie befürchtet, er könne sich einfach
wieder verflüchtigen. Eine magische Wirkung übt dieser Mann auf
die Frauen aus, die ihm begegnen. "Du riechst so gut, finden
sie und wollen ihn küssen und mit zu sich ins Bett nehmen. Wie
allen Männern in den Filmen von Rudolf Thome liegen auch Frank
Mackay jegliche Machoattitüden fern, und wie immer in seinen spröd-zauberhaften
Berliner Liebesgeschichten sind es auch hier die Frauen, die die
Initiative ergreifen und die Entscheidungen treffen.
Luise (Cora Frost) überredet ihren Mann, den nächtlichen Spaziergänger
mitzunehmen. Als sie ihm am nächsten Tag anbietet, die Nacht mit
ihr zu verbringen, lehnt er höflich ab, denn er ist gekommen,
die junge Schriftstellerin Laura Luna zu finden. Quer durch die
Zeiten ist er dem Klang ihres Buchtitels gefolgt, einem Satz,
der auch Thome über die Jahre nicht losgelassen hat, seit er ihn
in einem Gedicht gelesen hatte, bis er nun eine Geschichte dazu
gefunden hat: "Tigerstreifenbaby sucht Tarzan.
Im Gegensatz zu der viel realitätsnäheren Ehegeschichte des parallel
entstandenen Films "Just Married" entfalten sich die völlig irrwitzigen
Ereignisse dieses Films mit einer Leichtigkeit, die sich der irdischen
Schwerkraft und den Regeln der Wahrscheinlichkeit spielend widersetzt:
Luise läuft ihrem Mann davon und schließt sich den Frischverliebten
Laura und Frank an; dabei spielt Cora Frost die Aufdringliche
mit einer unwiderstehlichen Mischung aus Charme und neurotischer
Überdrehtheit.
In einer Villa in einem verwunschenen Garten im märkischen Land
entwickeln die drei ihre eigene Variante von Lubitschs "Design
for Living", eine Rousseausche Utopie vom paradiesischen Leben
in der Natur. Immer wenn die Phantasie dann doch Gefahr läuft,
von der Realität aufgerieben zu werden, aktiviert Thome die Abgesandten
klassischer Genres; dann kommen die B-Picture-Killer mit ihren
Pistolen und schaffen reale Verhältnisse. Ganz nah ist Thome hier
an seinen Anfängen, am zarten Spiel mit der Liebe und dem Tanz
mit den Genres, aber auch am poetischen Witz mancher Nouvelle-Vague-Filme:
Nicht umsonst haben die Franzosen für Rudolf Thome immer ein Herz
gehabt.
ANKE STERNEBORG in Süddeutsche Zeitung, 6./7.12.98
Liebe zu dritt im Paradies am See
Der Titel war vor 15 bis 20 Jahren eine Magazin-Überschrift -
sagt Rudolf Thome. Die blieb ihm im Gedächtnis, daraus entwickelte
der Autor, Regisseur, Produzent und Verleiher die Geschichte eines
platinblonden, schlaksigen Mannes mit Rucksack, eine Mischung
aus Baby, Roboter und Pan Tau. Immerhin ist er ja 1014 Jahre alt,
stammt aus einer über 2000 Jahre entfernten Zeit, in der Männer
zwar unsterblich, aber frauenlos sind. Der Grund für seine Berlin-Reise
heißt Laura Luna.
Der Archäologieprofessor will Laura, die schöne Schriftstellerin,
mit in die Zukunft. nehmen. Ein Stein mit ihrem Namen und der
Filmtitel-Inschrift hatten ihn neugierig gemacht. Vor Laura lernte
er aber Luise kennen, überirdisch und bodenständig zugleich, eine
"Göttliche".
Das Trio landet in einem Säulen--Haus am See in einem verwunschen
wirkenden Brandenburger Wald. Dort entdeckt das Dreiergespann
die Lust - am Essen und der Liebe, ob-wohl das Wort Liebe nie
fällt. Späte-stens als der oft mit Handkamera ge-drehte Film in
diese Wald-Idylle eintaucht, ist man williger Gefangener dieses
plausibel erzählten Traum-märchens. Da gibt es mannshohes Schilf,
Picknicks und eine echte Schlange als Vorbote der Vertreibung
aus dem Paradies.
"Tigerstreifenbaby ist eine Mi-schung aus Science-fiction, Krimi
und Märchen, ein Film über die Lie-be, wie sie sonst nur aus Frankreich
kommen - heiter, glückselig und langsam.
Kathrin Knoll in Leipziger Volkszeitung 5.11.98
Das Glück beim Gemüseschneiden
Immer wieder Wunder: Rudolf Thomes neuer Film "Tigerstreifenbaby
wartet auf Tarzan"
Luise liebt Frank. Frank liebt Laura. Laura liebt Luise und Frank
... Rudolf Thome ist ein Zeremonienmeister der freien Liebe. Die
Filme des Berliner Regisseurs erzählen von der Vollkommenheit
der Hingabe, der Zartheit des Miteinanders und der Reinheit des
Sex. Drei Menschen liegen im Bett, und es hat nicht den Hauch
von Verruchtheit. Thome ist ein unrettbar altmodischer Romantiker.
Alles ist schön in Thomes Filmen. Alles ist sinnlich. Die Menschen,
die Schauplätze, selbst die Schlange, die genüßlich eine Maus
verspeist. Nichts wirkt mühevoll künstlich arrangiert wie in der
Werbung. Jedes Bild hat sein Gleichgewicht, seine innere Ordnung,
sein Spiel mit Farben und Formen. Dazu braucht Thome keine berühmten
Kameraleute. Da arbeitet er lieber mit Carsten Thiele, einem jungen
Mitarbeiter aus dem Kopierwerk, hinter der Kamera, weil der seine
Sprache spricht. Thome ist ein visuelles Naturtalent.
Der Zeitgeist ist Thome egal. Feministisehe oder chauvinistische
Denkmuster prallen an seinen Filmen ab, obwohl sie alle unverhohlen
um ungewöhnliche Liebesbeziehungen kreisen. Immer werden die eigenwilligen
Darsteller auch die Gestalter der Geschichte, bestimmen mit ihren
Tempi den Rhythmus. Vielleicht sind die Filme deshalb zu archäologischen
Dokumenten ihrer Zeit geworden. Rote Sonne (1969) mit Uschi Obermeier und Marquard Bohm ist ein anarchistischer
Krimi über das savoir vivre der Münchner Bohemian, Berlin Chamissoplatz (mit Hanns Zischler) von 1980 ein Großstadtfilm aus der Zeit
des engagierten Bürgerbewußtseins und Liebe auf den ersten Blick (mit Geno Lechner) von 1991 eine Ost-West-Wiedervereinigungsparabel.
Die Gegenwart ist der Beginn der Zukunft. Das Jahrtausend geht
zu Ende und die Menschheit programmiert fieberhaft den Countdown.
Kein Wunder, daß Thome, der Wunder über alles liebt, seinen neuen
Film als Science fietion erzählt. Tigerstreifenbaby spielt in der Zukunft, einem unwirklichen Ort irgendwo außerhalb
unserer Zeitrechnung, der aussieht wie das Berlin von heute. Hier
landet der außerirdische und unsterbliche Frank Mackay (Herbert
Fritsch), der aus einer frauenlosen, schrecklich langweiligen
Galaxy kommt. Beim Zappen durch die Zeiten ist er auf den wundervollen
Romantitel Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan gestoßen. Er hat sich in die Autorin verliebt, ohne sie je gesehen
zu haben, und muß sie unbedingt finden.
Zuerst aber lernt er Luise (Cora Frost) und Theo (Tilo Werner)
kennen, ein frisch verheiratetes Paar, das ihn nach Berlin mitnimmt.
Luise verliebt sich sofort in den undurchsichtigen, charismatischen
Mann. Aber ihre Verführungskünste reichen nicht, ihn langfristig
von seiner Mission abzulenken. Uber die eifersüchtige Verlegerin
(Irm Hermann) erfährt er schließlich die Adresse der Autorin und
steht kurze Zeit später mit einem riesigen Strauß langstieliger
Rosen vor der Türe ihres Plattenbau-Apartments. Es öffnet Valeska
Hanel, eine junge Schauspielerin. Sie trägt ein türkisfarbenes
Sommerkleid. Ihre roten Haare sind lässig hochgesteckt. Während
sie Frank sehr selbstverständlich mit Gesten hinein bittet, wandelt
sie durch die Wohnung und trennt sich durch einen knallorangefarbenen
Telefonhörer von ihrem Freund.
Würde Tigerstreifenbaby nicht in Programmkinos laufen, sondern im Fernsehen oder in großen
Häusern, wäre Valeska Hanel schnell kein Geheimtip mehr. Die junge
Schauspielerin mit der durchsichtigen, hippen Ausstrahlung spielt,
als sei sie in ihrem Leben nichts anderes als eine göttliche Muse
gewesen. Daß plötzlich ein Mann von einem anderen Stern mit einem
Rucksack voll Gold und roten Rosen vor ihr steht und seine Liebe
erklärt, überrascht sie nicht und uns deshalb auch nicht. Laura,
Luise und Frank fahren zusammen in ein Ferienhaus in einer Waldlichtung.
