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Lektüre der Straßen: Rosa-Luxemburg-Platz


Rosas Platz ist nicht am Luxemburgplatz

von Michael Bienert

Kindern verabreicht man eine bittere Medizin am einfachsten mit einer Süßigkeit. Berliner PDS-Anhängern, SPD-Linken und von der Senatsbildung enttäuschten Frauen verspricht der rot-rote Koalitionsvertrag ein besonderes Bonbon: Während dieser Legislaturperiode will der Senat einen künstlerischen Wettbewerb für ein Rosa-Luxemburg-Denkmal ausschreiben und es auf dem gleichnamigen Platz vor der Volksbühne realisieren.

Schon formiert sich der Protest gegen das Vorhaben. Kritiker wie der Historiker Heinrich August Winkler erinnern daran, daß Rosa Luxemburg die parlamentarische Demokratie ablehnte, für die sich die SPD unter Friedrich Ebert nach der Novemberrevolution entschied. Sie hielt lieber den Spartakisten die Treue, die im Januar 1919 die Fortsetzung der Revolution in Form eines Bürgerkriegs erzwingen wollten. Warum ein Denkmal für Luxemburg, wo es nicht mal eines für Gründer und Verteidiger der Weimarer Demokratie wie Scheidemann oder Ebert gibt? Um die SPD zum Offenbarungseid zu zwingen, will die FDP im Abgeordnetenhaus gar ein Denkmal für den Gustav Noske beantragen. Es war der sozialdemokratische "Bluthund" Noske, der den Spartakusaufstand mit Hilfe von reaktionären Freikorps-Verbänden niederschlagen ließ und sich so an der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht mitschuldig machte.

Befürworter eines Denkmals verweisen darauf, daß Luxemburg keine Parteidiktatur wie Lenin und Stalin anstrebte, sondern ein demokratisches Rätesystem. Wegen ihrer Nähe zu Trotzkis Ideen einer "permanenten Revolution" wurde sie 1931 von Stalin in einem Brief aus der Gemeinde der Rechtgläubigen posthum exkommuniziert. In der DDR und der Bundesrepublik verband sich der Name Luxemburg mit Hoffnungen auf eine menschliche Alternative zum Staatssozialismus. Gern wird in diesem Zusammenhang auf die offizielle Luxemburg-Liebknecht-Demonstration im Januar 1989 verwiesen, als Bürgerrechtler die SED mit Transparenten provozierten, auf denen Rosas berühmtester Satz zu lesen war: "Freiheit ist immer Freiheit des Andersdenkenden."

Der Streit um ihre historischen Fehler und Verdienste wird noch eine Weile andauern, er wird wohl kaum zu einer Annäherung von Fans und Kritikern führen, sondern polarisierend wirken. Das allein spricht noch nicht gegen das Denkmalprojekt. Jenseits des Historikerstreits und der ideologischen Debatte gibt es jedoch sehr handfeste Einwände. Man muß dazu nur konkret werden und fragen: Welchen Sinn macht das Projekt in der Berliner Denkmallandschaft? Was würde es am vorgesehenen Ort bedeuten? Und wie würde es den öffentlichen Raum am Rosa-Luxemburg-Platz verändern?

