3. Außenlandung

von Jan Lyczywek

Außenlanden in den Bergen

…ist für fast jeden Streckenflug-Einsteiger die größte mentale Hürde überhaupt. Auch die allermeisten Spitzenpiloten und Streckencracks standen am Anfang ihrer Karriere vor eben diesem Problem. Wer die Angst vor den ersten Außenlandungen aber nie überwindet, der bremst seine sportliche Leistung ein, raubt sich selbst ein Stück Freude am Fliegen und gefährdet sich letztlich spätestens dann, wenn schließlich doch einmal eine Außenlandung unvermeidlich wird.

Welche Ursachen diese mentalen Hürden haben können und wie man sie überwindet, hat Detlev in seinem lesenswerten Artikel „Der Sprung zum Streckensegelflug“ ausführlich erläutert. Mir geht es im folgenden um die mehr technische Seite einer alpinen Außenlandung. Worauf muß man bei der Auswahl der Landewiese achten, wie teilt man die Landung ein und wie reagiert man auf unvorhergesehene Schwierigkeiten?

Vor allem aber geht es mir darum, Einsteigern die Furcht vor den ersten Außenlandungen in den Bergen zu nehmen. Zwangsläufig muß man dabei die Dinge ansprechen, die Angst machen: die Gefahren, die Hindernisse, die Unwägbarkeiten einer Landung in fremdem, alpinem Gelände. Das mag zunächst abschreckend klingen, aber je genauere Vorstellungen man davon hat, was auf einen zukommen könnte und wie man richtig reagiert, je mehr mögliche Situationen durchdacht und je mehr fertige Handlungsmuster verfügbar sind, desto schneller schwindet die Angst.

Eine Außenlandung in den Alpen ist prinzipiell nicht gefährlicher als eine Außenlandung irgendwo anders auf der Welt, sie ist segelfliegerische Routine und in den weitaus meisten Fällen völlig problemlos.

Zeit

Am meisten Angst hatte ich als Einsteiger davor, „plötzlich“ heruntergewaschen zu werden und „sofort“ oder „innerhalb von Minuten“ eine Außenlandemöglichkeit finden zu müssen. Es gibt natürlich Wetterlagen, wo ohne Vorwarnung hunderte Höhenmeter in einem Zug verloren gehen, wo man in Täler absäuft, die man eigentlich sicher und hoch zu übergleiten gedachte. Als Einsteiger wirst Du Dir aber zunächst Wetterlagen heraussuchen bei denen Dir ein solch extremer Absaufer einfach nicht passieren kann. Klassisches Thermikwetter, Hochdrucklagen ohne starken, leeauslösenden Gradientwind und ohne bereits zum aktiven Gewitter gewordene Überentwicklungen, hält solche Überraschungen normalerweise nicht bereit.

Meist ist es eine Kette von eigenen Fehlentscheidungen, seltener eine schleichende Wetterverschlechterung wie abtrocknende Thermik, auseinanderlaufende Cumuli oder eine heraufziehende Cirren-Abschirmung, die Dich Schritt für Schritt und Zug um Zug tiefer bringen.
Mit etwas Erfahrung merkst Du die Anzeichen eines solchen Einbremsers sehr frühzeitig: neben der Wetteroptik gehören dazu, daß Du mühsamer steigst, immer öfter unter die Grate sinkst, auch das Wissen um die vergangenen Fehler. Noch ist nichts verloren, in vielen Fällen wirst Du Dich wieder ausbasteln können. Es ist auch gar nicht so wichtig, wie deine Situation tatsächlich ausgeht. Wichtig ist, daß Du umschaltest und Dir bewußt machst, daß dieser Flug möglicherweise mit einer Außenlandung enden könnte.