Luise kocht, Laura schreibt ihren zweiten Roman und Frank liebt
und schwängert beide Frauen.
Andere Filme benutzen die Idylle als Intro, um durch die Zerstörung
ihre Figuren zu formen. Thome zeigt die Utopie des Glücks als
alltägliche Realität und stilisiert seine durchschnittlichen Menschen
zu spannenden Helden. Einkaufen, Gemüse schneiden, essen, lieben,
schreiben. Alles, was die drei tun, ist für die Geschichte gleichermaßen
wertvoll und unverzichtbar. Denn für Laura, Luise und Frank gibt
es innerhalb der bizarren Konstellation kein Wenn und kein Aber.
Sie fühlen sich als etwas Besonderes, und das macht sie besonders.
Das ist ihr Geheimnis. Und das wird ihnen zum Verhängnis.
Angela Schmitt-Gläser in Frankfurter Rundschau, 22.10.98
CORA KOMMT
TIGERSTREIFENBABY WARTET AUF TARZAN
Ein Mann aus der Zukunft, zwei Frauen aus der Gegenwart, Utopia
im märkischen Sand. Rudolf Thome verbindet Science-fiction, Krimi
und Liebesgeschichte - und macht mit Cora Frost die schauspielerische
Entdeckung der Saison.
Seit Hanna Schygulla ist keine mehr so durch einen deutschen Film
gewandelt. Cora Frost hat es auch, dieses schwebende Danebensein,
dem man eigentlich nur mit Widersprüchen auf die Spur kommt: diffus
und zugleich präzise, abwesend und hyperpräsent, hellwach und
bekifft. Wie bei Schygulla ist auch ihre Leinwanderscheinung eher
Zustand als Darstellung - ein träges, verträumtes Gleiten durch
die Horizontale.
Cora Frosts Geheimnis in Rudolf Thomes neuem Film läßt sich nicht
auf den Punkt, nur aufs Paradox bringen: als Verbindlichkeit im
Unverbindlichen.
Unverbindlich, weil ihr entrücktes Lächeln, ihre leicht affektierte
Sprache wie zufällig auf Thomes Film zu verweisen scheinen, als
sei sie von einem fremden Stern gefallen und halt in "Tigerstreifenbaby
wartet auf Tarzan gelandet.
Verbindlich, weil sie mit allem Vorgefundenen so vertraut scheint,
als sei sie wiederum nur und unbedingt für diesen Film vom Himmel
gefallen. Das Kinodebüt der nicht zu fassenden Frost ist sozusagen
die filmische Entsprechung der Heisenbergschen Unschärferelation
- versucht man sie festzulegen, ist sie schon wieder ganz woanders.
In einer der ersten Einstellungen von "Tigerstreifenbaby wartet
auf Tarzan erzählt Cora Frost alias Luise während einer Autofahrt
von ihrer verregneten Hochzeitsreise. Sie wirft den Kopf zurück,
lacht ausladend, und je banaler das Gesagte, desto genauer hört
man zu. Ihre ungehemmte Überspanntheit schlägt Funken mit der
geheimnisvollen Aura eines fremden Mannes, den Luise und ihr Filmgatte
Theo gerade eingeladen haben, irgendwann mitten in der Nacht,
irgendwo auf einer Landstraße nach Berlin. Der Mann ist platinblond,
sieht aus wie der junge Achternbusch und heißt Frank Mackay.
Ein Auto, die Nacht und die Straße, eigentlich nichts Besonderes
und doch beunruhigend, denn Thomes Helden sind irgendwie aus der
Zeit gefallen. Schon jetzt hat man das seltsame Gefühl, mit ihnen
in völlig unbekannte Gefilde zu reisen.
Frank Mackay ist Archäologe. Er kommt aus einer Fernen Zukunft,
in der die Männer unsterblich und die Frauen ausgestorben sind.
Mit seinem neugierigen, etwas zu offenen Lächeln, seiner deutlichen,
etwas zu bedächtigen Sprache, seinen bewußten, etwas zu behutsamen
Bewegungen ist er der zweite Fremdling des Films. Luise macht
ihm Avancen, doch Mackay hat die Zeit durchquert, um Laura Luna
zu treffen, eine Schriftstellerin, deren Foto er bei Ausgrabungen
gefunden hat. Mit einem riesigen Rosenstrauß macht sich der Zeitreisende
auf, die von fern Verehrte zu treffen.
Ganz gelassen erzählt Thome seine Unwahrscheinlichkeiten. Manchmal
rückt die Kamera noch ein bißchen näher an die Figuren heran,
als wolle sie sich vergewissern, daß das alles wahr ist.
Mackay, der Mann aus späteren sexsublimierenden Jahrtausenden,
trifft auf das bodenständige Berlin der Gegenwart. Mit der Aufmerksamkeit
eines Ethnografen sieht er Luise beim Bettenmachen zu. Im Nachtclub
verharrt die Kamera lange auf seinem von Stroboskopblitzen verzerrten
Gesicht. Als er seine aus der Zukunft mitgebrachten kleinen Goldbarren
eintauscht, wird er von einem zwielichtigen Händler übers Ohr
gehauen. Außerdem hat der Zukunftsmensch das Vergnügen, Laura
Lunas Verlegerin Irm Hermann zu treffen, die fröhlich feststellt,
daß sie im Haushalt definitiv eine Niete ist.
In Thomes Film fühlt man sich wie befreit von allen erwarteten
und erahnten Wendungen. Science-fiction, Krimi, romantische Liebesgeschichte
"Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan hat von jedem Genre etwas
und streift doch alles ab.
Dann beginnt die andere Zeit. Auf der Flucht vor nie in Erscheinung
tretenden Feinden verstecken sich Frank, Luise und Laura in einer
Waldvilla. Und bleiben.
Luise kocht, Laura schreibt, Frank beobachtet. Bald pendelt sich
die Liebe ein im triangulären Gleichgewicht. Rousseaus Gemeinschaft
der Seelen, dem aufklärerischen Ideal der Empfindsamkeit verbunden,
die freie Liebe der 68er, zeitlose ländliche Rückzugsphantasien
- bei Thome findet die Utopie ihren Frieden in Brandenburg. Eine
Utopie der "letzten Menschen, ähnlich abgeschlossen wie in Thomas
Morus' Urschrift "Utopia. Unter der heiteren Sonne Brandenburgs,
jenseits der verwirrenden Einflüsse des brutalen Berlins schwinden
alle störenden Hemmungen, Leidenschaften, Antinomien. An ihre
Stelle tritt ein Gefühl des Behagens, der Ausgeglichenheit. Gleichmaß,
epikuräischer Genuß, geistigkünstlerisches Arbeiten, Naturbeobachtung.
Die schmale, luftige Brücke, die bei Morus in die reale Welt zurückführt,
ist bei Thome die Straße ins nächste Dorf. Ab und zu muß das verschlungen
verliebte Trio einkaufen und hin und wieder einen Goldbarren eintauschen.
Im Idyll wird die Zeit zur unbestimmten Dauer. Ein Zustand, wie
geschaffen für Cora Frost. Die Utopie ist das Reich, in dem ihre
Luise so zurückhaltend wie unumschränkt regiert. Und hier, wo
sie nichts zu tun hat, als ihren erotischen und kulinarischen
Neigungen nachzugehen, erreicht ihre lethargische Laszivität den
Gipfel der Selbstgewißheit.
Für einen merkwürdigen Augenblick kehrt die Zeit dann doch ins
Paradies zurück. Frank Mackay hat eine Schlange gefangen. Mit
weitaufgerissenen Kiefern verschlingt sie eine Maus. Zwei lebende
und zwei tote Augen starren in die Kamera, bis das Säugetier nach
einer kurzen Ewigkeit im Rachen des Reptils verschwindet.
Natürlich, es gibt sie noch, die Welt des Fressens und Gefressenwerdens,
die Welt der eifersüchtigen Theos. Daß Thome sie für einen glücksentschlossenen
Moment vergessen macht, entspricht der inneren Schönheit seines
Films.
Katja Nicodemus in TIP 19.8.98
"Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan".
Warum unternimmt ein Unsterblicher aus dem Jahr 4000 oder so eine
Zeitreise in unsere Gegenwart? Er will eine längst ausgestorbene
Menschensorte erleben: die Frauen. Diese Fabel hat sich der Berliner
Kino-Einzelgänger Rudolf Thome ausgedacht und mit dem Volksbühnen-Liebling
Herbert Fritsch, der angehimmelten Entertainerin Cora Frost und
einer properen Neuerscheinung namens Valeska Hanel naiv-verschmitzt
in Szene gesetzt. Nach einigen Wirren finden die drei in einer
idyllischen Einsiedelei zur Liebesgemeinschaft zusammen, bald
sind auch beide Frauen schwanger - leider endet die erotische
Utopie à la Thome arg abrupt, weil der Lover aus der Zukunft auf
eine andere längst ausgestorbene Menschensorte nicht gefaßt war.
den eifersüchtigen Ehemann.
