Wandersegelflug 2008

Erster Teil:
Unterwössen – Mühldorf – Erbendorf

von Jan Lyczywek

[IGC-Datei dieses Fluges]
[OLC-Seite dieses Fluges]

Nass und klamm liegen die vertrauten Hänge im fahlen Licht. Bis in den Vormittag hinein fiel dichter Regen. Jetzt dampfen die Wälder schwerfällig die Feuchtigkeit aus. Nur mühsam und quälend langsam heben sich die Wolken. Heute (30. Juni) wird hier im Achental kein Segelflugtag mehr. Doch wir müssen los, zwei Wochen Wandersegelflug liegen vor uns. Für Nordbayern ist gute Thermik vorhergesagt. Wenn wir es irgendwie bis dorthin schaffen…

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Hervorragende Startbedingungen


„Wollt ihr wirklich abfliegen?“ Manfred hat uns schon bis über den Chiemsee hinausgeschleppt und im Stillen muß ich ihm rechtgeben. Längst sind wir über der Basis der quelligen Cumuli, die von einem frischen West zu tiefen, feuchten Straßen geordnet werden. Vor uns steht dunkelgrau die Wand einer riesigen Zelle, und über allem schwebt ein Schirm aus konturlosen Höhenwolken. Doch einmal gestartet, brächte uns das Umkehren nichts mehr ein und wir klinken, als wir Mühldorf sicher erreichen können. In sechshundert Metern über dem bayerischen Flachland liegt die Basis der breiten Wolken und läßt kaum Licht durch. Und doch genügt die Labilität, um enge, verblasene Bärte hervorzuzaubern. Eine Zeitlang können wir uns halten und lassen die Asphaltbahn nicht aus den Augen. Wenn wir uns festbeißen, bis die Basis hebt und mehr Sonne durchkommt, dann haben wir eine Chance. Doch was wir in den zerrissenen Blasen gewinnen, verlieren wir beim Vorflug gegen den Wind und die niedrige Basishöhe läßt keine Reserven. Die Landung ist unvermeidlich.

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Im Schlepp über den Wolken

Der Mühldorfer Flugleiter tröstet uns mit selbstgebackenem Apfelkuchen, auf den er nicht wenig stolz zu sein scheint. Dann greift er zum Hörer. Doch Schlepppiloten sind montags nachmittags schwer zu bekommen. Einer, der Ingo, wohne ganz in der Nähe, erfahren wir, doch der gehe nicht ans Telefon. Kurzentschlossen setzt sich ein anderer Mühldorfer Flieger, gerade mit der Dimona gelandet, in sein Auto und fährt los, um Ingo auf dessen Hof aufzustöbern. Wir sind sprachlos angesichts dieser spontanen Hilfsbereitschaft. Und tatsächlich saust kurz darauf ein Jeep über den Platz, freudestrahlend kommt Ingo auf uns zu und ein paar Fliegergeschichten später sind wir startbereit. Zufällig fährt ein Landwirt mit seinem Traktor vorbei und kurzerhand weist ihn Ingo als Flächenläufer ein. Dann zieht er uns hinter seiner Remo unter die schönste Wolke weit und breit. Nicht einmal anderthalb Stunden waren wir am Boden, doch wir fliegen in neues Wetter hinein. Um fast tausend Meter hat sich die Basis angehoben und zwischen den kräftigen Cumuli gibt es genügend Sonne. So sieht ein Thermiktag aus! Sorglos fliegen wir vor, doch der Wind ist immer noch stark und die Wolken nicht verläßlich. Kurz vor Dingolfing haben wir endlich den Dreh raus und wundern uns über den riesigen Windversatz des Bartes, der uns aus dreihundert Metern über Grund wieder nach oben bringt. „Low save“, tiefe Rettung, nennen die Engländer solche Ausbastler anschaulich. Richtung Deggendorf wird es blau und Industriethermik, weit von ihrer Fabrik verblasen, bringt uns an die Hügelketten des Bayerischen Waldes. Dort wartet der erste richtige Bart dieses konstrastreichen Tages. In 2300 Meter können wir aufatmen und ziehen weiter nach Regensburg. Es ist 18 Uhr und wer heute eine geschlossene Strecke fliegt, plant nun das Thermikende ein. Auf Wandersegelflug aber läßt sich die alte Faszination der Freien Strecke erahnen, jener olympischsten aller Streckenwertungen. Ein weites Flußtal schickt halbmetrige, sanfte Abendbärte hoch, in denen wir zwischen 1400 und 1800 Metern nach Norden pendeln. Flugplatz um Flugplatz kommt in Reichweite. Schließlich wird die Luft still und wir gleiten über eine Hochebene ab. Unter uns liegt Weiden in der Oberpfalz, doch wir sind noch fast tausend Meter über dem Platz. Zwanzig Kilometer voraus verspricht die Karte ein kleines Segelfluggelände namens Erbendorf. Knapp könnten wir es erreichen, trotz des Gegenwindes. Doch werden wir dort auch wieder starten können? Schließlich gibt mangels anderer Informationen die Bahnlänge den Ausschlag. Wo es 700 Meter Asphalt gibt, dort kann man auch auf einen F-Schlepp hoffen. Wir gleiten ab. Drei Windräder bezeichnen die letzte Kuppe und geben den Blick frei auf einen heiteren, weitgeschwungenen Talgrund mit kleinen Kornfeldern und malerischen Tannenwäldchen. Geduckt liegt der Ort inmitten dieser Idylle. Doch wo ist der Flugplatz? Schließlich entdecken wir die graue Bahn, dann den Windsack und am Waldrand die Hallen. Zwei Inlineskater machen Platz, als sie uns kreisen sehen. Kurz nach 20 Uhr setzt die DG auf.

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Flugplatz Erbendorf

Nie habe ich einen Flugplatz gesehen, der so stimmig, so passend in die Landschaft eingebettet ist wie dieser. Kein Zaun hemmt den Blick, der von einer leichten Anhöhe über Tal und Ort schweift. Aus einer flachen Wiesensenke weist die Bahn hinaus ins Freie und wie um dem Modelleisenbahnerideal eines Flughafens Genüge zu tun, trägt die kleine Halle einen stattlichen Tower. Dann kommen uns die freundlichen Erbendorfer Flieger entgegen. Ihre Gastfreundschaft ist unkompliziert und grenzenlos. Es gibt Weißbier und Internetanschluss und der Vorsitzende telefoniert sogleich nach einem F-Schlepp für den nächsten Tag und nach Kaffee für das morgige Frühstück. Wir hätten es gut getroffen, erzählen sie, denn normalerweise sei unter der Woche niemand hier. Doch heute hat einer von ihnen ein Dreieck von sechshundert Kilometern nach Hause gebracht und das muß gefeiert werden. Bald darauf kommt Stefan mit dem Hänger. Wir dürfen Zelt und Bus aufstellen, wo wir wollen. Morgen soll das Wetter noch besser werden, als es hier heute schon war. Was für ein Glückstreffer!

Weiter mit dem zweiten Teil


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