Es gibt bereits ein aussagekräftiges Netzwerk von Markierungen in der Stadt, die der Bedeutung Rosa Luxemburgs als historischer Persönlichkeit Rechnung tragen. 1988 stiftete das Bezirksamt Schöneberg eine Gedenktafel, die gegen den Widerstand des Hausbesitzers vor ihrer ehemaligen Wohnung in der Cranachstraße 58 angebracht wurde. An der Weinstraße in Friedrichshain erinnert eine Gedenkstele seit 1977 an das Frauengefängnis, in dem Rosa Luxemburg zeitweise einsaß. Im Gehweg vor dem Haus Mannheimer Straße 27 in Wilmersdorf findet sich seit 1990 eine weitere Gedenktafel: Dort war das letzte Versteck von Liebknecht und Luxemburg vor ihrer Ermordung. Die beiden Politiker wurden dann von Freikorpssoldaten in ihr Hauptquartier im Hotel Eden am Kurfürstendamm gebracht. Dieser Ort ist durch eine Gedenktafel in der Nähe des Elefantentores am Zoo (Budapester Straße 31/35) gekennzeichnet. Im nahen Tiergarten stoßen Spaziergänger auf zwei schwer übersehbare Mahnmale an den Orten, wo Karl Liebknecht erschossen und Rosa Luxemburg in den Landwehrkanal geworfen wurde: eine gemauerte Stele am Neuen See und eine abschüssige Ebene am Kanalufer aus den Buchstaben von Luxemburgs Namen, ergänzt durch zwei ausführliche Texttafeln. Dieses gelungene Doppeldenkmal stifteten 1987 die Architekten der zur Zooerweiterung führenden Lichtensteinbrücke. Das westberliner Abgeordnetenhaus hat die Denkmalsetzung mit großer Mehrheit gebilligt. Bereits seit 1971 gab es an der nahen Corneliusbrücke eine von SPD-Mitgliedern gestiftete Gedenktafel für die beiden Toten, die im Mai 1985 einem Sprengstoffanschlag zum Opfer fiel.

Die Gedenkorte im Westen der Stadt fokussieren die Aufmerksamkeit auf das an Rosa Luxemburg verübte Verbrechen. "Die Mißachtung des Lebens und die Brutalität gegen den Menschen / lassen die Fähigkeit des Menschen zur Unmenschlichkeit erkennen. / Sie kann und darf kein Mittel irgendeiner Konfliktlösung sein und bleiben", so die Botschaft auf den Gedenktafeln im Tiergarten.

Bei den Gedenkorten im ehemaligen Ost-Berlin diente die Erinnerung immer auch den Interessen des kommunistischen Parteiapparats. "Ich bin - Ich war - Ich werde sein" stand auf Mies van der Rohes 1926 eingeweihtem Mahnmal für die "toten Helden der Revolution" auf dem Friedhof in Friedrichsfelde. An den rohen Backsteinkuben prangte ein großer Sowjetstern. Alljährlich organisierte die KPD-Führung Massendemonstrationen zu dieser Pilgerstätte für die Märtyrer der kommunistischen Bewegung. Nicht zuletzt ging es darum, die Erinnerung an den historischen "Verrat" der Sozialdemokraten an der Revolution wachzuhalten. Die Führer der im Sinne Stalins gelenkten Partei stilisierten sich zu geistigen Erben der Toten, indem sie die Massen an sich vorbeidefilieren ließen. Die SED machte später daraus ein Staatsritual, baute das von den Nazis zerstörte Mahnmal jedoch nicht wieder auf. An die Stelle der betont modernen Denkmalanlage von Mies trat die biedere "Gedenkstätte der Sozialisten" nach einer Ideenskizze des Parteifunktionärs und ersten DDR-Staatspräsidenten Wilhelm Pieck.

Anders als bei den genannten Gedenkorten fehlt am Rosa-Luxemburg-Platz jeder biographische Bezug. Der 1907 angelegte Platz hieß zunächst Babelsberger Platz, ab 1910 Bülowplatz nach einem Reichskanzler, von 1933 bis 1945 Horst-Wessel-Platz, dann Liebknechtplatz, ehe er 1947 in Luxemburgplatz umbenannt wurde. 1969 kam der Vorname "Rosa" hinzu, wohl um Verwechslungen mit dem gleichnamigen Zwergstaat auszuschließen. Die Benennung diente der symbolischen Rückeroberung des Platzes durch die von den Nazis vertriebenen Kommunisten, deren Parteizentrale sich dort vom November 1926 bis Januar 1933 befunden hatte. Zu diesem Zeitpunkt waren die Parteigründer Liebknecht und Luxemburg schon lange tot.