Urs Jenny in Der Spiegel 7.9.98
TIGERSTREIFENBABY WARTET AUF TARZAN
JUST MARRIED
"Du riechst so gut, brüllt Luise zu Frank. Nicht daß sie ihn
anschreien möchte, doch beide tanzen gerade in der Disco, stroboskobisches
Licht läßt die Leiber zucken. Man wundert sich, daß hier irgendjemand
noch etwas mit dem Geruchsnerv und dabei irgendetwas außer Rauch-,
Bier-, Trockeneis- und Schweißgeruch wahrnimmt. "Du riechst so
gut", das wird auch Laura bald zu Frank sagen, die Szene ist eindeutiger,
denn die beiden liegen zusammen im Bett. "Riechen alle so gut,
dort wo du herkommst?", fragt sie weiter, und benennt das Zentrum
von TIGERSTREIFENBABY WARTET AUF TARZAN, Rudolf Thomes jüngstem
Film, der dieses Jahr auf der Berlinale das Publikum überraschte.
Denn hier erzählt der sonst eher an der Phänomenologie der Gegenwart
interessierte Thome ein außerirdisches Märchen von einem Mann,
der aus einer Zukunft kommt, in der es keine Frauen mehr gibt.
Also besorgt sich der Mann einen amerikanischen Paß und reist
mit Goldbarren im Wert einer halben Million Mark in die Vergangenheit
- zu Laura und zu Luise.
An diesem Stoff interessiert Thome jedoch weder die Science- noch
die Social-Fiction, die das Genre gewöhnlich bestimmen. Nein,
Thome erzählt vielmehr das Märchen eines unmittelbaren, utopischen
Glücks, für das es in der Gegenwart keinen Raum zu geben scheint.
Wie als Kehrseite von TIGERSTREIFENBABY kann man sich deshalb
Thomes zweiten Film aus dem Jahr 1997 anschauen: JUST MARRIED
heißt der und beschreibt ein Ehegefängnis, in dem das Glück erstickt.
Seine weibliche Hauptdarstellerin heißt zwar Frangipani, was übersetzt
so etwas wie "Die gut Riechende" heißt, gesagt bekommt sie das
aber nie. Hier geht es ums Ganze, also muß permanent Liebe geschworen
werden: vor dem Traualtar, an einem romantischen Sandstrand, am
häuslichen Herd. Darunter leidet offenbar das unmittelbarste Sinnesorgan,
die Nerven in der Nase werden betäubt. "Soll ich mich scheiden
lassen?", fragt Friedrich Bär seinen Anwalt so ganz en passant.
"Ich hasse dich", schreibt die enttäuschte Frangipani auf den
Badezimmerspiegel. Friedrich ignoriert es gelassen und rasiert
sich, bevor er stillschweigend die Wohnung, darin Mutter und Kind,
verläßt.
Rudolf Thome gehört zu den leisen Filmemachern dieser Republik,
sieht man einmal von dem Uschi-Obermaier-Vehikel ROTE SONNE (
1969) oder dem brisanten SYSTEM OHNE SCHATTEN (1982/83) ab. Trotzdem
hat er kontinuierlich Filme gedreht, seit 1964. Seinen ersten
Spielfilm, DETEKTIVE, realisierte er 1968. Seine Stärke liegt
aber nicht nur in dieser Kontinuität, in der Beharrlichkeit, mit
der er Autorenfilmer bleibt, während die Kollegen seiner Generation
alle auch irgendetwas anderes geworden sind. Schaut man sich heute
- wie in der Reihe, die das Arsenal in Berlin veranstaltete -
seine frühen Filme an, so überzeugt seine Wahrnehmung der äußeren
Wirklichkeit. DETEKTIVE etwa spielt nicht nur mit den Geschichten
und Blickwinkeln der französischen Nouvelle Vague, er gibt vielmehr
den Blick auf die bundesdeutsche Vergangenheit frei. Lange Autofahrten
in CinemaScope/Schwarzweiß lassen die Modelle der sechziger Jahre
ins Auge fallen, ein Klaps auf den Po der Frau beschreibt das
Geschlechterverhältnis dieser Zeit prägnanter als manch akademischer
Aufsatz zum Thema.
Aber auch die gegenwärtigen Filme von Thome wirken irgendwie sympathisch
verstaubt. Da gehen zwei Leute in Berlin tanzen. Thome freut sich
naiv wie ein kleines Kind über das stroboskobische Licht und setzt
es in Szene, wie es kein jüngerer Filmennacher mehr tun würde:
spielerisch, voller Wahrnehmung für die absurde Situation, mit
einem scharfen Blick für die Veränderung des Blicks in diesem
Moment. Und das obwohl TIGERSTREIFENBABY zu seinen unphänomenologischen
Filmen gehört, der in der Wirklichkeit nicht mehr hinschaut, sondern
ein Ideal, eine Utopie an ihrer Stelle einsetzt. Da schreibt Laura
Luna, die Schriftstellerin, völlig gutgelaunt in nur acht Wochen
am Tisch, irgendwo draußen in der brandenburgischen Natur ihren
Roman, und freilich stehen auf dem Tisch dekorativ eine Blumenvase
und eine Kaffeetasse. Von der Absurdität eines antiquarischen
Modells von Schreibmaschine einmal abzusehen. Da ist die Verlegerin
einfach nur glücklich, wenn sie das neue (mit einem dicken, roten
Geschenkband versehene) Manuskript in den Händen hält. Und auch
der Vater Lauras staunt nur über das Glück und gibt folglich sein
idyllisches Haus mit den fünf weiße Säulen zum Geschenk, anstatt
es dem schleimigen Makler für schäbige 250.000 zu überlassen.
Wunschwirklichkeit. Selten realisiert sie sich in Thomes Filmen.
Sein Kino ist ein - bei allen Verstrickungen -prosaisches, vielleicht
schleicht sich deswegen in TIGERSTREIFENBABY immer wieder die
Metapher des Geldes ein. Frank hat keins, er aber besitzt die
Goldbarren. Wie man die in gültige Währung für die Tauschgeschäfte
des Lebens und der Liebe verwandelt, werden ihm die Frauen zeigen
müssen. JUST MARRIED beschreibt diese Währungsverhandlungen noch
drastischer, denn Friedrich Bär ist ein kleiner Programmkinobesitzer,
der die Tochter des Kinomagnaten Willi Klein ehelicht. Der gibt
seine Existenz auf, gewinnt Kinos und die Hand der Prinzessin,
die ihn das wiederum spüren läßt: "Schwöre!" ist ihr Schlachtruf
und der brave Friederich gehorcht.
JUST MARRIED bleibt dabei immer dicht an der Realität, ja für
Menschen, die Berlin kennen, ist nahezu jeder Drehort zu erkennen.
Am Lietzensee lüftet man Sonntags die Kinder, in der Bar Tolucci
trifft man den Liebhaber, am Schlachtensee geht man schwimmen.
Thomes Filme verorten sich so in Raum und Zeit, sie zeigen ein
großes Stück gelebte Wirklichkeit. Das mag auch daher kommen,
daß Thome immer wieder das Vertraute zu filmen sucht, über sich
und seine Welt erzählen will. "Sonst kann man ja keine gescheiten
Filme machen. Das, wovon man etwas versteht, ist man selbst. Falls
man überhaupt etwas versteht, meint er trocken. Gelegentlich
kommen Thomes Filme deshalb auch klischiert romantisch daher:
Verliebte gehen bei ihm gern nackt im Waldsee schwimmen, Ehen
werden vom Papa und Schwiegervater gekittet, zur Hochzeitsreise
fährt man nach Italien. Selten sieht man die Reibung der Personen
aneinander, die Gespräche, die Diskussionen.
Thome bleibt der Faktizität verpflichtet: Irgendetwas ist so,
also zeigt man es. Ein Paar ist getrennt, ein anderes liegt zusammen
im Bett, wie sie eigentlich zueinander finden, was sie letztlich
trennt, darüber schweigt er sich aus. Deshalb sind seine Filme
keineswegs lieblos, fast kann man beide, TIGERSTREIFENBABY und
JUST MARRIED, als Liebeserklärungen betrachten: Der eine ist eine
Verbeugung vor den Stärken des weiblichen Geschlechts, der andere
(bei aller Kritik) ein Votum für die Institution Ehe. Thomes Filme
sind nicht spektakulär, keine ästhetischen Highlights, die man
gesehen haben muß. Schaut man sie sich trotzdem an, merkt man,
daß hier ein präzises Bild dieser Republik entsteht, daß kleine
Verschiebungen, Baustellen, Entwicklungen genau beobachtet und
festgehalten sind.
