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THEATERKRITIK

Minna von Barnhelm
von Gotthold Ephraim Lessing. Premiere am Deutschen Theater am 28. Januar 2005. Regie: Barbara Frey. Mit Martina Gedeck, Nina Hoss, Ulrich Mathhes, Sven Lehmann, Frank Seppeler, Horst Lebinsky, Katrin Klein, Michael Goldberg


Nach dem Krieg ist vor dem Krieg


von Michael Bienert

Passen Männer und Frauen zusammen? Lessing hatte seine Zweifel. Vor dem Happyend schickt er in „Minna von Barnhelm“ sein Traumpaar auf eine Achterbahn der Gefühle. Der Major Tellheim quält die liebende Minna mit seinem gekränkten Rechts- und Ehrgefühl. Diese bringt ihn durch vorgetäuschten Liebesentzug zur Raison. Ein Lustspiel? Das ersehnte Wiedersehen nach dem Siebenjährigen Krieg wird für die Liebenden zum Alptraum: Szenen einer Ehe, noch ehe die Ehe geschlossen ist.

Seltsam verloren steht das Paar im Schlussbild von Barbara Freys Inszenierung auf einem Hinterhof, über sich einen kalten, klaren, sternübersäten Nachthimmel. Ein Parkplatzschild hängt an einer Wand, ein Müllcontainer möbliert die Bühne. Im ersten Bild hat man einen Soldaten gesehen, der fast von dem Container verschluckt wurde bei dem Versuch, etwas Essbares herauszufischen. Es herrscht ein eisiger Friede im Land.

Hinter der Hofmauer hat die Bühnenbildnerin Bettina Meyer auf der weiten Drehbühne noch Platz für eine schäbige Hotelhalle und das Zimmer des Fräuleins von Barnhelm gefunden, alles im selben schauderhaft grünen Blumenmuster tapeziert. Tellheims Bedienter Just (Sven Lehmann), ein treuer Diener seines Herrn, schläft wie ein Hund auf dem Boden des Hotelfoyers. In der rauhen Schale steckt ein herzensguter Kerl, während dem zuvorkommenden Hotelwirt (Horst Lebinsky) nicht zu trauen ist. Als er sich unbeobachtet glaubt, vergreift er sich gar an der Kammerzofe des adligen Fräuleins. Zackig und zickig spielt Nina Hoss die Dienerin und bringt ein bisschen komödiantischen Schwung in die samtpfötige Inszenierung.

Es ist nicht lange her, da stand Nina Hoss als Minna von Barnhelm auf der Bühne des Deutschen Theaters. Amélie Niermeyer inszenierte 1999 das Stück sehr entschieden als Studie über die Deformationen der Männer durch den Krieg. Bei Barbara Frey weiß man lange nicht, warum sie es ausgewählt hat. Behutsam und bewundernd wendet sie Lessings Text hin und her, was ja sehr wohltuend sein könnte im Zeitalter holzschnitthafter Inszenierungskonzepte. Zumal im Programmheft ein sehr schönes Lessing-Zitat vor allzu großer Eindeutigkeit warnt: „Ich bin nicht verpflichtet, die Schwierigkeiten aufzulösen, die ich mache. Meine Gedanken mögen immer sich weniger verbinden, ja wohl gar zu widersprechen scheinen: wenn es denn nur Gedanken sind, bei welchen (die Leser) Stoff finden, selbst zu denken.“

In diesem Sinne spielt Ulrich Matthes den Tellheim, einen hageren, hohläugigen Mann, dessen selbstzerstörerische Verstocktheit umso rätselhafter wird, je länger man ihm zuschaut. Was ihm fehlt, ist ein überzeugender Widerpart. Das Kalkül des Deutschen Theaters, auch die Rolle der Minna mit einem Film- und Fernsehstar zu besetzen, geht nicht auf. Unüberhörbar hat Martina Gedeck lange nicht auf einer Theaterbühne gestanden. Ihre üppig-sinnliche Minna besitzt wenig Präsenz und wirkt neben den gestochen scharfen Figuren der Mitspieler wie von einem Nebel umwölkt. Oder hatte sie am Premierenabend einfach einen schlechten Tag? Jedenfalls fehlt dem schönen Schauspielertheater der Barbara Frey, deren Münchner „Onkel Wanja“ beim letzten Theatertreffen begeisterte, in Berlin das Funken sprühende weibliche Zentrum.

Die Zofe der Nina Hoss stiehlt der Herrin die Schau. Resolut wehrt sie den Kriegskrüppel Riccaut (Michael Goldberg) ab und angelt sich den steifen Wachtmeister Werner (Frank Seppeler) als Ehemann. Wie bei Minna und Tellheim hat man nicht den Eindruck, dass daraus eine sehr harmonische Verbindung werden könnte. „Über zehn Jahr ist sie Generalin oder Witwe“, verspricht Werner der Verlobten mit dem letzten Satz des Dramas. Unbedingt muß er nach Persien in den Krieg gegen die Muselmänner ziehen. Ausgerechnet in den Nahen Osten, in den Iran! Der kluge Lessing hat es gewußt: Nicht nur privat, auch politisch ist die Nachkriegszeit eine Vorkriegszeit.


Erstdruck in der STUTTGARTER ZEITUNG vom 31. Januar 2005

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