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THEATERKRITIK

Ritter, Dene, Voss
von Thomas Bernhard. Premiere am Berliner Ensemble am 3. September 2004. Regie: Claus Peymann. Mit Ilse Ritter, Kirsten Dene, Gert Voss.

Alte Meister

von Michael Bienert

Im Theaterfoyer dieselben Gesichter wie immer: Kulturpolitiker, Kritiker, Bühnenangehörige, ein Altbundespräsident. Das Leben besteht aus Wiederholungen, da machen Premierenabende keine Ausnahme. Ungewöhnlich ist, dass diesmal nichts Neues versprochen wird: Stück, Besetzung, Bühnenbild und Inszenierung, alles wie vor achtzehn Jahren. So lang ist es her, seit bei den Salzburger Festspielen des seligen Thomas Bernhards Drama „Ritter, Dene, Voss“ uraufgeführt wurde, mit den gleichnamigen Burgtheaterschauspielern in den Hauptrollen.

Nach 116 umjubelten Vorstellungen wurde Claus Peymanns Inszenierung 1997 vom Burgtheaterspielplan genommen, im Januar dieses Jahres zum 15. Todestag Bernhards triumphal wieder aus der Versenkung geholt, vorgestern hatte sie am Berliner Ensemble Premiere. Das Haus am Schiffbauerdamm, früher gern als Brechtmuseum bespöttelt, ist heute ein florierendes Peymannmuseum. Unter den Alten Meistern auf dem Spielplan gebührt „Ritter, Dene, Voss“ mit der Urbesetzung ein Ehrenplatz, nicht allein, weil es sich um einen Meilenstein der jüngeren Theatergeschichte handelt. Mit den Jahren hat die Inszenierung eine Patina angesetzt, die wunderbar zu dem Stück paßt.

„Unsere Frühstücke haben sich seit zwanzig Jahren nicht verändert“, sagt die eine Schwester zu der anderen: „Findest Du nicht, dass wir uns umbringen sollten?“ Die Zeit stockt in dem großbürgerlichen Elternhaus, in dem die beiden gefangen sind. Alles, was sie sagen und tun, ist bereits gesagt und getan worden. Zum soundsovielten Male holt die ältere Schwester (Kirsten Dene), den Bruder Ludwig (Gert Voss) aus der Irrenanstalt an den Familientisch, um ihren Mütterlichkeitstrieb zu befriedigen; die jüngere Schwester (Ilse Ritter) begleitet den aussichtslosen Versuch mit passivem Widerstand, aggressiver Ironie, wissendem Lächeln und mädchenhafter Hilflosigkeit.

Zwanghaft spielen die drei Figuren ihr familiäres Psychodrama durch, ohne einen Ausweg zu finden. Mit ihren Darstellern sind sie merklich gealtert und haben jetzt die Schwelle des Rentenalters erreicht. Die Zeichen des körperlichen Verfalls steigern die Dramatik und die tragische Wirkung: Die Geschwister nähern sich langsam, aber unwiderruflich dem Endspiel. Nicht so die Schauspieler. Sie haben mit den Jahren eine Vertrautheit, Selbstverständlichkeit und Subtilität im Zusammenspiel gewonnen, wie sie selten auf dem Theater zu bewundern ist.

Während die Figuren zeigen, wie man besser nicht altern sollte, beweisen die gealterten Darsteller eine bewundernswerte Präsenz, Lebhaftigkeit und Wachheit, die keineswegs angestrengt wirkt, sondern durch jahrzehntelange Wiederholung gereift ist. Beiderlei könnte zu denken geben in einer Gesellschaft, von der es heißt, dass sie die in den kommenden Jahrzehnten dramatisch altern wird. Wenn den Alten die Zukunft gehört, dann ist die Altenpflege, die der Schauspieldirektor Claus Peymann in seinem Seniorenheim praktiziert, vielleicht schon wieder Avantgarde.

Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 5. September 2004

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