Veronika Rall in epd Film 11/98
TIGERSTREIFENBABY WARTET AUF TARZAN von Rudolf Thome
Stoisch gleichmütig geht der Mann über eine nächtliche, deutsche
Landstraße. Im rhythmisch aufflackernden Licht der Scheinwerfer
leuchten seine Haare ein wenig zu hell aus den Dunkel heraus;
seine Haltung ist ein wenig zu steif; seine Bewegungen ein wenig
zu mechanisch, sein Lächeln ein wenig zu milde. "Bist du echt?"
wird ihn zwei Tage später eine junge Frau fragen, und ihre Stimme
verrät, daß sie befürchtet, er könne sich einfach verflüchtigen.
Eine magische Wirkung übt dieser Mann auf die Frauen aus, die
ihm begegnen. "Du riechst so gut", finden sie und schauen ihn
an als sei er ein Wunder. Sie genießen seine Geduld, seine Sanftheit,
seine Zurückhaltung und können ihm keinen Wunsch abschlagen. Wie
alle Männer in den Filmen von Rudolf Thome, liegt auch dem amerikanischen
Archäologen Frank Mackay nichts ferner als männliche Macho-Attitüden,
und wenn er widerspricht oder ablehnt, dann sagt er einfach nur,
"Ja, so ähnlich. Oder: "Das ist keine so gute Idee. Wie immer
bei Thome sind es also auch in diesen Film die Frauen, die die
Initiative ergreifen, die Entscheidungen treffen und die Dinge
des Lebens organisieren.
Doch etwas ist anders in diesem Film: TIGERSTRETFENBABY WARTET
AUF TARZAN ist ein Science-Fiction-Film: Das mutet zunächst ein
wenig fremd am, im Werk von Thome. Andererseits hat er immer wieder
mit Splittern der klassischen Genres sein ganz eigenes, subversiv
schlichtes Spiel getrieben. So entwickelt sich dieser- Film genauso
sanft und herb, wie all die anderen zauberhaft spröden Berliner
Liebesgeschichten zuvor. Irgendwann erwähnt Frank Mackay beiläufig,
daß er 1214 Jahre alt sei und aus der Zukunft des vierten Jahrtausends
komme, in der die Männer unsterblich und die Frauen ausgestorben
seien. Vielleicht ist es das, was die befremdliche Ruhe seiner
Erscheinung ausmacht: Wenn es keine Frauen gibt, müssen Männer
nicht ständig etwas beweisen.
Daß diese ziemlich verrückte Geschichte mit dem selben stoischen
Gleichmut voranschreitet wie alle Filme von Thome, liegt nicht
nur daran, daß der Regisseur nicht genug Geld für kostspielige
Effekte und aufwendige Ausstattung hat. Nichts liegt Thome ferner
als die Effekte und Sensationen des Hollywood-Kinos, und mit lauten
bunten Spektakeln der BACK-TO-THE-FUTURE-Filme hat sein Zeitreiseabenteuer
nichts zu tun. Stattdessen kommt seine Science Fiction auf leisen
Sohlen daher; ein Außerirdischer zu sein, ist bei ihm eine Frage
der Haltung, des Tonfalls, des Blicks: Frank Mackay braucht keine
Laserpistolen, keinen futuristischen Anzug und kein hypermodernes
Raumschiff. Stattdessen trägt er lediglich einen etwas zu engen
Winteranzug und ist einen Hauch aufmerksamer, als man das ist,
wenn man mit den Dingen seines Alltags umgeht; und Herbert Fritsch
verleiht ihm die liebenswerte Naivität und konzentrierte Unschuld
eines ständig leicht verwunderten Kindes.
Luise Überredet ihren Mann, den nächtlichen Spaziergänger mitzunehmen.
Als sie ihm am folgenden Tag nahelegt, die Nacht mit ihr zu verbringen,
lehnt er höflich ab. Denn er ist gekommen, um Laura Luna zu finden,
die ein Buch mit dem merkwürdigen Titel TIGERSTREIPENBABY WARTET
AUF TARZAN geschrieben hat. Quer durch die Zeiten ist er gekommen,
weil ihn der poetische Klang dieses mysteriösen Satzes fasziniert
hat. Gleichzeitig antizipiert diese Zeile auf vieldeutige Weise
auch die absurde Liebesgeschichte, die sich nun entspinnt. TIGERSTREIFENBABY
WARTET AUF TARZAN: Auch Rudolf Thome hat dieser Satz über die
Jahre nicht losgelassen, bis er eine Geschichte dazu gefunden
hatte.
Immer wenn die Geschichte zum Stillstand zu kommen droht, setzt
Thome Räuber und Pistolen als Beschleuniger ein: So packen die
Frauen ihren Frank und fliehen aus der Stadt in die freie Natur,
in eine Villa im märkischen Land. Dabei entwickelt Luise eine
widerspenstige Mischung aus Forschheit und Zärtlichkeit. Fast
hat man den Eindruck daß auch Cora Frost aller irdischen Präsenz
zum Trotz, nicht von dieser Welt ist. Sie ist auf so charmante
Weise neurotisch überdreht, daß man ihr sogar verzeiht, daß sie
sich forsch in die romantische Zweisamkeit von Frank und Laura
drängt. So entwickeln die drei ihre eigene Variante von Lubitschs
DESIGN FOR LIVING, und setzen dabei eine Atmosphäre frei, in der
auch die anzüglichsten Arrangenents ganz natürlich und schlicht,
ohne jeden Ruch einer Altherrenphantasie daher kommen.
Da Rudolf Thome zwar ein schamloser Träumer, aber kein naiver
Dummkopf ist, weiß er, daß es das Paradies auf Erden nicht gibt.
Also schickt er einen B-Picture-Killer um dem Märchen zu setzen.
Anke Sterneborg in SFB Journal Kultur am 27.8.98
Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan
Frank Mackay kommt aus einer fernen Zukunft, in der die Frauen
ausgestorben sind. Der Mann aus der Ferne sah auf dem Umschlag
eines Buches namens "Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan das
Photo der Autorin Laura Luna und verliebte sich sofort in sie,
Nun ist er also fünf Jahrtausende in die Vergangenheit gereist,
um sie zu finden.Zuerst trifft er auf die lässig-laszive Louise,
die Frank eindeutige Angebote macht, die er aber ausschlägt. Frank
sucht Laura und findet sie. Und siehe, auch sie fühlt sich zu
ihm hingezogen. Dann geschehen geheimnisvolle und beunruhigende
Dinge, die Frank und Laura, begleitet von Louise dazu zwingen,
sich für einige Zeit aufs Land zurückzuziehen. Dort sind die drei
glücklich miteinander
Stunde der Wahrheit: Rudolf Thome ist der größte lebende Filmemacher
Deutschlands, und das seit rund 3o Jahren. Daß seine Filme immer
nur ein kleines Publikum finden. und daß der größte Teil der Filmkritik
sein Schaffen nur ungern zur Kenntnis nimmt, liegt daran, daß
er ein Poet der Freiheit ist. Thomes Kino zeigt eine Welt, wie
sie sein sollte: Wo Menschen teilen und glücklich sind. Materielle
Sorgen gibt's keine, allein mit dem Herz haperts manchmal noch.
Hier nicht: Frank & Laura & Luise finden wahrhaftig zueinander.
Thomes Menage à trois ist eine sehr spezielle romantische Utopie,
wo drei Menschen sich in Paaren stets körperlich wie seelisch
lieben können. Thome war früher zurückhaltend, wenn es um Sex
ging. Im Alter, beginnend mit "Liebe auf den ersten Blick, hat
er nun eine filmische Haltung entwickelt, einen Blick darauf gefunden,
der wundervoll schamlos ist, niemals ausbeuterisch, und absolut
wahr. Das ist das einzige, was man über diese Utopie von der Welt,
wenn die Zeit zu Ende geht, sagen kann: Sie ist wahr. "Tigerstreifenbaby
wartet auf Tarzan sagt, daß wir gut sind.
Olaf Möller in "Foglio, September 98
Verheißungsvoll
Der Traum vom großen Glück: Rudolf Thomes neuer Film "Tigerstreifenbaby
wartet auf Tarzan
Schwer, sich ein Bild vom Glück zu machen. Es ist ja so flüchtig.
Selbst die Sonderzuständigkeits-zone Hollywood hat Probleme. Im-mer
steuert sie nur drauf zu, nie kommt sie wirklich an. Wenn's um
die Liebe geht, bildet sie Wege und Umwege ab, gibt hier und da
einen kleinen Vorgeschmack. Und dann bricht sie meist gerade auf
jenem Zielflecken ab, an dem das dauer-hafte Glück eigentlich
erst beginnen soll: auf der Hochzeit. Für die Zeit danach ist
ein anderes Genre zuständig, der Problemfilm. Zwi-schen Versprechen
und Enttäuschung bleibt für das Glück selbst wenig Platz, dem
Schlagwort von der Traumfabrik zum Trotz.