In der Weimarer Republik bestimmten große Spruchbänder mit revolutionären Losungen am Karl-Liebknecht-Haus, Demonstrationen und Straßenschlachten das Bild des damaligen Bülowplatzes. Er galt unter Rotfrontkämpfern als kommunistisches Revier, das gegebenfalls mit Waffengewalt gegen fremde Eindringlinge verteidigt werden mußte. Einer von ihnen, der spätere Stasichef Erich Mielke, erschoß dort 1931 mit Genossen zwei Polizeibeamte. "So ist der Bülow-Platz seit Jahr und Tag die klassische Berliner Arena erbitterter Partisanenkämpfe", schrieb Carl von Ossietzky: "Ein Stück Mittelalter tut sich mitten in der nüchternen Millionenstadt auf. Alexander-Platz gegen Bülow-Platz. Polizeipräsidium gegen kommunistische Parteizentrale." Da das Polizeipräsidium sozialdemokratisch geführt wurde, spiegelte sich in dieser politischen Geographie zugleich die Feindschaft zwischen den Arbeiterparteien. Aber auch für die Nazis war der Rosa-Luxemburg-Platz ein Terrain, das sie um jeden Preis erobern wollten.

Im Februar 1933 besetzten SA-Leute das Karl-Liebknecht-Haus und benannten es nach ihrem Märtyrer Horst Wessel. Aus dem Bülowplatz wurde der Horst-Wessel-Platz, und den beiden von Mielke & Co. getöteten Polizisten setzte man ein Denkmal. Nach der Eroberung Berlins durch die Rote Armee zog es die aus dem Moskauer Exil zurückgekehrten Kommunisten wieder in ihr altes Revier: Von 1946 bis 1959 tagte das ZK der SED nur eine Ecke vom alten Parteihaus entfernt im ehemaligen Kaufhaus Jonass an der Prenzlauer Allee. Das kriegszerstörte Liebknechthaus wurde wieder aufgebaut, die umliegenden Straßenzüge nach Kommunisten benannt. Alles lief darauf hinaus, den Platz und seine Umgebung als historisches "Zentrum des klassenbewußten Proletariats Berlins" - das Zitat stammt aus einem DDR-Reiseführer von 1978 - auszuweisen. Dabei ging es weniger um die präzise historische Erinnerung als um stalinistische Folklore.

Die lange Tradition der ideologischen Besetzung des Platzes würde durch eine Denkmalsetzung für Rosa Luxemburg fortgeschrieben, wenn auch unter anderen Vorzeichen. Seit dem Ende der SED-Herrschaft hat sich jedoch um den Platz eine sehr viel differenzierte Erinnerungskultur entwickelt. Fast täglich beginnen vor der Volksbühne Stadtführungen, weil genau dort das ursprüngliche Scheunenviertel lag, das in der Kaiserzeit einer brutalen Kahlschlagsanierung zum Opfer fiel. Man erinnert sich wieder an das jüdische Leben in der Nachbarschaft, an die überragende kulturhistorische Bedeutung der Volksbühne oder an die Baukunst von Hans Poelzig, der den Block um das Kino "Babylon" entwarf. Wir sind heute imstande, das Ensemble am Rosa-Luxemburg als komplexes Denkmal der Stadtgeschichte zu sehen, an dem sich viele Aspekte der Stadtplanung, des Alltagslebens, der Kulturgeschichte und der Politik exemplarisch begreifen lassen.

Wenn nun die PDS ein Rosa-Luxemburg-Denkmal vor ihrem Parteihaus wünscht, dann spiegelt dies den Wunsch der Partei, sich in eine andere Tradition zu stellen als die von Thälmann, Ulbricht, Pieck oder Mielke, für die das Karl-Liebknecht-Haus steht. Das sollte die Partei aber mit sich selbst ausmachen und nicht wieder den öffentlichen Raum dafür in Anspruch nehmen.

