Wandersegelflug 2008

Dritter Teil:
Grambecker Heide – Rinteln

von Jan Lyczywek

[IGC-Datei dieses Fluges]
[OLC-Seite dieses Fluges]

„14:00, f-, Lüneburg, 270 msl“

F minus, das bedeutet: wir fliegen noch, aber es sieht schlecht aus. Die Höhe bestätigt das. Allzu sehr beunruhigt mich diese SMS zur vollen Stunde dennoch nicht, denn in gewissem Sinne geht es mir ähnlich: ich stehe auf einer Elbbrücke bei Hamburg im Stau.

Heute ist mein erster „Auto-Tag“, und ich bin zu meiner eigenen Überraschung keineswegs traurig darüber. Die vielen neuen Eindrücke und Bilder wollen verarbeitet werden und so tut es regelrecht gut, jeden dritten Tag allein im Auto zu verbringen und gemütlich den stündlichen Positionsmeldungen hinterherzufahren. Wieder bewährt sich Rainers kleine Reliefkarte besser als jedes Navigationssystem: nicht nur die Autobahnen sind aufgedruckt, sondern zwar naturgemäß nur wenige, aber wundersamerweise immer just jene Ortsnamen, die in den SMS Erwähnung finden.

Die Flugplanung heute morgen war schnell erledigt, hatte Rainer doch vor einigen Wochen, als die Idee zu diesem Wanderflug konkreter wurde, einen ebenso einfachen wie überzeugenden Großplan ausgeheckt: erst von Unterwössen nach Norden bis an die Küste - beispielsweise, so schlug er damals vor, nach Lübeck – dann, was sonst von hier aus, der legendären Weltrekordroute Hans-Werner Grosses folgend Richtung Südwestfrankreich (das Ziel Biarritz trauen wir uns noch kaum auszusprechen) und von dort schließlich entlang der Alpen auf gewohnten Pfaden nach Haus. Nun, Lübeck hatten wir schneller als erhofft erreicht. Und als wir dann noch erfuhren, daß ausgerechnet der Flugplatz Grambecker Heide Grosse seinerzeit als Ausklink- und Abflugpunkt gedient hatte, war die Richtung klar: Südwest.

Der stramme Ostwind stand diesem Vorhaben nicht entgegen, wohl aber dem Start im F-Schlepp. Der hohe Waldrand an der Ostgrenze des Platzes ließ einen Schlepp nach Osten nicht zu und die Motorleistung des Schleppfalken keinen Rückenwindstart nach Westen. Also blieb uns nur die Winde. Zu unserer Verwunderung schienen Heinz und Wulf überhaupt keine Bedenken zu haben, daß Rainer und Stefan aus dem Windenstart ganz problemlos Anschluß bekommen würden. Ja, sogar den bissigen Wind deuteten sie als gutes Zeichen: „Bei dem Steam kommt Ihr sicher weg!“ Von ihrem Optimismus ließen wir uns schließlich anstecken, schließlich kennen sie sich hier aus und im Übrigen haben wir als Alpenflieger wahrlich wenig Erfahrung mit Wind.

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Frohen Mutes zum Start


Und tatsächlich: waren da nicht immer wieder ganz eigenartige Böen in dem frühmorgens noch so gleichmäßigen Luftstrom? Schwankte nicht seine Richtung immer wieder leicht, selbst in dem engen, kanalisierenden Rechteck zwischen den hohen Waldrändern? Das sind Ablösungen! Nur der merkwürdig blaue, von hohen Warmluftcirren überzogene Himmel machte uns Sorgen. Punkt Zwölf schoß Heinz die DG 1000 mit seiner Winde in die Luft. Auf Anhieb schien alles geklappt zu haben: direkt über der Winde begann die DG zu drehen und stieg langsam weg. Wir räumten Winde und Lepo weg und verloren das Flugzeug aus den Augen. Gerade als wir die Hallentore zuschoben ein Ruf: „Da sind sie wieder!“

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Heinz auf seiner Winde


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Start im Cockpit


Der erste Bart habe gleich bis 850 Meter getragen, berichteten Stefan und Rainer. Doch dann sei in dem Wind nichts mehr zu finden gewesen. Also die Halle wieder auf, Winde und Lepo aufs Neue herausgefahren, diesmal zur Sicherheit beide Seile ausgelegt. Uns tat es ein bißchen leid, Heinz und Wulf noch einmal die ganze Mühe bereiten zu müssen. Doch die beiden waren mit solcher Freude und Begeisterung bei der Sache, daß sie erst gar keine Verlegenheit bei uns aufkommen ließen.