Zu Beginn von Rudolf Thomes neuem Film "Tigerstreifenbaby wartet
auf Tarzan" wird das klassische Modell einmal kurz aufgerufen,
und ausgelacht. Den ersten Satz sagt Luise (Cora Frost) zu Theo
(Tilo Werner), auf nächtlicher Fahrt im Auto: "Wir sind jetzt
verheiratet. Dann lacht sie ein schneidend schönes Lachen, in
dem zwar noch echte Freude vorherrscht über die Verheißungen der
Ehe, in dem aber auch schon das ungläubige Staunen steckt über
alles Anmaßende dieser Verheißungen. Drei verregnete Fliterwochen
liegen hinter Luise und Theo. Das war Pech. Jetzt geht die Suche
nach dem Glück aufs neue los, und ganz anders.
Am Straßenrand, im Dunkeln, geht ein Mann entlang. Luise lädt
ihn zu sich und Theo ins Auto ein und nimmt ihn mit heim nach
Berin. Der merkwürdige Fremde (Herbert Fritsch von der Volksbühne)
trägt einen engen Anzug mit Weste und Krawatte, blondierte kurze
Haare und ein kindliches Lächeln auf dem Gesicht. Er weiß nicht
viel zu sagen, trotzdem gewinnt er Luises Herz, ziemlich schnell.
"Du riechst so gut, sagt sie ihm später bei einem Treffen zu
zweit. Er lächelt kindlich, dann zieht er weiter, zu der Frau,
die er eigentlich sucht. Die heißt Laura Luna (Valeska Hanel)
und hat gerade ihren ersten Roman geschrieben, "Tigerstreifenbaby
wartet auf Tarzan". "Sie riechen so gut", sagt bald auch Laura,
und sie erfährt sogar Mackays Geheimnis. Mackay ist ein Zeitreisender
aus einer fernen Zukunft, in der die Frauen ausgestorben, die
Männer dagegen unsterblich sind. Kein glücklicher Zustand. Mackay
ist zufällig auf Lauras Romantitel und ein Foto der Autorin gestoßen.
Jetzt verfolgt er seine fixe Idee von der Liebe bis in die tiefe
Vergangenheit.
Man wird nicht recht warm mit diesem unfertigen zukünftigen Mann,
dem Herbert Fritsch das Kantige eines Maschinen-Menschen genauso
mitgibt wie das Unbeholfene eines Kindes. Frank Mackay bleibt
immer eine Kunstfigur, seine tiefen Gefühle sind so wenig spürbar
wie sein unwiderstehlicher Geruch. Aber das macht kaum etwas aus.
Denn ohnehin soll der Zuschauer weniger diesem oder jenem Charakter,
sondern vor allem dem Glück nachspüren, das in Mackays Umgebung
beständig wächst. Eine Schauspielerin fällt dennoch besonders
auf. die Diseuse und Kinodebütantin Cora Frost. Schlafwandlerisch-aufgeweckt
macht sie aus Luise eine kleine Göttin von nonchalanter Bodenständigkeit
und Frische. So unmittelbar und beiläufig zugleich hat man zuletzt
wohl nur Sandrine Kiberlain in "Haben (oder nicht)" spielen gesehen.
Durch ein paar mit leichter Hand beim Kriminalfilm ausgeliehene
Machinationen bringt Thome es fertig, Laura, Luise und Frank gemeinsam
fluchtartig aufs Land zu schicken. Dort im Brandenburgischen,
rund um ein schmuckes Landhaus im Grünen, blüht nun das Glück
richtig auf, still, stark, eins-a-idyllisch und trotzdem gut.
Zwischen viel gutem Essen und verzauberter Dreieinigkeit verrät
Laura auf einem Spaziergang auch den Titel des neuen Buches, andem
sie fröhlich im Garten schreibt: "Utopisch leben". Daß man diesen
Titel zu schlucken bereit ist ohne allergische Reaktion, sagt
viel über die sanfte Überzeugungskraft von Thomes Träumerei.
Auch diese Utopie hat einmal ein Ende, aber bis dahin hat sie
überraschend viel Zeit, und in dieser Zeit werden viele schöne
Kleinigkeiten zu einem seltsam erhebenden Film zusammengefügt,
nach dem man schon etwas aufpassen muß, will man nicht kitschig
daherreden (vielleicht ist es schon zu spät). Dabei ist es im
Grunde gleichgültig, ob nun ein Mann mit zwei Frauen, ob alle
drei miteinander, ob wirklich Kinder oder ein Garten dazugehören
oder ein schmuckes Haus. Es geht sicher auch anders, beziehungsweise:
so oder so geht es in der Wirklichkeit natürlich ganz bestimmt
nicht, aber wenigstens geht es einmal in diesem Film, und das
ist schon sehr schön.
Thome hat die Figuren in seinen letzten Filmen "Sieben Frauen,
"Liebe auf den ersten Blick", "Die Sonnengöttin", "Das Geheimnis")
immer weiter dem schlichten Beziehungsdramödien-Universum entwunden
und sie immer energischer hin zum guten Leben gedrängt. Mitunter
waren dabei Krampf und auch Kitsch im Spiel. Aber man muß allein
die Offenherzigkeit bewundern, mit der Thome wieder und wieder
Kurs auf den Traum vom wahren Glück nimmt. In seiner Mischung
aus Leichtigkeit, Bescheidenheit und Unbeirrbarkeit ist Thome,
nun bald 60 Jahre alt, nur noch mit Herbert Achternbusch zu vergleichen,
dem anderen großen Randständigen und Überlebenden des Neuen Deutschen
Films.
Merten Worthmann in Berliner Zeitung 27.8.98
NEU IM KINO
Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan: Frank Mackay reist aus der
Zukunft ins heutige Berlin auf der Suche nach seiner Traumfrau.
Er findet gleich zwei und flüchtet mit ihnen aufs Land in eine
idyllische Dreieinigkeit. Rudolf Thomes märchenhafter Film träumt
sanft und radukal zugleich die Utopie vom großen Glück und vom
richtigen Leben, und nebenbei läßt sich durch das Kinodebüt von
Cora Frost auch ein kleines Schauspielwunder erleben.
Berliner Zeitung 27.8.98
Liebe in Blau
"Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan" von Rudolf Thome
Es gibt Filme, die sind grandios gescheitert. "Winterschläfer
von Tom Tykwer war so einer, "Lost Highway von David Lynch ebenfalls,
und auch Rudolf Thomes "Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan" zählt
in die Kategorie. Filme, in denen man sitzt, glücklich, weil es
so etwas noch gibt: Kino, das Utopien wagt, und ganz große Sprünge,
das nach den Sternen greift und den Mond vom Himmel holen möchte.
Und Filme, denen man deshalb gern verzeiht, daß sie ihr hehres
Ziel nicht erreichen, daß sie kläglich scheitern im lächerlichen
Zwischendrin.
Das sieht in "Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan" dann so aus:
Ein Außerirdischer kommt zurück in unsere Zeit, um eine Frau zu
suchen. Er hat die junge Autorin Laura Luna im Blick, deren ersten
Roman mit dem unmöglichen Filmtitel er in einer Bibliothek fand.
Stattdessen aber läuft ihm die frischvermählte Luise über den
Weg, die sich sofort in Frank verliebt: "Du riechst so gut." Das
Trio zieht aus Berlin in eine ländliche Idylle mit Villa am See.
Hier wird gepicknickt, getanzt und geliebt, in wechselnden Konstellationen.
Wie bei Alice im Wunderland gibt es Riesenpilze, Gräserwälder
und eine Schlange, die das zerbrechliche Paradies bewacht . Und
Laura Luna kann in Windeseile ihren neuen Roman schreiben: "Utopisch
leben.
Schräge Story, schwüle Atmosphäre also und eine schauspielerische
Neuentdeckung. In der Rolle der Luise gibt Cora Frost ihr Leinwanddebüt,
und sie gibt es mit einer herben Gelassenheit, die sie als würdige
Nachfolgerin von Marlene Dietrich kennzeichnet. Die rauhe, dunkle
Stimme, der leicht manierierte Tonfall bringen Fremdheit und Verletzlichkeit
in diese heile Welt. Da wirken die anderen Figuren notwendigerweise
blaß: Herbert Fritsch kann sich die Haare noch so blond färben,
fremd wirkt er hauptsächlich deshalb, weil er die ganze Zeit einen
supersteifen Anzug trägt. Und Valeska Hanel trägt mit ihrer gefälligen
Schönheit dazu bei, daß der Film etwas softpornografische Züge
bekommt. Ihr Buch "Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan" hat angeblich
bis ins Jahr 4000 überlebt. Rudolf Thomes Film wird dieses Schicksal
wohl nicht beschieden sein. Was aber "Rote Sonne" für die 68er
und "Berlin Chamissoplatz" für die 80er Jahre waren, kann "Tigerstreifenbaby"
für die 90er werden: Traum-Elixier einer Generation - Kult für
die nächste.