Wie ein Rosa-Luxemburg-Denkmal zu realisieren sei, diese Frage sorgte in den letzten Jahren parteiintern für kuriose Auseinandersetzungen. Seit 1995 wirbt ein PDS-Initiativkreis für das Projekt. Den Parteispitzen war jedoch rasch klar, daß ein großes Denkmal nur mit breiter öffentlicher Unterstützung zu realisieren ist. 1998 verabredete die PDS im Bezirk Mitte mit den Fraktionen von SPD und Grünen, einen künstlerischen Wettbewerb auszuschreiben. Diese Verfahrensabsprache geriet in Gefahr, als im Januar 1999 plötzlich eine lebensgroße Bronzeskulptur Rosa Luxemburgs - in den Worten des Bildhauers Rolf Biebl eine "reine linke Gestalt" - vor dem Liebknechthaus auftauchte. Eine PDS-Basisgruppe hatte sie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion einbetoniert. In seiner Einweihungsrede pries der ehemalige DDR-Oberzensor Klaus Höpcke die Figur als "Sinnbild sozialistischer Gesinnung und Sittlichkeit". Die PDS-Führung fühlte sich lächerlich gemacht, die Bundesgenossen aus der SPD sahen rot. Um das große Denkmalprojekt zu retten, ohne die eigene Basis zu sehr zu verärgern, entschloß sich die PDS-Führung, die Skulptur anzukaufen. Nach ein paar Monaten wurde sie vor das Gebäude der parteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung am Franz-Mehring-Platz umgesetzt.

Damals war Thomas Flierl Baustadtrat im Bezirk Mitte, seit ein paar Tagen nun ist er PDS-Kultursenator. Und das von ihm geförderte Denkmalprojekt steht plötzlich ganz oben auf der Agenda der Landesregierung. Wie er sich das Denkmal vorstellt, kann man in Flierls Beitrag für die "Berliner Zeitung" vom 13. Januar 2001 nachlesen. Flierl hält es für einen Vorteil, daß vor der Volksbühne "jede auratische Bindung an den Ort des Verbrechens und der Grablegung" von Rosa Luxemburg entfällt. "Auch die Inanspruchnahme einer bestimmten Traditionslinie kann vor dem Hintergrund einer mehrfach gebrochenen Geschichte und angesichts der angestrebten breiten Trägerschaft nicht bestimmendes Moment sein. Vielmehr sollte die gelebte Widersprüchlichkeit Luxemburgs, der anhaltende Streit über die Deutung ihres Wirkens und die Folgen ihrer Ermordung den Ansatzpunkt zur Denkmalsetzung bilden. Dabei darf das Denkmal die Benennung des Platzes nicht einfach steigern, sondern sollte vielmehr ebenso die verdrängte NS-Geschichte des Platzes reflektieren. Die Erinnerung an Rosa Luxemburg wäre so in den Kontext des ´kurzen Jahrhunderts der Extreme´ (Hobsbawn) gestellt, das sie mit ihrem Leben und Sterben bereits an seinem Beginn symbolisch vorwegnahm". Aber kann ein Denkmal überhaupt leisten, was ihm da alles aufgebürdet wird? Und wie gewaltig muß es sein, um Rosa Luxemburg von einer Ikone der sozialistischen Bewegung in eine Symbolfigur des 20. Jahrhunderts zu verwandeln?

Dem Beitrag Flierls kann man entnehmen, daß das Politbüro der SED bereits 1974 einen Beschluß fasste, ein Rosa-Luxemburg-Monument vor der Volksbühne zu errichten: eine "überlebensgroße plastische Figur auf erhöhtem Sockel oder Natursein mit figürlichen Reliefs zur Geschichte der Arbeiterbewegung". Die Verwirklichung des Beschlusses ist Berlin zum Glück erspart geblieben. Der rot-rote Senat täte gut daran, die Denkmalpolitik der SED nicht weiter zu verfolgen.

Erstdruck in FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG (BERLINER SEITEN) vom 1. Februar 2002

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