Für mich ist dieser Umschaltpunkt oft dann erreicht, wenn ich unter die Baumgrenze gesunken bin. Spätestens wenn ich im Wald herumfliege, schalte ich um vom „vorwärts“ zum „aufwärts“, vom Strecke machen zum Obenbleiben. Das bedeutet noch nicht, daß eine Außenlandung unausweichlich wird. Aber es bedeutet ganz sicher, daß ich mir konkrete Gedanken darüber machen muß. Ist die Gegend, das Tal, das Haupttal generell geeignet? Sind Wiesen zu sehen, die zumindest aus der (noch recht großen) Höhe in Ordnung scheinen? Gibt es mehr als eine Wiese, also Alternativen? Muß ich irgendwohin rausgleiten? Solche Fragen sollten nun geklärt werden.

Jetzt hast Du Zeit, meist erstaunlich viel Zeit. Das Überraschendste, Unerwartetste an meiner ersten Außenlandung war, wie wenig unerwartet, wie absehbar sie kam und wie lange vorher ich wußte, daß ich auf einem Acker sitzen würde. Ich glaube, bisher hatte ich jedesmal mindestens eine Viertelstunde Zeit, mich auf die bevorstehende Tatsache einer Außenlandung einzustellen.

Also: keine Angst vor dem „plötzlichen“ Absaufer – in vernünftigem Wetter und vernünftiger Gegend wirst Du die Außenlandung relativ lange vorher absehen können und viel Zeit haben.

Gleitleistung

Wie gut gleitet Dein Flugzeug realistisch? Ein einfacher Clubklasseflieger wie ASW 15, Standard Cirrus oder Libelle macht auf jeden Fall 1:30 – halt, wirst Du jetzt sagen, so schlecht sind die Dinger nicht. Nun gut, aber ist Dir klar, wie gut eins zu dreißig ist? Versuch Dir den Winkel vorzustellen: eine Fingerbreite Höhe, um ein ganzes Lineal entlangzugleiten. Oder zwei Kästchen Höhe auf einem karierten DIN-A4-Blatt, um die ganze Langseite des Blattes hinunterzugleiten. Oder etwa Gürtelhöhe, um zwei Standardklasse-Spannweiten weit zu gleiten.

Das ist unglaublich gut! So gut, daß Du als Einsteiger wahrscheinlich noch kein Gefühl für diese enorme Leistung hast und sie eher unterschätzt. Es geht mir auf keinen Fall darum, dieses Gleitpotential auszureizen, das wäre gefährlich. Aber Du solltest Dir dieser Reserve bewußt sein. Meist merkst Du sehr bald, daß sich ein Absaufer anbahnt. Nutze deine Gleitreichweite, solange sie noch groß ist. Beiß Dich nicht zu lange fest. Wenn die Stelle, an der Du Aufwind vermutet hast, nicht geht, gibt es meist keinen Grund, daß sie hundert Meter tiefer besser gehen sollte. Frühzeitig abgleiten an aufwindreichere Hänge, in besser landbare Gebiete, in die Nähe eines Flugplatzes. Frühzeitig abgleiten, und sich dieser Möglichkeit, weit, sehr weit ohne Aufwind fliegen zu können, ständig bewußt sein – das schützt Dich am besten davor, Dich unnötig in unlandbaren Gegenden einzubasteln und dann zu übereilten Entschlüssen gezwungen zu sein.

Selbst aus nur 600 Meter über Talgrund – eine Höhe, in der in der Gebirgsfliegerei meist endgültig klar ist, daß der Flug nur noch mit Glück oder Ortskenntnis zu retten ist – hast Du insgesamt mindestens 10 Minuten Zeit. Und kannst in den ersten fünf Minuten davon 300 Meter vergleiten, also 10 Kilometer in jede Richtung. Selbst wenn das Tal nur zwei Kilometer breit ist, bleiben damit etwa vierzig Quadratkilometer (!) Fläche erreichbar. Und dann bleiben noch satte dreihundert Meter und fünf Minuten für die Landeeinteilung selbst.

Es bleibt also bei etwas Aufmerksamkeit für die eigene (Flug-) Situation sowohl Zeit als auch Aktionsradius um sich auf die bevorstehende Außenlandung vorzubereiten und sich eine geeignete Landewiese auszuwählen.

Thema von Folge 4: „Außenlandung: Landewiesen“