Christina Tilmann in Der Tagesspiegel 27.8.98
Utopisch leben jetzt
Science-fiction der anderen Art: "Tigerstreifenbaby sucht Tarzan"
mit Herbert Fritsch
"Nur wenn du mit Frank tanzt, bin ich eifersüchtig", besänftigt
die Schriftstellerin Laura Luna die von Gewissensbissen geplagte
Luise, die kurz zuvor mit dem Geliebten ihrer besten Freundin
geschlafen hat. In einer der eigentümlichsten deutschen Kino-Dreiecksgeschichten
der letzten Jahren teilen sich die beiden Frauen auf selbstverständliche
Weise einen aus der fernen Zukunft kommenden Zeitreisenden.
"Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan" - wer bei diesem Titel an
eine schrille Urwald-Klamotte denkt, irrt gewaltig. Dem in Kreuzberg
lebenden Low-Budget-Filmemacher Rudolf Thome ist vielmehr das
Kunststück gelungen, (nahezu) paradiesische Zustände schon auf
Erden glaubhaft zu schildern. Sein Protagonist kommt aus einer
Zeit, in der die Männer unsterblich und die Frauen ausgestorben
sind: Der aus dem 5. Jahrtausend stammende Archäologe Frank Mackay
(Herbert Fritsch) entdeckt bei Ausgrabungen das Epitaph "Tigerstreifenbaby
wartet auf Tarzan". Nachforschungen ergeben, daß anno 1997 die
Autorin Laura Luna (Valeska Hanel) einen gleichnamigen Roman geschrieben
hat. Er verliebt sich in ein Foto von ihr (all dies zeigt der
Film - vermutlich aus Kostengründen - nicht) und reist in unsere
Gegenwart, um sie zu finden (hier beginnt der Film).
In den folgenden 118 Minuten lernt Frank, der anstelle von Bargeld
einen Rucksack voll Goldbarren mit sich herumträgt, erst die lebenslustige
Luise (Cora Frost) kennen und später das eigentliche Objekt seiner
Begierde Laura lieben. Plötzlich stellen die drei fest, daß sie
verfolgt werden. Es gelingt ihnen, die Gangster, die hinter dem
Edelmetall her sind, abzuschütteln. Im abgelegenen Waldhaus von
Lauras Vater (Rüdiger Vogler) genießen sie eine "reine Liebe zu
dritt, bis plötzlich Luises gehörnter Ehemann (Tilo Werner) auftaucht.
Das heißkalte Beziehungsgeflecht überzeugt vor allem durch lange,
atmosphärisch dichte Kameraeinstellungen und das unverbrauchte
Spiel seiner Hauptdarsteller: Der exzentrische Volksbühnen-Star
Herbert Fritsch legt die Rolle des charmanten, aber etwas linkischen
"Mannes, der vom Himmel fiel" als eine Mischung aus Roboter, erwachsenem
Baby und blondgefärbtem E.T. an. Und Chanteuse Cora Frost feiert
ein beachtliches Leinwanddebüt: Sie spielt eine Frau, die an höchst
weltlichen Dingen wie Sex, Essen und Geld interessiert ist. Man
spürt förmlich, wieviel Vergnügen ihr dieser Part bereitet hat.
Ansonsten finden sich auch im 18. Spielfilm des mittlerweile 58jährigen
Auteurs, der sicherlich sein freizügigster ist, eine Reihe gern
gesehener Standardszenen: Die einem Ritual gleichenden Autofahrten
zum See oder die von jeglichen irdischen Problemen losgelösten
hypnotischen Tanzszenen.
Das alles entschädigt den Zuschauer für einige dramaturgische
Schwächen (so hätte man sich die angedeutete Auto-Verfolgungsjagd
schenken können, zumal die Gangster im weiteren Verlauf sowieso
nicht wieder auftauchen). Ex-Filmkritiker Thome, der von Howard
Hawks die lineare Erzählform und von Eric Rohmer die niemals denunziatorische
Liebe zu seinen Handlungsträgern übernommen hat, beweist mit seinem
Entwurf eines jetzigen utopischen Lebens erneut, daß er ein aausgezeichneter
Schüler seiner großen Vorbilder ist.
Marc Hairapetian in Berliner Morgenpost 28.8.98
Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan
EIN WENIG WELTFREMD IST ER schon, der Archäologe Frank Mackay.
Kein Wunder, schließlich ist er aus der Zukunft in das heutige
Berlin gereist, eine Zukunft, in der die Männer unsterblich und
die Frauen ausgestorben sind. Der blonde Sonderling möchte unbedingt
Laura Luna, die Autorin des Buches "Tigerstreifenbaby wartet auf
Tarzan, kennenlernen. Das gelingt ihm auch, und zusammen mit
der frisch verheirateten Luise zieht man in ein idyllisches Häuschen
auf dem Land, um sich fortan in einer harmonischen Dreierbeziehung
zu versuchen. Geld ist kein Problem, schließlich hat Frank Goldbarren
aus der Zukunft mitgebracht. Doch Luises gehörnter Mann ist den
drei Turteltauben dicht auf den Fersen.
Mit schöner Regelmäßigkeit bringt Rudolf Thome seine kleinen unspektakulären
Filme heraus (dieses Jahr sind es sogar zwei - das andere Werk
Just Married wird bald starten). Hier geht es gleich im doppelten
Sinne utopisch zu: Da ist zum einen der Science-Fiction-Aspekt
mit dem Mann aus der Zukunft (von Herbert Fritsch adäquat abwesend
dargestellt). Zum anderen wird die Beziehung des Professors zu
den zwei Frauen (gespielt von Valeska Hanel und dem Chanson-Star
Cora Frost, ein Vorabdruck ihres neuen Buches ist ab S.22 zu lesen)
derart übersinnlich harmonisch in Szene gesetzt, daß so manchem
melancholisch veranlagten Zuschauer die Tränen kommen. Dieses
wunderbare Fest der Liebe, in der jeder jeden liebt und alles
ewig so weitergehen könnte, macht einige Längen in dem mit fast
zwei Stunden deutlich zu ausufernden Film wett.
M(artin) S(chwarz) in Zitty 26.8.98
Ich bin neidisch", sagt Luise (Cora Frost) morgens beim Frühstück
im Garten des kleinen Landhauses. Denn Frank Mackay, ein Mann,
der durchaus das Recht hat, etwas hölzern durch Rudolf Thomes
neuen Film zu staksen - er ist immerhin ziemlich genau 1.114 Jahre
alt -, hat in der vergangenen Nacht mit Laura Luna geschlafen.
Aber was für ein profanes Wort für diesen Filmsex: Lange hat man
keine so relaxt vor sich hin vögelnden Menschen gesehen. Thome
verschont uns vor konvulsivisch zuckenden Becken, vor im sportlichen
Wettkampf blöd Stöhnenden. Stundenlang bumsen ohne jeglichen Streß!
Thome hat das Kunststück vollbracht, wenigstens eine Utopie der
60er Jahre in die Gegenwart zu transportieren, die höchste (gesellschaftliche)
Sprengkraft, Spaß und Lust verspricht. Ohne Revolutionstote: Unsere
Vorfahren nannten es freie Liebe. Warum die 30 Jahre danach mehr
diskreditiert wurden als Mao und Stalin zusammen, versteht man
nach Thomes "Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan" überhaupt nicht
mehr. Natürlich muß Thome für dieses Paradies zu dritt die real
existierenden Verhältnisse in diesem Land ein wenig, öhm, zurückstellen
Seine Tigerbabys und ihr Tarzan sind keine Wesen wie du und ich:
Die Frauen sind direkt, zeigen ihr Begehren, gehen Risiken ein,
tragen luftige Kleider mit fast nichts drunter, sind kreativ,
intelligent, haben klasse Busen... Klingt unrealistisch oder wie
aus der Cosmopolitan-Bestenliste? Egal.
Frank jedenfalls ist die pure Utopie, denn Frank kommt aus der
Zukunft. Und da sind die Frauen ausgestorben. Aus der Zukunft
hat Frank einen Stapel Goldbarren mitgebracht. Die werden bei
Bedarf einfach in Geld umgerubelt. Genau so hatten wir uns doch
die Zukunft vorgestellt: Geld ohne Ende und ohne Drecksarbeit
- die machen die Roboter. Liebe ohne Bedingungen, Orgasmen nur
vom Angucken. Nicht mal um die Verhütung kümmern sie sich. Laura
und Luna kaufen in der Apotheke zwei Tests und sind beide schwanger.
Und glücklich. Fertig. Dabei sind wir in einer Kleinstadt in Brandenburg,
und sofort suchen wir nach Glatzen und Dummbeuteln auf der Straße.
Sind aber keine da. Denn wir sind in der Zukunft. Statt der Frauen,
sind die Idioten ausgestorben.
