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THEATERKRITIK

Big in Bombay
von Constanze Macras. Premiere am Haus der Berliner Festspiele am 22. Januar 2005. Regie und Choreografie : Constanze Macras. Mit Nabih Amaraoui, Knut Berger, Jill Emerson, Anne Tismer u. a.


Globalisierte Festspiele

von Michael Bienert

Solange die Mauer stand, war die Aufgabe der Berliner Festspiele klar. Sie sollten dem Kulturleben von West-Berlin Glanzlicher aufstecken und die politische Insel durch bilaterale Ausstellungsprojekte, Festivals und Gastspiele international vernetzen. Nach der Wiedervereinigung wurde schon mal darüber nachgedacht, ob die Festspiele nicht entbehrlich seien. Die Berliner Szene ist sehr viel weltläufiger geworden, und eine Vielzahl lokaler und ausländischer Kulturinstitute sorgt dafür, dass ein internationales Festival das nächste jagt.

Als Konsequenz wurden die traditionellen Berliner Festwochen im Spätsommer mit ihrem breit gestreuten Veranstaltungsangebot schrittweise abgeschafft. Statt dessen erhielten die Festspiele vor vier Jahren die Chance, ein eigenes Haus ganzjährig zu bespielen. Die ehemalige Freie Volksbühne ist ein Riesenbau aus den Sechzigern mit großzügigen Foyers und gewaltiger Hauptbühne, bestens geeignet für großes Theater und aufwändige Gastspiele. Die Ressorcen der mittlerweile komplett vom Bund finanzierten Festspiele reichen allerdings bei weitem nicht aus, das Haus ganzjährig mit Leben zu füllen.

Um die Lücke zwischen den Konzertprogrammen und dem Jazzfest im Herbst, dem neuen Festival „MaerzMusik“ und dem deutschsprachigen Theatertreffen im Mai zu schließen, veranstalten die Festspiele in diesem Winter zum ersten Mal ein über drei Monate gestrecktes Theaterfestival, die „spielzeiteuropa“. Zum einen knüpft es an die gute alte Tradition der Festspiele an, regelmäßig die neuesten Produktionen von Welttheatermachern wie Luc Bondy, Robert Lepage oder Peter Brook in Berlin vorzustellen. Zum anderen versucht der künstlerische Leiter Markus Luchsinger, einen möglichst lebhaften Eindruck vom aktuellen europäischen Theatergeschehen zu geben, wobei der Begriff Europa ziemlich weit gefaßt ist: Neben Gästen aus Italien und Ungarn wurde auch die Israelin Smadar Yaaron oder der Ägypter Ahmed El Attar mit Produktionen eingeladen, die den Alltag in ihren Ländern reflektieren. Und eine kleine Werkschau huldigte dem Amerikaner John Jesurun, dessen Theater- und Videosoaps befreiend auf viele jüngere Regisseure wirkten - so auf René Pollesch, der diese Theaterform erfolgreich in Stuttgart und Berlin adaptierte.

Ehe im Februar Peter Brook mit „Tierno Bokar“, einer Geschichte aus Afrika, die erste Spielzeit im Haus der Festspiele abschließt, hat nun die argentinische Choreografin Constanze Macras ihr neuestes Stück „Big in Bombay“ zur Premiere gebracht. Macras lebt seit ein paar Jahren in Berlin und ist mit ihrer Compagnie Dorky Park der neue Liebling der hiesigen Tanzszene. Während sie weltweit von Festival zu Festival tourt, ist ihre Zukunft in Berlin jedoch völlig unsicher. Die Festspiele haben der Truppe vorläufig das Weiterarbeiten ermöglicht, die Schaubühne übernimmt das Stück in ihr Repertoire.

„Big in Bombay“ spielt in und um einen gläsernen Wartesaal mit gelben Schalensitzen: ein Ort, wie man ihn auf Flughäfen in aller Welt findet. Das buntscheckige, vielsprachige Personal schlägt die Zeit tot, indem es aneinander vorbei redet, Zeitung liest, sich annervt oder obsessiven Sex hat. Man sieht Tänzer beim Training und Casting, mit viel Selbstironie erzählen die Körper von der Sehnsucht nach großen Auftritten, Ruhm und Ehre. Videos von einer Reise nach Indien werden eingespielt, wo die Truppe bei einem Workshop jene lustigen Massenchoreographien einstudierte, die in Bollywoodfilmen für gute Laune sorgen.

Eine Entwicklung, eine Geschichte gibt es nicht: der Wartesaal ist zugleich die Endstation aller Träume. Ein Welt- und Daseinsmetapher, schrill und schräg ausstaffiert, mit paranoiden Zügen. Aus einem indischen Paartanz mit Messern wird blitzschnell ein terroristischer Überfall auf die Übergangsgesellschaft. Als wäre ein Tsunami über sie hinweg gerollt, liegen die Körper auf der Bühne und werden von einem schwarz maskierten Tänzer zu einem Berg zusammengeschoben. Letztes Bild: Sturm und Regen peitschen durch den Glascontainer, drinnen ein Hauen und Würgen, ein Kampf jeder gegen jeden, bis das Licht ausgeht.

Ein Tanz am Abgrund. Allerdings bleibt das eine Regiebehauptung, die im unmittelbaren Ausdruck der Tänzer selten eine Entsprechung findet. Sie verströmen vor allem Freude am Mummenschanz, an der Parodie, am Durcheinanderwürfeln kultureller Codes. Trotz des düsteren Finales macht der Abend gute Laune.

Ob Bombay, Buenos Aires oder Berlin - der globale Cocktail, den Macras aus Tanz-, Musik- und Sprachenversatzstücken mixt, kann weltweit verstanden werden. Er tut niemandem weh, spiegelt aber die Befindlichkeit einer jungen Generation, die überall und nirgends zuhause ist. Für die Festspiele ist der Abend ein schöner Rausschmeißer am Ende der ersten Theaterspielzeit, der Bundeskulturpolitik liefern sie einen exquisiten Exportartikel. Und womöglich könnte das in Zukunft die Hauptaufgabe der Festspiele sein.


Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 27. Januar 2005

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