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THEATERKRITIK

Wer hat Angst vor Virginia Woolf?
von Edward Albee. Premiere am Deutschen Theater am 19. November 2004. Regie: Jürgen Gosch. Mit Corinna Harfouch, Katharina Schmalenberg,Ulrich Matthes und Ulrich Khuon

Quartett des Schreckens

von Michael Bienert

Auf deutschen Bühnen stehen die Schauspieler zur Zeit fast immer ein wenig neben ihren Rollen. Mal müssen sie übertreiben und Schmiere spielen, um die Künstlichkeit einer Inszenierung zu betonen. Mal müssen sie untertreiben, um ein strenges Regiekonzept nicht zu gefährden. Oft lungern die Schauspieler nur noch wie Sprechautomaten auf der Bühne herum.

Beides, das Über- und Unterspielen der Figuren, kann äußerst eindrucksvoll sein. Nicht umsonst hat ein glänzender Theaterpraktiker wie Brecht seine ganze Schauspieltheorie auf dem Begriff der Distanzierung aufgebaut. Doch dann das: Man sieht mal wieder eine Schauspielerin auf der Bühne, der es gelingt, dass man sich von der ersten bis zur letzten Minute nur für ihre Theaterfigur interessiert. Umso toller ist das, weil die Frau durch ihre Film- und Fernsehauftritte ziemlich bekannt ist. Solche Prominenz verdirbt sonst oft genug die Schauspieler für die Bühne. Sie verlassen sich dann gern auf ihren Starstatus und strengen sich nicht mehr wirklich an.

Corinna Harfouch ist anders. Sie schont sich kein bißchen, sie kokettiert nicht, sie ist einfach nur für ihre Figur da. Da bleibt gar kein Raum für einen Gedanken an andere Rollen. Corinna Harfouch ist Martha, die unbefriedigte Professorengattin in Edward Albees Zimmerschlacht „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“. Als hoch nervöses Energiebündel läuft sie im Kreis, staucht ihren Mann zusammen, knickt mal wie ein angeschlagener Boxer zusammen, wenn er sie mit Worten verletzt, und wirft sich bald wieder mit vollem Körpereinsatz in die Eheschlacht. Mit ihren eigenen Waffen, mit physischer Kraft und Impulsivität, ist diese Frau nicht zu schlagen.

Vielleicht wäre sie glücklicher als Oberhaupt einer vielköpfigen Frauensippe mit Kindern und wechselnden Sexualpartnern, wie es sie vor der Erfindung der Ehe vor etwa 5000 Jahren gegeben haben soll. Aber das Matriarchat ist lange abgeschafft, deshalb muß Martha in der Ehehölle einer Provinzstadt schmoren. Mangels Alternativen hat sie sich vor einundzwanzig Jahren in George verliebt, der kleiner und schmaler ist als sie, ein lebensuntüchtiges Leichtgewicht. Ein Bücherwurm mit Hornbrille, verhinderter Schriftsteller, erfolgloser Geschichtsprofessor, leicht verletzlich, aber mit strategischer Weitsicht begabt.

So kommt es, dass der berechnende kleine Mann ganz am Ende des totalen Ehekriegs mit ruhigem Schritt die schwankende Gattin von der Walstatt geleiten kann. Ulrich Matthes ist als Schauspieler der Antityp zu Corinnna Harfouch, kein raumgreifendes Sinneswesen, sondern jemand, der den Mangel an Leibesmasse stets durch Präzision und Intelligenz ausgleichen muß. In ihrer Gegensätzlichkeit sind Harfouch und Matthes ein Traumpaar. Und in Albees Rollen: ein Alptraumpaar.

Schutzlos sind sie sich auf der Bühne ausgeliefert. Es gibt keine Sofas, hinter denen einer Deckung suchen könnte und keine schützenden Wände. Nur die Andeutung eines Raumes durch ein paar dünne weiße Fäden, die Johannes Schütz zwischen dem Zuschauerraum und dem kahlem Rundhorizont des Deutschen Theaters gespannt hat. Vier Stapelhocker und ein Klapptisch, ein paar Flaschen, Gläser und ein CD-Player, mehr ist nicht da. Es sieht aus wie bei einer Theaterprobe. Auch das Saallicht ist die ganze Zeit an.

Hier bleibt nichts im Dunkeln. Hier muß nichts enthüllt werden. Der heillose Charakter dieser Ehe liegt offen zutage, von Anfang an. Ein Wunder, wie die extreme Spannung, die kaum Steigerung zuläßt, über zweieinhalb Stunden gehalten wird. Es gibt wenige Atempausen für die Spieler, keine Pause fürs Publikum. Sie tragen unauffällige Kleidung, aber ihre Figuren stehen total nackt vor uns. Es fehlt jede zivilisatorische Schutzschicht in Form von Höflichkeit, Takt oder sonstigen Konventionen. Kaum haben Martha und George späten Besuch bekommen, wird dieser auch schon geohrfeigt. Man beißt und spuckt sich an. Die dünne, kleine, hysterische Honey (Katharina Schmalenberg) hinterläßt Urinflecken auf dem Fußboden. Ihr junger Ehemann, der tumbe Biologe Nick (Alexander Khuon), lungert im Anorak herum und legt die Hausherrin auf dem Klapptisch flach. Übertrieben wirkt das alles mitnichten. Die beiläufige Stillosigkeit scheint schlicht zeitgemäß, gerade in Berlin mit seinen oftmals rohen Sitten.

Max Reinhardt, ein Hausheiliger des Deutschen Theaters, sagte einmal, die Schauspielkunst sei „die Befreiung von der konventionellen Schauspielerei des Lebens“. In diesem Sinne hat Jürgen Gosch das Seelendrama inszeniert, mit größtem Respekt vor allen vier Figuren. Vordergründige Aktualisierungen sind Goschs Sache nicht. Aber er läßt bei manchen Nebenmotiven des Dramas hellhörig werden. Die elenden Triebschicksale der Figuren haben viel mit Geld und Macht zu tun. Martha mag es ihrem George nicht verzeihen, dass er im Stiftungsrat der Universität bei der Beschaffung von Sponsorengeldern so kläglich versagte. Nick hat Honey wegen ihres Geldes geheiratet. Er ist Biologe und beschäftigt sich mit Genetik. Sind das die Leute, die an amerikanischen oder deutschen Universitäten das Biodesign der Welt von morgen entwerfen? Eine gruselige Vorstellung.


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