Vor über einem Vierteljahrhundert hat Rudolf Thome den Klassiker
Rote Sonne gedreht. Seine Schauspieler fahren immer noch in Cabrios an Seen,
ziehen sich nackt aus und schwimmen vor sich hin. Am Ende wird
gestorben, und das ist gut so, denn sonst würden wirvor lauter
Glück- und Utopieseherei unser eigenes Leben für so langweilig,
unkonsequent und unutopisch halten, daß es zum Heulen wäre. Aber
dank der drei Tigerstreifenbabys wissen wir, wo wir ei-gentlich
hingehören. In die Zu-kunft, ins sonnengelb bezogene Bett. Und
endlich werden die Frauen flüstern: Du riechst so gut, Frank.
Andreas Becker (TAZ 18.2.98)
Ein Gast aus dem fünften Jahrtausend kommt in die Gegenwart, um
nach einer bestimmten Frau zu suchen. Gemeinsam mit ihr, einer
Schriftstellerin, und einer weiteren Frau praktiziert er in einem
Landhaus das utopische Ideal freier Liebe, bis ein eifersüchtiger
Ehemann das Idyll zerstört. Der Film reflektiert im Gewand eines
modernen Märchens über Lebenssinn, Harmoniebedürfnis und Todessehnsucht.
Zunächst etwas schleppend, wird die Inszenierung zunehmend dichter,
wobei Regisseur Rudolf Thome Motive und Konfliktkonstellationen
seiner früheren Werke zitiert und paraphrasiert.
Ein eigenwilliger deutscher Film. - Sehenswert ab 16.
Er wirkt schon etwas merkwürdig, dieser Herr Frank, der plötzlich,
wie aus dem Nichts, auf der Straße steht. Der feine Anzug nebst
Weste und Schlips deutet auf einen kleinbürgerlichen Herrn hin,
und dies um so mehr, als das Jackett nicht leger geöffnet, sondern
dessen oberer Knopf wie bei einem standesbewußten Nachfahr von
Knigge fest geschlossen bleibt. Auch die kerzengerade Haltung
läßt Herrn Frank etwas kauzig erscheinen und seine Artikulation
sowieso. Nur der strohblonde Schopf irritiert. Von straff gezogenem
Scheitel keine Spur, statt dessen stehen die Haare munter ab,
wie bei einem Punk, ganz im Gegensatz zum übrigen "Outfit" des
einsamen Passanten.
Ziemlich bald lüftet Rudolf Thome jedoch das Geheimnis seines
Helden. Er kommt von weit her, aus einer fernen Zukunft, genauer
gesagt aus dem fünften Jahrtausend, und er sucht nach einer Frau.
Man kann ihn ja verstehen: In der Welt, aus der er kommt, sind
zwar die Männer unsterblich, die Frauen aber vom Winde verweht,
ein fataler Zustand. Hormonelle Veränderungen bleiben da im Laufe
der Zeit nicht aus. Herr Frank verfügt zwar, zwischen seinen Schenkeln,
noch immer über beste Manneskräfte (was sich im Laufe des Films
auf wundersame Weise bestätigen wird), aber zugleich besitzt er
die Sanftmut einer Frau, die Weichheit der weiblichen Stimme und
eine "unmännliche" Zärtlichkeit.
Herbert Fritsch, der an der Berliner Volksbühne öfters als knallharter
Typ zu besichtigen ist (zum Beispiel in Frank Castorfs Version
von "Clockwork Orange durfte in dieser Rolle alle Register eines
liebenswerten Zwitterwesens ziehen. Das machte ihm sichtlich Spaß,
wenngleich er den hinter meist unbewegter Miene verstecken mußte.
"Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan wartet als utopisches Märchen
auf. Rudolf Thome läßt es langsam, fast betulich beginnen, setzt
seinen Film dann mit einem flotten kriminalistischen Intermezzo
fort und kommt nach etwa einer Stunde endlich dorthin, wo der
Film seine Sogwirkung entfalten kann: Eine Landvilla mit fünf
Säulen - Fluchtburg und Traumhaus mitten in der Brandenburger
Provinz. Es ist, wie das Auftauchen einer Schlange signalisiert,
eine Art Paradies. Wobei Adam hier gleich zwei Evas an seine Seite
bekommt: die Schriftstellerin Laura Luna und Luise, jenes Mädchen,
das der Held gleich nach seiner Ankunft auf der Erde kennenlernte.
Laura Luna ist Franks Wunschfrau; er hatte deren Roman gelesen
und sich seitdem nach ihr gesehnt. Luise, obwohl frisch verheiratet,
gesellt sich dem Paar dann einfach und konfliktfrei bei.
Was sich im Landhaus abspielt, könnte leicht als grüner Kitsch
und Alt-Männer-Phantasie abgetan werden: Nacktbaden im See, Frühstück
auf freiem Feld, Kuscheln zu dritt in sonnengelber Bettwäsche,
stundenlanger Sex ohne Erschöpfungserscheinungen. Thome ist ein
Barock-Mensch, man sieht es diesen Bildern an. Aber die schöne
Oberfläche ist nur auf den ersten Blick glatt; bei näherem Hinsehen
sind durchaus Risse, Brüche und Verwerfungen zu erkennen. Thome
geht es nicht einfach darum, die Alt-68er-Utopie der freien Liebe
noch einmal zu zelebrieren, sondern auch um Sinnkrisen, um das
Erkennen und Korrigieren falscher Entscheidungen, um den Umgang
mitdem Gefühl des Lebensüberdruß, um den Zusammenhang zwischen
Harmonie und Potenz und umgekehrt - was sich nicht nur aufs Sexuelle,
sondern auch aufs Ideelle bezieht. Dabei scheut sich der Regisseur
nicht vor einfachsten Konstruktionen und unfreiwilliger Komik:
so wird Laura Luna beispielsweise dank Franks befruchtender Anwesenheit
in die Lage versetzt, in Windeseile ein neues Buch zu verfassen.
Von höherem philosophischen Anspruch ist dagegen die Sehnsucht
Franks, durch die Liebe wieder ein "richtiger" Mensch zu werden,
ein Sterblicher. Der Zukunftsgast erweist sich als ein Bruder
der Engel in Wim Wenders' "Himmel über Berlin" (fd 26 452); Herbert
Fritsch und Bruno Ganz betrachten die Welt sogar manchmal mit
dem gleichen romantisch verklärten Augenaufschlag. Am meisten
zitiert und paraphrasiert sich Thome allerdings selbst. Das Motiv
der freien Liebe und der Suche nach einer totalen Idylle ist seit
"Rote Sonne" (1969, fd 17 237) fest in seinem Werk verankert.
Eine Zeitreisende war erstmals in "Supergirl" (1970) zu besichtigen:
das ländliche Refugium unter anderem in "Tarot" (1986, fd 25 802).
Das hier verwendete Motiv der Wahlverwandtschaft nimmt auch in
"Tigerstreifenbaby" eine wesentliche Funktion ein: Schließlich
ist es Luises gekränkter, gehörnter Ehemann, der dem Idyll ein
schreckliches Ende bereitet. Rüdiger Vogler, einer der Hauptdarsteller
aus "Tarot", spielt in "Tigerstreifenbaby" übrigens Lauras Vater,
der seiner Tochter und ihren Freunden ohne Rücksicht auf die damit
verbundenen finanziellen Einbußen das Landhaus überläßt. Aus den
Tagen des "Jungen Deutschen Films" zitiert Thome außerdem noch
Irm Hermann herbei: für die Rolle der Verlegerin, die Lauras Produktivität
glücklich-staunend zur Kenntnis nimmt.
Unmittelbar vor "Tigerstreifenbaby" und direkten Kontrast dazu
drehte Rudolf Thome, fast mit denselben Hauptdarstellern, einen
weiteren Film: "Just Married": Eine Geschichte über das Scheitern
einer Ehe an den Banalitäten und Verletzungen des Alltags. Während
sich "Tigerstreifenbaby" ausgiebig an der schönen Utopie labt,
ohne etwa die Schmerzen von Luises Ehemann zu beleuchten, ist
"Just Married" aus dem Blickwinkel einer betrogenen jungen Frau
erzählt: zügiger, härter, sarkastischer, aber genauso "einfach".
Mit beiden Produktionen erweist sich Thome, neben Herbert Achternbusch,
als der letzte große Naive des deutschen Kinos, als ebenso eigenbrötlerischer
wie freier Geist. Es ist gut, daß es sie noch gibt: diese Naiven
und ihre Filme.
Ralf Schenk in Film-dienst 16/98
Wieviel Paradies geht in einen Film hinein, ohne daß er langweilig
oder unglaubwürdig wird? Eine knifflige Frage, die den Autor und
Regisseur Rudolf Thome schon lange beschäftigt. In "Rote Sonne"
spielte er einst einen rabiaten Vorschlag zur Lösung dieses Problems
durch: Es waren die Jahre der Studentenbewegung, Stichwort freie
Liebe - und die Frauen in diesem Film brachten die Männer einfach
um, wenn sie sich eine Weile mit ihnen amüsiert hatten. So sollte
es weder zu Komplikationen noch zur totalen Idylle kommen. Auch
eine Utopie, die natürlich in dem Moment scheiterte, als sich
eine der Frauen richtig verliebte.