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Die ersten Bärte sind madig …


Schon um Viertel vor Eins waren Stefan und Rainer wieder in der Luft. Wieder bekamen sie sofort Anschluß, doch diesmal trug der erste Bart sichtlich höher hinauf. Wir beobachteten den großen Doppelsitzer, bis er am Horizont verschwand und die erste SMS den erfolgreichen Abflug bestätigte. Dann packten wir ein. Der Abschied war herzlich und die Gastfreundschaft der Grambecker bleibt uns unvergessen.

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Grambecker Impressionen…


Wo werden wir uns heute abend wiedertreffen? Mittlerweile ist der Stau durchgestanden und passend dazu kommt außerplanmäßig eine SMS mit einem optimistisch klingenden „f+“ aus immerhin tausend Metern. Starke Leistung, denke ich mir. Das fliegerische Meisterstück wird aber erst in den Loggeraufzeichnungen wirklich sichtbar: für die 700 Meter Höhengewinn haben die beiden nicht nur geduldig fast eine halbe Stunde in einem einzigen Bart gekurbelt, sondern sind dabei auch noch knappe zehn Kilometer übers Land versetzt worden. Interessant, dieses Flachland, aus der Luft wie vom Boden. Ich fahre durch Alleen und weite Kornfelder, an reetgedeckten Backsteinhäusern und Windmühlen vorbei und schließlich sogar an einem der Skigebiete der Lüneburger Heide, einer merkwürdig schiefen Flachdachhalle namens „Snow Dome“. Ich habe Zeit, über die Bedeutung des von der Werbewirtschaft so arg gebeutelten und verengten Wortes „Erlebnis“ nachzudenken.

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Snow Dome


Gegen drei entdecke ich die erste kleine Dunstkuppe hoch über der Autobahn. Jetzt bin ich mir sicher, daß die beiden gut weiterkommen und jage nach Südwesten. Um vier komme ich unter den ersten kleinen, regelmäßig gestreuten Cumuli an. Wie hoch mag wohl die Basis liegen? Die Vier-Uhr-SMS berichtet von 2200 Metern, eine märchenhafte Höhe über dem flachen Land.

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Komfortable Höhe


In Gedanken sitze ich im Flugzeug und drehe den McCready-Wert hoch, zusammen mit dem Tempomaten im Auto. Doch um Sechs verwirrt mich ein zerhackter Anruf von Stefan: sie würden wohl in Rinteln landen müssen. Rinteln, das liegt am Weserbergland, fast hundert Kilometer hinter mir! Ich habe das Flugzeug überholt. Wie kann das sein? Fast bin ich ein wenig ärgerlich, natürlich nicht auf die beiden Piloten, sondern auf meine offenbar übertriebene Euphorie angesichts ein paar schöner Spätnachmittagswolken. Ich mache Pause auf einem überfüllten, lauten Lkw-Parkplatz. Endlich der Anruf: die beiden sind wirklich in Rinteln gelandet. Abbauende Thermik, eine nicht gerade übersichtliche Luftraumstruktur und ein insistierender Controller haben den Flug beendet. Die Rückfahrt mit der Sonne im Rücken durch wunderschöne Landschaft versöhnt mich völlig mit diesem etwas unerwarteten Ausgang.

Als ich an dem kleinen Rintelner Platz ankomme, ist schon alles organisiert: der F-Schlepp für den nächsten Tag, die Duschen, der Zeltplatz. Im Westen zieht eine diffuse Front auf und schickt bedrohlich wirkende Castellanuswolken voraus. Wir verzurren die DG und verstecken den Hänger hinter einer der Motorfliegerhallen, die wie der ganze Flugplatz etwas bezugslos zwischen den Feldern liegen. Dann fahren wir in die pittoreske Altstadt, deren alte westfälische Fachwerkfassaden bestens erhalten geblieben sind. Der kleine Ort ist einen Besuch wert. Auf dem stimmig proportionierten Marktplatz hat ein Mexikaner seine Tische und Stühle aufgestellt. Die Kellnerinnen sind hübscher, als das Essen gut ist, aber in Summe sind wir zufrieden. Dann treibt uns die herannahende Front zurück zum Flugzeug – unnötigerweise, wie sich herausstellt. Malte verfolgt von zuhause aus das Radar und kann uns bald beruhigen: die Unwetter toben sich weit südlich von uns aus, wir werden nicht einen Tropfen abbekommen. Und wenn die Front morgen durch sein sollte, dann bekommen wir Rückseitenwetter. Was will man mehr?

Weiter mit dem vierten Teil


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