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THEATERKRITIK

McKinsey kommt
von Rolf Hochhuth. Uraufführung am Brandenburger Theater am 13. Februar 2004. Regie: Oliver Munk. Mit Marion Wiegmann, Renate Siegl, Christiane Ziehl, Heide Domanowski, Rolf Staude u. a.


Agitprop lebt!


von Michael Bienert

Zwei entlassene Arbeiterinnen versuchen die Globalisierung zu begreifen. Im Umkleideraum ihrer Firma breiten sie eine Zeitung auf dem Boden aus und lesen, dass ihre Chefs gerade einen Betrieb in Amerika gekauft haben. So wird die Firma zukünftig an der mexikanischen Grenze für Hungerlöhne produzieren und noch mehr deutschen Arbeiter entlassen können. Zur Belohnung genehmigt sich die Vorstandsetage eine Anpassung an die sechsmal so hohen Managergehälter in der USA. "Da gehört ´ne Bombe rin", faucht eine der entlassenen Arbeiterinnen. Als die Mauer noch stand, sei sowas nicht möglich gewesen: "Damals hatten die Geldsäcke noch Schiß, Terroristen würden sie entführen und plattmachen".

Wegen solcher Sätze sorgte Rolf Hochhuths neues Stück schon vor der Uraufführung am vergangenen Freitag für Unruhe unter Bankvorständen und Konzernlenkern. Hochhuth stellt einzelne an den Pranger: zum Beispiel Josef Ackermann, den Chef der Deutschen Bank, oder die Vorstandsmitglieder von Daimler-Chrysler. Mit dem Stücktitel "McKinsey kommt" zielt der Autor direkt auf das gleichnamige Beratungsunternehmen und dessen Kunden, die von dort ihre Pläne für den Stellenabbau beziehen. Ein Aufruf zur Lynchjustiz an Galionsfiguren der deutschen Wirtschaft? Oder nur eine geschmacklose Provokation, um einem hölzernen Dramentext maximale Publizität zu verschaffen?

Der Autor selbst sieht sich als Warner, als unbestechlicher Aufklärer und Anwalt der kleinen Leute, die bei der Steigerung von Börsenwerten und Renditen auf der Strecke bleiben. Auf der Bühne läßt er ihre Wut durchaus nachvollziehbar in terroristische Phantasien münden. Im letzten Akt des Stücks stürmen militante Globalisierungsgegner eine Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts und verbrennen eine Europafahne. Der 72jährige Hochhuth träumt von einer neuen APO, weil Staat und Parteien sich zurückziehen, statt die Bürger vor den Bedrohungen eines entfesselten Börsenkapitalismus zu schützen.

Keine namhafte Bühne wollte das Thesenstück aufführen, allein das Stadtheater in Brandenburg an der Havel witterte seine Chance. Hochhuths moralische Empörung paßt in eine Ostregion mit einerArbeitslosenquote um die 20 Prozent. In Brandenburg gelingt es einem hoch motivierten Ensemble, die dramaturgischen und psychologischen Schwächen der Vorlage zu überspielen. Der junge Regisseur Oliver Munk hat klar erkannt, dass es nichts nützen würde, die Figuren fein zu zeichnen; statt dessen inszeniert er einen temporeichen Agitpropabend in der Tradition des frühen Brechttheaters. Er läßt Texte auf eine halb durchsichtige Brechtgardine projizieren, während die Kulissen (von Stephan Besson) ausgetauscht werden, nutzt aber auch souverän die Möglichkeit von Videoeinspielungen. Das Resultat ist respektabel, vor allem aber dürfte es seinen Zweck erfüllen, in der ostdeutschen Provinz zu Diskussionen über Hochhuths brachiale Kapitalismuskritik anzuregen. Mit besonderer Spannung wird die Vorstellung am kommenden Freitag erwartet: Das Unternehmen McKinsey hat an diesem Tag das komplette Theater für seine Mitarbeiter reserviert.

Erstdruck in der STUTTGARTER ZEITUNG vom 16. Februar 2004

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