Rudolf Thomes Arbeit hat sich seither stetig entwickelt, aber
die Frage nach dem Glück läßt ihn nicht los. Unter welchen Bedingungen,
zu welchem Preis ist süße Seligkeit möglich? Und wie lange kann
sie anhalten? Thomes Film "Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan"
behandelt dieses Thema in Märchenform. Ein adäquater Einfall.
Frank Mackay (Herbert Fritsch) kommt aus dem fünften Jahrtausend
zurück ins heutige Deutschland. Mit dem Hinweis, daß in dieser
fernen Zukunft die Frauen ausgestorben seien, ist sie hinreichend
als Hölle charakterisiert.
Nun ist Frank in Berlin. Er will eine Frau mit in seine Zeit nehmen
und hat schon bald die Auswahl: Sowohl die verheiratete Luise
(Cora Frost) als auch die junge Schriftstellerin Laura Luna (Valeska
Hanel) verfallen seiner kauzigen Art.
Die drei ziehen sich gemeinsam in ein Landhaus zurück und bilden
dort eine sexuell-spirituelle Einheit, die deutlich die Züge des
Gartens Eden trägt. Um jeden Zweifel daran auszuschließen, gibt
Thome dem Trio als Haustier eine Schlange. Man merkt es dem Film
an, daß der Regisseur sich dem ungetrübten Zustand gern ganz hingegeben
hätte - aber was wäre noch zu erzählen, wenn jetzt einfach alles
gut würde? Die Mini-WG wird bedroht. Luises eifersüchtiger Gatte
Theo (Tilo Werner) sucht das Versteck.
In "Tigerstreifenbaby ..." hat sich Thome utopisch ausgetobt:
Das Märchen endet zwar böse, doch der Glückszustand wurde gründlich
ausgemalt. Ein zweiter Thome-Film behandelt das gleiche Thema
unter einem anderen Blickwinkel: Just Married läuft (nicht öffentlich)
in der Reihe "Neue deutsche Filme". Just Married, ebenfalls 1997
gedreht, kann als Kommentar zu Tigerstreifenbaby... verstanden
werden. Er erzählt die Geschichte der Ehe von Frangipani (Laura
Tonke) und Friedrich (Herbert Fritsch). Nach einer übermütigen
Hochzeitsreise verliert sich ihre Liebe zusehends in den Banalitäten
des Alltags. Irgendwann findet Frangipani heraus, daß ihr Mann
eine Geliebte hat. Das sieht dann so aus: Herbert Fritsch als
Ehemann und Valeska Hanel als Geliebte baden nackt im See. Die
gleichen Darsteller wie in "Tigerstreifenbaby ... ", das beinahe
identische Idyll. Nur spielen die beiden andere Rollen: Man beobachtet
das Geschehen nun aus der Perspektive der betrogenen Ehefrau.
Auf schmerzlich-schöne Art erinnert Thome uns daran, daß des einen
Freude des anderen Leid ist und daß es unschuldiges Glück nur
im Paradies, nicht aber auf der Erde geben kann.
Ralf Schlüter (Berliner Zeitung 16.2.98)
Wieder einmal kann man studieren, wie unorthodoxes Glück im Film
bestraft wird. Hier macht sich Rudolf Thome viel Mühe, eine Phantasie
zu entwerfen und auszubauen - um dann schnell zu sagen: Denkste,
war alles nur eine Utopie, und Utopien werden nie Wirklichkeit!
Utopien ziehen Blutbäder an. Den schlimmsten Richter haben wir
alle in unserem Kopf. Nur: Wo steht, daß Utopien nie Wirklichkeit
werden? Steckt dahinter nicht immer die Angst vorm Glück?
Thome entwirft in diesem Film eine bedrohliche Vision: ein emotionelles
Paradies. Der Unsterbliche Frank (Herbert Fritsch) kommt aus der
Zukunft in unsere Gegenwart, weil dort die Frauen ausgestorben
sind. Er hat sich in das Foto der jungen Autorin Laura Luna (Valeska
Hanel) verliebt. Er trifft aber zunächst auf die Jungverheirateten
Luise (Cora Frost) und Theo (Tilo Werner). Um eine lange Story
abzukürzen: Luise verliebt sich in Frank, Laura verliebt sich
in Frank und Frank in Laura. Ferner spielen Goldbarren, Gangster
und Lauras Verlegerin (Irm Hermann) eine Rolle. Frank und Laura
fliehen aufs Land, mit Luises Hilfe, die gleich dableibt. Dort
macht sie Laura an. Und siehe: Eine unerwartete Liebe zu dritt
bricht aus, da Laura Luise liebt, liebt Frank sie schließlich
auch.
Jetzt haben wir also einen Adam, zwei Evas und eine Schlange,
jedenfalls ein erotisches Paradies, recht glaubwürdig gezeichnet.
Bald gibt es dreimal neues Leben: einen neuen Roman und zwei Schwangerschaften.
Das alles wirkt keineswegs so lächerlich, wie es sich auf ein
paar Zeilen anhört. Eine produktive Triade entsteht, deren Geschöpf
auch das Buch ist, daß Laura schreibt - als Medium für etwas,
das alle drei produzieren. Doch die Außenwelt sieht sowas nicht
gern. Wo kommen wir hin, wenn das einreißt? Kaum hat Lauras Vater
(Rüdiger Vogler) seine Bedenken überwunden, da naht der Rächer,
und es hat wieder a Ruh'.
Das Ganze ist stellenweise leicht umständlich gefilmt. Die Zukunft,
aus der Frank kommt, kriegt keinerlei Kontur, aber die Darsteller
sind von eigentümlichem Ernst und Intensität, und der Film hat
Charme. Und natürlich die typischen Thome-lkonen: Zeitreisen,
üppige Sommer und badende Frauen am See.
SIMONE MAHRENHOLZ (Der Tagesspiegel 16.2.98)
Darsteller:
Frank Mackay | Herbert Fritsch |
Laura Luna | Valeska Hanel |
Luise | Cora Frost |
Theo | Tilo Werner |
Birgit Kirschstein | Irm Hermann |
Lauras Vater | Rüdiger Vogler |
Makler | Friedrich Cochenhausen |
Kommissar | Frank Thiele |
Wirt | Wilfried Hertel |
ermordeter Passant | Thomas Arslan |
Gangster im BMW | Ole Ki Bun Wedemann |
Verkäufer im Zoogeschäft | Patrick Lambertz |
Apothekerin | Karin Prietz |
Luises Sohn | Nikolas Horn |
Stab:
Produktion, Buch und Regie | Rudolf Thome |
Dialogbearbeitung | Peter Lund |
Kamera | Carsten Thiele |
Kamera-Assistenz | Kerstin Ahlrichs |
Regie-Assistenz | Sülbiye V. Günar |
Material-Assistenz | Sofie Linke |
Kostüm | Gioa Raspé |
Garderobe und Maske | Claudia Hansen |
Beleuchter | Gian-Reto Schmidt |
Jenny Barth | |
Ton | Javier Moya |
Ton-Assistenz | Cord Mählmann |
Produktionsleitung | Birgit Mulders |
Schnitt | Dörte Völz Mammarella |
Schnitt-Assistenz | Heidi Heisuck |
Mischung | Hartmut Eichgrün |
Ausstattung | Nia Dryhurst |
Armgard Meyer | |
Auststattung Jagdhaus | Barbara Rolfs |
zusätzliche Hilfe | Wolfgang Wuttke |
Ringdesign | Jens Rolfs |
Script | Patrick Lambertz |
Best Girl | Henrike Bauer |
Aufnahmeleitung und Standfoto | François Rossier |
Musik | Wolfgang Böhmer |
Negativschnitt | Gabriele Trobisch |
Redaktion | Joachim von Mengershausen |
Drehzeit: 22. Juli - 24. August 1997
Drehorte: Berlin, Niendorf, Wittenberg
Länge: 3221 m - 118 min - Format: 35 mm (1:1,66) Ton: Dolby Mono
Produktion: MOANA-Film GmbH und WDR
gefördert mit Mitteln der Filmboard Berlin-Brandenburg und der
FFA
Uraufführung: Internationales Forum des Jungen Films am 16. Februar 1998
Festivals:
1998:
Berlin, Emden, Sydney, Montreal, Haiffa, São Paulo, Rencontres
Cinématographiques Fresnay/Paris
1999:
Rennes, San Francisco (Berlin & Beyond), Rom, Puerto Rico, Miami,
Deventer
Der Titel des Films "Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan" ist
eine Zeile aus dem Gedicht von Anna Rheinsberg, Marburg/Lahn, "Königreich Sachsen oder Die Nacht der tiefen
Tassen". Dieses Gedicht ist veröffentlicht worden in dem Lyrikband
Anna Rheinsberg: Bella Donna. Hamburg, Loose Blätter Presse, Verlag
Michael Kellner, 1981, S. 36
© Anna Rheinsberg, Wehrdaer Weg 43 A, 35037 Marburg
aktuelle Zuschauerzahlen in Berlin