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THEATERKRITIK
Das Käthchen von Heilbronn von Heinrich von Kleist. Premiere am Deutschen Theater am 27. September 2003. Regie: Nicolas Stemann. Mit Inka Friedrich, Frank Seppeler, Aylin Esener, Horst Lebinsky u. a.
Vertraut Käthchen!
von Michael Bienert
Ein romantisches Ritterdrama steht auf dem Spielplan, aber das weiße Bühnenhalbrund ist kahl, und der ritterliche Held hat seine Rüstung und stolze Haltung draußen an der Garderobe abgegeben. Ein dürres Männlein nähert sich zaghaft dem Bühnenrand. Es verschwindet gleich wieder, so als hätte es sich verlaufen, kommt zurück und bittet das Publikum wie ein schüchterner Verliebter darum, ihm sein Vertrauen zu schenken. So beginnt Kleists Käthchen von Heilbronn am Deutschen Theater in Berlin. Ohne Dekor zwar, aber mit einem Tigersprung in medias res: Seid ihr, liebes Publikum, denn bereit, das Unwahrscheinliche und Wunderbare der Geschichte, die wir Schauspieler euch erzählen, zu glauben?
Der Regisseur Nicolas Stemann wünscht sich das sehnlichst, mag sich aber nicht darauf verlassen, dass die Liebenden des Stücks allein durch die Kraft der Kleistschen Sprache, die Leidenschaft der Schauspieler und das Wohlwollen des Publikums ins Ziel getragen werden. Er verdoppelt manche Szenen durch Videoprojektionen, verwandelt die Drehbühne in eine eiernde Beatles-Schallplatte und läßt halbe Akte von Nebenfiguren kurz referieren. Dazu sieht man in einer Hintergrundprojektion skurrile Strichmännchenzeichnungen. Darüber droht das Stück zu zerfasern, doch dann gelingt dem wirkungssicheren Regisseur ein herzergreifender Überraschungscoup, den man eigentlich gar nicht verraten dürfte. Aber sei´s drum, die Leser dürfen es halt nur nicht weitererzählen: Während der Feuerprobe Käthchens beginnt jemand mitten im Zuschauerraum zu singen, eine zweite und dritte Stimme kommt dazu, endlich trägt ein wahrer Engelschor die Liebende aus dem sicheren Verderben zurück ins Leben.
Inka Friedrichs Käthchen ist ein treuherziger Teenager in Jeans und T-Shirt, die einfach an die Liebe glaubt, von der sie geträumt hat. Ihre Gegenspielerin Kunigunde (Aylin Esener) tritt als schicke Businessfrau auf, als jugendliche Talkmasterin, als Rauschgoldengel und als verführerisch posierende Verona Feldbusch-Kopie. Als das alles nicht mehr verfängt, kopiert sie auch noch Käthchens Schlabber-Outfit. Kunigunde gleicht sich wie ein Chamäleon den Männerphantasien an, um ihre Ziele durchzusetzen, und es dauert ziemlich lange, bis der begriffsstutzige Graf vom Strahl (Frank Seppeler) das kapiert. Diese Geschichte zu glauben fällt schon ob ihrer Alltäglichkeit nicht allzu schwer.
Um der Macht der falschen Bilder zu entkommen, muß man ein starkes Gefühl besitzen, das einem sagt: Es gibt noch etwas anderes. Und so ganz ohne Schutzengel, das heißt völlig aus eigenem Verdienst, erreicht niemand sein Ziel. Das ist in der Liebe so und auch auf dem Theater. Stemann und seine Schauspieler haben für diese alte Wahrheit des Stücks eine heutige Sprache gefunden. Und unser Vertrauen wiederhergestellt, dass so etwas im Stadttheater möglich ist. Das Publikum lohnte es mit langem, warmem Beifall.
Erstveröffentlichung auf www.text-der-stadt.de im September 2004
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