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THEATERKRITIK

Peer Gynt
von Henrik Ibsen. Premiere am Berliner Ensemble am 8. April 2004. Regie: Peter Zadek. Mit Uwe Bohm, Angela Winkler, Annett Renneberg, Gerd David u. a.


Zadeks Zwiebeltheater

von Michael Bienert

Das Saallicht bleibt an, der Bühnenkasten mit den geschwärzten Ziegelwänden leer. Vom Band läuft Griegs Bühnenmusik zu Peer Gynt. Sofort kommt einem ein romantisches Sonntagsfrühstück mit Radiokonzert in den Sinn. Der Hauptdarsteller steht vorn an der Rampe und spricht seine Monologe in den Zuschauerraum, so als säße dort eine Mitarbeiterin der Schauspielervermittlung des Arbeitsamtes, die über seine Aufnahme in ihre Kartei zu befinden hat. Es herrscht eine merkwürdige Proben- und Prüfungsatmosphäre im Berliner Ensemble.

Wir sind aber nicht Zeuge eines Vorsprechens, sondern sitzen in einer Premiere, zu der die gesamte erste Garde der deutschen Theaterkritik aufmarschiert ist. Peter Zadek, ein Altmeister des Regiehandwerks, hat Peer Gynt inszeniert, eines jener großen poetisch-philosophischen Stücke, um das die jungen Wilden lieber einen Bogen machen. Zadek benutzt es für eine dreieinhalbstündige Demonstration dessen, was er auf dem Theater für gut richtig und richtig hält.

Keine komplizierten Aufbauten! Ein Stuhl tut es auch, wenn eine Wand gebraucht wird, und aus ein paar Stühlen kann Peer rasch eine ganze Hütte zusammenstellen. Kein Illusionismus! Es ist doch viel reizvoller, unbeschäftigte Nebendarsteller sich als Meereswogen auf dem Boden räkeln zu lassen, wenn ein Sturm toben soll! Kein Video, keine Mikrofone! Wozu gibt es schließlich ausgebildete Schauspieler, die verständlich sprechen können? Kein Regiekonzept! Ein so gedankenreiches Stück wie Peer Gynt will erst einmal spielend erforscht sein. Auf Zadeks Bühne regiert ein ehrenwerter Konservativismus. Aber wohin führt er? Wie Peer Gynt gleicht das Zadektheater zuletzt einer Zwiebel: Unter den schillernden Verwandlungsschalen findet sich kein harter Kern.

Meisterlich arrangiert sind manche Ensembleszenen, die geschwinden Auf- und Abtritte der (von Karl Kneidl) bunt kostümierten nordischen Dorfbewohner, der Waldtrolle, der Kolonisatoren in Marokko, der Affen und Haremsdamen. Peers Odyssee vollzieht sich im Eiltempo, ihm bleibt gar nicht die Zeit und Ruhe, zu altern. Als er nach Jahrenzehnten in die Heimat zurückkehrt, hat er sich äußerlich kaum verändert, dafür steht im Dorf nun eine Currywurstbude vor einer Hochhausfassade. Hier begegnet er einem Penner wieder, dem Trollkönig (Oliver Urbanski), der ihm bescheinigt, als typischer Vertreter einer selbstsüchtigen Spaßgesellschaft gelebt zu haben. Schon im Mummenschanz der Trollszenen war diese durchaus aktuelle Zivilisationskritik Ibsens zu erkennen. Sie wirkt aber in Zadeks um spielerische Leichtigkeit kämpfender Inszenierung seltsam altersmilde; man vermißt ein bewegendes Moment von Bitterkeit oder Aggressivität.

Ein Grund dafür ist Uwe Bohm in der Titelrolle, der ein netter, sympathischer Bursche ist, angenehm unprätentiös, aber seinen Peer Gynt einfach nicht zum Funkeln und Flirren bringt. Er müßte ja nicht nur seine Mitspieler, sondern auch das Publikum mit seinen Lügengeschichte und seiner Phantasie verzaubern. Aber Bohms freundliches Kokettieren in den Zuschauerraum verpufft ziemlich wirkungslos. Überraschend blaß bleibt auch Angela Winkler als Mutter Aase - weil sie sich nicht verwandelt, sondern immer die mädchenhaft-mütterliche Angela Winkler der letzten Zadek-Inszenierungen bleibt. Annett Renneberg ist eine Solveig aus dem Lehrbuch, die langen Haare streng gescheitelt, in sich gekehrt, keusch liebend: ein Frauenbild aus dem 19. Jahrhundert, das Zadek gänzlich unkritisch passieren läßt. Alle Schauspieler machen ihre Sache sehr ordentlich, die Dame vom Arbeitsamt wäre sicher zufrieden.

Wie tröstlich, dass es noch einen Teufel gibt! Veit Schubert hält die Grabrede auf den wackeren Mann, der sich einen Finger abgehackt hat, um nicht zum Militär zu müssen. Es ist eine schnörkellose Ansprache in den erleuchteten Zuschauerraum hinein, und für einen kurzen Moment wirkt das Theater des Emigrantenkindes Peter Zadek ganz bei sich angekommen. Wie sagt der Knopfgießer (Gerd David), der Peers mißratene Seele recyceln will? "Es kommt vor, daß ein Guß, offen gesagt, schlecht ausfällt."

Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 10. April 2004

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