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THEATERKRITIK

Wolken.Heim.Und dann nach Hause
von Elfriede Jelinek. Premiere am Berliner Ensemble am 2. März 2005. Regie: Claus Peymann. Mit Therese Affolter, Ursula Höpfner, Martin Seifert u. a.

Deutschland, ein Waldgefängnis

von Michael Bienert

Kuckuck, Kuckuck, rufts aus dem Wald. Und da es sich um einen Theaterwald handelt, ruft es ganz besonders kunstfertig, schwillt das Rufen zu einem vierzehnstimmigen Kanon an. Sehr grün ist der Wald, damit man ihn vor lauter Künstlichkeit überhaupt noch als solchen erkennt. Ein viereckiger, endlos tiefer Bühnenkasten, innen mit grünem Stoff ausgeschlagen, nackte Leuchtstoffröhren an der Decke. Statt Bäumen ein paar schlichte Holzstühle und Holztische von moosgrüner Farbe. Was ist bloß aus dir geworden, du lieber deutscher Wald?

Ein Holzverschlag, ein Bunker, ein Seelengefängnis. Drin eingesperrt sind sechs Frauen und acht Männer in grünen Fräcken. Sie tragen bürgerliche Uniform. Nur den Frisuren sieht man an, dass sie aus verschiedenen Epochen stammen. Einer hat eine Perücke auf dem Kopf wie im Zeitalter der Aufklärung. Einen Dicken schmückt ein Hitlerbärtchen. Eine Kleine trägt eine Punkfrisur. Für keinen gibt es ein Entrinnen aus dem Gefängnis deutscher Innerlichkeit.

Sie alle singen wunderschön „O Haupt voll Blut und Wunden“ und brummeln das Horst-Wessel-Lied. Zum Zeitvertreib tanzen sie Walzer und Polonaise. Sie fühlen sich sichtlich wohl in ihrem Eingeschlossensein, mag ihr grünes Gefängnis für den Betracher im Zuschauerraum noch so ungemütlich erscheinen. Das Opium dieser Waldbewohner ist die Sprache: „Zuhaus sein, von dort die andern sehn mit ihren stumpfen Stirnen, begraben im Boden wie Gold, Untote, wir aber sind zuhaus, wo wir hinwandeln zwischen Himmel und Erd und unter den Völkern das erste. Des gemeinsamen Geistes Gedanken sind, still endend, in unsrer Seele. Wir bezeugen uns: wir sind hier. Uns gehören wir.“

Aus Hegelzitaten, Hölderlins „Gesang des Deutschen“, Heideggers Rektoratsrede, Briefen der RAF und anderen Quellen hat Elfriede Jelinek ihren Theatertext „Wolken. Heim“ zusammenmontiert, eine schwer genießbare Endlosschleife aus Pathosformeln, deutschtümelndem Geschwafel, fremdenfeindlichem Gerede und hohlen Phrasen zu Steigerung des nationalen Selbstgefühls. Dieses penetrante Destillat deutscher Geistesgeschichte wurde 1988 unter Hans Hoffers Regie in Bonn uraufgeführt, noch vor dem Mauerfall und der folgenden Renaissance eines souveränen deutschen Nationalstaates. Dass Claus Peymann den Text nun in einer neuen Inszenierung am Berliner Ensemble spielen läßt, in engster Nachbarschaft zum Regierungsviertel, kann man als kritischen Reflex auf das wieder anschwellende Selbstbewußtsein der Deutschen deuten.

Doch der Staub, den Jelineks Verfahren der Ideologiezertrümmerung inzwischen angesetzt hat, läßt sich nicht so einfach wegblasen. Es erweist sich als verhängnisvoll für das Theater, dass Jelinek die Diktion eines Hegel, Kleist, Hölderlin oder Heidegger nur zu einer braunen Einheitssoße zusammenrührt. Peymann verteilt den Text auf viele Sprecher, die ihn engagiert und präzise vortragen, er hält die vierzehn Schauspieler ständig in Bewegung, und trotzdem bleibt es eine einschläfernde Veranstaltung. In der grünen Einheitsdekorationen ist zwar ständig etwas los, aber es passiert nicht wirklich was. Zwischen den austauschbaren Figuren entwickelt sich nicht mal momentweise ein Drama - trotz so exzellenter Schauspieler wie Therese Affolter, Ursula Höpfner und Martin Seifert. Das Extreme von Jelineks Sprache, ihre Sperrigkeit und Widerständigkeit treibt die Regie nicht (wie bei anderen Aufführungen ihrer Stücke) zu extremen oder wenigstens überraschenden Bühnenlösungen. Peymanns Theater ächzt und knarzt nicht unter der Textlawine, es zeigt nur immer wieder einen penibel choreographierten Hitlergruß. Keine große Provokation.

Dann, nach einer endlos langen Stunde, setzt die Inszenierung doch noch zum Sprung in die Gegenwart an. Zu diesem Zweck hat Peymann die Autorin gebeten, eine Fortsetzung von „Wolken. Heim“ zu schreiben: „Und dann nach Hause“ heißt der neue Text. Vom Einigeln in deutscher Innerlichkeit ist nicht länger die Rede, im Gegenteil: „Was drinnen ist, muß raus, alles muß raus, egal, obs hinauf- oder hinuntergegangen ist mit ihm, was auch immer. Nur so lebt man fröhlich. Nur so lebt man überhaupt.“ Eine neue deutsche Ideologie wird dekonstruiert, der Kult um Mobilität. Die Rede ist nun vom Heuern und Feuern auf dem Arbeitsmarkt, von steilen Managerkarrieren, von globalen Wirtschaftsprozessen.

Der Bühnenkasten von Achim Freyer bleibt derselbe, nur an den Seiten ist die grüne Verkleidung abgerissen. Die Schauspieler sind nun gefangen zwischen zwei kahlen weißen Fluchten. Das deutsche Volk trägt immer noch grüne Fräcke, dazu Bauhelme. Was für ein armseliges Volk von Globalisierungsverlierern mit trauerschwarzen Clownsnasen! Es faselt von der Jugend und bejammert die drohende Abwicklung deutscher Industriezweige durch ausländische Konzerne. Statt „Kuckuck“ im Kanon singt der Gefangenenchor nun ebenso schön: „Kennst Du das alte Opelwerk noch?“

Eine kurze Weile ist das ganz erfrischend, aber schon bald schleppt sich diese Uraufführung ebenso zäh hin wie das Remake des alten Textes. In den Achtzigerjahren wäre so etwas noch als postdramatisches Theater bejubelt wurden, jetzt ist man trotz aller bühnenhandwerklichen Perfektion froh, wenn es nach nicht mal zwei Stunden endlich vorbei ist. Adieu, Theatermuseum! So gesehen war Elfriede Jelinek wirklich reif für den Nobelpreis.

Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 4. März 2005

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